BGE 136 V 45 |
6. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. B. gegen IV-Stelle Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_365/2009 vom 6. Januar 2010 |
Regeste |
Art. 17 ATSG; Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV; Wirkungszeitpunkt der reformatio in peius im Verfahren der erstmaligen Festsetzung einer Rente der Invalidenversicherung. |
Sachverhalt |
A. Die 1967 geborene B. meldete sich am 1. Oktober 2003 wegen Rücken- und Fussbeschwerden zum Bezug von Leistungen bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Bern anerkannte zunächst einen Anspruch auf Berufsberatung und auf Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten (Verfügung vom 16. Juli 2004). Hienach sprach sie der Gesuchstellerin mit Verfügung vom 19. Juni 2007 ab 1. April 2004 bis 31. Januar 2007 eine ganze und ab 1. Februar 2007 unbefristet eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Sie stützte sich dabei unter anderem auf das polydisziplinäre Gutachten der Medizinischen Begutachtungsstelle X. vom 5. Februar 2007. |
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 24. März 2009 in der Weise ab, als es nach Androhung einer refomatio in peius die Rentenverfügung vom 19. Juni 2007 zu Ungunsten der Versicherten abänderte und einen Anspruch auf eine ganze Rente verneinte sowie denjenigen auf eine halbe Invalidenrente erst ab 1. Juni 2005 bejahte.
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C. B. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, es sei ihr, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids, ab 1. April 2004 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen, allenfalls sei die Sache zu weiterer Prüfung an die Verwaltung zurückzuweisen. Eventuell sei die IV-Stelle zu verhalten, vor Erlass eines Rentenbescheids berufliche Eingliederungsmassnahmen zu prüfen, subeventualiter sei ihr ab 1. April 2004 eine ganze und ab 1. Februar 2007 eine halbe Invalidenrente auszuzahlen.
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Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) enthält sich der Stellungnahme.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 5 |
5.3 Einen Leistungsanspruch ab 1. April 2004 verneinte das vorinstanzliche Gericht zu Recht und der Invaliditätsgrad von 58 % berechtigt lediglich zu einer halben Rente (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis zum 31. Dezember 2007 gültigen Fassung). Die im kantonalen Verwaltungsgerichtsverfahren vorgenommene Schlechterstellung (reformatio in peius) ist so gesehen begründet. Die Versicherte rügt hingegen, eine reformatio in peius könne in analoger Anwendung von Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV (SR 831.201) frühestens auf den Zeitpunkt der Fällung des angefochtenen Entscheids vom 24. März 2009 erfolgen, weshalb die von der Vorinstanz ab 1. Juni 2005 zugesprochene halbe Invalidenrente verbunden mit der Aufhebung der ganzen Rente ab 1. April 2004 unzulässig sei. Sie beruft sich dabei auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (SZS 2009 S. 133, 9C_58/2008 E. 7.1). |
Erwägung 6 |
6.2 Zwar ist die rechtskräftig zugesprochene Invalidenrente einer revisionsweisen Abänderung zugänglich (Art. 17 Abs. 1 ATSG [SR 830.1]), hingegen sieht Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV verfahrensrechtlich die Herabsetzung oder Aufhebung der Rente nur pro futuro vor. Die ratio legis der Bestimmung liegt darin, dass die versicherte Person nicht wegen einer rückwirkenden Reduktion oder Einstellung einer Invalidenrente Geldleistungen zurückzahlen soll, welche sie aufgrund eines rechtskräftigen Rentenentscheids gutgläubig bezogen hat. Zudem will ihr die Bestimmung Zeit zur Anpassung an die neuen finanziellen Verhältnisse geben (Urteil 8C_763/2008 vom 19. Juni 2009 E. 5, nicht publ. in: BGE 135 V 306; BGE 133 V 67 E. 4.3.5 S. 70; ZAK 1982 S. 336). Eine rückwirkende Herabsetzung oder Aufhebung der Rente mittels Revision lässt hingegen Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV ausnahmsweise zu, wenn die unrichtige Ausrichtung einer Leistung darauf zurückzuführen ist, dass der Bezüger sie unrechtmässig erwirkt hat oder der ihm gemäss Art. 77 IVV zumutbaren Meldepflicht nicht nachgekommen ist. Art. 88bis IVV gilt im Zusammenhang mit der Revision einer Rente. Anders ist die Rechtslage bei der ursprünglichen Rentenfestsetzung: Erst mit in Rechtskraft erwachsenem Entscheid entsteht ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung. Sofern die versicherte Person den Rechtsweg gegen eine Rentenverfügung beschreitet, muss sie mit Blick auf Art. 61 lit. d ATSG, wonach im kantonalen Verfahren eine reformatio in peius zulässig ist, mit einer Schlechterstellung rechnen, welche den Streitgegenstand auch in zeitlicher Hinsicht umfasst (BGE 125 V 413 E. 2d S. 417; statt vieler Urteile: 9C_371/2009 vom 21. August 2009; 9C_29/2007 vom 4. Februar 2008 E. 2.2; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 350/05 vom 29. September 2005). Wegen einer in peius abgeänderten Verfügung nachträglich zu Unrecht bezogene Rentenleistungen unterliegen der Rückerstattungspflicht, welcher namentlich die Gutgläubigkeit des Rentenbezügers nicht entgegensteht (Art. 25 ATSG und Art. 4 ATSV [SR 830.11]; Urteil 9C_805/2008 vom 13. März 2009 E. 2.4). Zudem ist im Verfahren der erstmaligen Rentenfestsetzung ein bestehender Rentenanspruch definitionsgemäss nicht berührt, sodass für eine Bestimmung wie Art. 88bis Abs. 2 IVV - und sei dies nur in analoger Anwendung - kein Raum besteht. Die Versicherte befindet sich vertrauensschutzrechtlich nicht in der gleichen Position wie im Revisionsverfahren, wo eine bereits rechtskräftig zugesprochene Invalidenrente überprüft wird. Gemäss der ratio legis ist die analoge Anwendung von Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV auf die reformatio in peius im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren betreffend die Revision der Invalidenrente nach Art. 17 ATSG zu beschränken. |