BGE 144 V 104 |
14. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Ausgleichskasse Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_685/2017 vom 23. Mai 2018 |
Regeste |
Art. 2 Abs. 1 lit. a und b, Art. 2 Abs. 2 lit. b AVIG; Art. 1a Abs. 1 lit. a und b sowie Art. 5 Abs. 1 und 2 AHVG; Art. 1a Abs. 1 und 2, Art. 18 Abs. 1 FLG; Beitragspflicht für mitarbeitende Aktionäre an die Arbeitslosenversicherung und für Familienzulagen in der Landwirtschaft. |
Sachverhalt |
A. Die A. AG ist als abrechnungspflichtige Arbeitgeberin der Ausgleichskasse Luzern angeschlossen. Es handelt sich dabei um eine ins Handelsregister eingetragene Aktiengesellschaft (AG), deren Organe aus B. (Verwaltungsratspräsident) und C. (Mitglied des Verwaltungsrates) bestehen, welche auch die einzigen Aktionäre sind. Für das Jahr 2015 reichte die A. AG der Ausgleichskasse eine Lohnbescheinigung vom 4. Januar 2016 über eine AHV-pflichtige Lohnsumme von total Fr. 195'977.85 ein, wovon sie die AHV-Beiträge abrechnete. Sie stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass vom Lohn an das Geschäftsführer-Ehepaar in der Höhe von Fr. 100'217.20 (B.) und Fr. 29'562.90 (C.) keine Beiträge an die Arbeitslosenversicherung und an die Familienausgleichskasse für Arbeitnehmer in der Landwirtschaft geschuldet seien. Mit Verfügung vom 24. März 2016 verlangte die Ausgleichskasse von der A. AG die Sozialversicherungsbeiträge (AHV/IV/EO, ALV, FL) inkl. Verwaltungskosten auf der gesamten Lohnsumme und setzte die für die Abrechnungsperiode 1. Januar bis 31. Dezember 2015 geschuldeten Beiträge auf total Fr. 28'960.80 fest. Nach Abzug der bereits fakturierten Beiträge resultierte ein Differenzbetrag von Fr. 9'891.50, welcher von der Ausgleichskasse in Rechnung gestellt und von der A. AG bezahlt wurde. Mit Einspracheentscheid vom 7. September 2016 hielt die Ausgleichskasse an ihrem Standpunkt fest. |
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid vom 18. Mai 2017 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die A. AG beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids seien auf den Lohnbeträgen von B. und C. keine ALV- und FL-Beiträge zu erheben, der Jahresbetrag der Lohnbeiträge 2015 sei auf Fr. 23'443.80 festzusetzen und die Ausgleichskasse sei zu verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 5'517.- zurückzuerstatten. |
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) nimmt mit Vernehmlassung vom 27. Februar 2018 zur Beitragspflicht für die Arbeitslosenversicherung Stellung, welche sich nach dem AHV-Beitragsstatut richte. Aus AHV-rechtlicher Sicht, so das SECO, gelte B. als unselbstständig erwerbend und sei nicht als selbstständiger Landwirt zu qualifizieren; dasselbe treffe auf seine Ehefrau C. zu. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) äussert sich mit Vernehmlassung vom 26. März 2018 zur Beitragspflicht bezüglich Familienzulagen in der Landwirtschaft. Seiner Meinung nach können B. und C. als Aktionäre der A. AG und Bewirtschafter des Betriebs in dieser Hinsicht nicht als Arbeitnehmende gelten, sondern seien als selbstständigerwerbende Landwirte zu betrachten, welche nicht der Beitragspflicht für Familienzulagen in der Landwirtschaft unterstehen würden. Mit Eingabe vom 23. April 2018 lässt die A. AG unter Verweis auf die Stellungnahme des BSV an ihren Anträgen festhalten.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 2 |
2.2 Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zur Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung (Art. 2 Abs. 1 AVIG [SR 837.0]; Art. 1a Abs. 1 lit. a und b sowie Art. 5 Abs. 1 und 2 AHVG), zur Ausnahme von der Beitragspflicht bei mitarbeitenden Familiengliedern (Art. 2 Abs. 2 lit. b AVIG; Art. 1a Abs. 2 lit. a und b des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1952 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft [FLG; SR 836.1]) und zu den Begriffen "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" (Art. 10 ATSG), "Arbeitgeber" (Art. 11 ATSG) sowie "Selbstständigerwerbende" (Art. 12 ATSG) zutreffend dargelegt. Richtig wiedergegeben hat das kantonale Gericht auch die hier massgebenden Bestimmungen und Grundsätze zu den bezugsberechtigten Personen hinsichtlich Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer (Art. 1a Abs. 1 und 2 FLG; Art. 1 der Verordnung vom 11. November 1952 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft [FLV; SR 836.11]) und für selbstständigerwerbende Landwirte (Art. 5 FLG; Art. 3 Abs. 1 und Art. 8 FLV) sowie zur Beitragspflicht der Arbeitgeber zur Finanzierung der Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer (Art. 18 Abs. 1 FLG). Darauf kann verwiesen werden. |
Erwägung 3 |
3.3 Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die Ausnahmebestimmung von Art. 2 Abs. 2 lit. b AVIG. Danach sind von der Beitragspflicht für die Arbeitslosenversicherung ausgenommen mitarbeitende Familienmitglieder nach Art. 1a Abs. 2 lit. a und b FLG, die den selbstständigen Landwirten gleichgestellt sind. Unter die mitarbeitenden Familienmitglieder im Sinne dieser Bestimmung fallen die Verwandten des Betriebsleiters in auf- und absteigender Linie (lit. a) sowie die Schwiegersöhne und Schwiegertöchter des Betriebsleiters, die voraussichtlich den Betrieb zur Selbstbewirtschaftung übernehmen werden (lit. b). |
3.3.2 Soweit sich die Beschwerdeführerin erneut auf Rz. 5 der Erläuterungen der Familienzulagen in der Landwirtschaft des BSV (Erläuterungen FLG; gültig ab 1. Januar 2009, Fassung vom 1. Januar 2015) beruft und geltend macht, ihre Aktionäre würden in Abweichung von der AHV nicht als Arbeitnehmer gelten, da sie unter der Rechtsform einer Familien-AG geführt und die Bewirtschafter mit den Aktionären zur Hauptsache identisch seien, lässt sich daraus nichts anderes ableiten. Bei den Erläuterungen FLG handelt es sich um Verwaltungsweisungen des BSV, die sich an die Durchführungsstellen richten und für die Sozialversicherungsgerichte nicht verbindlich sind. Indes berücksichtigt das Gericht die Verwaltungsweisungen insbesondere dann und weicht nicht ohne triftigen Grund davon ab, wenn sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen und eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben enthalten. Dadurch trägt es dem Bestreben der Verwaltung Rechnung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten (BGE 140 V 543 E. 3.2.2.1 S. 547 f. mit Hinweisen). |
Wie das BSV in seiner Vernehmlassung selber einräumt, ist der Sonderfall von landwirtschaftlichen Betrieben, die als "Familien-AG" (Erscheinungsform einer AG) geführt werden, im FLG nicht ausdrücklich erwähnt und muss ihr Status demzufolge unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Gesetzes sowie des Willens des Gesetzgebers betrachtet werden. Gedacht war die Ausnahmebestimmung in Art. 1a Abs. 2 lit. a und b FLG für die der Betriebsleitung am nächsten stehenden Familienmitglieder, die als deren prädestinierte Erben am Betriebsergebnis interessiert sind und im Allgemeinen keinen Barlohn erhalten, weshalb sie landwirtschaftlichen Arbeitnehmern nicht gleichgestellt werden können (Botschaft vom 15. Februar 1952 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Bergbauern, BBl 1952 I 206, 221). Diese Ausgangslage trifft auf die Beschwerdeführerin, deren beide Aktionäre als Unselbstständigerwerbende versichert sind und einen festen Barlohn beziehen, jedoch klarerweise nicht zu. Zur Verdeutlichung sei erwähnt, dass sich Rz. 5 der Erläuterungen FLG und auch darauf basierende Meinungen in der Literatur (vgl. THOMAS GÄCHTER, Die Familienzulagen für Kleinbauern zwischen Struktur-, Regional- und Sozialpolitik, S. 171, und GABRIELA RIEMER-KAFKA, Die sozialversicherungsrechtliche Stellung der in der Landwirtschaft tätigen Personen, S. 347 ff., beide in: Recht des ländlichen Raums, Festgabe für Paul Richli zum 60. Geburtstag, 2006) auf ein Urteil des früheren Eidgenössischen Versicherungsgerichts (EVG; heute sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) i.S. E.A. AG vom 19. September 1962 (ZAK 1963 S. 45) stützen. Gerade in diesem Urteil bejahte jedoch das EVG letztendlich die Arbeitnehmereigenschaft der drei Verwalter einer AG, die zugleich die Gründer und einzigen Aktionäre der Gesellschaft waren. Das Gericht grenzte diesen Fall ab vom Urteil i.S. M.Z. vom 14. Juli 1953 (ZAK 1953 S. 377), in welchem es einen alleinigen Aktionär einer Aktiengesellschaft, der den landwirtschaftlichen Betrieb dieser Gesellschaft verwaltete, als Selbstständigerwerbenden qualifizierte. Im Gegensatz zur vorliegend zu beurteilenden Konstellation konnte M.Z. jedoch auch in der AHV nicht als Unselbstständigerwerbender betrachtet werden, weshalb sich daraus für den konkreten Fall nichts ableiten lässt. |