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Bearbeitung, zuletzt am 29.05.2020, durch: A. Tschentscher, Jens Krüger | |||
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Beschluß |
des Ersten Senats vom 17. Februar 1965 |
- 1 BvR 732/64 - |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Evangelischen Kirchengemeinde ..., vertreten durch den Kirchenvorstand, - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt ... -- gegen 1. den Teilungsbeschluß der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 4. März 1963, 2. das Urteil des Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Darmstadt vom 26. November 1964 -- II 2/63. |
ENTSCHEIDUNGSFORMEL: |
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. |
Gründe: | |
I. | |
Die Beschwerdeführerin ist eine zur Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gehörende Kirchengemeinde. Am 4. März 1963 beschloß die Kirchenleitung dieser Kirche, die Kirchengemeinde zu teilen und aus den nördlich der Bahnlinie Frankfurt/ Main-Frankfurt/Main-Höchst wohnenden Mitgliedern eine neue Kirchengemeinde zu bilden. Durch Urteil vom 26. November 1964 - II 2/63 - hat das Kirchliche Verfassungs- und Verwaltungsgericht die von der Beschwerdeführerin gegen diesen Beschluß eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. ![]() | 1 |
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Die Beschwerdeführerin hat den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt; durch den für 1. Januar 1965 vorgesehenen Vollzug der Teilung werde ihre Existenz gefährdet, auch seien schwere Nachteile zu befürchten.
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II. | |
Eine Verfassungsbeschwerde kann nach § 90 Abs. 1 BVerfGG nur wegen Grundrechtsverletzungen durch die "öffentliche Gewalt" erhoben werden. Öffentliche Gewalt im Sinne dieser Vorschrift umfaßt nicht rein innerkirchliche Maßnahmen.
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1. Nach dem kirchenpolitischen System des Grundgesetzes besteht keine Staatskirche. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV). Damit erkennt der Staat die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstbestimmung an, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten. Die Folge ist, daß der Staat in ihre inneren Verhältnisse nicht eingreifen darf.
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Diese Eigenständigkeit der Kirchen wird nicht durch ihren Charakter als Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) in Frage gestellt. Angesichts der religiösen und konfessionellen Neutralität des Staates nach dem Grundgesetz bedeutet diese zusammenfassende Kennzeichnung der Rechtsstellung der Kirchen keine Gleichstellung mit ![]() ![]() | 6 |
2. Die Frage, ob eine kirchliche Maßnahme dem innerkirchlichen Bereich zuzurechnen ist oder sich auf vom Staat verliehene Befugnisse gründet oder den staatlichen Bereich berührt, entscheidet sich - soweit nicht eine Vereinbarung zwischen Kirche und Staat erfolgt ist - danach, was materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheit der Kirche anzusehen ist. Ist die Kirche nur im Bereich ihrer innerkirchlichen Angelegenheiten tätig geworden, dann liegt kein Akt der öffentlichen Gewalt vor, gegen den der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde gegeben sein könnte. Die von der Verfassung anerkannte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt würde geschmälert werden, wenn der Staat seinen Gerichten das Recht einräumen würde, innerkirchliche Maßnahmen, die im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Rechtswir ![]() ![]() | 7 |
3. Das angefochtene Urteil des Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts, das den Teilungsbeschluß der Kirchenleitung zum Gegenstand hat, entscheidet nur einen Streit im Bereich der inneren kirchlichen Angelegenheiten. Die Errichtung und Umgrenzung von kirchlichen Unterverbänden, wie sie § 14 der hessen-nassauischen Kirchengemeindeordnung vom 25. März 1954 (ABlEKD 1954 S. 204) vorsieht, gehören zu diesem Bereich, weil sie Fragen der Verfassung und der Organisation der Kirchen betreffen. Ob diese Regelung gegen das Gemeindeprinzip der Evangelischen Kirche verstößt, ist eine kirchenverfassungsrechtliche Frage, die der Selbstbestimmung der Kirche unterliegt, mithin der Prüfung am Maßstab staatlichen Rechts und damit der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen ist. Art. 4 des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. Februar 1960 (Hess. GVBl. S. 54) sieht zwar vor, daß Beschlüsse über die Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden und aus ihnen gebildeten Verbänden dem Kultusminister mitzuteilen sind und daß ihm eine Ausfertigung der Organisationsurkunde vorzulegen ist. Diese Beteiligung des Staates begründet aber keinerlei Einfluß der staatlichen Behörden; vor allem ist kein Einspruchsrecht des Kultusministers oder der Landesregierung vorgesehen. Abgesehen davon beruht diese Pflicht zur Mitteilung auf einer freiwilligen Vereinbarung zwischen Kirche und Staat. Deshalb wird das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht eingeengt.
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4. Da es sich aus diesen Gründen bei dem angefochtenen Urteil des Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts nicht um die Ausübung von öffentlicher Gewalt im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG handelt, ist die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil unzulässig. Damit ist der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos. ![]() | 9 |
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