BGE 141 V 272 |
31. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen CAFIB, Walliser Familienzulagenkasse des Baugewerbes (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_742/2014 vom 4. Mai 2015 |
Regeste |
Art. 12 Abs. 2 FamZG; Art. 9 FamZV; Zweigniederlassungen. |
Sachverhalt |
A. Die A. AG ist eine Bauunternehmung mit Sitz in X./BE. Ihre Mitarbeiter sind auf verschiedenen Baustellen in der Schweiz tätig. Namentlich betreibt sie im Kanton Wallis grössere Baustellen, deren Dauer zwischen zwei und sechs Jahren beträgt. Zudem hat sie im Handelsregister u.a. eine Zweigstelle in Y./VS eingetragen, welche jedoch nach eigenen Angaben inaktiv sei und lediglich der telefonischen Erreichbarkeit diene, da alle Anrufe an den Hauptsitz umgeleitet würden. Seit 1987 rechnete sie die Familienzulagen über die Ausgleichskasse des Kantons Bern (nachfolgend: AK BE) ab. |
Mit Verfügung vom 11. März 2013 legte die Walliser Familienzulagenkasse des Baugewerbes (nachfolgend: CAFIB) fest, die Mitarbeiter auf Baustellen im Kanton Wallis mit einer Dauer von mehr als zwölf Monaten seien ihr zu unterstellen. Die dagegen erhobene Einsprache wies die CAFIB am 16. Mai 2013 ab.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Wallis mit Entscheid vom 28. August 2014 ab.
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C. Die A. AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie der CAFIB nicht angeschlossen sei.
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Die AK BE verzichtet unter Verweis auf ihre Eingaben im kantonalen Verfahren auf eine Stellungnahme. Die CAFIB verzichtet ebenfalls auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (nachfolgend: BSV) schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
2. Unter dem Randtitel "Anwendbare Familienzulagenordnung" hält Art. 12 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen (Familienzulagengesetz, FamZG; SR 836.2) fest, dass Arbeitgeber und Selbstständigerwerbende der Familienzulagenordnung jenes Kantons unterstehen, in dem das Unternehmen seinen rechtlichen Sitz hat, oder, wenn ein solcher fehlt, ihres Wohnsitzkantons; Zweigniederlassungen von Arbeitgebern unterstehen der Familienzulagenordnung jenes Kantons, in dem sie sich befinden. Gemäss Art. 9 der Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen (Familienzulagenverordnung, FamZV; SR 836.21) gelten als Zweigniederlassungen Einrichtungen und Betriebsstätten, in denen auf unbestimmte Dauer eine gewerbliche, industrielle oder kaufmännische Tätigkeit ausgeübt wird. Dazu führt Rz. 502 der Wegleitung zum Bundesgesetz über die Familienzulagen FamZG (nachfolgend: FamZWL) aus: "In Analogie zu Art. 6ter AHVV gelten als Betriebsstätten Werk- und Fabrikationsstätten, Verkaufsstellen, ständige Vertretungen, Bergwerke und andere Stätten der Ausbeutung von Bodenschätzen sowie Bau- und Montagestellen von mindestens zwölf Monaten Dauer." |
3.3 Das BSV hält in seiner Vernehmlassung fest, zahlreiche Unternehmungen, etwa Grossverteiler, Detailhändler, Banken oder Versicherungen, welche interkantonal tätig seien, rechneten mit mehreren Familienausgleichskassen ab. Der Begriff der Betriebsstätte werde im Bereich der Familienzulagen gleich verwendet wie (im internationalen Zusammenhang) in der AHV sowie im Steuerrecht. Ob die von der Beschwerdeführerin im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung tatsächlich aktiv sei, könne offenbleiben. Entscheidend sei, dass sie eine grosse Baustelle mit mehreren Angestellten, welche länger als zwölf Monate im Kanton Wallis arbeiteten, betrieben. Es könne bei solchen grossen Baustellen davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber vor allem auf Arbeitnehmende vor Ort zurückgreifen würde. Für diese wäre es nicht verständlich, wenn sie nicht dem Recht ihres Arbeits- und Wohnkantons unterstellt wären. |
Erwägung 4 |
4.1 Nach Art. 12 Abs. 2 FamZG unterstehen Zweigniederlassungen dem Kanton, in dem sie sich befinden. Demgegenüber sieht Art. 117 Abs. 3 AHVV (SR 831.101) vor, dass Zweigniederlassungen der Ausgleichskasse angeschlossen werden, welcher der Hauptsitz angehört. Die unterschiedliche Konzeption der Systeme der AHV und bei den Familienzulagen ist nicht zufällig (vgl. dazu SVR 2011 FZ Nr. 3 S. 11, 8C_9/2011 E. 5.3). Währenddem die Beiträge und Leistungen bei der AHV bundesrechtlich abschliessend geregelt und daher im ganzen Land gleich sind, können sie bei den Familienzulagen kantonal variieren. So können die Kantone in ihren Familienzulagenordnungen höhere Mindestansätze für Kinder- und Ausbildungszulagen sowie auch Geburts- und Adoptionszulagen vorsehen (Art. 3 Abs. 2 FamZG). Als Rahmengesetz lässt das FamZG den Kantonen einen grossen Spielraum (vgl. etwa BGE 135 V 172 E. 6.2.4 S. 177, E. 7.2.1 f. S. 181 sowie SVR 2011 FZ Nr. 3 S. 11, 8C_9/2011 E. 5.3; vgl. auch DOROTHEA RIEDI HUNOLD, Familienleistungen, in: Recht der Sozialen Sicherheit, Steiger-Sackmann/Mosimann [Hrsg.], 2014, Rz. 33.5, und UELI KIESER, Strukturen von Familienausgleichskassen, AJP 2013 S. 1174). Es ist daher nachvollziehbar, dass Zweigniederlassungen einer anderen Kasse angeschlossen sind als der Hauptsitz derselben Unternehmung. Demnach ist es durchaus möglich, dass solche Unternehmen mit mehreren Kassen abzurechnen haben (vgl. dazu auch KIESER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Familienzulagen, Praxiskommentar, 2010, N. 42 zu Art. 13 FamZG, oder STEFAN ABRECHT, Das BG über Familienzulagen aus der Sicht der Verbandsausgleichskassen, Soziale Sicherheit 2008 S. 99).
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4.2 Für den Begriff der Zweigniederlassung besteht keine Legaldefinition. Nach der Rechtsprechung zu Art. 935 OR ist darunter ein kaufmännischer Betrieb zu verstehen, der zwar rechtlich Teil einer Hauptunternehmung ist, von der er abhängt, der aber in eigenen Räumlichkeiten dauernd eine gleichartige Tätigkeit wie jene ausübt und dabei über eine gewisse wirtschaftliche und geschäftliche Unabhängigkeit verfügt (BGE 117 II 85 E. 3 S. 87). Im Bereich der Familienzulagen wird der Begriff durch Art. 9 FamZV umschrieben. Es fallen darunter Einrichtungen und Betriebsstätten, in denen auf unbestimmte Zeit eine gewerbliche, industrielle oder kaufmännische Tätigkeit ausgeübt wird. |
Ob dies zutrifft, kann, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, dahingestellt bleiben. Immerhin bleibt anzumerken, dass es nicht nachvollziehbar wäre, eine Zweigniederlassung ausserhalb des Kantons im Handelsregister eintragen zu lassen, wenn dadurch keine geschäftlichen Interessen verfolgt würden. Vielmehr soll doch - etwa durch einen Telefonbucheintrag - zum Ausdruck gebracht werden, dass die Unternehmung in der Region auf Dauer aktiv ist und ihre Leistungen anbieten will. Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb die Beschwerdeführerin, welche seit Jahren im Kanton Wallis grössere Baustellen betreibt und mehrere Mitarbeiter beschäftigt, in diesem Kanton keinerlei Geschäftsbeziehungen anstreben würde. Vielmehr dient die Zweigniederlassung ihrem Auftritt in diesem Kanton und ist zumindest Teil des Marketings.
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4.4 Das FamZG hat, wie das BSV in seiner Vernehmlassung an die Vorinstanz nachgewiesen hat, die Zweigniederlassungen ganz bewusst nicht der Ausgleichskasse des Hauptsitzes angeschlossen. Aus der Entstehungsgeschichte des FamZG ergibt sich, dass der Ständerat vorerst die Auffassung vertrat, Arbeitgeber sollten der Familienzulagenordnung des Kantons unterstehen, in dem sie für die AHV erfasst sind. Dies diene der Vereinfachung bei der Abrechnung. Er schloss sich indessen letztlich der Fassung des Nationalrates an, wonach Zweigniederlassungen der Zulagenordnung jenes Kantons unterstehen, in welchem sie sich befinden. Die heutige Lösung entspricht der Regelung vor Inkrafttreten des FamZG und vermeidet einerseits, dass Arbeitnehmer von Zweigniederlassungen vor Ort ganz unterschiedlichen Regelungen unterliegen, je nachdem wo der Hauptsitz der Unternehmung liegt, und andererseits wird den Kantonen der Zweigniederlassungen kein Beitragssubstrat für einen allfälligen kantonalen Lastenausgleich entzogen (vgl. zum Ganzen etwa Zusatzbericht vom 8. September 2004 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates, BBl 2004 6887, 6907 Ziff. 3.2.3.1 zu Art. 12 FamZG; AB 2005 S 718 f., 2005 N 1572 ff. und 2006 S 99 sowie Erläuterungen des BSV zur Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen, S. 8 zu Art. 9 FamZV). |
Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde hat der Gesetzgeber somit aus sachlichen Gründen darauf verzichtet, dass ein Arbeitgeber im Rahmen der Familienzulagenordnung jedenfalls nur mit einer Kasse abrechnen muss; vielmehr hat er dem von Arbeitgebern und Verbandsausgleichskassen gewünschten System des "one-stop-shop" und der damit verbundenen vollständigen Übernahme des AHV-Systems eine Absage erteilt, indem eine Anlehnung an das AHV-System erwünscht, aber nicht zwingend erachtet wurde (vgl. dazu BGE 135 V 172 E. 7.2 S. 180; SVR 2009 FZ Nr. 3 S. 9, 8C_881/2008 / 8C_909/2008 E. 7.2.4, und Nr. 4 S. 13, 8C_1054/2008 E. 5.2.4, sowie einlässlich SVR 2011 FZ Nr. 3 S. 11, 8C_9/2011 E. 5; vgl. auch KIESER/ REICHMUTH, a.a.O., N. 35 zu Art. 17 FamZG).
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4.6 Nach Art. 9 FamZV ist eine Tätigkeit "auf unbestimmte Dauer" vorausgesetzt. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, Baustellen seien nie auf unbestimmte Dauer angelegt, vielmehr sei diese Dauer von vornherein bis zum Abschluss der Arbeiten beschränkt. Die Formulierung "auf unbestimmte Dauer" ist allerdings prospektiv zu verstehen. So ist gerade bei grösseren Baustellen zu Beginn der Arbeiten der genaue Abgabetermin noch nicht bekannt, weil sich unvorhersehbare Verzögerungen ergeben können. Nur bei überblickbaren Bauprojekten sind solche weitgehend auszuschliessen. Mit dem Zusatz "unbestimmte Dauer" ist daher eine längere Dauer gemeint (ebenso KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 34 zu Art. 12 FamZG). Es erscheint daher sachgerecht, wenn Rz. 502 FamZWL - analog zu Art. 4 Abs. 2 DBG - eine Dauer von mindestens zwölf Monaten als "unbestimmte Dauer" im Sinne von Art. 9 FamZV bezeichnet. Diese Konkretisierung entspricht durchaus den Bedürfnissen der Praxis, welche sich auf klare Abgrenzungskriterien abstützen will. |
4.8 Die Unterstellung gilt denn auch, wie das BSV in seiner Stellungnahme ausführt, nicht für alle Mitarbeitenden. Vielmehr gelten Mitarbeitende, welche nur für kurze Dauer auf den Baustellen im Wallis arbeiten, wie etwa Monteure oder Spezialisten, als am Hauptsitz beschäftigt, wenn sie von dort aus tätig sind oder vom Hauptsitz Waren, Material und Arbeitsaufträge beziehen. Diese Praxis entspricht der ratio legis und der analogen Regelung für Selbstständigerwerbende (vgl. Rz. 502 FamZWL). |
5. Wie die Vorinstanz festgestellt hat, betreibt die Beschwerdeführerin seit mehreren Jahren Baustellen im Kanton Wallis. Dadurch führt sie in diesem Kanton eine Zweigniederlassung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 FamZG. Die CAFIB hat daher zu Recht die Unterstellung unter ihre Kasse verlangt. Die Beschwerde ist abzuweisen.
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