BGE 144 V 14
 
2. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Bundesamt für Gesundheit BAG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
9C_154/2017 vom 16. Januar 2018
 
Regeste
Art. 34 Abs. 2 lit. b und c KLV (in der vom 1. Juli 2002 bis 31. Mai 2015 in Kraft gestandenen Fassung); dreijährliche Überprüfung der Bedingungen für die Aufnahme in die Spezialitätenliste; Kriterium der ähnlichen Wirkungsweise.
 
Sachverhalt


BGE 144 V 14 (14):

A. Im Rahmen der dreijährlichen Überprüfung der Aufnahmebedingungen derjenigen Arzneimittel, die in der Liste der pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel mit Preisen (Spezialitätenliste; fortan: SL) aufgeführt sind, informierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die A. AG am 13. März 2014 darüber, dass die Arzneimittel mit SL-Aufnahmedatum 2011, 2008, 2005,

BGE 144 V 14 (15):

2002 etc. überprüft würden und verlangte Daten betreffend das Arzneimittel B. ein. Mit Mitteilung vom 12. Juli 2014 an die A. AG legte das BAG dar, weil B. in keinem der sechs Referenzländer im Handel sei, werde die Wirtschaftlichkeit ausschliesslich anhand eines therapeutischen Quervergleichs (nachfolgend: TQV) mit den Arzneimitteln C., D., E. und F. beurteilt. Dieser ergebe einen Senkungssatz von 10,87 %, der per 1. November 2014 auf die gesamte Gamme von B. angewendet werde. Nach Einwänden der A. AG, wonach beim TQV von B. lediglich das Arzneimittel E. berücksichtigt werden dürfe, legte das BAG mit Mitteilung vom 27. August 2014 dar, eine nochmalige Überprüfung habe ergeben, dass sich F. nicht als Vergleichspräparat von B. eigne. Der TQV werde dementsprechend angepasst. Nach erneuter Stellungnahme der A. AG senkte das BAG mit Verfügung vom 24. September 2014 die SL-Preise von B. per 1. November 2014 um 6,52 %.
B. Eine hiergegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung eines zweifachen Schriftenwechsels und weiteren Eingaben der Parteien mit Entscheid vom 17. Januar 2017 ab.
C. Die A. AG führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 2017 und die Verfügung des BAG vom 24. September 2014 seien aufzuheben, und der Fabrikabgabepreis des Arzneimittels B. sei zu CHF 6.69 (150ml) und CHF 17.10 (Disp 500ml) als wirtschaftlich zu bestätigen. Eventualiter sei die Angelegenheit an die Verwaltung zurückzuweisen mit der Anweisung, das Arzneimittel B. sei einem TQV mit dem Arzneimittel E. zu unterziehen. Subeventualiter sei die Angelegenheit an die Verwaltung zurückzuweisen mit der Anweisung, das Arzneimittel B. sei einem TQV mit geeigneten Arzneimitteln zu unterziehen, wobei deren unterschiedlichen therapeutischen Wertigkeiten zu berücksichtigen seien und der TQV einer nachvollziehbaren, die ab 1. März 2017 gültigen Verordnungsvorgaben präzisierenden Systematik zu gehorchen habe.
Der Beschwerdegegner trägt auf Abweisung der Beschwerde an.
Mit Eingabe vom 9. Mai 2017 äussert sich die Beschwerdeführerin zur Beschwerdeantwort.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 


BGE 144 V 14 (16):

Aus den Erwägungen:
(...)
5.3.1 Weiter ist die Beschwerdeführerin der Ansicht, entgegen Vorinstanz und Verwaltung bestehe keine Ähnlichkeit der Wirkungsweisen zwischen B. und C. und D. Das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, die leicht desinfizierende Wirkung sei das gemeinsame Wirkungsmerkmal. Sie verkenne dabei, dass die Wirkung offensichtlich nicht mit Wirkungsweise gleichgesetzt werden könne. Das leichte Desinfizieren sei nicht die Wirkungsweise, sondern die Wirkung, also das Therapieresultat, das durch unterschiedliche Wirkungsweisen der Inhaltsstoffe erreicht werde. Verwaltung und Vorinstanz subsumierten somit unter das Kriterium der ähnlichen Wirkungsweise, was in Tat und Wahrheit eine Frage der Indikation darstelle. Die Wirkungsweise beschreibe einen bestimmten Wirkungsmechanismus, der gleiche oder ähnliche Indikationen zur Folge haben könne oder auch nicht. Wäre dem nicht so, wäre das Kriterium der ähnlichen Wirkungsweise gegenüber jenem der gleichen Indikation ein Pleonasmus. Indem die Vorinstanz die Kriterien vermische, wende sie ihr Ermessen rechtsfehlerhaft an.


BGE 144 V 14 (17):

Mit Blick auf den Verordnungstext fällt auf, dass einzig die deutschsprachige Fassung von Art. 34 Abs. 2 lit. b KLV ("dessen Wirksamkeit im Verhältnis zu anderen Arzneimitteln gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise") den Begriff Wirkungsweise enthält. In der französischen und der italienischen Fassung ("son efficacité thérapeutique par rapport à d'autres médicaments dont les indications sont identiques ou les effets similaires" bzw. "dell'efficacia terapeutica rispetto ad altri medicamenti con uguale indicazione o effetti analoghi") findet sich hingegen der Begriff "Wirkung" ("effet" bzw. "effetto"). Mit dieser Divergenz zwischen der deutschen Version einerseits und dem französischen und italienischen Verordnungstext anderseits hat sich das Bundesgericht bisher nicht explizit befasst. Implizit hat es die Frage nach der Bedeutung des Kriteriums der "ähnlichen Wirkungsweise" jedoch bereits beantwortet: In BGE 128 V 159 betreffend das Antiadipositum G. hat das Bundesgericht die Begriffe "Wirkung" und "Wirkmechanismus" erörtert. Es erwog, der Wirkmechanismus von G. bestehe darin, dass der Hunger durch Impulse vom Hirn unterdrückt werde mit der Folge, dass die Person weniger esse, was auf die Dauer zu einer Reduktion der Nahrungszufuhr und damit zur gewünschten Gewichtsabnahme führe. Die gleiche Wirkung habe H., dessen Substanz Orlistat im oberen Dünndarm ansetze und die Fettresorption hemme. Trotz unterschiedlichem Wirkmechanismus seien G. und H. in ihrer Wirkung vergleichbar, indem bei beiden Präparaten eine Änderung des Essverhaltens im Sinne einer Reduzierung der Nahrungszufuhr eintrete, woraus sich der angestrebte Gewichtsverlust ergebe (BGE a.a.O. E. 3c S. 162). In der Folge erachtete das Bundesgericht die Begründung der Verwaltung für nicht nachvollziehbar, aufgrund des unterschiedlichen Wirkmechanismus sei G. nicht mit H. vergleichbar (E. 4a und 4b, nicht publ. in: BGE 128 V 159, aber in: SVR 2003 KV Nr. 2 S. 5). Des Weiteren hat sich das Bundesgericht - im Einklang mit der Lehre - in ständiger Rechtsprechung in dem Sinne zu Art. 34 Abs. 2 lit. b und c KLV bzw. zu der praktisch gleich lautenden, vor dem Inkrafttreten des KVG geltenden Regelung (Art. 6 Abs. 2 lit. a und b der Verfügung 10 des Eidgenössischen Departements des Innern vom 19. November 1968 über die Krankenversicherung betreffend Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste [SR 832.141.24; AS 1968 1496]) geäussert, als es Arzneimittel gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise quasi als Einheit behandelte. Dies mit der Umschreibung "zum gleichen

BGE 144 V 14 (18):

Behandlungszweck" zur Verfügung stehender Heil- bzw. Arzneimittel (BGE 143 V 369 E. 5.2 S. 374; BGE 142 V 26 E. 5.2.2 S. 36 und 5.3 S. 37 f.; je mit Hinweisen). Diese Umschreibung, die den Zweck der Behandlung releviert (und nicht die Art und Weise der Zweckerreichung), lässt - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - nur den Schluss zu, dass Art. 34 Abs. 2 lit. b und c KLV entgegen dem Wortlaut der deutschsprachigen Fassung nicht auf die Wirkungsweise im Sinne eines bestimmten Wirkmechanismus abzielt, sondern auf die Wirkung eines Arzneimittels. Dass Art. 34 Abs. 2 lit. b (und c) KLV die Wirkung zum Inhalt hat, bestätigt auch BGE 109 V 191. Dort hielt das Bundesgericht zu den bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung relevanten Kosten fest, massgeblich sei der Vergleich zwischen den Kosten, die bei Anwendung des Arzneimittels Migraleve einerseits und der übrigen in Betracht fallenden Heilmittel anderseits entstünden, um eine vergleichbare therapeutische Wirkung zu erzielen (BGE a.a.O. E. 5a S. 196).
An diesem Ergebnis ändert auch der Einwand der Beschwerdeführerin nichts, falls die "Wirkungsweise" als Wirkung bzw. Therapieresultat verstanden werde, handelte es sich bei den Auswahlkriterien "Indikation" und "Wirkungsweise" um einen Pleonasmus. Diese Annahme ist bereits deshalb unzutreffend, weil es unter der Geltung von Art. 34 Abs. 2 lit. b und c KLV möglich erscheint, ein Arzneimittel als Vergleichsarzneimittel heranzuziehen, das nicht gleich indiziert ist wie das zu überprüfende Arzneimittel. Dies nämlich dann, wenn es im Anwendungsgebiet des zu überprüfenden Arzneimittels im "Off-Label-Use" eingesetzt wird und gemäss klinischen Studien eine Therapiealternative zum zu überprüfenden Arzneimittel darstellt (in diesem Sinne auch Ziff. III 1.3 S. 10 der Publikation "Änderungen und Kommentar im Wortlaut" des BAG vom 1. Februar 2017 zu den vorgesehenen Änderungen der KVV und der KLV per 1. März 2017 [abrufbar unter www.bag.admin.ch], wonach der Begriff der ähnlichen Wirkungsweise es zulassen könnte, "dass mit Arzneimitteln verglichen wird, die in einer ganz anderen Indikation zugelassen sind"). Mit anderen Worten ist die Menge der Arzneimittel mit einer ähnlichen Wirkung unter Umständen grösser als jene der Arzneimittel gleicher Indikation, womit dem Auswahlkriterium der ähnlichen Wirkung eigenständige Bedeutung zukommt.
Zusammenfassend ist gemäss Art. 34 Abs. 2 lit. b (und c) KLV ein Vergleich mit Arzneimitteln durchzuführen, die die gleiche Indikation oder eine ähnliche Wirkung haben.


BGE 144 V 14 (19):

5.4 Ausgehend vom hiervor Dargelegten bleibt zu prüfen, ob der Einbezug der Arzneimittel D. und C. unter dem Kriterium der ähnlichen Wirkung vor Bundesrecht standhält.
Mit Vorinstanz und Verwaltung zeichnen sich B. sowie sämtliche Vergleichsarzneimittel dadurch aus, dass sie gemäss Fach- bzw. Patienteninformationen reinigende Hautwaschlotionen mit leicht desinfizierender Wirkung sind. Soweit weitergehend bestehen mit der Beschwerdeführerin indes namhafte Unterschiede. Während B., E. und D. allesamt als Adjuvans bei verschiedenen Dermatosen (u.a. bei Akne, Ekzemen und Hautinfektionen) eingesetzt werden können, da sie vorbeugend wirken (Verhinderung von Rezidiven) und den Heilungsprozess der kranken Haut unterstützen, weist C. gemäss Patienteninformation keine derartige Wirkung auf. Mit Blick auf das Fehlen einer vorbeugenden und den Heilungsprozess unterstützenden Wirkung ist eine weitgehende Ähnlichkeit (vgl. BGE 127 V 275 E. 2b S. 279) der Wirkung von C. im Vergleich zu B. zu verneinen und der gegenteilige Schluss der Vorinstanz offensichtlich unrichtig. Folglich fällt C. für den TQV von B. ausser Betracht. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet.
Was die ebenfalls bestrittene Vergleichbarkeit von B. mit dem Arzneimittel D. betrifft, beschränkt sich die Beschwerdeführerin darauf, die ähnliche Wirkung in pauschaler Art und Weise in Abrede zu stellen, ohne in einer Art. 42 Abs. 2 BGG genügenden Weise darzutun, worin ein wesentlicher Unterschied zwischen B. und D. bestehen soll. Dies ist auch nicht ersichtlich. Folglich hat es im Einbezug von D. sein Bewenden.