BGHSt 41, 182 - Nötigung durch Straßenblockade | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Brian Valerius | |||
StGB § 240 Abs. 1 |
1. Strafsenat |
Urteil |
vom 20. Juli 1995 g.T. |
- 1 StR 126/95 - |
Landgericht Augsburg |
Aus den Gründen: | |
I. | |
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in Tateinheit mit Landfriedensbruch verurteilt.
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Nach den Feststellungen hat sich der Angeklagte gemeinsam mit einer größeren Anzahl gleichgesinnter Personen an der Blockade der A 8 (München-Stuttgart) beteiligt. Die Polizei hatte drei Omnibusse auf einem Rastplatz angehalten und nicht weiterfahren lassen. Daraufhin verteilten sich die Insassen dieser Busse auf die Fahrbahnen, stellten sich den herannahenden Fahrzeugen in den Weg und sperrten auf diese Weise den Verkehr. Dem Angeklagten war klar, daß hierdurch eine Vielzahl von Autofahrern an der Weiterfahrt gehindert wurde. Grund war der Unmut über das verwaltungsgerichtliche Verbot einer Kurdendemonstration in Augsburg.
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Der Angeklagte führte einen Kanister mit Benzin bei sich. Als ein Polizeibeamter den Kanister ergreifen wollte, suchte der Angeklagte Schutz in der Menge Gleichgesinnter, die durch Schlagen, Ziehen und Treten gegen mehrere Beamte versuchte, seine Festnahme zu verhindern. "Ermuntert und gestärkt durch die ihn tatkräftig unterstützende Menschenmenge" bespritzte der Angeklagte die Bekleidung von drei Beamten mit Benzin. Haare und Gesicht eines dieser Beamten wurden von zwei Spritzern getroffen. Gleiches tat eine weitere Person, und ein dritter Mann versuchte - wegen des Windes vergeblich - ein Feuerzeug zu entzünden. Das auf den Boden gelangte Benzin "entzündete sich durch Verpuffung", als die Beamten sich etwa fünf Meter entfernt hatten.
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II. | |
Der Schuldspruch ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Verurteilung wegen Nötigung hält auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 - 1 BvR 718 u.a. /89 - (NStZ 1995, 275) rechtlicher Überprüfung stand.
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a) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung der Verfassung haben bindende Wirkung für die Gerichte (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Gegenstand und Reichweite ergeben sich aus der Entscheidungsformel in Verbindung mit den tragenden Gründen (BVerfGE 1, 14, 37; vgl. auch Maunz/Bethke in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz § 31 Rdn. 16).
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b) Das Bundesverfassungsgericht hat in dem genannten Beschluß nicht entschieden, Sitzblockaden dürften nicht mehr als Nötigung durch Gewalt behandelt werden (so auch Krey JR 1995, 265, 267, 271). Mit Bindungswirkung entschieden ist (so der Leitsatz), daß "die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen ... gegen Art. 103 Abs. 2 GG (verstößt)". Was das bedeutet, erschließt sich aus den Gründen. Dort wird beanstandet, daß die Rechtsprechung bei Anwendung des § 240 StGB ("mit Gewalt ... nötigt") "auf die Kraftentfaltung ... so weitgehend verzichtet, daß ... bereits die körperliche Anwesenheit an einer Stelle, die ein anderer einnehmen oder passieren möchte, zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt genügt, falls der andere durch die Anwesenheit des Täters psychisch gehemmt wird, seinen Willen durchzusetzen" (NStZ 1995, 276). Damit wird zum einen der Verzicht auf - wesentliche - Kraftentfaltung des Täters angesprochen, zum anderen die - ausschließlich - psychische Einwirkung auf die beeinflußte Person. In die gleiche Richtung zielt der Hinweis im Zusammenhang mit den kritisierten Auswirkungen der bisherigen Rechtsprechung, daß von der notwendigen Bestimmtheit des Gesetzes und einer zulässigen Auslegung von Verfassungs wegen nicht mehr gedeckt sei "der Bereich, in dem die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist" (BVerfG a.a.O.).
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Maßgebend ist also, ob ein Fall zu beurteilen ist, dessen Gestaltung diese zwei Momente der nur körperlichen Anwesenheit und der nur psychischen Zwangswirkung aufweist. Dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall lag zugrunde, daß der Fahrer eines einzelnen Fahrzeugs dadurch an der Weiterfahrt gehindert wurde, daß sich fünf Personen auf die Fahrbahn setzten. Die dadurch erfolgte Einwirkung auf den Führer des Kraftfahrzeugs wurde vom Bundesverfassungsgericht als "nur psychisch" beurteilt. Offenbar ging es mit den Instanzgerichten davon aus, ein "physisches Hindernis" hätten die sitzenden Personen für das Fahrzeug nicht bedeutet, dessen Fahrer hätte - tatsächlich - die Durchfahrt erzwingen können. Es handelte sich um eine Situation des Könnens, aber - um den Preis schwerer Verletzungen - "Nicht-Dürfens" (vgl. Altvater, Anmerkung zur Entscheidung des BVerfG a.a.O. in NStZ 1995, 278, 281).
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Ein solcher Fall rein psychischer Zwangswirkung könnte im vorliegenden Fall gegeben sein bei den Kraftfahrern, welche die Gruppe der die Fahrbahn blockierenden Personen als erste erreichten und möglicherweise hätten durchbrechen können. Insoweit - und nur bezüglich dieser Fahrzeuge - wäre der Fall dem vergleichbar, welcher der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundelag.
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Der bedeutsame Unterschied beider Fallgestaltungen liegt darin, daß hier aber darüber hinaus der großen Zahl der nachfolgenden Kraftfahrer infolge des Verhaltens der Blockierer nicht zu beseitigende physische Hindernisse entgegenstanden in Form vor und hinter ihnen auf der Fahrbahn angehaltener Fahrzeuge - diese Fahrer konnten ihre Fahrt nicht fortsetzen, selbst wenn psychischer Zwang sie nicht beeindruckt haben würde. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotene Einschränkung, daß allein psychischer Zwang als Folge bloßer Anwesenheit den Anforderungen an den Begriff der Gewalt nicht genüge, trifft die vorliegende Fallgestaltung somit nicht.
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c) Der Senat ist der Auffassung, daß auch geringer körperlicher Aufwand - dazu gehören das Sich-Hinsetzen oder das Sich-auf-die Fahrbahn-Begeben - den Anforderungen an den Gewaltbegriff genügen kann, wenn seine Auswirkungen den Bereich des rein Psychischen verlassen und (auch) physisch wirkend sich als körperlicher Zwang darstellen (ähnlich Krey JR 1995, 265, 270).
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Eine Korrektur der Rechtsprechung zum Gewaltbegriff allein an der Tathandlung, am Merkmal der körperlichen Kraftentfaltung, ist danach weder geboten noch auch nur sinnvoll: So besteht kein Anlaß, etwa die Nötigung im Straßenverkehr mittels Kraftwagen mehr einzuschränken, als das bisher der Fall war (vgl. BGH, Urt. vom 30. März 1995 - 4 StR 725/94). Auch Nötigung durch Ein- oder Ausschließen, also z.B. durch Abschließen mittels eines Schlüssels oder Zuziehen einer selbstschließenden Türe, erfordert nur minimale Kraft, ohne daß eine Änderung in der Beurteilung der Strafbarkeit wegen Nötigung durch Gewalt veranlaßt wäre. Eine Entscheidung allein am Maß des Kraftaufwandes (Zünden einer Explosion mittels Knopfdrucks; Blockade der BAB durch Ausrollenlassen von Pkw) verbietet sich. Maßgebend für die Unvereinbarkeit mit der Verfassung ist vielmehr - (auch) nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -, daß im konkreten Fall wegen des geringen Kraftaufwandes die Zwangswirkung auf die beeinflußte Person "nur psychischer Natur" ist.
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Strafbare Nötigung durch Gewalt kann demnach vorliegen, wenn der Einfluß auf die Opfer bei nur geringem körperlichen Aufwand dergestalt physischer Art ist, daß die beabsichtigte Fortbewegung durch tatsächlich nicht überwindbare Hindernisse unterbunden wird.
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d) Der Verurteilung wegen Nötigung steht nicht entgegen, daß die die Straße versperrenden Personen nicht selbst mit eigener Hand (oder eigenem Körper) in unmittelbarem Kontakt auf die nachfolgenden Kraftfahrer eingewirkt haben. Die physische Sperrwirkung der von ihnen zuerst angehaltenen Fahrzeuge auf die Nachfolgenden ist ihnen zuzurechnen. Denn Nötigung ist weder ein eigenhändiges Delikt noch verlangt es die unmittelbare Begegnung von Täter und Opfer. Der angestrebte Erfolg kann auch dadurch erreicht werden, daß sich der Täter einer Sache oder einer Person bedient, um dem zu Nötigenden ein physisches Hindernis zu bereiten. Auf welche Weise er das tut, spielt im Verhältnis zu dem in der Fortbewegung gehemmten Adressaten keine Rolle. So können - etwa - die auf einem Parkplatz sich befindenden Kraftfahrzeugführer dadurch genötigt werden, daß der Täter ein in der Ausfahrt stehendes Fahrzeug auf irgendeine Art fahrunfähig und dadurch die Ausfahrt unpassierbar macht. Möglich wäre auch, daß der Täter den Führer eines Fahrzeugs durch Bedrohung zum Anhalten zwingt und dadurch den nachfolgenden Verkehrsteilnehmern ein physisches Hindernis absichtlich bereitet; der erste Führer wäre dann durch Drohung, die folgenden - die von der Drohung möglicherweise nichts wissen - wären durch physischen Zwang genötigt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Instrumentalisierung des ersten als Hindernis für sich strafbar oder straflos ist. Ausschlaggebend ist allein die vom Täter bezweckte physische Wirkung auf den oder die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer.
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Hier benutzten die Täter die von ihnen (möglicherweise nur) durch psychischen Zwang angehaltenen Wagen als Mittel zur Bildung einer Barriere. Gerade dieser Aufbau von tatsächlich nicht mehr zu überwindenden Hindernissen entsprach den Vorstellungen der Täter als der notwendigen und gewollten Folge ihres Verhaltens.
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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 erfordert keine Korrektur der Rechtsprechung zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt, soweit die direkte physische Auswirkung einer Blockade auf nachfolgende Kraftfahrer in Rede steht. Der Fall eines zwischengeschalteten, nach eigenem Ermessen handelnden Dritten (BGHSt 37, 350; vgl. auch Altvater a.a.O. S. 281 f.: Fernwirkung von Sitzblockaden) ist nicht zu entscheiden.
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Maßgebend ist, daß die Gewaltanwendung ursächlich zu dem vom Täter angestrebten Verhalten des Opfers führt. Dabei genügt allerdings nicht jede Verknüpfung zwischen Tathandlung und Nötigungserfolg. Der für eine Nötigung mit Gewalt erforderliche spezifische Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung (Bereiten eines Hindernisses) und dem Nötigungserfolg (Unmöglichkeit der Fortbewegung für nachfolgende Kraftfahrer) muß gewahrt sein (BGHSt a.a.O. S. 354). Das ist jedenfalls im Rahmen eines einheitlichen Verkehrsstaus nicht zweifelhaft. Hier setzte sich der gegenüber den ersten Kraftfahrern ausgeübte Zwang unmittelbar in physische Hindernisse um. Diese Personen und ihre Fahrzeuge wurden bewußt als Werkzeug zur tatsächlichen Behinderung der Nachfolgenden benutzt. Für diese Kraftfahrer war damit das ihnen entgegenstehende von den Blockierern bewirkte Hindernis die unmittelbare Folge des Verhaltens der Täter und wurde von den Betroffenen auch so empfunden.
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