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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 3. Februar 1993 |
i.S. St. gegen Kantonsgerichtspräsidium Zug |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste | |
Regeste |
1. Verhältnis zwischen kantonaler Petitionsgarantie und Petitionsrecht nach Art. 57 BV (E. 2). |
2. Bedeutung und Tragweite des Petitionsrechts (E. 3). |
3. Unzulässigkeit von Petitionen gegenüber Gerichten, die ein konkretes Gerichtsverfahren betreffen (E. 4). | |
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A. | |
Frau St. reichte beim Kantonsgericht Zug unter dem Titel Petition/Schutzschrift folgendes Begehren ein:
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"Einem allfälligen Begehren der möglichen Gesuchsteller auf Erlass einer vorsorglichen Massnahme bzw. einstweiligen Verfügung wegen urheberrechtlicher, markenrechtlicher oder wettbewerbsrechtlicher Verletzung betreffend die Werke von L. Ron Hubbard und/oder Schriften der Church of Scientology (Dianetik), des Religious Technology Centers, der New Era Publications ApS oder deren verbundenen juristischen Personen sei nicht ohne Anhörung der möglichen Gesuchsgegnerin stattzugeben." ![]() | 2 |
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In der Petition/Schutzschrift legt Frau St. dar, dass der Scientology Church nahestehende Organisationen oftmals ehemalige Mitglieder belästigten und in gerichtliche Verfahren aller Art zögen. Sie klagten Urheberrechtsverletzungen ein, wollten aber in erster Linie abtrünnige Mitarbeiter mundtot machen oder mittels Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen zu Adress- und Kundenlisten sowie zu Dokumentationen und Unterlagen gelangen. - In rechtlicher Hinsicht führt sie aus, dass solchen Organisationen keine urheberrechtliche, markenrechtliche oder wettbewerbsrechtliche Ansprüche zustünden und diesen daher mangels Aktivlegitimation keine Ansprüche auf Einleitung straf- oder zivilrechtlicher Massnahmen zukämen. - Frau St. befürchtet, in nächster Zeit in der beschriebenen Art prozessual belangt zu werden.
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Der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Kantonsgerichtspräsidiums des Kantons Zug antwortete dem Rechtsvertreter von Frau St. in Briefform und sandte die Schutzschrift mit Beilagen ungelesen zurück. Der Brief hat folgenden Wortlaut:
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"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt
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Ich retourniere Ihnen - ungelesen - die in Sachen ... eingereichte Schutzschrift ... samt Beilagen. Gemäss konstanter Praxis des Kantonsgerichtspräsidiums Zug werden keine derartige Eingaben entgegengenommen. Ich ersuche Sie um Kenntnisnahme und um Verständnis.
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Mit freundlichen Grüssen"
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Gegen diesen Bescheid des Kantonsgerichtspräsidiums reichte Frau St. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein mit den Anträgen, der Bescheid sei aufzuheben und das Kantonsgerichtspräsidium sei anzuweisen, ihre Petition entgegenzunehmen und sachlich zu behandeln. Hierfür macht sie eine Verletzung des Petitionsrechts nach Art. 57 BV und § 10 KV/ZG sowie von Art. 4 BV geltend. ![]() ![]() | 9 |
Auszug aus den Erwägungen: | |
Auszug aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 3 | |
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Nach der Rechtsprechung ist die Petitionsfreiheit ein blosses Freiheitsrecht, das keinerlei positiven Anspruch verleiht. Es ist daraus abgeleitet worden, der Petitionär könne weder verlangen, dass seine Petition materiell behandelt, noch dass sie beantwortet und ihr entsprochen wird. Es wird eingeräumt, dass die Praxis allerdings weitergehe und dass Petitionen im allgemeinen geprüft und beantwortet würden. In der Rechtsprechung wird die Frage aufgeworfen, ob diese traditionelle, stark einschränkende Auffassung von Inhalt und Tragweite der Petitionsfreiheit den gewandelten Verhältnissen und Anschauungen noch gerecht werde. Eine Ausdehnung des ![]() ![]() | 13 |
Im folgenden wird vorerst zu prüfen sein, ob Petitionen gegenüber Gerichten überhaupt zulässig seien und ob demnach die streitige Schutzschrift zugelassen werden könne. Soweit ersichtlich, hat sich das Bundesgericht zu dieser Frage noch nie ausgesprochen.
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Erwägung 4 | |
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Petitionen sind gegenüber Gerichten an sich für all jene Bereiche denkbar, die nicht direkt mit einem bestimmten Verfahren in Verbindung stehen. Mit allgemeinen Petitionen könnte etwa auf Probleme genereller Natur oder hinsichtlich der allgemeinen Rechtsprechung aufmerksam gemacht werden, es könnten Fragen der Gerichtsverwaltung aufgeworfen oder Anfragen aus Rechtsgebieten unterbreitet werden, in denen das Gericht Aufsichtsbehörde ist (vgl. RAISSIG, a.a.O., S. 43; MUHEIM, a.a.O., S. 43). Wie es sich damit verhält, braucht nicht im einzelnen abgeklärt zu werden.
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Anders verhält es sich indessen mit Petitionen, die ein konkretes Gerichtsverfahren betreffen, sei es, dass ein solches hängig oder bereits abgeschlossen ist oder aber in absehbarer Zeit anhängig gemacht wird. Für die Verfahrensbeteiligten stehen die prozessualen Mittel zur Verfügung, um entsprechend den anwendbaren Verfahrensbestimmungen Anträge und Standpunkte betreffend Sachverhalt und rechtliche Beurteilung in den Prozess einfliessen zu lassen; der einzelne hat die Möglichkeit, sich mit den üblichen prozessualen ![]() ![]() | 17 |
Daraus ergibt sich, dass aus Gründen der Beachtung der Verfahrensordnung und der Fairness des Verfahrens sowie wegen der Gefahr der unzulässigen Beeinflussung des Richters Petitionen von Verfahrensbeteiligten hinsichtlich eines konkreten Gerichtsverfahrens nicht als zulässig betrachtet werden können. Das trifft insbesondere für die als Petition bezeichnete sog. Schutzschrift der Beschwerdeführerin zu. Die Schutzschrift ist ein vorbeugendes Verteidigungsmittel gegen einen erwarteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und verfolgt das Ziel, den Erlass einer vorsorglichen ![]() ![]() | 18 |
Demnach erweist sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen. Es braucht daher nicht untersucht zu werden, wie es sich mit Petitionen verhält, die ebenfalls ein konkretes gerichtliches Verfahren betreffen, indessen von dritter Seite eingereicht werden; je nach den konkreten Umständen kann auch hier die Gefahr der unzulässigen Beeinflussung entstehen (vgl. BGE 116 Ia 22 E. 7b; J.P. MÜLLER, a.a.O., S. 184 bzw. Rz. 23 zu Art. 57). Ferner kann auch offengelassen werden, ob die Tragweite der Petitionsfreiheit im Sinne der Anträge der Beschwerdeführerin über die Forderung der blossen Kenntnisnahme und Sanktionsfreiheit hinaus auf die Pflicht zur Beantwortung auszudehnen ist (vgl. schon BGE 98 Ia 489; J.P. MÜLLER, a.a.O., S. 181 bzw. Rz. 12 f. zu Art. 57). ![]() | 19 |
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