BGE 135 V 163 |
22. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Stiftung Sicherheitsfonds BVG gegen E. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_920/2008 vom 16. April 2009 |
Regeste |
Art. 52 und Art. 56a Abs. 1 BVG (je in der bis Ende 2004 gültig gewesenen Fassung); Art. 169 Abs. 1 OR; Wirkung von Verjährungsverzichtserklärungen nach Zession der auf Art. 52 BVG gestützten Ansprüche; Verjährung des Haftungs- und Regressanspruchs des Sicherheitsfonds (Art. 56a Abs. 1 BVG). |
Das Gesetz regelt die Frage nicht, innert welcher Frist der Sicherheitsfonds den Haftungs- und Regressanspruch (Art. 56a Abs. 1 BVG) klageweise geltend zu machen hat. Diese echte Lücke (E. 5.3) ist dahingehend zu schliessen, dass - in Analogie zu Art. 52 Abs. 3 AHVG - eine Verjährungsfrist von fünf Jahren ab Leistung der Zahlungen des Sicherheitsfonds gilt (E. 5.5). Frage offengelassen, ob die Frist mit jeder einzelnen oder gesamthaft mit der letzten Zahlung des Sicherheitsfonds zu laufen beginnt (E. 5.6). |
Sachverhalt |
A. Ende 1984 wurde die Gemeinschaftsstiftung Y. im Hinblick auf das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40; am 1. Januar 1985) in Anlagestiftung Z. umbenannt und gleichzeitig die Sammelstiftung X. gegründet, welche als registrierte Vorsorgeeinrichtung den Zweck der beruflichen Vorsorge übernahm. E. war an dieser Umstrukturierung beteiligt, indem er die Statuten der Sammelstiftung neu erarbeitete und jene der Anlagestiftung revidierte. Er war zudem von 1984 bis 1995 Stiftungsrat und ab 1991 Vizepräsident der Sammelstiftung X. Die Aufsichtsbehörde verfügte am 16. Januar 1996 die Auflösung der beiden Stiftungen infolge Überschuldung. Die Stiftung Sicherheitsfonds BVG stellte in der Folge gesetzliche Vorsorgeleistungen der Sammelstiftung X. in Liquidation sicher. |
B. Am 30. März 2006 erhob die Stiftung Sicherheitsfonds BVG beim Verwaltungsgericht (heute: Kantonsgericht) des Kantons Freiburg Klage gegen E. mit dem Rechtsbegehren, der Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin 5 Mio. Franken nebst Zins zu 5 % seit 30. Juli 1997 zu bezahlen, unter Vorbehalt der Nachklage. In der Klageantwort vom 5. Februar 2007 beantragte E. Abweisung der Klage, soweit darauf einzutreten sei, erhob die Einrede der Verjährung und beantragte, das Verfahren sei auf die Frage der Passivlegitimation und der Verjährung zu beschränken. Nach verschiedenen weiteren Stellungnahmen der Parteien wies das Kantonsgericht mit Entscheid vom 16. September 2008 die Klage wegen Verjährung ab. |
C. Die Stiftung Sicherheitsfonds BVG erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.
|
E. schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
|
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
|
Aus den Erwägungen: |
Erwägung 4 |
4.1 Art. 52 BVG in der bis Ende 2004 geltenden Fassung lautete wie folgt: "Alle mit der Verwaltung, Geschäftsführung oder Kontrolle der Vorsorgeeinrichtung betrauten Personen sind für den Schaden verantwortlich, den sie ihr absichtlich oder fahrlässig zufügen." Die Frage der Verjährung war in dieser Bestimmung nicht geregelt. Lückenfüllend hat die Rechtsprechung eine zehnjährige Verjährungsfrist (analog Art. 127 OR) angenommen (BGE 131 V 55 E. 3.1 S. 56 f.), beginnend mit der tatsächlichen Aufgabe der Organstellung (ebd., E. 3.2.2 S. 58 f.). Mit dem Hinweis auf Art. 127 OR wird klargestellt, dass es sich dabei um eine Verjährungs- und nicht um eine Verwirkungsfrist handelt. In der 1. BVG-Revision wurde Art. 52 BVG um einen zweiten und dritten Absatz ergänzt. Nach dem neu eingefügten Absatz 2 verjährt die Haftung in fünf Jahren vom Tag an, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, auf jeden Fall aber in zehn Jahren vom Tag der schädigenden Handlung an gerechnet. |
4.4 Mit der Zession gehen auch die Vorzugs- und Nebenrechte auf den Zessionar über, mit Ausnahme derjenigen, die untrennbar mit der Person des Abtretenden verknüpft sind (Art. 170 Abs. 1 OR). Zu den übergehenden Rechten gehört auch das Recht, die Verjährung zu unterbrechen (Urteil 4C.363/2002 vom 26. Februar 2003 E. 2.2.1). Umgekehrt kann der Schuldner Einreden, die der Forderung des Zedenten entgegenstehen, auch gegen den Zessionar geltend machen, wenn sie schon zur Zeit vorhanden waren, als er von der Abtretung Kenntnis erhielt (Art. 169 Abs. 1 OR). Das gilt insbesondere auch für die Einrede der Verjährung (Urteil 5C.98/2004 vom 6. Oktober 2004 E. 4.2; FLAVIO LARDELLI, Die Einreden des Schuldners bei der Zession, 2008, S. 29; INGEBORG SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2006, S. 555 Rz. 90.48; EUGEN SPIRIG, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1993, N. 32 zu Art. 169 OR). Dies entspricht dem Grundgedanken der Zession, dass der Schuldner durch die Zession nicht schlechter gestellt werden soll (LARDELLI, a.a.O., S. 23; SCHWENZER, a.a.O., S. 555). Deshalb ist auch für den Beginn einer Verjährungsfrist, die auf die Kenntnis des Schadens durch den Geschädigten abstellt, die Kenntnis des ursprünglich Geschädigten massgebend, nicht diejenige des Zessionars (Urteil des Bundesgerichts 4C.31/1991 vom 15. August 1991 E. 6b, nicht publ. in: BGE 117 II 315, aber in: SJ 1992 S. 152). Konsequenterweise muss sich dann aber der Zessionar auch auf eine Verjährungsverzichtserklärung berufen können, die der Schuldner dem ursprünglichen Gläubiger abgegeben hat. Denn der Schuldner wird dadurch nicht schlechter gestellt. Die Verzichtserklärungen, die der Beschwerdegegner ab dem 10. Januar 1997 regelmässig gegenüber der Sammelstiftung X. in Liquidation abgegeben hat, haben daher auch Wirkung im Verhältnis zur Beschwerdeführerin, soweit diese sich auf eine rechtsgültige Zession berufen kann. Unter dieser von der Vorinstanz noch zu prüfenden Voraussetzung sind demnach die auf Art. 52 BVG gestützten Ansprüche der Beschwerdeführerin gegenüber dem Beschwerdegegner nicht verjährt. |
5.1 Nach der ursprünglichen, bis 31. Dezember 1996 in Kraft gewesenen Fassung von Art. 56 Abs. 1 lit. b Satz 2 BVG (AS 1983 797) regelte der Bundesrat die Voraussetzungen für die Leistungen des Sicherheitsfonds und das Rückgriffsrecht auf Organe zahlungsunfähiger Vorsorgeeinrichtungen. Gestützt darauf hatte der Bundesrat die Verordnung vom 7. Mai 1986 über die Verwaltung des Sicherheitsfonds BVG (aSFV 2; AS 1986 867; in Kraft bis 30. Juni 1998, AS 1998 1662) erlassen. Nach deren Art. 11 hat der Sicherheitsfonds gegenüber den Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung ein Verschulden trifft, ein Rückgriffsrecht im Umfang der sichergestellten Leistungen. Am 1. Januar 1997 trat Art. 56a Abs. 1 BVG (in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung) in Kraft (AS 1996 3067), wonach der Sicherheitsfonds gegenüber Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung oder des Versichertenkollektivs ein Verschulden trifft, ein Rückgriffsrecht im Umfang der sichergestellten Leistungen hat. In der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung sieht Art. 56a Abs. 1 BVG vor, dass der Sicherheitsfonds gegenüber Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung oder des Versichertenkollektivs ein Verschulden trifft, im Zeitpunkt der Sicherstellung im Umfang der sichergestellten Leistungen in die Ansprüche der Vorsorgeeinrichtung eintreten kann. |
Die vom Beschwerdegegner gegenüber der Sammelstiftung X. in Liquidation abgegebenen Verjährungsverzichtserklärungen haben deshalb in Bezug auf die Ansprüche des Sicherheitsfonds nach Art. 56a BVG keine Wirkung. Ebenso wenig unterbricht die im Januar 1997 von der Sammelstiftung X. in Liquidation gegen den Beschwerdegegner eingeleitete Betreibung die Verjährung des auf Art. 56a BVG gestützten Anspruchs der Beschwerdeführerin. Gegenüber der Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegner erstmals am 17. März 2004 erklärt, auf die Erhebung der Verjährungseinrede zu verzichten, soweit die Verjährung bis zu diesem Zeitpunkt nicht bereits eingetreten sei. Wie es sich damit verhält, ist im Folgenden zu prüfen.
|
5.3 Weder Art. 56a BVG noch eine andere Gesetzesnorm regelt die Frage, innert welcher (Verwirkungs- oder Verjährungs-)Frist der Sicherheitsfonds den darin verankerten Haftungs- und Regressanspruch gemäss Abs. 1 geltend zu machen hat, beziehen sich doch die Absätze 2 und 3 auf den davon zu unterscheidenden Rückerstattungsanspruch bei unrechtmässiger Leistungsausrichtung. Es liegt eine echte Gesetzeslücke vor. Denn es fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Gesetzgeber bei den Forderungen nach Art. 56a Abs. 1 BVG vom allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verjährbarkeit auch öffentlich-rechtlicher Forderungen abweichen wollte (SVR 2006 BVG Nr. 30 S. 116, B 97/05 E. 3). Die Lücke ist nach derjenigen Regel zu schliessen, die der Richter als Gesetzgeber aufstellen würde (Art. 1 Abs. 2 ZGB). Das Bundesgericht hatte bisher nicht zu entscheiden, welche Frist anwendbar ist; in E. 4 des Urteils B 97/05 hat es immerhin ausgeführt, es sei nicht eine ein- oder zweijährige, sondern eine fünf- oder zehnjährige Frist massgebend. Ebenso wenig hatte es sich bisher dazu zu äussern, wann die Verjährungsfrist beginnt. Vorliegend sind die Fragen nach Beginn und Dauer der Verjährungsfrist entscheiderheblich und zu beantworten. |
5.5 Für die Dauer der Verjährungsfrist hat die Vorinstanz auf die zehnjährige Frist gemäss BGE 131 V 55 in Verbindung mit Art. 127 OR hingewiesen. Die angemessene Dauer einer Verjährungsfrist kann jedoch nicht unabhängig von der Frage des Fristbeginnes festgelegt werden. In BGE 131 V 55 hat das frühere Eidg. Versicherungsgericht zwar für die Ansprüche nach Art. 52 BVG die zehnjährige Frist gemäss Art. 127 OR als anwendbar erachtet, aber zugleich den Beginn der Frist auf die Aufgabe der Organstellung festgesetzt und es ausdrücklich abgelehnt, die Frist mit dem Eintritt des Schadens beginnen zu lassen, da sich der Schaden unter Umständen viel später verwirklicht, wenn das in Pflicht genommene Organ längst aus dem Stiftungsrat ausgetreten ist (BGE 131 V 55 E. 3.2.2 S. 58 f.). Der Zeitpunkt des hier massgeblichen Fristbeginns (Erbringung der Leistungen durch den Sicherheitsfonds, vorne E. 5.4) kann ebenfalls bedeutend später liegen als das anspruchsbegründende Verhalten. Würde nun auch für den Anspruch nach Art. 56a Abs. 1 BVG eine zehnjährige Verjährungsfrist angenommen, so könnten die Schuldner unter Umständen noch viel später in Anspruch genommen werden als nach Ablauf der zehn Jahre seit der Beendigung der schädigenden Handlung, welche Frist sowohl die Rechtsprechung als auch der Gesetzgeber (Art. 52 Abs. 2 BVG in der Fassung gemäss 1. BVG-Revision, in Kraft seit 1. Januar 2005) maximal festgelegt haben. Dies spricht dafür, eine kürzere als die zehnjährige Frist anzunehmen. Es verhält sich ähnlich wie bei der Haftung nach Art. 52 AHVG: Auch dort gilt eine fünfjährige Verjährungsfrist ab Eintritt des Schadens (Art. 52 Abs. 3 Satz 1 AHVG), worunter der Zeitpunkt zu verstehen ist, ab welchem die Ausgleichskasse die Beiträge infolge Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr im ordentlichen Verfahren geltend machen kann (Hinweise bei MARCO REICHMUTH, Die Haftung des Arbeitgebers und seiner Organe nach Art. 52 AHVG, 2008, S. 86 ff., 206). Auch der Sicherheitsfonds hat Kenntnis von seinem Schaden, sobald er Zahlungen geleistet hat. Es ist ihm ohne weiteres zumutbar, innert fünf Jahren seit diesem Zeitpunkt Klage zu erheben. In Analogie zu Art. 52 Abs. 3 AHVG ist somit eine fünfjährige Verjährungsfrist ab diesem Zeitpunkt anzunehmen (ebenso KRISTIN M. LÜÖND, Der Sicherheitsfonds BVG, 2004, S. 107, sowie Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 27. September 2000 E. 4, in: Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide [LGVE] 2000 II Nr. 40 S. 303). |
5.6 Es stellt sich die Frage, ob die Frist mit jeder einzelnen oder gesamthaft mit der letzten Zahlung des Sicherheitsfonds zu laufen beginnt (so zit. Luzerner Entscheid E. 4e S. 307 f.). Zur Beantwortung der Frage ist zu beachten, dass der Sicherheitsfonds bis zum Abschluss des Liquidations- oder Konkursverfahrens Vorschüsse leisten kann (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 SFV), was möglicherweise während längerer Zeit der Fall sein kann. Dabei stehen gegensätzliche Interessen in Widerstreit: Einerseits kann dem Sicherheitsfonds kaum zugemutet werden, für jeden einzelnen Teilbetrag seine Forderung separat geltend zu machen. Andererseits wäre es für die Belangten stossend, wenn sie nach unter Umständen langer Zeit für den ganzen Betrag noch in Anspruch genommen werden könnten, bloss weil möglicherweise mit grosser Verzögerung noch eine geringfügige Restzahlung geleistet worden ist. Eine endgültige Antwort auf diese Frage braucht vorliegend aus folgenden Gründen nicht gegeben zu werden: |
6. Insgesamt ergibt sich, dass die auf Art. 56a BVG gestützten Ansprüche der Beschwerdeführerin gegen den Beschwerdegegner jedenfalls im Umfang des per 12. Oktober 1998 verfügten Betrags von 62,5 Mio. Franken verjährt sind, dass aber in Bezug auf die auf Art. 52 BVG gestützten Ansprüche die Verjährung nicht eingetreten ist, soweit - was bisher nicht geprüft wurde - die Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin zu bejahen ist. Die Sache geht an die Vorinstanz zurück, damit sie das Verfahren weiterführe. |