BGHSt 26, 201 - Abgrenzung Vorbereitung/Versuch | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher | |||
Zur Abgrenzung der Vorbereitung vom Versuch. |
StGB 1975 § 22 |
1. Strafsenat |
Urteil |
vom 16. September 1975 g.M.u.a. |
- 1 StR 264/75 - |
Landgericht Kempten |
Aus den Gründen: | |
Im Falle II 6 b hat die Strafkammer über den Beginn der Verwirklichung des Tatplans folgende Feststellungen getroffen:
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Die Mitangeklagten kamen in den Abendstunden zu der für den Überfall ausersehenen Tankstelle. Sie war nicht besetzt. Deshalb gingen die Mitangeklagten zu dem im Tankstellenbereich liegenden Wohnhaus. Vor der Haustür zogen sie die Strumpfmasken auf. Dann läutete der Mitangeklagte K. Er hatte die mitgeführte Pistole in der Hand. Die Mitangeklagten nahmen an, daß auf ihr Läuten der Tankwart, der Inhaber der Tankstelle oder eine andere Person erscheinen werde. Sogleich bei ihrem Erscheinen sollte die öffnende Person mit der Pistole bedroht, gefesselt und zur Ermöglichung und Duldung der Wegnahme genötigt werden. Auf das Läuten kam niemand. Auch das Klopfen an mehreren Fenstern blieb ohne Erfolg. Die Mitangeklagten gaben die Verwirklichung ihres Vorhabens auf, weil aus dem gegenüberliegenden Haus eine Frau heraussah und "sie glaubten, diese Frau könne sie entdecken".
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1. Nach § 43 Abs. 1 StGB a.F. begann der Versuch mit "Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung" der Straftat enthielten, auf deren Begehung der Vorsatz des Täters gerichtet war. Nach § 22 StGB fallen in das Versuchsstadium Handlungen, mit welchen der Täter "nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt". Beide Formulierungen lassen sich übereinstimmend interpretieren (vgl. LK 9. Aufl. § 43 Rn. 14 und 68; Welzel, Lehrbuch 11. Aufl. § 24 III). Die Rechtsprechung hat schon unter der Geltung des § 43 Abs. 1 StGB a.F. vielfach, wenn auch nicht ausschließlich, die "subjektive Lehre mit objektivem Einschlag" (LK a.a.O. Rn. 14), die "individuell-objektive Theorie" (Rudolphi in Syst.Komm. StGB § 22 Rn. 9; Welzel a.a.O. § 24 III 3), die andere als (subjektiv-objektiv) gemischte Methode bezeichnen (vgl. Dreher, StGB 35. Aufl. § 22 Anm. 5), vertreten (vgl. BGHSt 1, 115 [116]; 16, 34 [37]; 19, 350 [351]; 22, 80 [82]; 24, 72 [79]). Der objektive Bewertungsmaßstab auf subjektiver, im konkreten Tatvorsatz zu findender Beurteilungsgrundlage (vgl. Dreher a.a.O. Anm. 5 A; Lackner, StGB 9. Aufl. § 22 Anm. 1 b) dieser Theorie und des geltenden Rechts bezieht in den Bereich des Versuchs ein noch nicht tatbestandsmäßiges Verhalten ein, wenn es nach der Vorstellung des Täters der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals "unmittelbar vorgelagert" ist (Dreher a.a.O. Anm. 5 C; LK a.a.O. Rn. 68), in die tatbestandliche Ausführungshandlung unmittelbar "einmündet" (Rudolphi a.a.O.). In der Sache nicht anders verstand die Rechtsprechung schon bisher den Bewertungsmaßstab, wenn sie das Versuchsstadium auf Handlungen erstreckte, die "im ungestörten Fortgang unmittelbar" zur Tatbestandserfüllung führen sollten (vgl. BGH NJW 1952, 514 Nr. 24 und 1954, 567 Nr. 24; BGH GA 1953, 50; BGH, Urteil vom 3. November 1959 - 1 StR 393/59) oder wenn sie den Versuch mit Handlungen beginnen ließ, die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Tatbestandsverwirklichung standen (vgl. BGHSt 22, 81 [82]; BGH bei Dallinger MDR 1973,728).
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Die Bedeutung der Begriffsbestimmung des § 22 StGB n.F. liegt trotzdem nicht nur in der Anerkennung des Tatvorsatzes als alleiniger Beurteilungsgrundlage, also im Absehen von der "natürlichen Auffassung" des außenstehenden Beobachters (vgl. dazu BGHSt 2, 380 [381]; 9, 62 [64]; BGH GA 1953, 50; BGH NJW 1954, 567 Nr. 24) und in der Nichterwähnung des Gedankens der unmittelbaren Gefährdung des geschützten Rechtsguts (vgl. dazu BGHSt 9, 62 [64]; 20, 150 [151]; 22, 80 [82]; BGH bei Dallinger MDR 1973, 728), sondern auch und in erster Linie in der Billigung des von Welzel (vgl. a.a.O. § 24 III) entwickelten Bewertungsmaßstabs. In der strikten Anknüpfung des Unmittelbarkeitserfordernisses an die tatbestandsmäßige Handlung kann "ein Gewinn an Rechtssicherheit" liegen (vgl. Roxin JuS 1973, 329; Gössel GA 1971, 225, 227).
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2. Im Falle II 6 b bestätigt die "Ansatzformel" (so Roxin a.a.O.) die Ansicht des Tatgerichts. Die Mitangeklagten gingen davon aus, daß auf das Läuten hin eine Person erscheinen werde, gegen die sofort die Nötigungsmittel des Raubes eingesetzt werden könnten. In dieser Annahme standen sie maskiert und mit der Waffe in der Hand "auf dem Sprung". Sie hatten subjektiv die Schwelle zum "Jetzt geht es los" (vgl. Dreher a.a.O. Anm. 5 C) überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung angesetzt, weil ihr Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung (der Bedrohung des Erscheinenden mit der Pistole) einmünden sollte (eine zu enge, nach körperlichen Bewegungen aufspaltende Betrachtung wäre es, das Heben und Anlegen der Pistole als Zwischenakte anzusehen; so aber anscheinend Gössel a.a.O. S. 226).
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