BGE 145 V 320 |
30. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_494/2019 vom 16. September 2019 |
Regeste |
Art. 5 Abs. 2 AHVG und Art. 6 Abs. 2 lit. g AHVV; AHV-rechtliche Beitragspflicht. |
Sachverhalt |
A. Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich teilte der Ausgleichskasse des Kantons Zürich mit, Personen, die ein Lernvikariat durchliefen, würden ab August 2018 neu mit monatlichen Ausbildungsbeiträgen von Fr. 3'500.- (bisher Fr. 2'500.-) unterstützt. Die Verwaltung stellte daraufhin mit Verfügung vom 10. April 2018 fest, diese Ausbildungsbeiträge seien beitragspflichtiger Lohn. Daran hielt die Ausgleichskasse im Einspracheentscheid vom 24. Mai 2018 fest. |
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab.
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C. Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der vorinstanzliche Entscheid, der Einspracheentscheid vom 24. Mai 2018 und die Verfügung vom 10. April 2018 seien aufzuheben. Es seien die ab August 2018 an Lernvikare ausbezahlten Ausbildungsentschädigungen weiterhin als Zuwendungen für die Aus- und Weiterbildung gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. g AHVV (SR 831.101) und damit als beitragsfrei zu qualifizieren. Eventualiter für den Fall, dass keine Verfügung gemäss Art. 49 Abs. 1 ATSG vorliege und die Voraussetzungen für den Erlass einer Feststellungsverfügung nicht gegeben wären, seien die vorgenannten Entscheide ersatzlos aufzuheben. Zudem fordert die Beschwerdeführerin, ihr sei Gelegenheit zur Replik einzuräumen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
Die Beschwerdeführerin bringt unter Hinweis auf das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 106/88 vom 9. Februar 1989 vor, es bestehe eine über 30 Jahre lange Verwaltungspraxis, wonach ihre Ausbildungsentschädigungen an Lernvikare nicht AHV-beitragspflichtig seien. Die Voraussetzungen für eine Änderung dieser Praxis seien nicht erfüllt, liege doch insbesondere kein Arbeitsverhältnis vor. |
Erwägung 5.2 |
Erwägung 5.3 |
5.3.1 Nach Art. 6 Abs. 2 lit. g AHVV in der bis Ende 2008 geltenden Fassung gehörten nicht zum Erwerbseinkommen Stipendien und ähnliche Zuwendungen für den Besuch von Schulen und Kursen, die Aus- und Weiterbildung, das kulturelle Schaffen, die wissenschaftliche Forschung oder andere hervorragende Leistungen, wenn sie nicht auf einem Arbeitsverhältnis beruhen und der Geldgeber nicht über das Arbeitsergebnis verfügen kann. War eine dieser beiden alternativen Voraussetzungen gegeben, ging die Rechtsprechung davon aus, das Stipendium habe nicht mehr rein altruistischen Charakter, sondern werde aufgrund eines Arbeitsverhältnisses ausgerichtet (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 106/88 vom 9. Februar 1989 E. 4b). In Bezug auf die während des obligatorischen Praktikums an die Pfarramtskandidaten ausgerichtete Ausbildungsentschädigung kam das Eidgenössische Versicherungsgericht zum Schluss, diese gehöre nicht zum massgebenden Lohn. Es erwog einerseits, das kirchliche Praktikum diene ausschliesslich der Ausbildung der Pfarramtsanwärter und es bestehe für die in diesem Rahmen erbrachten Arbeitsleistungen kein vertraglicher oder gesetzlicher Lohnanspruch (erwähntes Urteil H 106/88 E. 5a) und andererseits liege ebenso wenig ein Arbeitsergebnis vor, denn die Tätigkeiten der angehenden Pfarrer seien lediglich notwendiger Bestandteil einer praxisgerechten Ausbildung (erwähntes Urteil H 106/88 E. 5c). |
Bezogen auf den vorliegenden Fall hätten die am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Änderungen für sich allein keinen Anlass geboten, die an Lernvikare ausbezahlten Ausbildungsbeiträge der AHV-Beitragspflicht zu unterstellen. Wie die vorinstanzlichen Erwägungen denn auch zeigen, ist dies in erster Linie darauf zurückzuführen, dass das kantonale Gericht anders als im Urteil H 106/88 vom 9. Februar 1989 nun von einem Arbeitsverhältnis ausgegangen ist. |
5.5.2 Ziel des Lernvikariats ist die Befähigung zum Pfarrdienst in seiner ganzen Breite (§ 17 Ausbildungsordnung). Der schulische Teil (mit Kurswochen, Kurs- und Praxistagen sowie eigenständigem Lernen) und das Beruflich-praktische (Gemeindearbeitszeit mit seinen vier grossen Handlungsfeldern Gottesdienst, Bildung, Seelsorge und Gemeindeentwicklung/Leitung) betragen je etwa 50 % (vgl. Wegleitung). Im Anhang der Wegleitung sind Richtwerte für die einzelnen Arbeitsgebiete eines Lernvikars aufgeführt. Danach soll dieser insbesondere 70 Lektionen unterrichten, monatlich einen Gottesdienst leiten, wöchentlich ein bis zwei seelsorgerische Gespräche führen und ein Projekt für die Gemeindeentwicklung/-leitung ausarbeiten. Auch wenn der Lernvikar noch nicht über eine abgeschlossene Ausbildung zum Pfarrer verfügt, haben diese Arbeitsleistungen dennoch einen wirtschaftlichen Wert. Der Lernvikar, der über ein abgeschlossenes Masterstudium verfügt und während seines Studiums bereits ein fünf Monate dauerndes Praktikum (Ekklesiologisch-Praktisches Semester) absolviert hat (§ 13 f. Ausbildungsordnung), erledigt im Lernvikariat Arbeiten, die Fachwissen voraussetzen und erfahrungsgemäss auch von anderen kirchlichen Angestellten erbracht werden. Die jeweilige Kirchgemeinde verfügt somit über ein Arbeitsergebnis. Daran ändert nichts, dass der Lernvikar bei Verrichtung dieser Arbeiten noch einer gewissen Betreuung bedarf und diese Dienstleistungen regelmässig keinem Dritten in Rechnung gestellt werden. Auch die Tätigkeiten eines Pfarrers werden üblicherweise nicht verrechnet, was für diese Arbeit typisch ist. |
Die Ausbildungsentschädigung wird nicht von der jeweiligen Kirchgemeinde, in welcher der Lernvikar arbeitet, sondern von der Konkordatskonferenz vergütet (§ 21 Ausbildungsordnung). Dies schliesst jedoch ein Arbeitsverhältnis zwischen der Kirchgemeinde und dem Lernvikar nicht aus, geht doch aus § 2 Abs. 1 der Personalverordnung der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich vom 11. Mai 2010 (LS 181.40) hervor, dass es besondere Arbeitsverhältnisse wie etwa bei Lernenden und Praktikanten gibt, bei denen der Lohn durch Drittmittel finanziert wird. Bei der Konkordatskonferenz handelt es sich zudem nicht um irgendeine Dritte. Sie ist wirtschaftlich mit der Landeskirche des Kantons Zürich, die auf den Kirchgemeinden aufbaut (Art. 143 Kirchenordnung), eng verflochten, wird sie doch von den dem Konkordat angehörenden Landeskirchen finanziert (Art. 24 Abs. 1 des Konkordats). Unabhängig davon ist nach der massgebenden objektbezogenen Betrachtungsweise (vgl. E. 5.2.2 hiervor) entscheidend, dass zwischen der hier interessierenden Geldleistung und der erbrachten Arbeit ein tatsächlicher wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. Es liegt eine vergleichbare Situation nach anderen Studienabschlüssen vor (bspw. Rechtswissenschaften, Medizin, Architektur), bei denen ebenfalls kein Direkteinstieg ins Erwerbsleben erfolgt, sondern der Studienabgänger zuerst noch eine praxisbezogene Ausbildung absolviert. Hier wie dort ist das in diesem Rahmen Bezahlte als Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG zu qualifizieren. Zwar steht diese Entschädigung ineinem qualifizierten Verhältnis zu einer Aus-/Weiterbildung und derberuflichen Tätigkeit der begünstigten Person; es ist jedoch keine Zuwendung für die Aus- und Weiterbildung. |
6. Nach dem Dargelegten stellt in Änderung der Rechtsprechung (Urteil H 106/88 vom 9. Februar 1989) die Ausbildungsentschädigung an Lernvikare beitragspflichtigen Lohn dar. Dieser Schluss entspringt einer besseren Einsicht in die ratio legis des Art. 5 Abs. 2 AHVG, der - unter Vorbehalt der hier unbestrittenerweise nicht zum Zuge kommenden Ausnahmen von der paritätischen Beitragspflicht (Art. 5 Abs. 4 AHVG i.V.m. Art. 8 ff. AHVV) und der nach dem Gesagten (E. 5.3-5.5) ebenfalls nicht einschlägigen bundesrätlichen Freistellung vom Erwerbseinkommen (Art. 6 Abs. 2 lit. a, b und f-h AHVV) - alle Entgelte für geleistete Arbeit verabgabt haben will, welche auch kirchliche Vikare unfraglich erbringen. Das kantonale Gericht, das in diesem Sinne entschieden hat, verletzt daher kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist unbegründet.
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