BGE 141 V 650
 
71. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. und Pensionskasse C. in Liq. gegen Sicherheitsfonds BVG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
9C_119/2015 / 9C_138/2015 vom 13. November 2015
 
Regeste
Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG; Sicherstellung gesetzlicher Leistungen von Vorsorgeeinrichtungen.
 
Sachverhalt


BGE 141 V 650 (650):

A.
A.a Die Pensionskasse C. bezweckte die Durchführung der obligatorischen und weitergehenden beruflichen Vorsorge für die Arbeitnehmer der Mitgliedfirmen des Verbandes D. Mit Verfügung vom 15. Dezember 2009 suspendierte das Amt für berufliche Vorsorge und Stiftungen des Kantons Zürich (BVS) als zuständige Aufsichtsbehörde die bisherigen Stiftungsräte und setzte einen neuen (interimistischen) Stiftungsrat ein. Mit Verfügung vom 12. November 2010 hob das BVS die Vorsorgeeinrichtung aufgrund ihres "desolaten Zustandes" und fehlender Sanierungsfähigkeit auf und ordnete deren Totalliquidation an.


BGE 141 V 650 (651):

A.b Ende Dezember 2010 ersuchte die Pensionskasse C. in Liquidation (nachfolgend: PK-C) den Sicherheitsfonds BVG (nachfolgend: Sicherheitsfonds) um Sicherstellung der Altersguthaben, resp. um Ausrichtung eines Vorschusses auf die Sicherstellung, im Umfang von Fr. 2'319'092.90. Der Sicherheitsfonds sprach ihr mit Verfügung vom 23. Februar 2011 einen Vorschuss von Fr. 1'500'000.- zu. In Bezug auf das Altersguthaben von 30 Personen, unter ihnen A., wies er das Gesuch um Sicherstellung nach Abklärungen mit Verfügung vom 30. Oktober 2012 ab mit der Begründung, die Betroffenen seien nicht (aktive) Versicherte der PK-C gewesen.
B. Dagegen führte die PK-C Beschwerde, welche das Bundesverwaltungsgericht - nach Beiladung von 29 der 30 Betroffenen (eine ebenfalls betroffene Person konnte nicht ausfindig gemacht werden) - mit Entscheid vom 9. Januar 2015 abwies.
C. A. (9C_119/2015) lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, der Entscheid vom 9. Januar 2015 sei aufzuheben und der Sicherheitsfonds sei zu verpflichten, seinen Anspruch gegenüber der PK-C über Fr. 399'574.40 nebst Zins zu 5 % seit 31. August 2009 sicherzustellen.
Die PK-C (9C_138/2015) gelangt ebenfalls an das Bundesgericht mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des Entscheids vom 9. Januar 2015 sei der Sicherheitsfonds zu verpflichten, die Sicherstellung der Guthaben der im vorinstanzlichen Verfahren beigeladenen Betroffenen anzuerkennen.
Die Beschwerdeführenden schliessen sich wechselseitig dem jeweiligen Antrag (des anderen Beschwerdeführenden) an. Die weiteren Betroffenen, soweit sie sich vernehmen lassen, beantragen (zumindest sinngemäss) die Gutheissung der Beschwerden. Der Sicherheitsfonds schliesst zur Hauptsache auf Abweisung der beiden Rechtsmittel. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht vereinigt die beiden Verfahren, tritt auf die Beschwerde des A. nicht ein und weist die Beschwerde der PK-C ab.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
2.1 Der Sicherheitsfonds stellt die gesetzlichen Leistungen von zahlungsunfähig gewordenen oder im Falle von vergessenen Guthaben liquidierter Vorsorgeeinrichtungen sicher (Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG).

BGE 141 V 650 (652):

Zudem stellt er die über die gesetzlichen Leistungen hinausgehenden reglementarischen Leistungen von zahlungsunfähig gewordenen Vorsorgeeinrichtungen sicher, soweit diese Leistungen auf Vorsorgeverhältnissen beruhen, auf die das FZG (SR 831.42) anwendbar ist (Art. 56 Abs. 1 lit. c BVG). Die Sicherstellung nach Abs. 1 lit. c umfasst höchstens die Leistungen, die sich aufgrund eines massgebenden Lohnes nach dem AHVG in der anderthalbfachen Höhe des oberen Grenzbetrages nach Art. 8 Abs. 1 dieses Gesetzes ergeben (Art. 56 Abs. 2 BVG).
2.2 Gestützt auf Art. 56 Abs. 4 BVG regelte der Bundesrat weitere Leistungsvoraussetzungen in der Verordnung vom 22. Juni 1998 über den Sicherheitsfonds BVG (SFV; SR 831.432.1): Antragstellerin für die Leistungen des Sicherheitsfonds ist die zahlungsunfähig gewordene Vorsorgeeinrichtung oder die Rechtsträgerin des insolvent gewordenen Versichertenkollektivs (Art. 24 Abs. 1 SFV). Zahlungsunfähig ist eine Vorsorgeeinrichtung, wenn sie fällige gesetzliche oder reglementarische Leistungen nicht erbringen kann und eine Sanierung nicht mehr möglich ist. Nicht mehr möglich ist die Sanierung u.a., wenn über eine Vorsorgeeinrichtung ein Liquidations- oder Konkursverfahren eröffnet worden ist (Art. 25 Abs. 1 u. 2 SFV). Der Sicherheitsfonds stellt den Betrag sicher, welcher der Vorsorgeeinrichtung zur Erfüllung ihrer gesetzlichen oder reglementarischen Verpflichtungen fehlt. Er kann bis zum Abschluss des Liquidations- oder Konkursverfahrens Vorschüsse leisten (Art. 26 Abs. 1 SFV).
 
Erwägung 3
Das Rechtsmittel der PK-C (9C_138/2015) als Adressatin der angefochtenen Verfügung hingegen ist zulässig; im Rahmen der entsprechenden Beurteilung bleibt die Vernehmlassung des A. vom 27. April 2015, die er in seiner Stellung als Beigeladener eingereicht hat, beachtlich.
 
Erwägung 4
 
Erwägung 5
5.1 Es steht fest, dass die PK-C eine zahlungsunfähige Vorsorgeeinrichtung im Sinne von Art. 56 Abs. 1 lit. b und c BVG (i.V.m. Art. 25 Abs. 1 u. 2 SFV) ist. Unbestritten ist auch, dass - mit einer Ausnahme - für die hier Beteiligten eine Freizügigkeitsleistung, d.h. Vermögen, das im Rahmen der beruflichen Vorsorge geäufnet worden

BGE 141 V 650 (654):

ist, in die PK-C eingebracht wurde. Weiter wird nicht vorgebracht und ist auch nicht ersichtlich, dass die vorinstanzliche Feststellung, wonach - abgesehen von einem Fall - keine dieser Personen in einem Arbeitsverhältnis zu einem der PK-C angeschlossenen Arbeitgeber gestanden habe, offensichtlich unrichtig sein oder auf einer Rechtsverletzung beruhen soll (vgl. Art. 105 Abs. 1 u. 2 BGG). Was die eine Person betrifft, die einen Lohn bei einem angeschlossenen Arbeitgeber nachweisen konnte, so ist unbestritten, dass deren Austrittsleistung bereits an die Auffangeinrichtung überwiesen wurde und keine Hinweise auf eine unrichtige Versicherung bestehen. Sodann macht weder die PK-C noch eine der betroffenen Personen geltend, dass reglementarische Leistungen sicherzustellen sind.
 
Erwägung 5.2
5.2.2 Die Anschlusspflicht an eine Vorsorgeeinrichtung trifft den Arbeitgeber, soweit er obligatorisch zu versichernde Arbeitnehmer beschäftigt (Art. 11 Abs. 1 BVG). Obligatorisch zu versichern hat der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer ab einer bestimmten Lohnhöhe (vgl. Art. 8 BVG). Die gesetzlichen Leistungsversprechen der Vorsorgeeinrichtungen beruhen somit auf einem Vorsorgeverhältnis. Dies ergibt sich auch aus Art. 56 Abs. 1 lit. c BVG. Mit dieser Bestimmung wurde der Insolvenzschutz ab 1. Januar 1997 auf "reglementarische Leistungen" ausgedehnt. Diese werden in der genannten Bestimmung als "über die gesetzlichen Leistungen hinausgehend" definiert ("prestations réglementaires qui vont au-delà des prestations légales"; "prestazioni regolamentari più estese"). Gleichzeitig wird klargestellt, dass nur Leistungen, die "auf Vorsorgeverhältnissen beruhen" ("reposent sur des rapports de prévoyance"; "si fondino su relazioni previdenziali"), auf die das FZG anwendbar ist, sichergestellt werden. Daraus ist zweierlei zu schliessen. Einerseits, dass mit "gesetzlichen Leistungen" gemäss dem unmittelbar voranstehenden Art. 56 Abs. 1

BGE 141 V 650 (655):

lit. b BVG ausschliesslich solche, die sich aus dem BVG-Obligatorium ergeben, gemeint sind. Anderseits, dass im Sinne des Schlusses vom "Grösseren" (lit. c) auf das "Kleinere" (lit. b) auch diesem ein entsprechendes Vorsorgeverhältnis immanent sein muss. Beide Parameter lassen sich auch den Ausführungen im Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 24. August 1995 zur "Parlamentarischen Initiative Verbesserung der Insolvenzdeckung in der beruflichen Vorsorge (Initiative Rechsteiner)" und in der entsprechenden Stellungnahme des Bundesrates vom 15. November 1995 zur Ausgangslage vor Einführung von Art. 56 Abs. 1 lit. c BVG entnehmen (BBl 1995 570 Ziff. 31, 573 Ziff. 35 und 581 Ziff. 1).
5.2.3 Das Bundesgericht hat seit jeher unter "gesetzlichen Leistungen von (...) Vorsorgeeinrichtungen" ("prestations légales dues par des institutions de prévoyance"; "prestazioni legali degli istituti di previdenza") sämtliche gesetzlichen obligatorischen Leistungsansprüche der versicherten Personen verstanden, die bei Fälligkeit erfüllt werden müssen, "also neben den Ansprüchen bei Erreichen des Schlussalters auch diejenigen im Invaliditäts-, Todes- und Freizügigkeitsfall". Gemeint sind damit die Versicherungsleistungen gemäss dem (heutigen) zweiten Teil, ersten Titel, Kapitel 3 und 4 des BVG (wozu seit 1. Januar 1995 auch die Wohneigentumsförderung gehört). Mit anderen Worten sichert der Sicherheitsfonds nach dem Grundgedanken des BVG die gesetzlichen Ansprüche der obligatorisch versicherten Personen bei Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung und ist nicht dazu bestimmt, die Vorsorgeeinrichtung schadlos zu halten (SZS 1990 S. 311, 2A.158/1988 E. 6d, wobei sich die heute geltende und die ursprüngliche, bis 31. Dezember 1996 gültige Fassung von Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG im hier interessierenden Punkt entsprechen). In SZS 2001 S. 357, 2A.408/2000 lit. B bestätigte das Bundesgericht indirekt die in Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG auf das BVG-Obligatorium beschränkte Sicherstellungspflicht des Sicherheitsfonds, indem es festhielt: "Mit einer am 21. Juni 1996 verabschiedeten und am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Revision von Art. 56 BVG wurden sodann die Insolvenzleistungen des Sicherheitsfonds auf Teile des ausserobligatorischen Bereichs ausgedehnt. Nach Art. 56 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 BVG waren nunmehr auch überobligatorische Leistungen auf der Basis eines massgebenden AHV-Lohnes bis zum anderthalbfachen oberen Grenzbetrag nach Art. 8 Abs. 1 BVG, d.h. bis Fr. 107'460.-, sichergestellt."
 


BGE 141 V 650 (656):

Erwägung 5.3
5.3.1 In concreto fehlt es an Vorsorgeverhältnissen. Die fraglichen Beteiligten waren (bis auf eine Person) nie bei der PK-C für die berufliche Vorsorge versichert; ihr jeweiliger Arbeitgeber war nicht der PK-C angeschlossen (vgl. E. 5.1 vorne). Mangels eines Vorsorgeverhältnisses liegt auch kein Anwendungsfall von Art. 13 FZG vor, wonach der überschüssige Teil einer Eintrittsleistung bei der Vorsorgeeinrichtung verbleiben kann. Es ist auch keine Situation im Sinne von Art. 4 Abs. 2 FZG gegeben, in welcher die Austrittsleistungen infolge Ausbleibens einer Mitteilung (zur Erhaltung des Vorsorgeschutzes) bei der "alten" Vorsorgeeinrichtung verharrten. Die PK-C fungierte somit hinsichtlich der streitigen Gelder als reine Freizügigkeitseinrichtung. Ob und inwieweit dies - zumindest temporär - zulässig war, braucht an dieser Stelle nicht erörtert zu werden (vgl. dazu jedoch [Bereinigte Fassung der] BSV-Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 32 vom 21. April 1995 Rz. 186 Ziff. 1 S. 2 sowie Nr. 34 vom 8. Dezember 1995 Rz. 198 S. 3 und Rz. 199 S. 4). Dieser Frage ist im Rahmen der Prüfung des Anspruchs auf Rückerstattung oder - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen - auf Schadenersatz nachzugehen (vgl. E. 5.3.2 nachfolgend).
So oder anders: Freizügigkeitsgelder, die ohne bestehendes Vorsorgeverhältnis in eine Vorsorgeeinrichtung einbezahlt werden, mutieren deswegen nicht zurück in ihre ursprüngliche "Leistungsform" resp. zu einem obligatorischen Leistungsversprechen einer Vorsorgeeinrichtung im Sinne einer Austrittsleistung gemäss Art. 27 BVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 FZG. Sie können einer solchen auch nicht gleichgestellt werden. Andernfalls ständen Tür und Tor offen, den fehlenden resp. verminderten Insolvenzschutz bei Freizügigkeitseinrichtungen mittels (Fehl-)Überweisungen an Vorsorgeeinrichtungen zu umgehen. Dies hat - bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation - absolut zu gelten, zumal der Gesetzgeber nicht gewillt ist, hinsichtlich Freizügigkeitseinrichtungen über den bestehenden Schutz hinauszugehen resp. den Aufgabenbereich des Sicherheitsfonds auf solche zu erweitern (Motion Amherd Viola [10.3446] betreffend die Sicherung von Geldern in Freizügigkeitsstiftungen, die der Nationalrat am 1. Oktober 2010 ablehnte).
5.3.2 Der Hintergrund der (Fehl-)Überweisung spielt demnach keine Rolle. Er ist allenfalls massgebend für die Begründung der Rückforderung oder von allfälligem Schadenersatz; Letzterer je nach Sachlage gegenüber dem (damaligen) Arbeitgeber und/oder der vormaligen

BGE 141 V 650 (657):

(überweisenden) Vorsorgeeinrichtung. Ebenso wenig braucht hier danach gefragt zu werden, ob die (Fehl-)Überweisung missbräuchlich ausgeführt wurde (vgl. Art. 56 Abs. 5 BVG). Diese Bestimmung ermöglicht es dem Sicherheitsfonds, die Sicherstellung von (u.a.) obligatorischen Leistungsversprechen auszusetzen. Zu denken ist an die Verweigerung einer Sicherstellung bezüglich (obligatorischer) Leistungsansprüche von Organen der Arbeitgeberfirma auf Grund von selbstverschuldeten Beitragsausständen (vgl. BSV-Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 101 vom 27. September 2007 Rz. 600 S. 9). Um eine solche Konstellation geht es hier aber von vornherein nicht, da die Freizügigkeitsgelder, die losgelöst von einem Vorsorgeverhältnis bei einer Vorsorgeeinrichtung deponiert werden, nach dem Gesagten nicht zu den Leistungsversprechen nach Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG gehören.