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Bearbeitung, zuletzt am 05.04.2022, durch: A. Tschentscher, Johannes Rux | |||
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2. Die analoge Heranziehung einer Vorschrift als materiell-gesetzliche Grundlage für eine Freiheitsentziehung entspricht nicht den Erfordernissen der Art. 2 Abs. 2 Satz 3 und 104 Abs. 1 GG. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 13. Oktober 1970 |
- 1 BvR 226/70 - |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Bankversicherungskaufmanns Rolf-Günter D ... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Freiherr von Lepel, Hannover, Hohenzollernstraße 6 - gegen a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 3. April 1970 - Ars 28/70 Ausl. (B) II -, b) den Beschluß des Oberlandesgerichts Celle vom 18. August 1970 - Ars 28/70 Ausl. (B) II -, mittelbar gegen das Gesetz zu den Verträgen vom 22. September 1958 über die Auslieferung und über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 21. April 1960 (BGBl. II S. 1341), soweit darin dem Art. 22 Abs. 2 des Vertrages vom 22. September 1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und er Republik Österreich über die Auslieferung (BGBl. 1960 II S. 1342) zugestimmt wird.![]() |
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Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen. |
Gründe: | |
A. - I. | |
Der Beschwerdeführer, der deutscher Staatsangehöriger ist und in Österreich rechtskräftig zu sechs Jahren schweren Kerkers verurteilt wurde, wehrt sich gegen seine Übergabe an die österreichischen Strafverfolgungsbehörden. Er war zuvor von Österreich an die Bundesrepublik Deutschland vorläufig und unter der Bedingung späterer Rückführung ausgeliefert worden, damit zwei in Deutschland anhängige Strafverfahren abgeschlossen werden konnten.
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Die Möglichkeit einer vorläufigen Auslieferung mit späterer Rücklieferung ist im deutsch-österreichischen Auslieferungsvertrag vom 22. September 1958 (BGBl. 1960 II S. 1342) - im folgenden: Auslieferungsvertrag - vorgesehen. Art. 22 dieses Vertrages, dem die gesetzgebenden Körperschaften durch das Gesetz vom 21. April 1960 (BGBl. II S. 1341) zugestimmt haben, lautet:
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Artikel 22 Aufschub der Übergabe | 3 |
(1) Der ersuchte Staat kann die Übergabe der auszuliefernden Person aufschieben, um sie wegen einer anderen gerichtlich strafbaren Handlung zu verfolgen oder an ihr eine Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung zu vollstrecken.
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(2) Wird die Übergabe aufgeschoben, so kann der ersuchte Staat die auszuliefernde Person dem ersuchenden Staat zeitweilig zur Durchführung bestimmter Prozeßhandlungen, insbesondere der Hauptverhandlung übergeben. Nach Durchführung dieser Prozeßhandlungen gibt der ersuchende Staat die Person ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit dem ersuchten Staat zurück.
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In anderen Rechtsvorschriften werden - von weiteren Auslieferungsverträgen und vom Europäischen Auslieferungsüber ![]() ![]() | 6 |
§ 54
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Hat eine ausländische Regierung bei der Bewilligung von Rechtshilfe in Strafsachen die Verwertung der Rechtshilfe an eine Bedingung geknüpft, so ist die Bedingung im inländischen Verfahren zu beachten.
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II. | |
Zwei in Deutschland gegen den Beschwerdeführer anhängige Strafverfahren, in denen Haftbefehle erlassen waren, konnten nicht abgeschlossen werden, da sich der Beschwerdeführer seit mehreren Jahren in Österreich aufhielt. Auf ein Ersuchen des Niedersächsischen Ministers der Justiz wurde er zeitweilig und unter der Bedingung späterer Rücklieferung nach Deutschland ausgeliefert; der Minister hatte die Rücklieferung zugesagt. In den beiden deutschen Strafverfahren wurde er freigesprochen. Das Oberlandesgericht Celle ordnete am 5. März 1970 durch einen auf § 10 DAG und Art. 22 Abs. 2 des Auslieferungsvertrages gestützten Haftbefehl die "Auslieferungshaft zum Zwecke der Rücklieferung in die Republik Österreich" an. Einwendungen des Beschwerdeführers gegen den Haftbefehl und gegen die Zulässigkeit ![]() ![]() | 9 |
III. | |
Mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß vom 3. April 1970 rügt der Beschwerdeführer Verletzung seines Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG, mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß vom 18. August 1970 außerdem Verletzung des Art. 104 GG. Er macht geltend: Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG gewähre zum Schutze des Einzelnen ein Grundrecht. Beeinträchtigungen seien daher vom Standpunkt des Betroffenen aus zu beurteilen. Für diesen wirkten sich Auslieferung und Rücklieferung aber in derselben Weise als Übergabe zur Strafverfolgung oder -vollstreckung an einen ausländischen Staat aus. Das verstoße nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 10, 136 ff.) gegen Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Haftbefehl und die Haftfortdauerbeschlüsse entbehrten einer gesetzlichen Grundlage und verstießen gegen Art. 104 Abs. 1 GG. Die Haftanordnung müsse auch deshalb aufgehoben werden, weil die Haft länger als 6 Monate dauere. Im übrigen habe das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer vor der Entscheidung vom 18. August 1970 nicht angehört.
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IV. | |
1. Der Bundesminister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG setze voraus, daß der deutsche Staat Hoheitsgewalt über den Betroffenen ausübe. ![]() ![]() | 11 |
2. Auch der Niedersächsische Minister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG werde nicht verletzt, weil durch die vorläufige Auslieferung kein vollständiger Wechsel der Strafgewalt eintrete und der ausländische Staat durch die Rücklieferung nicht mehr Recht und Gewalt erlange, als er vorher gehabt habe. Grundlage des Haftbefehls sei Art. 22 Abs. 2 des Auslieferungsvertrages jedenfalls dann, wenn der Betroffene den deutschen Behörden schon als Strafgefangener übergeben worden sei. Das Verfahren lasse sich ohne Schwierig ![]() ![]() | 12 |
B. | |
Die jeweils rechtzeitig gegen die Beschlüsse vom 3. April und 18. August 1970 erhobenen Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Insbesondere wird der Beschwerdeführer auch nach dem Haftfortdauerbeschluß vom 18. August 1970 noch durch den Beschluß vom 3. April 1970 beschwert. Grundlage der von ihm gerügten Freiheitsentziehung ist nach wie vor der Haftbefehl. Diesen konnte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf das Subsidiaritätsprinzip durch Verfassungsbeschwerde erst anfechten, nachdem er versucht hatte, die von ihm behauptete Grundrechtsbeeinträchtigung auf andere Weise zu beseitigen (vgl. BVerfGE 22, 287 [290 f.]). Das hat er mit den von ihm erhobenen Einwendungen, die im Beschluß vom 3. April 1970 zurückgewiesen worden sind, erfolglos versucht. Die vom Haftbefehl verursachte und noch fortdauernde Beschwer kann der Beschwerdeführer daher nur mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß vom 3. April 1970 angreifen.
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C. | |
Die Verfassungsbeschwerden sind jedoch unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen verletzen weder die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 und 2 GG noch andere Grundrechte.
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I. | |
1. Die angefochtenen Entscheidungen berühren unmittelbar den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Oberlandesgericht hat die vom Beschwerdeführer erhobenen Einwendungen nicht mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Rücklieferung mit der Verfassung vereinbar sei, sondern weil die vertraglich vorgesehene und im konkreten Fall der Republik Österreich zuge ![]() ![]() | 15 |
2. a) Für die Frage, ob die "Rücklieferung" als "Auslieferung" im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG zu behandeln und daher unzulässig ist, läßt sich weder aus dem Wortlaut der Verfassungsbestimmung noch aus ihrem systematischen Zusammenhang mit anderen Normen noch aus der Entstehungsgeschichte etwas gewinnen.
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Art. 16 GG enthält keine Begriffsbestimmung für die Auslieferung und beschreibt auch nicht den Vorgang, der als Auslieferung verstanden werden soll. Die Zusammenfassung mit Staatsangehörigkeits- und Asylfragen in demselben Artikel läßt wohl den Schluß zu, daß deutsche Bürger in ihrem staatsbürgerlichen Status und gegenüber Verfolgung im Ausland besonders geschützt werden sollten; der Umfang der Schutznorm im einzelnen läßt sich diesem Zusammenhang aber ebensowenig entnehmen wie dem Zusammenhang mit anderen Grundrechtsnormen.
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Dasselbe gilt hinsichtlich der Entstehungsgeschichte. Im Verlauf der Beratungen des Parlamentarischen Rates wurde die Fassung des Auslieferungsverbots mehrfach erörtert und geändert. Die Diskussionen betrafen aber inhaltlich nur die Fragen, was als Ausland anzusehen sei, ob auch das Verbot der Ausweisung aufzunehmen sei und ob besonders erwähnt werden solle, daß nur die ![]() ![]() | 18 |
b) Die Aufnahme des nicht näher erläuterten Begriffs der Auslieferung in das Grundgesetz könnte darauf hindeuten, daß der Verfassunggeber einen in der Weimarer Verfassung oder im historisch gewachsenen Rechtssystem vorgeformten und feststehenden Begriff vorgefunden und verwendet habe. Die Auslegung hätte sich dann möglicherweise an den vorgefundenen Begriffsinhalt zu halten (BVerfGE 3, 407 [415]; 2, 380 [402]). Hinsichtlich der Einbeziehung der Rücklieferung trifft diese Annahme jedoch nicht zu.
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Die Behandlung der Rücklieferung in Literatur und Praxis war schon vor dem Ersten Weltkrieg streitig. Das änderte sich auch nicht unter der Geltung des Art. 112 Abs. 3 WRV, der es verbot, einen Deutschen einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung zu "überliefern". Praxis und Literatur hielten die Rücklieferung weitgehend für unvereinbar mit dieser Verfassungsbestimmung (vgl. zur Entwicklung der Streitfrage im einzelnen RGSt 65, 374 [382 ff.]). Auch der Gesetzgeber des Auslieferungsgesetzes ging hiervon aus; er lehnte den Vorschlag der Reichsregierung, § 54 DAG mit verfassungsändernder Mehrheit zu beschließen und dadurch eine Ermächtigung für die Rücklieferung Deutscher zu schaffen, ausdrücklich ab (RGSt, a.a.O., S. 384 f.; Mettgenberg-Doerner, Deutsches Auslieferungsgesetz, 2. Aufl., 1953, S. 32 ff.). Erst das Reichsgericht entschied mit Beschluß vom 31. Oktober 1931 (RGSt 65, 374 ff.), daß die Rücklieferung eines Deutschen dem Art. 112 Abs. 3 WRV nicht widerspreche, weil es an der für eine Auslieferung begriffsnotwendigen und im Wortlaut des Art. 112 WRV zum Ausdruck gekommenen Zweckbestimmung fehle, mit der Überlieferung des Verfolgten ein fremdes Strafverfahren zu fördern.
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Auch nach dieser Entscheidung blieb die Frage umstritten. Nach dem Zweiten Weltkrieg - und besonders nach Inkrafttreten des Grundgesetzes - herrschte zunächst die Meinung vor, daß die Rücklieferung eines Deutschen das Auslieferungsverbot verletze. ![]() ![]() | 21 |
3. Nach alledem kann die Auslegung des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG hinsichtlich der Rücklieferung nicht an einen bei Schaffung der Norm feststehenden und überlieferten Rechtsbegriff der Auslieferung anknüpfen. Sie muß vielmehr von einer vergleichenden Betrachtung der beiden zu beurteilenden Lebensvorgänge "Auslieferung" und "Rücklieferung" ausgehen und sodann Sinn und Zweck des Auslieferungsverbots berücksichtigen. ![]() | 22 |
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Der Gesichtspunkt der einheitlichen Betrachtung des Gesamtvorganges lag offensichtlich, wenn auch nicht ausdrücklich erörtert, schon der Entscheidung des Reichsgerichts (RGSt 65, 374 ff.) zugrunde, wenn das Reichsgericht für die Rücklieferung die auf Förderung eines fremden Verfahrens zielende Zweckrichtung vermißte, weil die Förderung des fremden Verfahrens nur notwendige Folge, nicht aber beabsichtigter Zweck der Rücklieferung sei. Klargestellt werden muß nur, daß - sofern es auf den Vergleich der Zweckbestimmungen ankommt - nicht der Zweck der Rücklieferung, sondern der des Gesamtvorganges maßgebend ist.
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Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt die Relevanz dieses Gesamtvorganges zum Ausdruck, indem aus der Sachlage vor der vorläufigen Auslieferung der Schluß gezogen wird, daß der Betroffene durch die Zusicherung der Rücklieferung nicht schlechter gestellt und daher nicht verfassungsrechtlich beeinträchtigt werde (BGHSt 5, 396 [405 f.]).
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b) Inhalt und Zweck des Auslieferungsverbots stehen der Rücklieferung, die nur eine Folge der vorläufigen Überstellung ist, nicht entgegen. Das Auslieferungsverbot beruht seinem Grundgedanken nach auf dem Recht jedes Staatsbürgers, sich in seinem Heimatland aufhalten zu dürfen, und auf der Verpflichtung dieses ![]() ![]() | 26 |
Die älteren wie die neueren Vorschriften geben selbst keinen Aufschluß über das Motiv für ihre Entstehung. Ihr Zweck ist es aber nicht, den Betroffenen einer gerechten Bestrafung zu entziehen, sondern ihn - soweit er im Staatsgebiet lebt - vor den Unsicherheiten einer Aburteilung unter einem ihm fremden Rechtssystem und in für ihn schwer durchschaubaren fremden Verhältnissen zu bewahren. Weitergehende Folgerungen, wie etwa die Inanspruchnahme ausschließlich deutscher Strafgewalt für Straftaten Deutscher im Ausland, werden aus dem Auslieferungsverbot nicht gezogen.
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Sinn des Auslieferungsverbots ist es insbesondere nicht, die eigene deutsche Strafverfolgung zu erschweren. Darauf aber liefe es hinaus, wenn die Rücklieferung unzulässig wäre. Auslieferung wird nicht in Bagatellfällen, sondern nur in Fällen von einiger Bedeutung verlangt. Vorläufige Auslieferung mit anschließender Rücklieferung kommt nur in Betracht, wenn auch im Ausland eine erhebliche Strafe gegen den Verfolgten zu erwarten oder schon verhängt ist. Gerade in Fällen von schwerer Kriminalität bestünde bei einem Verzicht auf die zeitweilige Überstellung Gefahr, daß sie später nicht mehr aufzuklären wären. Dieser Gesichtspunkt könnte zwar nicht dazu führen, ein dem Umfang nach feststehendes Auslieferungsverbot einzuschränken. Er kann aber herangezogen werden, um einen allein aus sich heraus nicht scharf abzugrenzenden verfassungsrechtlichen Begriff wie die Auslieferung unter Berücksichtigung des Systems und des übrigen In ![]() ![]() | 28 |
Demgegenüber büßt der Betroffene durch die vorläufige Auslieferung nichts von seinem Schutzanspruch gegen seinen Heimatstaat ein. Wäre die Rücklieferung unzulässig, wäre er der ausländischen Gerichtsgewalt in demselben Maße unterworfen. Nur die deutsche Strafrechtspflege wäre möglicherweise gefährdet, weil das Strafverfahren in vielen Fällen nicht zur Klärung führen könnte. Weder eine allgemeine vertragliche Vereinbarung mit einem anderen Staat noch das Ersuchen um vorläufige Auslieferung gegen spätere Rücklieferung, noch die Ausführung dieser Rücklieferung verstoßen daher gegen Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG.
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Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der vom Beschwerdeführer angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 10, 136 ff.). Im damaligen Fall befand sich der Betroffene noch nicht im Hoheitsbereich des ihn verfolgenden österreichischen Staates. Die Bundesrepublik Deutschland durfte daher nicht daran mitwirken, ihn dieser Hoheitsgewalt zu überliefern. Im vorliegenden Falle war der Beschwerdeführer dagegen rechtskräftig in Österreich verurteilt; er befand sich auch vor der Überstellung in österreichischer Hoheitsgewalt.
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II. | |
Die Rücklieferung verstößt auch nicht gegen Art. 11 GG, wie in der Literatur zum Teil angenommen wird (vgl. H. Meyer, JZ 1956, S. 6 [8, 10 f.]; Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O., Art. 11, Rdnr. 93).
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Ob Art. 11 GG überhaupt allgemein ein umfassendes Recht für einen Deutschen auf beliebigen Aufenthalt im Bundesgebiet und zugleich Schutz vor jeder zwangsweisen Verbringung aus dem Bundesgebiet gewährleistet, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn dies grundsätzlich zum Inhalt der Freizügigkeit gehörte, wäre ein Deutscher dadurch nicht vor der Rücklieferung geschützt. ![]() ![]() | 32 |
III. | |
Der Haftbefehl und die angefochtenen Haftfortdauerbeschlüsse verletzen weiterhin nicht die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 GG.
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1. Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG bereits enthaltenen Gesetzesvorbehalt für eine Freiheitsbeschränkung wieder auf und verstärkt ihn durch das Erfordernis eines "förmlichen" Gesetzes und durch die Forderung nach Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen. Jede Freiheitsbeschränkung bedarf also einer materiell- gesetzlichen Grundlage (BVerfGE 2, 118 [119]).
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a) Die angefochtenen Beschlüsse lassen ihrem Wortlaut nach nicht erkennen, ob sie § 10 DAG, auf den der Haftbefehl gestützt ist, unmittelbar oder analog anwenden wollen. In Betracht käme aber nur eine analoge Anwendung (BGHSt 22, 58 [65 f.]). Zwar war dem Gesetzgeber des Auslieferungsgesetzes das Institut der vorläufigen Auslieferung bekannt, wie sich aus den Erörterungen um den jetzigen § 54 DAG ergibt. Das ändert aber nichts daran, daß der Erste Abschnitt des Auslieferungsgesetzes seinem klaren Wortlaut nach nur für die Auslieferung von Ausländern aus Deutschland an das Ausland sowie teilweise für die Durchlieferung gilt, so daß sich die unmittelbare Anwendung des § 10 und des § 30 DAG auf Rücklieferungsfälle verbietet.
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Die hiernach vorauszusetzende analoge Anwendung des § 10 DAG genügt den Anforderungen des Art. 104 Abs. 1 GG jedoch nicht. Aus der Verschärfung des schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalts durch Art. 104 Abs. 1 GG, der noch unterstützt wird durch die formalen Garantien in Art. 104 Abs. 2 GG, ist zu entnehmen, daß es dem Grundgesetz im Bereich der Freiheitsentziehungen auf eine besonders rechtsstaatliche, ![]() ![]() | 36 |
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Weder § 10 noch § 30 DAG kommen daher als gesetzliche Grundlage für die Rücklieferungshaft in Betracht.
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b) Auch § 54 DAG scheidet insoweit aus. Ob seiner Anwendung schon sein Wortlaut entgegensteht, der nur die Erfüllung von Bedingungen bei der Verwertung der Rechtshilfe im inländischen Verfahren verlangt, mag dahinstehen. § 54 DAG läßt hinsichtlich einer Freiheitsentziehung aber jegliche, gerade für einen solchen Eingriff erforderliche Bestimmtheit vermissen. Die pauschale Anordnung, jede ausländische Bedingung zu erfüllen, würde zudem die Festsetzung der Voraussetzungen für die Haft praktisch einer ausländischen Behörde überlassen.
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c) Dagegen reicht für vorläufige Auslieferungen mit anschließender Rücklieferung und Haftanordnungen im Verkehr mit Österreich die durch das Zustimmungsgesetz zum innerstaatlichen Recht gewordene Bestimmung in Art. 22 Abs. 2 des Auslieferungsvertrages aus. Zwar ist auch hierin eine Freiheitsentziehung durch Haft nicht ausdrücklich vorgesehen. Die Rückgabeverpflichtung schließt aber notwendig die Ermächtigung zur Haftanordnung ein, da sie sonst in den Fällen, in denen der Betroffene sich der Rücklieferung widersetzt, nicht zu verwirklichen wäre. Dies war ![]() ![]() | 40 |
2. Art. 104 Abs. 2 GG verlangt für jede Freiheitsentziehung die Entscheidung eines Richters und eine gesetzliche Regelung für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung.
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Eine ausdrückliche Regelung des gerichtlichen Verfahrens für die Rücklieferung gibt es bisher nicht. Das Oberlandesgericht hat deshalb auch für die Verfahrensgestaltung das Auslieferungsgesetz analog angewendet. Anders als gegenüber analoger Heranziehung materiell-rechtlicher Normen für die Freiheitsentziehung sind Einwendungen gegen diese Handhabung nicht zu erheben. Im Bereich des Art. 104 Abs. 1 GG verfolgt das Analogieverbot den Zweck, den Betroffenen gegen nicht voraussehbare Freiheitsentziehungen zu sichern. Zweck des Art. 104 Abs. 2 GG ist die Sicherung richterlicher Kontrolle. Diese Sicherung wird in hinreichender Weise auch durch analoge Heranziehung von Verfahrensnormen erreicht, die eine richterliche Kontrolle gewährleisten (vgl. BVerfGE 10, 302 [329]). Soweit die Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Art. 104 Abs. 2 GG rügt, ist sie daher unbegründet.
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IV. | |
Schließlich sind auch die weiteren Rügen des Beschwerdeführers teils unzulässig, teils unbegründet.
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1. Mit der Rüge mangelnder Anhörung vor dem Beschluß vom 18. August 1970 will der Beschwerdeführer offenbar eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG geltend machen. Er hat jedoch nicht dargelegt, was er bei rechtzeitiger Anhörung vorgebracht hätte und daß der angefochtene Beschluß gerade auf der Nichtbeachtung dieses unterbliebenen Vorbringens beruht. Eine solche Rüge ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig (BVerfGE 28, 17 f.).
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2. Die Einwendungen gegen die Dauer der Haft sind unbegründet. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Vorschrift ![]() ![]() | 45 |
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