BGE 114 Ia 114 - Grafeschüre | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 15. September 1988 |
i.S. B. und Mitb. sowie P. und Mitb. gegen Einwohnergemeinde Burgdorf und Regierungsrat des Kantons Bern |
(staatsrechtliche Beschwerden) | |
Regeste |
Art. 4 und 22ter BV, Art. 6 EMRK; Zonenplanänderung; Umzonung eines für die Erstellung einer kommunalen Schiessanlage benötigten Areals von der Landwirtschaftszone in eine "Freifläche mit Zweckbestimmung Schiessanlage", formelle Rechtsverweigerung. |
1. a) Mit der rechtskräftigen Genehmigung der in Frage stehenden Zone steht dem zuständigen Gemeinwesen das Enteignungsrecht zu (Art. 96 BauG/BE vom 7. Juni 1970, Art. 128 Abs. 1 lit. a BauG/BE vom 9. Juni 1985). Die Überprüfung des betreffenden Planfestsetzungsbeschlusses hat sich daher auch auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Enteignung und des Enteignungsverfahrens zu erstrecken (E. 3). |
b) An die Zonenplanänderung für die Verwirklichung einer Schiessanlage dürfen nach den für die Raumplanung massgebenden Grundsätzen keine geringeren Anforderungen als für eine Baubewilligung nach Art. 24 RPG gestellt werden (E. 4cf). |
c) Die Unterlassung der auch von Art. 33 RPG verlangten umfassenden Überprüfung stellt eine formelle Rechtsverweigerung dar (E. 4). |
2. Der von der Erteilung des Enteignungsrechts betroffene Bürger kann verlangen, dass nicht nur über das Mass der Entschädigung, sondern auch über die Frage, ob eine Enteignung gerechtfertigt ist, ein Richter urteilt, welcher den Anforderungen von Art. 6 EMRK genügt; ob das Bundesgericht als Staatsgerichtshof diesen Anforderungen genügt, ist fraglich (E. 4ch). | |
Sachverhalt | |
A.- Mit Beschluss vom 9. September 1987 wies der Regierungsrat des Kantons Bern mehrere Beschwerden ab, welche gegen die durch die Baudirektion genehmigte Zonenplanänderung "Grafeschüre", Gemeinde Burgdorf, eingereicht worden waren. Mit der umstrittenen Zonenplanänderung wurde das für die Erstellung einer kommunalen Schiessanlage benötigte Areal von der Landwirtschaftszone in eine "Freifläche mit Zweckbestimmung Schiessanlage" umgezont.
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Gemäss Art. 96 des Baugesetzes des Kantons Bern vom 7. Juni 1970 (BauG 1970), das gemäss dem Entscheid des Regierungsrates für die umstrittene Freifläche mit Zweckbestimmung Schiessanlage anwendbar ist, wird mit der Genehmigung der Zone, deren Verwendungszweck festgelegt ist, das Enteignungsrecht erteilt. Die entsprechende Regelung gilt auch gemäss Art. 128 Abs. 1 lit. a des neuen Berner Baugesetzes vom 9. Juni 1985 (BauG 1985).
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B. und S. als betroffene Landeigentümer führen staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht, mit der sie beantragen, der Regierungsratsbeschluss vom 9. September 1987 sei aufzuheben. Staatsrechtliche Beschwerde mit demselben Antrag führen ebenfalls P. und W., die als Eigentümer benachbarter, in der Gemeinde Wynigen gelegener Liegenschaften von dem zu erwartenden Schiesslärm betroffen sind.
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Ihre Einwendungen begründen die Beschwerdeführer namentlich damit, dass das betroffene Areal bestes landwirtschaftliches Kulturland sei, weshalb sich ebenfalls die kantonale Landwirtschaftsdirektion gegen die Schiessanlage ausgesprochen habe. Auch wegen des Schiesslärms sei das Areal nicht für einen Schiessstand geeignet. Ausserdem käme die Anlage in ein in hohem Masse landschaftlich schutzwürdiges Gebiet zu liegen. Die vom Regierungsrat vorgenommene Interessenabwägung sei unhaltbar. Mit der Abweisung der Beschwerden habe der Regierungsrat verfassungsmässige Rechte der Beschwerdeführer verletzt, insbesondere ihr gemäss Art. 22ter BV gewährleistetes Eigentum sowie das Willkürverbot gemäss Art. 4 BV. Die Verletzung der Eigentumsgarantie erblicken die Beschwerdeführer u.a. auch darin, dass die Gemeinde Burgdorf im Chänerech-Täli in der Gemeinde Wynigen das "Aebi-Heimet" besitzt, auf welchem ursprünglich die Schiessanlage gestützt auf Art. 24 des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (RPG) hätte erstellt werden sollen. Die entsprechende Baubewilligung war letztinstanzlich vom Bundesgericht mit Urteil vom 25. März 1981 geschützt worden. Dass der Regierungsrat keine andern möglichen Standorte geprüft habe, erachten die Beschwerdeführer als formelle Rechtsverweigerung.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 3 | |
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In der vorliegenden Sache ist wesentlich, dass die Umzonung des umstrittenen Areales von der Landwirtschaftszone in eine Freifläche mit Zweckbestimmung Schiessanlage zur Folge hat, dass die betroffenen Eigentümer verpflichtet werden, ihr Land, soweit dies für die Erstellung der Anlage nötig ist, abzutreten, im übrigen das Überschiessen ihrer Parzellen als Eigentumsbeschränkung zuzulassen und den Schiesslärm, soweit sie als Nachbarn betroffen werden, zu dulden. Schon mit der Rechtskraft der Planfestsetzung steht dem zuständigen Gemeinwesen das Enteignungsrecht zu (Art. 96 Abs. 1 BauG 1970, Art. 128 Abs. 1 lit. a BauG 1985). Die Freifläche, deren öffentliche Nutzung im Plan verbindlich festgelegt wird, führt somit zu einem schweren Eingriff in das Eigentum. Das Bundesgericht prüft ohne Beschränkung seiner Kognition, ob die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind (s. BGE 110 Ia 169 E. 7a; 108 Ia 35 E. 3a; 104 Ia 338 E. 2; 102 Ia 115 E. 4 mit Hinweisen). Umfassend zu prüfen ist somit, ob die für den Eingriff erforderliche klare gesetzliche Grundlage gegeben ist (BGE 110 Ib 139 E. 3). Desgleichen ist umfassend zu prüfen, ob die für die Rechtfertigung der Enteignung und der Eigentumsbeschränkungen geforderten öffentlichen Interessen vollständig ermittelt und mit den entgegenstehenden privaten Interessen richtig abgewogen wurden (BGE 107 Ib 336 E. 2c). In gleicher Weise ist die Verhältnismässigkeit des angefochtenen Beschlusses, mit welchem das Enteignungsrecht verbunden ist, zu prüfen (BGE 110 Ib 33 E. 4). Schliesslich ist auch ohne Beschränkung der Kognition zu prüfen, ob das kantonale Recht den betroffenen Eigentümern den bundesrechtlich gebotenen Rechtsschutz gewährt.
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Erwägung 4 | |
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a) Die gesetzliche Grundlage sowohl für die Planung als auch das Enteignungsrecht wird nicht bestritten. Sie ist eindeutig gegeben. Die Gemeinden sind nach dem in der vorliegenden Sache anwendbaren Baugesetz vom 7. Juni 1970 befugt, im Zonenplan Freiflächen für öffentliche Werke und Anlagen festzulegen (Art. 20 und 27). Mit der Genehmigung der entsprechenden Planung ist das Enteignungsrecht erteilt (Art. 96). Das neue Berner Baugesetz vom 9. Juni 1985 hat an dieser Rechtslage festgehalten (Art. 77 und 128). Für das Enteignungsrecht präzisiert Art. 128 Abs. 2 des nun geltenden Baugesetzes, es erstrecke sich auf die dinglichen und obligatorischen Rechte sowie Nachbarrechte, die zur Ausführung der geplanten Bauten, Anlagen oder Massnahmen benötigt werden oder ihr entgegenstehen.
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c) Die Beschwerdeführer bestreiten jedoch das konkrete öffentliche Interesse für die Inanspruchnahme ihres Grundeigentums und für die nach ihrer Meinung drohende Enteignung ihrer Nachbarrechte. Sie bezeichnen die "Grafeschüre" nicht als geeignet für eine Schiessanlage im Sinne von Art. 25 der Verordnung über das Schiesswesen ausser Dienst. Die öffentlichen Interessen der Landwirtschaft und des Landschaftsschutzes stünden der Errichtung des Schiessplatzes entgegen. Mit diesen Interessen würden sich ihre privaten Interessen an der ungeschmälerten Erhaltung ihres Eigentums decken. Der Regierungsrat habe die entgegenstehenden Interessen ungenügend berücksichtigt, die Interessenabwägung nicht richtig vorgenommen und damit auch das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt, namentlich wegen der Gefährdung der Existenz des Beschwerdeführers S. Er habe in unzulässiger Weise zur Frage der Enteignung nicht Stellung genommen und es abgelehnt, sich einlässlich mit Ersatzstandorten zu befassen. Hierin erblicken die Beschwerdeführer auch eine formelle Rechtsverweigerung. Sie betonen, dass die Zulässigkeit der Enteignung im späteren Enteignungsverfahren nicht mehr zur Diskussion gestellt werden könne.
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c)a. Die Mindestanforderungen für den Rechtsschutz, denen das kantonale Recht gegenüber Nutzungsplänen gemäss Art. 33 RPG zu genügen hat, sehen wenigstens ein Rechtsmittel vor. Für dieses muss die Legitimation mindestens im gleichen Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht und die volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde gewährleistet sein (Art. 33 Abs. 3 lit. a und b RPG).
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Diesen Mindestanforderungen entspricht das im Berner Recht angeordnete Planauflage- und Genehmigungsverfahren, an das sich die Beschwerde an den Regierungsrat anschliesst (BGE 106 Ia 72 f. E. 2). Die Nutzungspläne werden im Genehmigungsverfahren hinsichtlich ihrer Recht- und Zweckmässigkeit und des öffentlichen Interesses überprüft (ALDO ZAUGG, Kommentar zum BauG vom 7. Juni 1970, N. 1 ff. zu Art. 44, und Kommentar zum BauG vom 9. Juni 1985, N. 2 zu Art. 61). Die Rechtmässigkeitskontrolle umfasst die Prüfung der Pläne und des Planungsverfahrens auf ihre Übereinstimmung mit den sich aus dem Verfassungsrecht ergebenden Schranken. Die Genehmigungsbehörde ist verpflichtet, ihre Überprüfungsbefugnis voll auszuschöpfen, ansonst sie eine formelle Rechtsverweigerung begeht. Sie darf für die Genehmigung wesentliche Fragen nicht auf ein nachfolgendes Verfahren verweisen. Anderseits darf sie mit ihrem Beschluss nicht Fragen regeln, die gar nicht Gegenstand des Planverfahrens sind (ALDO ZAUGG, a.a.O., Kommentar BauG 1985, N. 7 zu Art. 61 mit Hinweis auf N. 28 ff. der Einleitung, und N. 16 zu Art. 61).
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c)b. Das Baugesetz hat mit den Vorschriften über das Enteignungsrecht, das mit der Nutzungsplanung verbunden ist, enteignungsrechtliche Vorschriften erlassen. Die Überprüfung eines Planfestsetzungsbeschlusses für bestimmte öffentliche Anlagen, mit dessen Genehmigung das Enteignungsrecht erteilt wird, hat sich daher bereits auch auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Enteignung und des Enteignungsverfahrens zu erstrecken. Diese Voraussetzungen zählen zu den für die Plangenehmigung wesentlichen Fragen. Insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten (ALDO ZAUGG, a.a.O., Kommentar BauG 1985, N. 36 der Einleitung, und N. 2 zu Art. 127).
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Das Verhältnismässigkeitsprinzip lässt die Enteignung nur zu, wenn und soweit sie zur Erreichung des öffentlichen Zweckes notwendig ist und der Enteigner nachweist, dass Verhandlungen über einen freihändigen Erwerb nicht zum Ziele führten (Art. 3 Abs. 2 des Berner Gesetzes über die Enteignung vom 3. Oktober 1965). Die zweite Voraussetzung ist im vorliegenden Falle erfüllt, setzen sich doch die Beschwerdeführer mit ihrer Weigerung, ein Baugesuch für die Schiessanlage zu unterzeichnen, gegen die Enteignung zur Wehr (Vorlage zur Gemeindeabstimmung vom 22. September 1985, S. 5). Die erste Voraussetzung - die Notwendigkeit der Enteignung - wird hingegen mit Hinweis auf Ersatzstandorte bestritten, welche für eine Schiessanlage besser geeignet sein sollen.
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Nach dem Gebot der Notwendigkeit der Enteignung ist darauf zu achten. dass private Rechte nur in Anspruch genommen werden, wenn das angerufene Interesse des Gemeinwesens sich im konkreten Fall als überlegen erweist und sich nicht auf anderem Wege befriedigen lässt (ARTHUR MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar zum Sachenrecht, 5. Auflage, 1. Teilband, Systematischer Teil, N. 509, S. 201; ULRICH ZIMMERLI, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im öffentlichen Recht, ZSR 1978 II S. 13 f. und S. 77 f.). Das geltend gemachte öffentliche Interesse muss um so stärker sein, je intensiver eine staatliche Massnahme in private Rechte eingreift (ARTHUR MEIER-HAYOZ, a.a.O., S. 202). Besitzt die Gemeinde für die Verwirklichung der öffentlichen Nutzung eigenes geeignetes Land, so wäre das aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip fliessende Gebot der Notwendigkeit der Enteignung verletzt, wenn sie ohne sachlichen Grund nicht ihre eigenen Landreserven ausschöpfen, sondern sich auf dem Enteignungsweg zusätzliches Land verschaffen würde (nicht publ. BGE vom 3. Juli 1985 i.S. A. B. c. Gemeinde Eischoll und Staatsrat des Kantons Wallis, E. 3c).
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c)c. Im vorliegenden Falle haben sich weder die Baudirektion noch der Regierungsrat einlässlich mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Enteignung, die mit der Genehmigung der Zone ermöglicht wird, befasst. Der Regierungsrat hält in seinem Entscheid vielmehr fest, er habe es in konstanter Praxis abgelehnt, im Rahmen von Plangenehmigungsverfahren bereits zu den Enteignungsproblemen Stellung zu nehmen. In ihrer im Namen des Regierungsrates erstatteten Vernehmlassung bestätigt dies die Justizdirektion. Sie bemerkt, die Frage einer allfälligen Enteignung sei hier nicht zu prüfen; es stehe im Plangenehmigungsverfahren noch nicht fest, ob überhaupt eine Enteignung zu erfolgen habe. Diese Frage werde namentlich davon abhängen, "welche Haltung die zukünftig betroffenen Grundeigentümer gegenüber einem heute noch nicht bekannten Kaufangebot der Stadt Burgdorf einnehmen werden".
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Diese Praxis des Regierungsrates scheint zu übersehen, dass mit der Plangenehmigung das Enteignungsrecht verbindlich erteilt wird. Dadurch, dass - wie im vorliegenden Fall - der "Verwendungszweck (schon) im Plan festgelegt ist" (Art. 96 BauG 1970) und darüber hinaus auch bereits der Standort der in Frage stehenden öffentlichen Anlage feststeht, wird offensichtlich ein Teil des Enteignungsproblems bereits mit der Plangenehmigung entschieden. Entsprechend müssen auch die Enteignungsvoraussetzungen ebenfalls schon bei der Plangenehmigung erfüllt sein (ALDO ZAUGG, a.a.O., Kommentar BauG 1985, N. 7a und 10 zu Art. 127/128), denn in diesem Zeitpunkt werden die Eigentümer vom Enteignungsrecht betroffen und sind nicht mehr frei, nach ihrem Belieben über ihr Eigentum zu verfügen. Sie müssen vielmehr, falls sie zu einer Verständigung nicht Hand bieten, die Enteignung in Kauf nehmen. Hiezu können sie jedoch nur gehalten werden, wenn feststeht, dass die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Enteignung erfüllt sind.
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c)d. Sowohl die Baudirektion wie der Regierungsrat scheinen freilich davon auszugehen, dass mit der Genehmigung des Planes auf Grund der Rechts- und Zweckmässigkeitskontrolle auch die Zulässigkeit der Enteignung bejaht sei, obschon dies nicht ausdrücklich gesagt wird. Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich, dass der Regierungsrat die Eignung der "Grafeschüre" für die Erstellung einer Schiessanlage bejaht, allerdings nur unter Vorbehalten und mit Rücksicht auf die Autonomie der Gemeinde Burgdorf.
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Die Vorbehalte leitet der Regierungsrat aus der Unterscheidung zwischen der Zonenplanänderung und dem konkreten Schiessanlageprojekt her. Nach seiner Auffassung ist es nicht erforderlich, dass bereits im Plangenehmigungsverfahren feststehen muss, dass das von der Gemeinde gewünschte Projekt, dem die Freiflächenzone dienen soll, auch so, wie es die Gemeinde begehrt, realisiert werden kann. Er führt aus, im Genehmigungsverfahren sei nur die Frage zu beantworten, ob sich auf dem umgezonten Terrain überhaupt eine Schiessanlage, die der Öffentlichkeit diene, realisieren lasse. Erst bei der Prüfung des konkreten Projektes könnten die Fragen nach der Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung und nach den zu erwartenden Lärmimmissionen beurteilt werden. Und erst im Baubewilligungsverfahren könne beantwortet werden, ob sich eine Anlage, wie sie die Stadt Burgdorf wünsche, erstellt werden könne.
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Aus der Respektierung der Gemeindeautonomie leitet der Regierungsrat her, dass er nicht obere Planungsbehörde sei und daher nicht selber nach neuen Lösungen suche. Er beschränke sich darauf zu untersuchen, ob sich der kommunale Hoheitsakt mit vernünftiger Begründung halten lasse. Die Justizdirektion verdeutlicht diese Rücksichtnahme mit dem Hinweis darauf, dass es nicht um ein Baubewilligungsverfahren gehe, in welchem - allenfalls bei der Prüfung der Standortgebundenheit im Sinne von Art. 24 RPG - sämtliche möglichen Varianten zu überprüfen seien. Die Betrachtungsweise der Beschwerdeführer, welche als formelle Rechtsverweigerung rügen, dass der Regierungsrat nicht andere mögliche Standorte mitberücksichtigt habe, sei zu verwerfen. Anders entscheiden würde heissen, dass die Gemeindeautonomie in der Ortsplanung aufgehoben wäre.
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Dieses Verständnis des Regierungsrates von einer Plangenehmigung, welche das Enteignungsrecht für eine Freifläche einschliesst, deren Verwendungszweck im Plan festgelegt ist (Art. 96 Abs. 1 BauG 1970), überzeugt nicht.
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c)e. Aus der Vorlage an die Stimmberechtigten für die Abstimmung vom 22. September 1985 ergibt sich klar, dass die Zonenänderung für ein präzis umschriebenes, gegenüber den früheren Plänen reduziertes Projekt beschlossen wurde. Es sollte den rund 1500 Schützen der sechs städtischen Schützenvereine ermöglichen, das obligatorische Schiessen, das Feldschiessen sowie sportliche Wettkämpfe durchzuführen. Wenn - was der Regierungsrat nicht ausschliesst - das vorgesehene, der Abstimmungsvorlage zugrundeliegende Projekt mit 18 elektronischen Scheiben, 25 Parkplätzen und einer Belastung von 70 Schiesshalbtagen sowie einem Munitionsverbrauch von 96 000 Schuss nicht realisiert werden kann, so wird ein Teil der Burgdorfer Schützen weiterhin Schiessplätze in anderen Gemeinden benützen müssen.
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Der Vorlage, welcher die Stimmberechtigten zugestimmt haben, ist nicht zu entnehmen, dass möglicherweise mit einer weiteren Reduktion des Projektes gerechnet werden muss. Dass dies nicht auszuschliessen ist, ergibt sich aus dem von der Justizdirektion eingeholten Bericht der EMPA zur Lärmsituation im Bereich der geplanten Schiessanlage "Grafeschüre". Dieses Gutachten geht von dem genannten Projekt und von 70 Schiesshalbtagen aus. Es gelangt zum Ergebnis, dass beim Weiler Stöckacker und der Häusergruppe h (Grafeschüre) der von der Lärmschutzverordnung verlangte Planungswert, bei der Häusergruppe h auch der Immissionsgrenzwert, überschritten wird. Die Beschwerdeführer wenden ein, die Annahme von 70 Schiesshalbtagen sei unzutreffend, weil der Schiessoffizier nicht zwischen Werktags- und Sonntagsschiessen unterschieden habe. Nach ihrer Ansicht würde bei richtiger Berechnung jedenfalls bei der Häusergruppe h der Alarmwert überschritten. Die Justizdirektion anerkennt in ihrer Vernehmlassung, dass vermutlich die Benützung an 70 Halbtagen eher an der oberen Grenze des Bewilligungsfähigen liege.
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Für das öffentliche Interesse, welches die Enteignung rechtfertigen und das um so stärker sein muss, je intensiver in private Rechte eingegriffen wird, ist entgegen der Meinung des Regierungsrates die Grösse des Projektes von erheblicher Bedeutung. Kann es nicht im vorgesehenen Mindestumfange verwirklicht und betrieben werden, ist nicht nur fraglich, ob der Stimmbürger der Zonenänderung zugestimmt hätte, sondern auch das Gewicht des geltend gemachten öffentlichen Interesses ist geringer, wenn die Anlage nicht allen Schützen von Burgdorf Platz bieten würde. Dass eine Gemeindeschiessanlage jedenfalls im Regelfalle den Schützen der Gemeinde dienen soll, geht auch aus den Vorschriften der eidgenössischen Verordnung über das Schiesswesen ausser Dienst hervor (Art. 22 ff.). Im vorliegenden Falle ist offenbar nicht auszuschliessen, dass das von der Gemeinde gewünschte Projekt namentlich im Hinblick auf die Lärmbelastung reduziert werden muss und dass daher weiterhin Schützen von Burgdorf andern Schiessplätzen zugewiesen werden müssen. Für die Interessenabwägung, bei welcher wie auch bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit ein strenger Massstab anzulegen ist (BGE 101 Ia 221 E. 6), ist jedoch die Frage der Realisierbarkeit der von der Gemeinde für alle Burgdorfer Schützen gewünschten Anlage von wesentlichem Gewicht. Indem der Regierungsrat die Prüfung dieser Frage auf das spätere Baubewilligungsverfahren verschoben hat, hat er eine für die Plangenehmigung, mit welcher das Enteignungsrecht erteilt wird, wesentliche Frage in ein nachfolgendes Verfahren verwiesen, was nicht angeht (ALDO ZAUGG, a.a.O., Kommentar BauG 1985, N. 16 zu Art. 61).
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c)f. Für die Frage, ob das mit der Plangenehmigung erteilte Enteignungsrecht dem sich aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip ergebenden Grundsatz der Notwendigkeit der Enteignung entspricht, muss sodann feststehen, dass sich das vorgesehene Areal für die Verwirklichung der öffentlichen Nutzung eignet und dass die Gemeinde mit sachgerechten Erwägungen andere Standorte, namentlich solche, an denen sie selbst Grundeigentum besitzt, ausschliessen durfte (vgl. HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 10 zu Art. 35).
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Aus der Vorlage an die Stimmbürger ergibt sich, dass die Gemeinde 17 Standorte in Betracht gezogen hat. Die Prüfung führte zunächst zum Ergebnis, dass der Gemeinderat das Stadtbauamt beauftragte, eine Umzonungsvorlage für eine Freifläche mit Zweckbestimmung Schiessanlage auf dem Binzberg vorzubereiten, eine Vorlage, welcher die erweiterte Baukommission, die Finanzkommission und der Gemeinderat zustimmten, doch wurde sie am 17. Dezember 1984 vom Stadtrat abgelehnt.
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Aus der Vorlage an die Stimmbürger ergibt sich ferner, dass der Standort "Chänerech" in Wynigen, für welchen letztinstanzlich das Bundesgericht mit Entscheid vom 25. März 1981 die auf Art. 24 RPG gestützte Baubewilligung geschützt hatte, aufgehoben wurde, weil die Stimmbürger einen nötigen Zusatzkredit am 6. Juni 1982 abgelehnt hatten. Dieser Kredit war allerdings für ein wesentlich grösseres Projekt als das nun vorgesehene verlangt worden. In seinem Entscheid hatte sich das Bundesgericht eingehend mit der Standortfrage befasst und auf die damalige Stellungnahme des Stadtpräsidenten verwiesen, mit welcher die Ablehnung anderer Lösungen begründet wurde. Das Urteil verweist auch auf den vom Bundesamt für Raumplanung eingeholten Bericht, welcher insgesamt acht Standorte einlässlich prüfte und auf Grund der Evaluation zum Ergebnis gelangte, dass der Standort "Chänerech" am besten geeignet sei. Der Standort "Grafeschüre" wurde auch als geeignet bezeichnet, doch wurde auf die zu erwartende Lärmbelastung für die Weiler Stöckacker und Grafeschüre hingewiesen. Die Gemeinde gab gemäss der Eingabe ihres Vertreters vom 5. Dezember 1980 dem Standort "Chänerech" den Vorzug und lehnte den Standort "Grafeschüre" mit folgender Begründung ab: "Die Lage neben der Hauptstrasse nach Langenthal und die SBB-Linie Bern-Olten verhindern den Neubau. Notwendige Schutzmassnahmen würden ein Ausmass erreichen, das wegen Verletzung des Ortschaftsschutzes der Höfe Grafenscheuren und Bickigen, des Landschafts- und Heimatschutzes nicht bewilligt werden könnte."
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Die Vorlage an die Stimmberechtigten belegt eindrücklich, wie sehr sich der Gemeinderat um eine Lösung der Schiessplatzfrage bemühte. Doch kann ihr nur in begrenztem Rahmen entnommen werden, aus welchen planerischen Erwägungen einzelne der in Betracht kommenden Standorte abgelehnt wurden. Für die meisten Standorte ergibt sich aus der Vorlage einzig, dass die Landbesitzer nicht bereit seien, ihre Zustimmung zur Landinanspruchnahme zu geben. Dass diese Begründung zu einem sachgerechten Vergleich nicht genügt, liegt auf der Hand, kann doch - wie dies nun auch bei "Grafeschüre" vorgesehen ist - für einen geeigneten Standort eines für die Schützen der Gemeinde notwendigen Schiessplatzes das Enteignungsrecht beansprucht werden.
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Der Regierungsrat hat es im angefochtenen Entscheid ausdrücklich abgelehnt, andere Standorte zu prüfen. Er hat einzig zum Verzicht auf "Chänerech" Stellung genommen, veränderte Verhältnisse (kleineres Projekt), bessere Erkenntnisse und bisher offenbar zu wenig berücksichtigte Vorteile der "Grafeschüre" wie kürzere Wegdistanz für die Schützen geltend gemacht. Er ist der Meinung, er dürfe es dabei bewenden lassen, weil es nicht um eine Baubewilligung nach Art. 24 RPG gehe, sondern um eine Zonenplanung. Diese Auffassung ist als irrtümlich zu bezeichnen. Die Festsetzung einer Freifläche für eine Schiessanlage hat in gleicher Weise den für die Raumplanung massgebenden Grundsätzen zu entsprechen und auf Grund einer umfassenden, die Prüfung von Alternativstandorten einschliessenden Interessenabwägung zu erfolgen (s. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 RPG), wie dies für eine allenfalls mögliche Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG zutrifft (BGE 113 Ib 229 ff. und 373 E. 5; vgl. auch BGE 111 Ib 88 E. 3). Bei der Bewertung aller Alternativen sind der Schutz des landwirtschaftlichen Bodens und der Landschaftsschutz mitzuberücksichtigen (Art. 3 Abs. 2 lit. a und d RPG). Schliesslich muss der hinsichtlich Standort und Zweck zu treffende planerische Grundsatzentscheid, um den es im Moment erst geht, auch bereits nach den heute massgebenden umweltschutzrechtlichen Bestimmungen ausgerichtet werden und namentlich den Schutz gegen schädliche und lästige Einwirkungen umfassen (Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG, BGE 113 Ib 231 ff. mit Hinweisen).
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c)g. Der Auffassung, eine entsprechende Überprüfung würde in die Gemeindeautonomie eingreifen, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Eine solche Prüfung gehört vielmehr zur Rechtskontrolle, namentlich zur Kontrolle der Planung auf ihre Übereinstimmung mit den aus der Verfassung fliessenden rechtsstaatlichen Grundsätzen; die Kontrollfunktion der kantonalen Behörden soll so weit reichen, als es der Schutz der Grundrechte und die Wahrung der übergeordneten Interessen - im vorliegenden Falle also z.B. des Interesses daran, dass überhaupt eine Schiessanlage erstellt und hiezu nur das notwendige Land enteignet wird - erfordert. Ein Nutzungsplan für die gezielte Verwirklichung einer bestimmten öffentlichen Anlage, mit welchem das Enteignungsrecht erteilt wird, kann auch nicht wie die Justizdirektion in ihrer Vernehmlassung vorträgt - der Abgrenzung verschiedener Bauzonen für private Nutzungen in einem Zonenplan gleichgestellt werden. Er kommt einer Enteignungsverfügung zur Sicherstellung des Landerwerbs für ein bestimmtes öffentliches Werk gleich und bedingt daher zur Wahrung des Verhältnismässigkeitsprinzips und zur Abklärung der Notwendigkeit der Enteignung die Prüfung allfälliger weiterer Standorte. Die vom Regierungsrat betonte Zurückhaltung steht dem nicht entgegen. Auch wenn der Regierungsrat nicht obere Planungsbehörde ist und nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Gemeinde setzen darf, so hat er im Beschwerdeverfahren auf die entsprechenden Einwendungen hin zu prüfen, ob die Gemeinde mit planerisch sachgerechten Erwägungen die weiteren, in Frage kommenden Standorte ausgeschlossen hat. Zu einer solchen Prüfung hätte um so mehr Anlass bestanden, als - wie dargelegt - die Gemeinde den Standort "Grafeschüre" ursprünglich als ungeeignet verworfen und der Gemeinderat nach dem Verzicht auf das Projekt "Chänerech" zunächst eine andere Lösung (Binzberg) befürwortet hatte. Die vom Regierungsrat betonte Zurückhaltung kommt nur dann zum Zuge, wenn es um die Auswahl unter mehreren, gleich gewichtigen Alternativen geht, wenn es um Ortskenntnis und örtliche Demokratie geht (Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 RPG).
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Weder aus der Genehmigung durch die Baudirektion noch aus dem Beschwerdeentscheid des Regierungsrates geht hervor, dass eine umfassende Prüfung im aufgezeigten Sinne vorgenommen wurde. Diese Unterlassung bezieht sich auf wesentliche Punkte, welche von Amtes wegen hätten geprüft werden müssen (ALDO ZAUGG, a.a.O., Kommentar BauG 1985, N. 3 zu Art. 61), lässt sich doch die Notwendigkeit der Enteignung ohne Prüfung der möglichen Alternativstandorte gar nicht beurteilen. Die von den kantonalen Instanzen vorgenommene Beschränkung der Überprüfungsbefugnis stellt daher - wie die Beschwerdeführer zutreffend vortragen - eine formelle Rechtsverweigerung dar (ALDO ZAUGG, a.a.O., Kommentar BauG 1985, N. 40 der Einleitung).
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c)h. Demnach ist der angefochtene Regierungsratsbeschluss in Gutheissung der Beschwerden aufzuheben, ohne dass geprüft werden muss, ob die Einwendungen in materieller Hinsicht begründet sind. Es ist Sache der kantonalen Instanzen, die notwendigen Abklärungen nachzuholen. Dabei werden sie auch zu berücksichtigen haben, dass die Beschwerdeführer S. und B. beanstanden, dass sie die Streitfrage der Notwendigkeit der Enteignung auf kantonaler Ebene keinem unabhängigen Richter vortragen können. Wird beachtet, dass die Festsetzung einer Freifläche mit Zweckbestimmung Schiessanlage durch speziellen Beschluss - wie dargelegt - einer Enteignungsverfügung gleichkommt, so ist daran zu erinnern, dass das Bundesgericht wiederholt festgestellt hat, dass ein von einer Enteignung betroffener Bürger verlangen kann, dass nicht nur über das Mass der Entschädigung, sondern auch über die Frage, ob eine Enteignung gerechtfertigt ist, ein Richter urteilt, welcher den Anforderungen des Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention genügt (BGE 114 Ia 19 E. 2c; betreffend Ausübung eines einer Enteignung gleichkommenden Vorkaufsrechtes 112 Ib 178 E. 3a, 294 E. 8a; 111 Ib 231 E. 2e mit Hinweisen, insbesondere auf den Entscheid des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 22. September 1982 i.S. Sporrong und Lönnroth c. Schweden, Publications série A, vol. 52, Ziff. 59-83, in deutscher Übersetzung in der Europäischen Grundrechtszeitschrift 1983, S. 523 ff.; zur Rechtsprechung der EMRK-Organe auch DANIEL THÜRER, EMRK und schweizerisches Verwaltungsverfahren, ZBl 87/1986, S. 241, insb. S. 249 ff., sowie DANIEL THÜRER, Neuere Entwicklungen im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZBl 89/1988 S. 377 ff., insb. S. 383 ff.). In einem Falle wie dem vorliegenden, der nicht einer umfassenden Nutzungsplanung zur Festsetzung von Rahmen- oder Sondernutzungsplänen, bei welcher die planerischen Gesamtzusammenhänge für die örtliche Begrenzung der Nutzungsanordnungen bestimmend sind (vgl. BGE 112 Ib 167 E. 4), gleichgestellt werden kann, genügen die Baudirektion und der Regierungsrat diesen Anforderungen nicht. Anderseits ist nach dem Entscheid des Europäischen - Gerichtshofes für Menschenrechte vom 29. April 1988 i.S. Belilos c. die Schweiz (zur Veröffentlichung bestimmt in: Publications série A, vol. 132) anzunehmen, dass in einem solchen Falle auch das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde den Anforderungen von Art. 6 EMRK wohl nicht zu genügen vermag, da das Bundesgericht die Feststellung des Sachverhalts im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde, selbst wenn es - wie hier - um einen schweren Eingriff in das Eigentum geht, nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft (s. etwa BGE 105 Ia 19 f. E. 3). Welche Bedeutung die Strassburger Organe der im Anschluss an das Urteil i.S. Belilos mit Wirkung ab 29. April 1988 erfolgten Änderung der Auslegenden Erklärung der Schweiz zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (AS 1988 S. 1264) beimessen werden, ist zur Zeit noch offen.
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Erwägung 5 | |
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