BVerfGE 36, 139 - Wahlrecht Auslandsdeutscher | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 11.06.2020, durch: Fabian Beer, A. Tschentscher | |||
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 23. Oktober 1973 gemäß § 24 BVerfGG |
-- 2 BvC 3/73 -- |
in dem Verfahren über die Beschwerde a) des Herrn Dr. Joachim R ..., b) der Frau Leonie R ..., c) des Herrn Marc R... -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Volker Charbonnier, Köln 80, Andreas-Gryphius-Straße 7 -- gegen den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. Juni 1973 (Drucks. 7/704) wegen Einspruchs gegen die Gültigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag vom 19. November 1972. |
ENTSCHEIDUNGSFORMEL: |
Die Wahlprüfungsbeschwerde wird verworfen. |
Gründe: | |
A. | |
1. Die Beschwerdeführer sind Bürger der Bundesrepublik, die seit Jahren im Ausland leben. Sie haben Einspruch gegen die Gül-tigkeit der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag mit der Begründung eingelegt, sie seien durch § 12 Abs. 1 Nr. 1 des Bundeswahlgesetzes i. d. F. vom 7. Juli 1972 (BGBl. I S. 1101 -- BWahlG --) von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen gewesen, obwohl Art. 38 GG ihnen das Wahlrecht garantiere. § 12 Abs. 1 lautet in seinem hier in Betracht kommenden Teil:
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Wahlberechtigt sind alle Deutschen im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die am Wahltage
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1. ...
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2. seit mindestens drei Monaten ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Wahlgebiet haben und
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3. ...
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Der Deutsche Bundstag hat den Einspruch durch Beschluß vom 14. Juni 1973 zurückgewiesen. Die Gültigkeit oder Zweckmäßigkeit bestehender gesetzlicher Bestimmungen könne vom Bundestag im Rahmen eines Wahlprüfungsverfahrens nicht nachgeprüft werden. Dies sei ausschließlich Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. § 12 Abs. 1 BWahlG genüge nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 38 Abs. 1 GG.
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2. Gegen diesen Beschluß haben die Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben und mehr als hundert Beitrittserklärungen von Auslandsdeutschen beigefügt. Die Beschwerde wird im wesentlichen wie folgt begründet:
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§ 12 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG schränke das in Art. 38 GG allen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland garantierte Wahlrecht unzulässig ein. Da die Auslandsdeutschen vom Bundestag repräsentiert würden und wehrpflichtig seien, müsse ihnen auch das Wahlrecht eingeräumt werden. Ein Ausschluß vom Wahlrecht sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur aus zwingenden Gründen zulässig. Es sei kein anerkennenswerter Grund dafür ersichtlich, daß die Regelung des § 12 Abs. 2 BWahlG zugunsten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes und ihres Hauspersonals nicht auch allen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland ohne Wohnsitz im Inland zugute komme. Das da frühere Reichswahlgesetz in Übereinstimmung mit Art. 22 WRV das Wahlrecht nicht an einem Inlandswohnsitz geknüpft habe, hätte eine darüber hinausgehende Einschränkung in Art. 38 GG selbst ihren Ausdruck finden müssen.
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B. - I. | |
Die Zulässigkeit der Wahlprüfungsbeschwerde kann dahingestellt bleiben, weil die Entscheidung nach § 24 BVerfGG ergeht.
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II. | |
Die Beschwerde ist unbegründet.
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1. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG), der durch die von den Beschwerdeführern beanstandete Norm berührt sein könnte, untersagt den unberechtigten Ausschluß von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl überhaupt. Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen (BVerfGE 15, 165 [166 f.]). Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ist -- ebenso wie der Grundsatz der Gleichheit der Wahl -- ein Anwendungsfall des Art. 3 GG. Er unterscheidet sich von dem allgemeinen Gleichheitssatz durch seinen formalen Charakter und fordert, daß jeder sein staatsbürgerliches Recht zum Wählen in formal möglichst gleicher Weise ausüben kann. Diese Formalisierung im Bereich des Wahlrechts ist allerdings nicht von einem Verbot jeglicher Differenzierung verbunden. Begrenzungen der Allgemeinheit der Wahl sind zulässig, sofern für sie ein zwingender Grund besteht (BVerfGE 28, 220 [225]).
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2. So ist es etwa von jeher aus zwingenden Gründen als mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verträglich angesehen worden, daß die Ausübung des Wahlrechts an die Erreichung eines Mindestalters geknüpft wird. Ebenso galt es immer als mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl vereinbar, daß vom Wahlrecht ausgeschlossen blieb, wer entmündigt war, wer unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Ge-brechens unter Pflegschaft stand oder wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besaß. Zu diesen traditionellen Begrenzungen der Allgemeinheit der Wahl gehört ferner das Erfordernis der Seßhaftigkeit im Wahlgebiet. Es ist demgemäß verfassungsmäßig, wenn das aktive Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland auf die Deutschen beschränkt wird, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes seßhaft sind (vgl. BVerfGE 5, 2 [6]). Dies war -- anders als die Beschwerdeführer meinen -- auch unter der Herrschaft des Art. 22 WRV für das Wahlrecht zum Reichstag der Fall. Das Reichswahlgesetz vom 27. April 1920 i. d. F. vom 6. März 1924 (RGBl. I S. 159) erkannte zwar das Wahlrecht zum Reichstag allen Reichsangehörigen, die am Wahltag 20 Jahre alt waren, zu (§ 1 Abs. 1), knüpfte jedoch dessen Ausübung an die Eintragung in eine Wählerliste oder Wählerkartei (§ 3), die ebenso wie die Erteilung eines Wahlscheines vom Wohnsitz in einem Wahlbezirk abhängig war (§§ 11, 12). Dies hatte zur Folge, daß zwar nicht das passive (§ 4), wohl aber das aktive Wahlrecht -- abgesehen von den Ausnahmen der §§ 11 Abs. 2, 12 Abs. 2 Nr. 3 -- den Wohnsitz im Wahlgebiet voraussetzte. Entsprechendes galt für die Wahlgesetze der Länder (BVerfGE 5, 2 [5 f.]). In Anbetracht dessen verbietet sich die Annahme, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG habe -- im Gegensatz zu Art. 22 Satz 1 WRV -- eine Begrenzung des aktiven Wahlrechts durch das Erfordernis der Seßhaftigkeit im Wahlgebiet ausschließen wollen. Gegen die in § 12 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG getroffene Regelung bestehen daher keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfGE 5, 2 [6]).
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3. Der Grundsatz, daß nur die im Wahlgebiet ansässigen Bürger ihre Stimme abgeben dürfen, war schon im Reichswahlgesetz nicht strikt durchgeführt. § 11 Abs. 2 sah vielmehr vor, daß "wahlberechtigte Staatsbeamte, Arbeiter in Staatsbetrieben, die ihren Wohnsitz im Ausland nahe der Reichsgrenze" hatten, "und wahlberechtigte Angehörige ihres Hausstandes" auf Antrag in die Wählerliste oder Wählerkartei einer benachbarten deutschen Gemeinde einzutragen waren. Diese Bestimmung wurde damit be-gründet, daß die betroffenen Personen durch ihre dienstliche Tätigkeit gezwungen oder durch ihre Dienststelle veranlaßt waren, im Ausland zu wohnen (Kaisenberg, Die Wahl zum Reichstag, 4. Aufl., S. 44). An diese hergebrachte Sonderregelung knüpft § 12 Abs. 2 BWahlG an, der bestimmt.
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Wahlberechtigt sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch Beamte, Soldaten, Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst, die auf Anordnung ihres Dienstherrn ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland genommen haben sowie die Angehörigen ihres Hausstandes.
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Der Gesetzgeber ließ sich dabei -- ebenso wie in der Weimarer Zeit -- von der Erwägung leiten, daß dieser Personenkreis sich nicht freiwillig, sondern auf Grund von dienstlicher Anordnung im Ausland aufhält und während seiner vorübergehenden Abwesenheit von Berufs wegen aufs engste mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden bleibt (Seifert, Bundeswahlgesetz, 2. Aufl., Anm. 12 zu § 12; Grundlagen eines deutschen Wahlrechts, 1955, S. 79). Zwar ist in § 12 Abs. 2 BWahlG die noch in § 11 Abs. 2 des Reichswahlgesetzes enthaltene Beschränkung auf den "Wohnsitz im Ausland nahe der Reichsgrenze" fortgefallen. Dies wurde indes erst möglich durch die Einführung der -- im Reichswahlgesetz noch nicht vorgesehenen -- Briefwahl und findet darin seine Rechtfertigung. Durch diese Erweiterung des Anwendungsbereichs der Sonderregelung ist also lediglich dem sie tragenden Grundgedanken konsequenter als zuvor Rechnung getragen worden.
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Der von § 12 Abs. 2 BWahlG umschriebene Personenkreis unterscheidet sich durch die in dem Dienstverhältnis verwurzelte, besonders geartete Beziehung zur Bundesrepublik Deutschland so sehr von denjenigen, die aus anderen Gründen ihren Wohnsitz im Wahlgebiet aufgegeben haben, daß der Bundesgesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehalten war, die herkömmliche Sonderregelung für diesen Personenkreis auch auf Personen auszudehnen, die sich -- wie die Beschwerdeführer -- aus eigenem Entschluß wegen kommerzieller oder sonstiger Tätigkeit dauernd im Ausland aufhalten.
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Die Wahlprüfungsbeschwerde war daher zu verwerfen.
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Seuffert, Dr. v. Schlabrendorff, Dr. Rupp, Dr. Geiger, Hirsch, Dr. Rinck, Dr. Rottmann, Wand | |
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