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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Sabiha Akagündüz | |||
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Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Römisch-katholische Kirchgemeinde B. sowie Römisch-katholische Landeskirche des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) |
2P.16/2002 |
vom 18. Dezember 2002 | |
Regeste |
Art. 15 BV, Art. 72 BV; Art. 9 EMRK; Glaubens- und Gewissensfreiheit; Austritt aus der Kirchgemeinde bzw. aus der Landeskirche. |
Rechtswirkungen einer Erklärung, lediglich aus der Kirchgemeinde bzw. Landeskirche austreten, sich aber weiterhin zur römisch-katholischen Kirche bekennen zu wollen (sog. partieller Kirchenaustritt), im Lichte der Glaubens- und Gewissensfreiheit und der rechtlichen Regelung im Kanton Luzern (E. 3.1-3.4). | |
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A. | |
A. ist in der luzernischen Gemeinde B. wohnhaft. Mit schriftlicher Eingabe vom 9. Dezember 2000 an den Kirchenrat der katholischen Kirchgemeinde B. mit dem Betreff "Partieller Kirchenaustritt" erklärte sie, aus der erwähnten Kirchgemeinde auszutreten. ![]() ![]() | 1 |
§ 12 Katholikinnen und Katholiken
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Wer nach kirchlicher Ordnung der römisch-katholischen Kirche angehört, gilt für Landeskirche und Kirchgemeinden als Katholikin oder Katholik, solange sie oder er dem zuständigen Kirchenrat am gesetzlich geregelten Wohnsitz nicht schriftlich erklärt hat, der römisch-katholischen Konfession nicht mehr anzugehören.
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§ 13 Mitgliedschaft
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(1) Mitglied der Kirchgemeinde ist jede Katholikin und jeder Katholik, die oder der in ihrem Gemeindegebiet den gesetzlich geregelten Wohnsitz hat.
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(2) Wer einer Kirchgemeinde angehört, ist zugleich Mitglied der Landeskirche.
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Im Anschluss daran wechselten A. und der Kirchenrat mehrfach Korrespondenz. Mit als "Gemeindebeschwerde" bezeichneter Rechtsschrift vom 31. Juli 2001 (Postaufgabe 2. August 2001) gelangte A. schliesslich erfolglos an den Synodalrat der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern mit dem Antrag festzustellen, "dass die Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 10. Dezember 2000 nicht mehr Mitglied der Römisch-katholischen Kirchgemeinde B. ist".
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B. | |
Mit Postaufgabe vom 19. Januar 2002 hat A. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde mit folgendem Antrag eingereicht:
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1. Es sei der Entscheid der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern vom 19. Dezember 2001 aufzuheben.
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2. Es sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin mit Wirkung ab Empfang der Austrittserklärung, d.h. ab 10. Dezember 2000, eventuell ab 21. Dezember 2000, nicht mehr Mitglied der Römisch-katholischen Kirchgemeinde B. ist.
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Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. ![]() | 11 |
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Aus den Erwägungen:
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Erwägung 3 | |
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3.1 Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, die Kirchenbehörden würden von ihr "eine Erklärung betreffend Austritt aus der Konfession" verlangen, sie solle "ihren Glauben verleugnen". Ein solches Begehren sei ein "Anti-Bekenntnis". Dies dürfe von ihr aber nicht verlangt werden, denn es sei "eine Form des Glaubensabfalls und aus christlicher Sicht verboten". Nach kanonischem Recht sei ein Austritt "aus der Kirche Jesu Christi nicht möglich, nicht einmal mit einer schriftlichen Erklärung". Letztlich würden die Kirchenbehörden von ihr also etwas Unmögliches fordern. Dadurch werde die Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt.
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3.2 Das Bundesgericht hat sich bisher nicht ausdrücklich zu der hier interessierenden Frage geäussert. Immerhin hat es bereits in BGE 2 S. 388 festgehalten und darauf auch in einem neueren Urteil vom 19. April 2002 (BGE 128 I 317 E. 2.2.2 S. 322) Bezug genommen, dass Art. 49 aBV nur von "Religionsgenossenschaften" (Art. 15 BV von "Religionsgemeinschaft") spricht und dass die Befreiung von den Kirchensteuern den Austritt aus der Religionsgenossenschaft selbst bedingt, wohingegen der Austritt aus der Kirchgemeinde allein nicht genügt (BGE 2 S. 388 E. 5 S. 396). In BGE 34 I 41 hat es sodann eine kantonale Regelung, die für die steuerrechtliche Anerkennung einen Austritt nicht nur aus der Kirchgemeinde, sondern aus der Landeskirche oder Religionsgenossenschaft überhaupt forderte, als nicht gegen Art. 49 aBV verstossend betrachtet (E. 11 und 12 S. 52 f.).
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3.3 Die Doktrin ist gespalten: die Möglichkeit eines sog. partiellen Kirchenaustritts wird teilweise bejaht (vgl. in diesem Sinne MARTIN GRICHTING, Kirche oder Kirchenwesen?, Diss. Freiburg 1997, S. 185 ff.; DIETER KRAUS, Schweizerisches Staatskirchenrecht, Diss. Tübingen 1993, S. 93 f.; FELIX HAFNER, Kirchen im Kontext der Grund- und Menschenrechte, Habilitationsschrift Basel 1991, S. 339, Fn. 171; PETER KARLEN, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, Diss. Zürich 1988, S. 338 f.; JOHANNES GEORG FUCHS, Zugehörigkeit zu den Schweizer evangelisch-reformierten Volkskirchen, in: Louis Carlen [Hrsg.], Austritt aus der Kirche, 1982, S. 183 ff., insbes. S. 187; HANS SCHMID, Die rechtliche Stellung der römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich, Diss. Zürich 1973, S. 235; FRITZ ROHR, Organisation und rechtliche Stellung der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde des Kantons ![]() ![]() | 16 |
3.4 Die in Art. 15 BV und Art. 9 EMRK garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit umfasst unter anderem das Recht, die Religion frei zu wählen, einer Religionsgemeinschaft beizutreten, anzugehören, aus ihr aber auch jederzeit auszutreten (vgl. BGE 125 I 347 E. 3a S. 354; 104 Ia 79 E. 3 S. 84; URS JOSEF CAVELTI, in: Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender [Hrsg.], Die Schweizerische Bundesverfassung, 2002, N. 28-30 zu Art. 15 BV; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., 1999, S. 383, N. 594 f.). § 2 der Staatsverfassung des Kantons Luzern vom 29. Januar 1875, der für die Glaubens- und Gewissensfreiheit auf die Bundesverfassung verweist, hat keinen weiter gehenden Inhalt. Die von den kantonalen Kirchenbehörden mit Blick auf die Kirchenverfassung/LU vertretene Position respektiert diese Freiheit. Der Beschwerdeführerin steht es nämlich frei, der römisch-katholischen Religionsgemeinschaft weiterhin anzugehören oder aus ihr auszutreten. Von der Beschwerdeführerin wird nicht verlangt, dass sie sich gegen die römisch-katholische Religion ausspricht ("Anti-Bekenntnis"). Bekennt sie sich aber zu dieser Religionsgemeinschaft, die im Kanton Luzern als öffentlichrechtliche Institution anerkannt ist, ist sie auch an die insoweit vorgesehene Organisation gebunden. Denn ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() | 17 |
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