BVerwGE 77, 128 - Rechtsschutz |
Das Fernmeldeleitungsrecht der Post nach § 1 TWG umfaßt auch die Verlegung von Breitbandkabeln. |
Der Zustimmung der betroffenen Gemeinde zur Verkabelung bedarf es nicht. Die Gemeinde ist aber gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 TWG am fernmelderechtlichen Planfeststellungsverfahren zu beteiligen und kann verlangen, daß ihre sich auf das Selbstverwaltungsrecht stützenden Interessen mitberücksichtigt werden. |
TWG §§ 1 u. 7; FAG § 1; Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG |
Urteil |
des 7. Senats vom 18. März 1987 |
- BVerwG 7 C 28.85 - |
I. Verwaltungsgericht Köln II. Oberverwaltungsgericht Münster |
Die klagende Stadt und die beklagte Deutsche Bundespost haben dar über gestritten, ob das Fernmeldeleitungsrecht der Post nach dem Telegraphenwege-Gesetz auch die Verlegung von Breitbandkabeln umfaßt und welche Beteiligungsrechte der Gemeinde gegenüber der Post bei der Breitband Verkabelung zustehen. Die Klage gegen die im Verfahren der fernmelderechtlichen Planfeststellung ergangenen Bescheide der Bundespost blieb in allen Rechtszügen erfolglos.
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Aus den Gründen: |
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig: Das Fernmeldeleitungsrecht der Post nach § 1 des Telegraphenwege-Gesetzes vom 18. Dezember 1899 (RGB1. S. 705) - TWG - umfaßt auch die Verlegung von Breitbandkabeln (1.). Der Zustimmung der betroffenen Gemeinde zur Verkabelung bedarf es nicht; die Gemeinde ist aber am fernmelderecht-lichen Planfeststellungsverfahren zu beteiligen und kann verlangen, daß ihre sich auf das Selbstverwaltungsrecht stützenden Interessen mitberücksichtigt werden (2).
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1. Nach § 1 Abs. I Satz 1 TWG ist die Telegraphenverwaltung befugt, die Verkehrswege für ihre zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenlinien zu benutzen, soweit nicht dadurch der Gemeingebrauch der Verkehrswege dauernd beschränkt wird. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, umfaßt das hiermit umschriebene Fernmeldeleitungsrecht der Post auch die Verlegung von Breitbandkabeln; denn bei dem Breitbandkabelnetz handelt es sich um Telegraphenlinien im Sinne dieser Gesetzesbestimmung.
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Der Begriff der Telegraphie, als deren Wesensmerkmal die unkörperliche Nachrichtenübermittlung bezeichnet wurde (vgl. Wolcke, Telegraphenrecht I, 1911, S. 40), ist von Anfang an nicht in einem engen Sinn, etwa dem der Telegrammübermittlung, verstanden worden. Das Telegraphenwege-Gesetz knüpfte mit dem Begriff der Telegraphenlinie an den Begriff der Telegraphenanlage in § 1 des Gesetzes über das Telegraphenwesen des Deutschen Reichs vom 6. April 1892 (RGB1. S. 467) an. Eine Definition des Begriffs der Telegraphenanlage enthielt das Gesetz nicht. Dem lag der Gedanke zugrunde, durch einen Verzicht auf eine Definition den Begriff der Telegraphenanlage für künftige technische Entwicklungen offenzuhalten (BVerfGE 46, 120 [141]; Neugebauer, Fernmelderecht mit Rundfunkrecht, 1929, S. 43 f.; Wolcke, a.a.O. S. 96). Aufgrund des Gesetzes vom 3. Dezember 1927 (RGB1. I S. 331) wurde das Gesetz vom 6. April 1892 als Gesetz über Fernmeldeanlagen (FAG) neu bekannt gemacht. An die Stelle des Begriffs der Telegraphenanlage trat ohne sachliche Änderung der Begriff der Fernmeldeanlage. Auch dieser Begriff ist ein offener, künftige Techniken der Nachrichtenübertragung einschließender Begriff. Er umfaßt, wie das Bundesverfassungsgericht (a.a.O. S. 142 ff.) ausgeführt hat, nicht nur die bei Entstehung des Gesetzes bekannten Arten der Nachrichtenübertragung, sondern auch neuartige Übertragungstechniken, sofern es sich um körperlose Übertragung von Nachrichten in der Weise handelt, daß diese am Empfangsort "wiedergegeben" werden. |
Das trifft gleichermaßen auf die Telegraphenlinie im Sinne des § 1 TWG zu. Das Fernmeldeleitungsrecht der Post, das bereits bei Erlaß des Gesetzes im Jahre 1899 für alle Fernmeldenetze galt, ist im Zuge der späteren Entwicklung nicht auf bestimmte Übertragungsarten beschränkt worden, insbesondere nicht durch das Gesetz über Fernmeldeanlagen. Die Revision geht deshalb fehl, wenn sie meint, Telegraphenlinien im Sinne des § 1 TWG seien nur die in § 1 FAG als Unterfall der Fernmeldeanlagen genannten Telegraphenanlagen. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, daß der Begriff der Telegraphenlinie in § 1 TWG dem Begriff der Fernmeldeanlage in § 1 Abs. 1 Satz 1 FAG und nicht dem dort seit der Novellierung von 1927 in einem engeren Sinn verwendeten Begriff der Telegraphenanlage entspricht (vgl. auch Neugebauer, a.a.O. S. 412; Eidenmüller, Post- und Fernmeldewesen, Kommentar, Stand September 1986, TWG Vorbem. 4.3). Bei Übertragung der Terminologie des Fernmeldeanlagengesetzes auf das Telegraphenwege-Gesetz ist unter Telegraphenlinie im Sinne des § 1 TWG demnach jede Fernmeldelinie zu verstehen. Diesen Begriff verwendet auch das Gesetz zur Vereinfachung des Planverfahrens für Fernmeldelinien vom 24. September 1935 (RGB1. I S. 1177), das als Verfahrensregelung an das Telegraphenwege-Gesetz anknüpft, ohne in der Sache von dessen Geltungsbereich abzuweichen. Allein diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck des Telegraphenwege-Gesetzes. Das Gesetz sollte und soll auch noch heute der Post die Benutzung der öffentlichen Verkehrswege zum Aufbau und Ausbau aller ihrer Fernmeldenetze ermöglichen. Um welche Art der Fernmeldeanlagen im Sinne der in § 1 Abs. 1 FAG genannten Alternativen es sich bei dem Breitbandkabelnetz handelt, kann hiernach offenbleiben.
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Nicht zutreffend ist die Auffassung der Revision, der Anwendbarkeit des Telegraphenwege-Gesetzes stehe der fehlende öffentliche Zweck des Breitbandkabelnetzes entgegen. Der öffentliche Zweck liegt in dem der Allgemeinheit angebotenen Zuwachs an Kommunikationsmöglichkeiten. Die Nutzung der Fernmeldelinie auch durch Private hindert die Bejahung des öffentlichen Zweckes beim Breitbandkabelnetz ebensowenig wie etwa beim Fernsprechnetz. |
Daß Breitbandkabelnetze zu den Telegraphenlinien im Sinne des § 1 TWG gehören, entspricht der im Schrifttum herrschenden Auffassung (vgl. Lerche, Städte und Kabelkommunikation, Neue Schriften des Deutschen Städtetages, Heft 47, 1982, S. 30; Tettinger, Neue Medien und Verfassungsrecht, 1980, S. 32; Demme, Das Kabel-Fernsehen (closed-circuit-television) in rechtlicher Sicht, 1969, S. 45 und 50; Eidenmüller, a.a.O., TWG Vorbem. Nr. 4.3 sowie TWG § 1 Anm. 6; ders. DÖV 1984, 225 [234] und DVBl. 1984, 1193 [1196]; Hefekäuser, Archiv PF 1985, 131 [132]; Beuscher, NJW 1985, 1191 [1193]; Allgaier, Archiv PF 1987, 14 [15]; Kirchhof, DVBl. 1984, 657 [658]; anderer Ansicht Vieweg, DÖV 1986, 909 [911, 916]). Die herrschende Auffassung steht in Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Verständnis des Fernmeldewesens (Art. 73 Nr. 7 GG). Hiernach umfaßt das Fernmeldewesen den Netzbereich auf dem gesamten Gebiet der Telekommunikation, d. h. die technische Seite des Übermittlungsvorgangs, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Individualkommunikation (z. B. Fernsprechverkehr) oder um Massenkommunikation (z. B. Rundfunk) handelt (vgl. Bothe, in: Alternativ-Kommentar zum GG, Bd. 2, 1984, Art. 73 Rdnr. 20). In bezug auf den sendetechnischen Bereich des Rundfunks hat das Bundesverfassungsgericht bereits im ersten Fernsehurteil klargestellt, daß zum Fernmeldewesen sowohl die Übermittlung der sendefertigen Ton- und Bildsignale vom Rundfunkstudio zum Sender und die Ausstrahlung der Sendung als auch die anschließenden technischen Vorgänge bis zum Empfang der Sendung gehören, wobei es insoweit keinen Unterschied macht, ob die Übermittlung durch Leitungen oder durch Funk erfolgt (BVerfGE 12, 205 [225 ff.]).
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Es bedarf hier keiner Erörterung, inwieweit die Nutzung der Breitbandkabelnetze im Zuge der Ordnung der sog. "neuen Medien" neue gesetzliche Regelungen erfordert. Denn um die Frage der Nutzung des Breitbandkabelnetzes geht es im vorliegenden Fall nicht. Da mit der Verle gung eines Breitbandkabelnetzes nur von einer neuen Übertragungstechnik Gebrauch gemacht wird, für die in § 1 TWG eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist, hat das Berufungsgericht zu Recht die Auffassung der Klägerin abgelehnt, daß die Verkabelung ohne eine dahin gehende ausdrückliche Willensäußerung des Gesetzgebers nicht zulässig sei. |
2. Die Verlegung von Breitbandkabeln ist nicht von der Zustimmung der betroffenen Gemeinde abhängig. Das Fernmeldeleitungsrecht der Bundespost schließt nach § 1 TWG ein Mitentscheidungsrecht der Gemeinden aus. Auch Verfassungsrecht fordert nicht, daß über die Verkabelung ihres Gebietes die Gemeinde mitzuentscheiden hat. Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet die Gemeinde die Wahrung des Wohls ihrer Einwohner nicht schlechthin, sondern allein insoweit, als es um die Wahrnehmung der "im Rahmen der Gesetze" bestimmten eigenen Angelegenheiten der Örtlichen Gemeinschaft geht (Urteil des erkennenden Senats vom 29. Juni 1983 - BVerwG 7 C 102.82 - DVB1. 1984, 88 = NVwZ 1983, 610). Die Einrichtung von Fernmeldelinien ist aber nicht Angelegenheit des gemeindeeigenen, durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Wirkungskreises, sondern gehört zu den staatlichen Aufgaben. Das Fernmeldewesen und damit auch die Breitbandverkabelung fallen in die Verwaltungszuständigkeit der Bundespost (Art. 87 Abs. 1 GG).
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Das heißt allerdings nicht, daß die Gemeinden bei der fernmelderechtlichen Planfeststellung keine Mitwirkungsrechte hätten. Das Telegraphenwege-Gesetz sieht die Mitwirkung anderer Behörden jetzt ausdrücklich vor. Durch Gesetz vom 1. Juni 1980 (BGBl. I S. 649) ist nämlich § 7 Abs. 2 TWG durch Satz 3 ergänzt worden. Danach ist, wenn durch das Planvorhaben öffentliche Belange berührt werden, die jeweils zuständige Behörde rechtzeitig zu beteiligen und ihre Stellungnahme bei der Planfeststellung mitzuberücksichtigen. Diese Vorschrift gilt auch für die Gemeinden, und zwar auch dann, wenn sie nicht als Wegeunterhaltungspflichtige am Verfahren beteiligt sind. Das folgt aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.
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Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird durch die Verkabelung einer Gemeinde der Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG berührt (so auch Lerche, a.a.O. S. 27 ff.). Zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde gehört die Mitwirkung an Planungen und Maßnahmen, die das Gemeindegebiet oder Teile dieses Gebietes nachhaltig betreffen und die Entwicklung der Gemeinde beeinflussen. Daß die Verkabelung eines Gemeindeteiles die Infrastruktur beeinflußt, liegt auf der Hand. Es verstieße gegen die Selbstverwaltungsgarantie, wenn die Gemeinde an Entscheidungen, die ihre eigene Infrastruktur gestalten, nicht beteiligt würde. Der erkennende Senat hat in bezug auf das Fernsprechnetz entschieden, daß ortsnetzorganisatorische Maßnahmen der Bundespost, die ihr als Trägerin des Fernmeldewesens obliegen, zugleich die örtlichen Angelegenheiten der von der Ortsnetzgestaltung berührten Gemeinden betreffen und damit Auswirkungen auf den verfassungsrechtlich durch die Selbstverwaltungsgarantie zugunsten der Gemeinden besonders geschützten Bereich haben (Urteil vom 12. September 1980 - BVerwG 7 C 23.79 - NJW 1981, 2075 = DÖV 1981, 380). Für die hier in Frage stehende Maßnahme kann insoweit nichts anderes gelten. |
Aus der nachhaltigen Einwirkung auf den Selbstverwaltungsbereich folgt kraft Verfassungsrechts, daß den Gemeinden bei der Planung und Entscheidung über die Verkabelung - verfahrensrechtlich - ein Recht auf Beteiligung am Planfeststellungsverfahren durch Anhörung und - materiellrechtlich - ein Anspruch darauf zusteht, daß die Post bei der Betätigung ihres Planungsermessens die sich auf das Selbstverwaltungsrecht stützenden Interessen der Gemeinde nicht unberücksichtigt läßt. Daß die Gemeinden aufgrund des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ein Recht haben, an einem Planungsverfahren mit nachhaltigen Auswirkungen auf den örtlichen Bereich beteiligt zu werden, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 14. Februar 1969 - BVerwGE 31, 263 [264]; Urteil vom selben Tage - BVerwG 4 C 82.66 - DVB1. 1969, 362 [363]; Urteil vom 13. Juli 1973 - BVerwG 7 C 11.72 - Archiv PF 1977, 56 [62]; Urteil vom 7. Juli 1978 - BVerwGE 56, 110 [137]). Ebenso ist es ständige Rechtsprechung, daß die Gemeinden bei einer derartigen Berührung ihres Selbstverwaltungsbereichs eine ermessensfehlerfreie Abwägung ihrer zu ihrem Wirkungsbereich gehörenden Belange beanspruchen können (vgl. die erwähnten Entscheidungen BVerwGE 31, 263 [266]; DVB1. 1969, 362 [364]; Archiv PF 1977, 56 [63]; NJW 1981, 2075; ferner Urteil vom 15. April 1977 - BVerwGE 52, 237 [244 ff.]; Urteil vom 11. April 1986 - BVerwGE 74, 124 [133]). |
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird § 7 Abs. 2 Satz 3 TWG gerecht. Das Anhörungsgebot ist mit der Pflicht rechtzeitiger Beteiligung, das Abwägungsgebot mit der Pflicht zur Mitberücksichtigung der Stellungnahme umschrieben. Da eine Stellungnahme bei der Planfeststellung nur berücksichtigt werden kann, wenn sie vorher eingegangen ist, bedeutet die rechtzeitige Beteiligung eine vor Ergehen des Planfeststellungsbescheides durchgeführte Anhörung. Die Post muß deshalb die betroffene Gemeinde von dem beabsichtigten Vorhaben in Kenntnis setzen und ihr -regelmäßig unter Festsetzung einer angemessenen Frist - Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Erst dann darf der Planfeststellungsbescheid ergehen. Die Gemeinde kann demgemäß bei Anfechtung des Bescheides - über § 8 Abs. 3 TWG hinaus - nicht nur die Verletzung der Vorschriften der §§ 1 bis 5 TWG und der aufgrund des § 18 TWG erlassenen Anordnungen, sondern auch der ihr nach § 7 TWG zustehenden Rechte, insbesondere ihrer Mitwirkungsrechte nach § 7 Abs. 2 Satz 3 TWG, geltend machen.
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Das Anhörungs- und Abwägungsgebot wird von der Beklagten nicht bestritten (vgl. Weinberger, Der Städtetag 1983, 390 [393]; ferner Eidenmüller, DÖV 1984, 225 [230]. Das hat inzwischen seinen Niederschlag in der Rahmenvereinbarung zwischen der Bundespost und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände vom 19. Juli 1983 gefunden. Auch im vorliegenden Fall hat die Beklagte beim Erlaß der angefochtenen Bescheide weder Verfahrensvorschriften noch das materielle Recht verletzt (wird ausgeführt).
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