BGE 144 V 120
 
16. Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse A. gegen Pensionskasse B. und Mitb. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
9C_615/2017 vom 16. März 2018
 
Art. 53d Abs. 1 BVG; Art. 27h Abs. 1 BVV 2; Teilliquidation einer Vorsorgeeinrichtung; Anspruch des Abgangsbestands auf Teilung von Reserven und Rückstellungen.
 
Art. 53d Abs. 6 BVG; Verfahren bei Teilliquidation.
 
Sachverhalt


BGE 144 V 120 (121):

A. Nachdem die Versicherungsgesellschaft C. AG die Versicherungs-Gesellschaft D. AG übernommen hatte, wechselten deren Mitarbeiter - in berufsvorsorgerechtlicher Hinsicht - von der Pensionskasse A. auf den 1. Januar 2012 zur Pensionskasse B. Dies führte zu einer Teilliquidation der Pensionskasse A. per 31. Dezember 2011. Dabei stellten die Pensionskasse B. sowie eine Gruppe ehemaliger Mitarbeitender der D. AG unter anderem den Verteilplan betreffend die kollektiv mitzugebenden Rückstellungen in Frage und ersuchten die Bernische BVG- und Stiftungsaufsicht (BBSA) um entsprechende Überprüfung. Diese verfügte am 19. Januar 2016, soweit sie auf den Überprüfungsantrag eintrat, dass die kollektiven Rückstellungen mit Ausnahme derjenigen für pendente Invaliditätsfälle den kollektiv ausgetretenen Versicherten anteilsmässig mitzugeben sind, die Pensionskasse A. die Teilliquidationsbilanz im Sinne der Erwägungen neu zu erstellen und unter gegebenen reglementarischen Voraussetzungen auch die kollektiven Rückstellungen neu zu berechnen hat.
B. Mit Entscheid vom 19. Juli 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die von der Pensionskasse A. gegen die Verfügung der BBSA

BGE 144 V 120 (122):

vom 19. Januar 2016 erhobene Beschwerde ab. Zudem sprach es den ehemaligen Mitarbeitenden der D. AG eine Parteientschädigung von Fr. 15'000.- zu.
C. Die Pensionskasse A. reicht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein und stellt Antrag auf Aufhebung des Entscheids des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2017 und Gutheissung ihrer Beschwerde gegen die Verfügung der BBSA vom 19. Januar 2016. Eventualiter sei der Entscheid vom 19. Juli 2017 teilweise aufzuheben und sie zu verpflichten, einzig die Rückstellungen für Versicherungsrisiken anteilsmässig mitzugeben. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die BBSA zurückzuweisen. Ferner sei der Entscheid vom 19. Juli 2017 betreffend die Zusprechung einer Parteientschädigung zu Gunsten der (mit-)prozessierenden ehemaligen Mitarbeitenden der D. AG aufzuheben. Ausserdem sei der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
Die Pensionskasse B. und eine Gruppe ehemaliger Mitarbeitender der D. AG schliessen in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung des Rechtsmittels. Die BBSA beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, ohne dass sie materiell Stellung nimmt.
Die Pensionskasse A. gelangt mit einer weiteren Eingabe an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
 
Erwägungen:
 
Erwägung 1
 
Erwägung 1.2
1.2.2 Treten mehrere Versicherte gemeinsam in eine andere Vorsorgeeinrichtung über (kollektiver Austritt), so besteht zusätzlich zum

BGE 144 V 120 (123):

Anspruch auf die freien Mittel ein kollektiver anteilsmässiger Anspruch auf die Rückstellungen und Schwankungsreserven. Bei der Bemessung des Anspruchs ist dem Beitrag angemessen Rechnung zu tragen, den das austretende Kollektiv zur Bildung der Rückstellungen und Schwankungsreserven geleistet hat. Der Anspruch auf Rückstellungen besteht jedoch nur, soweit auch versicherungstechnische Risiken übertragen werden. Der Anspruch auf Schwankungsreserven entspricht anteilsmässig dem Anspruch auf das Spar- und Deckungskapital (Art. 27h Abs. 1 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1]).
1.2.3 Für die Beurteilung, ob ein versicherungstechnisches Risiko übertragen wird, ist einzig die Situation in der abgebenden Vorsorgeeinrichtung relevant. Die künftige vorsorgerechtliche Situation bei der neu zuständigen Pensionskasse hat keinen Einfluss auf Bestand und Höhe des Anspruchs aus der Teilliquidation der abgebenden Kasse (BGE 140 V 121 E. 4.4 S. 127). Durch die Rückstellungen abgesicherte versicherungstechnische Risiken werden übertragen, wenn die fraglichen Rückstellungen auch für den Abgangsbestand gebildet wurden. Diesfalls sind gleiche Verhältnisse zwischen verbleibendem und abgehendem Bestand gegeben, die dem Abgangsbestand in Nachachtung des Gleichbehandlungsgebots grundsätzlich Anspruch auf seinen Anteil verleihen: Mit dem Austritt muss die Vorsorgeeinrichtung die bis dahin vorhandenen versicherungstechnischen Risiken des Abgangsbestandes nicht länger tragen (a.a.O., E. 4.3 in fine S. 126 f.).
 
Erwägung 2
2.1 Technische Rückstellungen werden ergänzend zu den individuellen Deckungskapitalien kollektiv und pauschal als Sicherheitsmassnahme für gesetzliche oder reglementarische Leistungsversprechen gebildet, die durch die Beiträge nicht genügend gedeckt sind oder Risikoschwankungen unterliegen (SABINA WILSON, Die Erstellung des Teilliquidationsreglements einer Vorsorgeeinrichtung und weitere Einzelfragen zur Durchführung einer Teilliquidation, 2016, S. 69 Rz. 211; vgl. auch Fachrichtlinie 2 der Schweizerischen Kammer der Pensionskassen-Experten [FRP 2], Fassung 2014, S. 2 Ziff. 1 Abs. 3). Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt (vgl. Art. 97 Abs. 1 bzw. Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG), dass in concreto ausschliesslich bestehende technische Rückstellungen im Streit liegen; es geht weder um deren Erhöhung noch um die Bildung neuer

BGE 144 V 120 (124):

Rückstellungen. BGE 140 V 121 ist dabei klar: Soweit der Abgangsbestand vom Zweck der fraglichen Rückstellung miterfasst ist, hat er anteilsmässigen Anspruch darauf. Diesen davon abhängig zu machen, ob sich "das Risiko aufgrund seiner Definition und der Austritte gar nicht mehr verwirklichen kann" und eine entsprechende Rückstellung daher im Umfang des austretenden Kapitals aufzulösen und den übrigen Mitteln zuzuschlagen ist, wie die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Ziff. 1 Abs. 6 der Fachrichtlinie 3 der Schweizerischen Kammer der Pensionskassen-Experten (FRP 3, Stand 29. November 2011) meint, greift im Zusammenhang mit Art. 27h Abs. 1 BVV 2 zu kurz.
2.2 Bei technischen Rückstellungen handelt es sich nicht um kaufmännische Rückstellungen wie beispielsweise für ein laufendes Gerichtsverfahren, die nach dem gewonnenen Prozess resp. infolge des sich nicht verwirklichten (Prozess-)Risikos zwingend wieder aufzulösen sind. Technische Rückstellungen haben künftige Leistungspflichten zur Grundlage und dienen der - vertikalen (masslichen) oder horizontalen (zeitlichen) - Absicherung der Leistungsversprechen im Vorsorgefall (vgl. E. 2.1 vorne). Mit anderen Worten ist zwischen den berufsvorsorgerechtlichen Risiken (Alter, Invalidität, Tod [Art. 67 BVG i.V.m. Art. 42 BVV 2]), die zu verschiedenen Versichertengruppen führen (Aktive sowie [Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenen-]Rentenbezüger), und den versicherungstechnischen Risiken (u.a. technischer Zinsfuss, Annahmen über den Verlauf von Sterblichkeit und Invalidität), die rein rechnerischer Natur sind, zu differenzieren. Sie spielen jedoch insoweit zusammen, als Letztere bezogen auf Erstere resp. bezogen auf die damit verbundenen Ansprüche und Finanzierungsrisiken gebildet werden (vgl. FRP 2 S. 3 f. Ziff. 5). Dabei ist einem (kollektiven) Austritt resp. dem Abgangsbestand immanent, dass sich seine versicherungstechnischen Risiken nicht mehr bei der abgebenden Vorsorgeeinrichtung verwirklichen können. Wie aus BGE 140 V 121 unmissverständlich erhellt, werden die entsprechenden Rückstellungen deswegen nicht automatisch "obsolet". Wurden die versicherungstechnischen Rückstellungen auch für den Abgangsbestand gebildet, oder anders gesagt, sind Fort- und Abgangsbestand gleichermassen von ihrem Bestimmungszweck erfasst, sind sie anteilsmässig mitzugeben (vgl. E. 1.2.3 vorne). Wäre der Teil der technischen Rückstellungen, der für den Abgangsbestand bestimmt ist, aufzulösen, würde der Fortbestand besser gestellt, indem er an den frei gewordenen Mitteln mitpartizipiert.


BGE 144 V 120 (125):

Davon ist die Konstellation zu unterscheiden, dass die Versicherten- resp. Zielgruppe einer bestimmten technischen Rückstellung gar nicht im Abgangsbestand enthalten ist. Hat sich zum Beispiel das berufsvorsorgerechtliche Risiko der Invalidität im Zeitpunkt der Teilliquidation einzig im Fortbestand verwirklicht, liegt auf der Hand, dass diesbezügliche technische Risiken nicht übertragen werden und dafür gebildete Rückstellungen nicht aufzuteilen, sondern unter Umständen (ganz oder teilweise) aufzulösen sind (vgl. BGE 140 V 121 E. 5.4 S. 129). Anders als die Beschwerdeführerin glauben zu machen versucht, ist im hier streitigen Rahmen von Art. 27h BVV 2 daher (auch) nicht danach zu fragen, ob sich ein gewisses berufsvorsorgerechtliches Risiko bei der abgebenden Vorsorgeeinrichtung noch verwirklichen kann.
2.3 Die Voraussetzungen einer Änderung der dargelegten Rechtsprechung (vgl. dazu BGE 142 V 87 E. 5.1 S. 91; BGE 133 V 37 E. 5.3.3 S. 39 mit Hinweisen), die wohl im Rahmen einer konkreten Fallbeurteilung, indessen unverkennbar in allgemeingültiger Weise erging, liegen nicht vor. Sie werden auch seitens der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Im Übrigen geht es vorliegend, nicht anders als in BGE 140 V 121, ausschliesslich um den kollektiven Übertritt von Aktivversicherten. Gleichzeitig ist anzufügen, dass die Aufteilung der technischen Rückstellungen nicht im Sinne derjenigen der Wertschwankungsreserven - im Verhältnis zum abgehenden Spar- und Deckungskapital - stattfindet. Im Gegenteil besteht - wie in Art. 27h Abs. 1 BVV 2 stipuliert - nur insoweit Anspruch auf technische Rückstellungen, als auch technische Risiken übertragen werden (vgl. auch WILSON, a.a.O., S. 90 Rz. 283).
3. Was die streitigen Rückstellungen für die Finanzierung der Besitzstände und für Pensionierungsverluste betrifft, so hat das Bundesverwaltungsgericht verbindlich (vgl. E. 2.1) festgestellt, dass beide Positionen für die Aktivversicherten - in Bezug auf die Besitzstände für diejenigen, die am 31. Dezember 2002 gemäss den damaligen Statuten versichert waren - mit Blick auf den Vorsorgefall Alter gebildet wurden. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen eine anteilsmässige Übertragung mit dem Einwand wehrt, dass hinsichtlich sämtlicher dieser Versicherten keine Pensionierungen bei ihr anfallen werden, kann sie nach dem Gesagten von vornherein nicht gehört werden. Gleiches gilt hinsichtlich der - für die Aktivversicherten - gebildeten Rückstellungen für den nicht finanzierten Teil der Risikoprämien: Das Argument der Beschwerdeführerin, dass im

BGE 144 V 120 (126):

Umfang des austretenden Kapitals keine Unterfinanzierung im Risikobetrag mehr bestehen könne und die fragliche Rückstellung folglich anteilsmässig aufzulösen sei, verfängt gemäss den vorangehenden Erwägungen nicht.
Auf Weiterungen kann verzichtet werden, zumal es an einer (substanziierten) Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Erwägungen, die übrigens überzeugen, fehlt (vgl. dazu BGE 134 I 313 E. 2 S. 315; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
4. Sodann rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 64 Abs. 1 VwVG (SR 172.021) und Art. 9 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE; SR 173.320.2), indem die Vorinstanz den Beschwerdeführern 2-18 eine Parteientschädigung zugesprochen hat. Die in der Beschwerde wiedergegebene Praxis des Bundesverwaltungsgerichts, wonach insbesondere dann keine Entschädigung geschuldet ist, wenn der Vertreter eigene Interessen am Ausgang des Verfahrens hat ( BVGE 2011/19 E. 60 S. 411), lässt eine Parteientschädigung für die bereits im vorangegangenen Verfahren durch die Pensionskasse B. vertretenen Versicherten nicht zu. Zudem belegt die auch in eigenem Namen und Interesse (vgl. Pra 1998 Nr. 70 S. 435, 2A.185/1997 E. 3c; Urteil 2A.160/2004 vom 9. Juni 2005 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 131 II 533; Urteil 2A.14/2006 vom 4. Mai 2006 E. 2.1; vgl. auch BGE 140 V 22 E. 4.2 S. 27) prozessierende Pensionskasse B. weder den behaupteten Aufwand an sich noch einen allfälligen Mehraufwand für die Vertretung. In diesem Punkt ist die Beschwerde begründet.