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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jens Krüger, A. Tschentscher | |||
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3. Ein zur Entschädigung verpflichtender enteignungsgleicher Eingriff liegt vor, wenn vor dem Inkrafttreten des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 (Wohnungsgesetz) ohne Rechtsgrundlage, jedoch schuldlos, von hoher Hand ein Mietrecht entzogen worden ist. |
II. 1. Wenn das Wohnungsamt rechtswidrig schuldlos einen Mietausfall herbeiführt (vgl I, 2), umfaßt die Entschädigung den vollen Mietausfall. |
2. Wird rechtswidrig schuldlos von hoher Hand ein Mietrecht entzogen (vgl. I, 3), so wird der dadurch dem Betroffenen entstandene Mehraufwand (getrennte Haushaltführung) als Entschädigung geschuldet. |
3. Bei der Enteignungsentschädigung können wirtschaftliche Vorteile, die durch die Enteignung erwachsen sind, berücksichtigt werden. |
III. 1. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GrundG umfaßt alle vermögenswerten Rechte, auch diejenigen aus dem Gebiet des öffentlichen Rechts. |
2. Zur rechtlichen Abgrenzung zwischen Enteignung und Inhaltsbegrenzung des Eigentums. |
3. Das Vorliegen einer Enteignung kann grundsätzlich nicht mit der Begründung verneint werden, dem Betroffenen sei der Eingriff zuzumuten. |
WeimVerf Art. 153; GrundG Art. 14, 19 |
Großer Senat für Zivilsachen |
Beschluß |
vom 10. Juni 1952 |
- GSZ 2/52 - | |
Der III. Zivilsenat hat dem Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 137 GVG folgende Fragen vorgelegt:
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I. | |
Liegt eine zur Entschädigung verpflichtende Enteignung
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1. darin, daß ein Wohnraum auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 (Wohnungsgesetz) erfaßt wurde?
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2. (bei Verneinung der Frage zu 1) darin, daß ein erfaßter Wohnraum einem Wohnungsuchenden zugewiesen wurde? ![]() | 4 |
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a) ein erfaßter Wohnraum durch rechtswidriges, aber nicht schuldhaftes Verhalten des Wohnungsamtes längere Zeit leer steht? Entfällt dieser Anspruch gegebenenfalls deshalb, weil dieses Leerstehen den Interessen des Betroffenen entsprach?
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b) ein erfaßter Werkwohnraum entgegen den landesgesetzlichen Vorschriften einem vom Werk nicht vorgeschlagenen Wohnungsuchenden zugewiesen wird, der nach der Einweisung zahlungsunfähig wird?
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4. darin, daß vor Inkrafttreten des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 (Wohnungsgesetz) ohne Rechtsgrundlage, jedoch schuldlos, durch den Bürgermeister einer Stadt eine von dem Mieter noch nicht bezogene Wohnung an einen andern Wohnungsuchenden zugewiesen worden ist?
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II. | |
1. Ist die Enteignungsentschädigung nach Art. 14 GrundG nach anderen Grundsätzen zu bemessen als nach Art. 153 WeimVerf?
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2. (bei Bejahung der Frage zu 1) Hat Art. 14 GrundG insofern rückwirkende Kraft, als er für die Höhe der Entschädigung auch bei vor dem Inkraftreten des GrundG esetzes liegenden Enteignungen maßgebend ist,
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a) soweit Einbußen in der Zeit vor dem Inkrafttreten des GrundG esetzes eingetreten sind, aber jetzt erst über die Entschädigung zu entscheiden ist?
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b) (bei Verneinung der Frage zu a) soweit die Einbußen nach dem Inkrafttreten des GrundG esetzes eingetreten sind?
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3. Ist bei Bemessung der Enteignungsentschädigung der Grundsatz der Vorteilsausgleichung anwendbar?
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Diesen Fragen liegen drei verschiedene Fälle zu Grunde:
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1. Die Beklagte erfaßte am 5. November 1948 in dem Hause des Klägers eine leer gewordene Wohnung mit 2 Zimmern und einer Küche und wies am 15. Dezember 1948 in diese Wohnung eine aus 4 Erwachsenen und einem Kind bestehende Zigeunerfamilie ein. Zu einem Einzug dieser Familie kam es nicht. Durch Urteil des Landesverwaltungsgerichts vom 28. April 1949 ![]() ![]() | 15 |
2. Die Beklagte teilte am 15. September 1948 entgegen den Bestimmungen der §§ 20, 21 SchlHDurchfG z WohnG vom 3. Mai 1948 eine Werkwohnung der Klägerin einem nicht bei der Klägerin beschäftigten Wohnungssuchenden zu. Die Beschwerde der Klägerin blieb ohne Erfolg. Der Mieter blieb bis zum Auszug im Februar 1950 Mietrückstände in Höhe von etwa 130 DM schuldig, die die Klägerin von der Beklagten erstattet verlangt.
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3. Der Kläger betrieb seit Jahren in seiner Wohnung in G. eine Praxis als Dentist während seine Familie in dem 12 km entfernten T. wohnte. Anfang Oktober 1945 wies die Beklagte dem Kläger eine größere Wohnung in G. zu, in die er neben seiner Praxis auch seine Familie aufnehmen konnte. Nachdem der Kläger einen Mietvertrag mit dem Eigentümer dieser Wohnung abgeschlossen hatte, wurde er, noch bevor er diese Wohnung beziehen konnte, auf Grund einer unberechtigten Denunziation von der Militärregierung in Haft genommen. Die Beklagte teilte daraufhin, ohne den Kläger oder seine Familie zu benachrichtigen, die Wohnung einem anderen Wohnungsuchenden zu. Als der Kläger nach etwa einem Jahr zurückkam, wurde die Wohnung für ihn nicht wieder freigegeben, so daß er wieder in der alten Wohnung, getrennt von seiner in T. lebenden Familie, seine Praxis betreiben mußte. Der Kläger verlangt Ersatz der Unkosten, die ihn durch seine doppelte Haushaltsführung entstanden sind und entstehen.
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Die Fragen wurden im Sinne der Überschrift beantwortet.
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Aus den Gründen: | |
Der Große Senat hat bei der Beantwortung der gestellten Fragen diese sinngemäß so beantwortet, wie es für die Entscheidung der vor dem III. Zivilsenat anhängigen Rechtsstreite erforderlich erschien (wird ausgeführt).
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I. | |
Sämtlichen Tatbeständen ist es gemeinsam, daß die in Betracht kommenden Maßnahmen der jeweiligen Wohnungs ![]() ![]() | 20 |
Soweit der Zeitraum vor Erlaß des Bonner GrundG esetzes (23. Mai 1949) in Betracht kommt, kann hierfür die Vorschrift des Art. 14 GrundG nicht unmittelbar herangezogen werden, weil das Bonner GrundG esetz zeitlich nicht zurückwirkt. Vielmehr muß insoweit auf die Vorschrift des Art. 153 WeimVerf zurückgegriffen werden. Der Art. 153 WeimVerf war zwar durch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 18. Februar 1933 (RGBl I, 83) bis auf weiteres außer Kraft gesetzt worden. Die Aufhebungswirkung dieser Verordnung erstreckte sich aber nach ihrem Zweck - sie ist nach ihrer Überschrift zur Abwehr kommunistischer, staatsgefährdender Gewaltakte erlassen worden - nur auf solche Eingriffe, die zu dem erwähnten Zweck erforderlich waren, und ließ die Geltung des Art. 153 WeimVerf für solche Enteignungen, die aus anderem Anlaß vorgenommen wurden, unberührt. Diese Verordnung verlor überdies wegen ihres nationalsozialistischen Gehalts auf jeden Fall mit dem Zusammenbruch ihre Wirkung. Art. 153 WeimVerf ist auch nicht dadurch mit rechtlicher Wirkung außer Kraft gesetzt worden, daß sich das nationalsozialistische Regime in zahlreichen Fällen durch Gewaltakte über den Eigentumsschutz hinwegsetzte und dabei den Art. 153 WeimVerf nicht beachtete. Dieses unrechtmäßige Verhalten konnte nur die tatsächliche Anwendung des Art. 153 einengen, nicht aber seine rechtliche Geltung aufheben. Art. 153 WeimVerf blieb schließlich auch über den Zusammenbruch des Jahres 1945 hinaus bis zum Inkrafttreten des Bonner GrundG esetzes mit Verfassungskraft in rechtlicher Geltung.
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Für die Zeit ab 24. Mai 1949 ist dagegen auf Art. 14 GrundG zurückzugreifen. Dem steht nicht entgegen, daß die fraglichen Verwaltungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden bereits vor dem Inkrafttreten des Bonner GrundG esetzes ausgesprochen ![]() ![]() | 22 |
Das Bonner GrundGesetz erkennt den übergesetzlichen, Verwaltung, Rechtsprechung u n d Gesetzgebung bindenden Charakter der Grundrechte, auch der Eigentumsgarantie, ausdrücklich an (Art. 1 Abs. 2 und 3) und bestimmt infolgedessen, daß auch gesetzliche Eingriffe in ein Grundrecht dieses in keinem Fall in seinem Wesensgehalt antasten dürfen (Art. 19 Abs. 2). Ob daraus folgen würde, daß Art. 153 WeimVerf für die rückliegende Zeit insoweit nicht anzuwenden sei, als er entschädigungslose Enteignungen durch Reichsgesetz zuläßt, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, weil das Wohnungsgesetz, um das es sich hier handelt, eine entschädigungslose Enteignung nicht anordnet. Allerdings ist nach dem Bonner GrundG esetz - nicht etwa, weil es zeitlich zurückwirkte, sondern weil es die übergesetzliche, d. h. die von staatlicher Rechtssetzung unabhängige Geltung der Grundrechte anerkennt, - auch für die vor dem GrundG esetz liegende Zeit anzunehmen, daß die echten Grundrechte übergesetzlichen Charakter haben und daß deswegen auch gesetzliche Eingriffe in sie das Wesen der Grundrechte nicht antasten dürfen. Von diesen Grundsätzen ist daher im vorliegenden Fall auch dann auszugehen, wenn es sich darum handelt, Inhalt, Tragweite und Grenzen der Eigentumsgarantie, der Inhaltsbestimmung des Eigentums und der Enteignung in dem Zeitraum zwischen dem Zusammenbruch und dem Inkrafttreten des Bonner GrundG esetzes zu bestimmen.
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Nach Meinung des Großen Senats gelten endlich die Grundsätze gewohnheitsrechtlich weiter, die die Rechtsprechung des Reichsgerichts in entsprechender Anwendung der §§ 74, 75 EinlALR zu dem sogenannten Aufopferungsanspruch entwickelt ![]() ![]() | 24 |
II. | |
Die Fragen des III. Zivilsenats zielen darauf ab, im Anwendungsbereich des Wohnungsgesetzes den weiteren Enteignungsbegriff zur Nachprüfung zu stellen, den die Rechtsprechung des Reichsgerichts nach dem ersten Weltkrieg im Gegensatz zu dem früheren sog klassischen Enteignungsbegriff entwickelt hatte, und insbesondere die Enteignung abzugrenzen gegen die allgemeine gesetzliche Inhaltsbegrenzung des Eigentums. In der Tat war die Rechtsprechung des Reichsgerichts unter der Herrschaft des Art. 153 WeimVerf fortgeschritten von der ursprünglichen aus den damaligen Enteignungsgesetzen abgeleiteten Annahme:
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Enteignung ist die entschädigungspflichtige Übereignung von Grundeigentum durch gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt an ein aus öffentlichrechtlichen Gründen begünstigtes Unternehmen zu der späteren Annahme (RGZ 105, 251; 109, 310; 116 268; 150, 9; StGH in RGZ 124 Anh. 19):
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Enteignung ist derjenige von einem übergeordneten öffentlichen Zweck geforderte, durch Gesetz oder gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt erfolgende, entschädigungspflichtige Eingriff in Vermögenswerte Rechte von Einzelnen oder Gruppen, der, sei es in der Gestalt der Entziehung, sei es in der Gestalt der Belastung der Rechte, die betroffenen Rechtsträger ungleich, besonders trifft und sie zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt.
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Die Eigentumsgarantie und der Enteignungsschutz, wie sie sich im westlichen Kulturkreis geschichtlich im wesentlichen gleichartig entwickelt haben und heute noch im wesentlichen gleichartig gelten, beruhen auf folgender Spannungslage: Der in den Staat ein gegliederte Einzelne bedarf, um unter seinesgleichen als Person, d. h. frei und selbstverantwortlich leben zu können und um nicht zum bloßen Objekt einer übermächtigen Staatsgewalt zu werden, also um seiner Freiheit und Würde willen einer rechtlich streng gesicherten Sphäre des Eigentums. Auf der anderen Seite muß der Staat, wenn dies übergeordnete ![]() ![]() | 28 |
Diese Spannungslage hat man im wesentlichen immer folgendermaßen gelöst und muß sie so lösen: Das Eigentum der dem Staat eingegliederten Einzelnen und Gruppen ist grundsätzlich geschützt und zwar ihr Eigentum im weitesten Sinn. Der Staat darf dieses Eigentum im einzelnen nur ausnahmsweise, d. h. wenn es ein übergeordneter öffentlicher Zweck notwendig macht, enteignen (entziehen oder belasten), und nur gegen gerechte Entschädigung. Diese Entschädigung ist, soweit sie nicht billigerweise dem Enteignungsbegünstigten auferlegt werden kann, von der Allgemeinheit (Grotius: e communi) zu leisten, weil sonst den Betroffenen unter Verletzung des Gleichheitssatzes erneut ein sie im Verhältnis zu anderen ungleich treffendes ![]() ![]() | 29 |
Diese Grundsätze brachten, was die Eigentumsgarantie und den Enteignungsschutz angeht, schon die §§ 74 und 75 EinlALR in klarer Weise zum Ausdruck, die insoweit auf die Naturrechtslehre der Aufklärung zurückgingen. Diese Rechtsgedanken liegen, was die Eigentumsgarantie, den Enteignungsschutz und die Inhaltsbestimmung des Eigentums angeht, auch den Vorschriften der Art. 153 WeimVerf und 14 GrundG zu Grunde, wobei Art. 14 GrundG allerdings in bezug auf die Enteignung und die allgemeine inhaltliche Begrenzung des Eigentums den Schutz gegenüber dem Gesetzgeber noch stärker betont als Art. 153 WeimVerf.
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Das bedeutet für die Frage, ob der reichsgerichtliche Enteignungsbegriff beizubehalten ist, im einzelnen das Folgende:
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Wenn die staatliche Enteignung nach dem ganzen Vermögen der Bürger greift, muß die Eigentumsgarantie und der Enteignungsschutz auch das ganze Vermögen der Bürger decken. Sie müssen daher folgerichtigerweise auf jedes Vermögenswerte Recht bezogen werden, gleichgültig, ob es dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht angehört. Geschützt ist nicht nur das Eigentum im weitesten Sinn als Rechtseinrichtung, sondern jedes vorhandene einzelne Vermögenswerte Recht.
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Gleichwohl können Inhalt und Schranken des Eigentums in einer allgemeinverbindlichen Weise durch Gesetz bestimmt werden. Diese inhaltliche Bestimmung und Begrenzung des Eigentums muß ihrem Wesen nach allgemeiner Natur sein. Man kann auf diese Weise nicht Einzelmaßnahmen gegen bestimmte einzelne Eigentümer oder gegen ein bestimmtes einzelnes Eigentum treffen. Ebensowenig kann man auf diese Weise Eigentum entziehen oder übertragen oder es anders als durch verstärkte, alle ![]() ![]() | 33 |
Aus dieser Entgegensetzung wird zugleich deutlich, was im Rechtssinn Enteignung ist. Bei der Enteignung handelt es sich nicht um eine allgemeine und gleichwirkende, mit dem Wesen ![]() ![]() | 34 |
Allerdings ist es, wenn es sich um Eigentum mehrerer Rechtsträger (Gruppeneigentum) handelt, im Einzelfall nicht immer leicht zu bestimmen, wann ein ungleich treffender, entschädigungspflichtiger Eingriff in das Eigentum einer Gruppe vorliegt und wann eine entschädigungslose allgemeine Begrenzung von Gruppeneigentum. Diese Schwierigkeit liegt aber in der Natur der Sache und kann jeweils nur durch eine eingehende Untersuchung des Einzelfalles nach den oben angegebenen Richtlinien überwunden werden. Dagegen läßt sich keine logisch zwingende, alle Abgrenzungsfragen von vornherein klar entscheidende Formel für die Überwindung dieser Schwierigkeiten angeben. Weder die von dem Reichsgericht zuweilen gebrauchte Formel, es komme darauf an, ob der Eingriff nach allgemeinen ![]() ![]() | 35 |
Darin liegt zugleich, daß es - entgegen einzelnen Stimmen im Schrifttum - keine Rückkehr mehr geben kann zu dem sog klassischen Enteignungsbegriff oder zu einzelnen seiner Elemente: zwangsweise, entschädigungspflichtige Übereignung von Grundeigentum durch gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt an ein aus öffentlich-rechtlichen Gründen begünstigtes Unternehmen. Die klassische Enteignungslehre entstammt einer Zeit, in der der Staat praktisch fast nur im Falle einer so gekennzeichneten Übertragung von Grundeigentum zu dem Mittel der Enteignung griff. Es lag deshalb durchaus nahe, dieses Sondergebiet durch Sondergesetze (Enteignungsgesetze) zu regeln und dabei die Voraussetzungen für den staatlichen Eingriff möglichst eng und genau zu begrenzen und das Verfahren rechtsstaatlich zu formalisieren. Der Enteignungsschutz richtete sich damals vorwiegend gegen die enteignende Verwaltung. Ihn in besonderer Weise gegen die enteignende Gesetzgebung auszubauen, bestand damals kein hinreichender Anlaß. Immerhin standen auch schon damals hinter den einzelnen Enteignungsgesetzen die allgemeinen Grundsätze der §§ 74 und 75 EinlPrALR, die eine sehr umfassende allgemeine Eigentumsgarantie darstellten und die die Rechtsprechung auch außerhalb des unmittelbaren Geltungsbereiches der §§ 74 und 75 entsprechend anwandte, sowie für die frühere Zeit auch die gleichartigen allgemeinen Enteignungsgrundsätze des gemeinen Rechts. Inzwischen haben sich die Verhältnisse jedoch, wie oben dargestellt, grundlegend geändert. Der Staat greift nunmehr in sehr starkem Maß sowohl durch die Gesetzgebung wie durch die Verwaltung enteignend nach allen vermögenswerten Rechten seiner Bürger und gestattet gleichzeitig die Enteignung unter sehr viel leichteren Bedingungen als früher (Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit). Dem kann man mit der klassischen ![]() ![]() | 36 |
Ebensowenig läßt sich die Enteignungsfrage durch eine einseitige Betonung der Staatsinteressen, insbesondere der fiskalischen Interessen, lösen. Mag auch die heutige Notzeit der öffentlichen Hand in besonderem Maße die Pflicht zu umfassenden Fürsorgemaßnahmen auferlegen, so kann doch aus Rechtsgründen diese Pflicht allein noch nicht zum Anlaß für eine sachliche Beschränkung der entschädigungspflichtigen Enteignungen genommen werden. Der Bereich der geschützten Eigentumssphäre läßt sich nicht einseitig vom Interesse des Staates her bestimmen, sondern nur von der oben gekennzeichneten und in Art. 14 GrundG bindend vorgenommenen Lösung der oben ebenfalls beschriebenen Spannungslage her.
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Endlich führt auch die im Schrifttum und seit 1945 teilweise auch in der Rechtsprechung vertretene Schutzwürdigkeits-oder Zumutbarkeitslehre nicht zum Ziel. Diese Lehren bejahen zwar - wenigstens zum Teil - auch, daß eine Enteignung dann vorliege, wenn sie den betroffenen Einzelnen oder Gruppen ein sie ungleich treffendes Sonderopfer auferlegt. Sie sehen aber, entweder allgemein oder innerhalb des durch die Einzelaktslehre abgegrenzten Bereichs, das kennzeichnende Unterscheidungsmerkmal zwischen dem entschädigungsfreien und dem entschädigungspflichtigen Eingriff in das Eigentum darin, ob dieser Eingriff - sei es bei subjektiver, sei es bei objektiver Beurteilung - nach Umfang und Bedeutung den Betroffenen zuzumuten sei oder nicht. - Hat man jedoch einmal erkannt, daß Enteignung dann vorliegt, wenn den betroffenen Einzelnen oder Gruppen ein sie im Vergleich zu anderen ungleich treffendes Sonderopfer zugemutet wird, und daß um des Gleichheitssatzes willen zum Ausgleich dieses Opfers die entsprechende Entschädigung geschuldet wird, so würde es gegen die in Art. 14 ![]() ![]() | 38 |
Bei allem, was bisher ausgeführt wurde, handelt es sich um die gewöhnliche technische Enteignung. Mit den davon verschiedenen Rechtsgebieten der strafweisen Konfiskation von Eigentum und der Vergesellschaftung von Eigentum, die einer gesonderten rechtlichen Behandlung bedürfen, hat es dieser Beschluß nicht zu tun.
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III. | |
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die rechtliche Beurteilung der Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsämter nach dem Wohnungsgesetz vorzuneh ![]() ![]() | 40 |
Bei dieser Sach-und Rechtslage liegt die Annahme nahe, in derartigen Eingriffen durch einen jeweils einzelnen Verwaltungsakt vom Boden der Einzelakttheorie aus eine entschädigungspflichtige Enteignung zu erblichen. Eine solche Annahme wird jedoch der Rechtslage nach dem Wohnungsgesetz nicht gerecht. Sie berücksichtigt nicht in ausreichendem Umfang, daß nach dem Wohnungsgesetz die Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden im weitgehenden Maß dem freien Ermessen der Verwaltungsbehörde entzogen und als Akte einer gebundenen Verwaltung anzusehen sind. Nach dem Grundgedanken des Wohnungsgesetzes sollen im Anwendungsbereich dieses Gesetzes alle betroffenen Wohnungsinhaber in gleichmäßiger Form in ihrer Herrschaftsbefugnis eingeschränkt werden, und die Wohnungsbehörden sind gebunden, die hierfür erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Diese Maßnahmen stellen sich bei dieser Rechtslage nur als eine Verwirklichung des bereits im Wohnungsgesetz enthaltenen Ziels einer Einschränkung der Herrschaftsbefugnis der unter das Wohnungsgesetz gleichmäßig fallenden Wohnungsinhaber dar. Nur aus rechtstechnischen Gründen ist hierbei die Einschränkung der Herrschaftsbefugnis in verschiedene Teilakte zerlegt, von denen der ![]() ![]() ![]() ![]() | 41 |
Dieser Auffassung steht auch nicht entgegen, daß in den einzelnen Teilen der Bundesrepublik die tatsächlichen Voraussetzungen für die Handhabung der Wohnraumbewirtschaftung verschiedene sind und daß demgemäß in Gemeinden mit einer größeren Wohnungsnot und mit einem größeren Wohnraumbedarf von den Wohnungsbehörden Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen ausgesprochen werden, die in Gemeinden mit einer geringeren Wohnungsnot nicht in Betracht gezogen werden. Wenn auch mit diesen Unterschieden in den tatsächlichen Voraussetzungen eine unterschiedliche Handhabung des Wohnungsgesetzes zwangsläufig verbunden ist, so ändert das doch nichts an der allgemeinen Wirkung, die dem Wohnungsgesetz und den entsprechenden Maßnahmen der Wohnungsbehörden für den Regelfall zukommt. Denn es gehört gerade zu dem Inhalt dieser Regelung, daß sie sich den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen auf dem Gebiet des Wohnungswesens anschmiegt und den unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnissen Rechnung trägt. Es sollen auf diese Weise gleiche Verhältnisse gleich behandelt und damit das Ungleiche in den tatsächlichen Voraussetzungen auch in dem gebotenen Umfang durch eine entsprechende Anwendung des Wohnungsgesetzes berücksichtigt werden. Es stellt daher auch unter diesem Gesichtspunkt die generelle Regelung des Wohnungsgesetzes in Verbindung mit den Maßnahmen der Wohnungsbehörden einen allgemein gehaltenen gesetzlichen Eingriff in die Eigentumssphäre dar, der in dieser Hinsicht dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung trägt, indem er bei gleichen tatsächlichen Voraussetzungen zu gleichen rechtlichen Einwirkungen führt.
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Bei dieser Rechtslage fragt es sich, ob das Wohnungsgesetz zusammen mit den Maßnahmen der Wohnungsbehörden eine gesetzliche Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums enthält oder ob es über diesen Rahmen hinausgreift und dem Eigentum eine ihm nicht innewohnende Beschränkung der ![]() ![]() ![]() ![]() | 43 |
Für die rechtliche Beurteilung der Vorschriften des Wohnungsgesetzes kann es demgegenüber nicht von Bedeutung sein, daß sie im einzelnen Fall durch Akte der Verwaltung verwirklicht werden und nicht wie Bestimmungen des Mieterschutz ![]() ![]() | 44 |
Zusammenfassend ergibt sich somit, daß für den oben gekennzeichneten Regelfall die Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden nicht Einzeleingriffe der Verwaltung in die Rechtssphäre des einzelnen Wohnungsinhabers darstellen, sondern in den notwendigen sachlichen Zusammenhang mit den Bestimmungen des Wohnungsgesetzes gerückt, mit diesen Bestimmungen als generelle Regelung, also als ein allgemeiner gesetzlicher Eingriff in die Rechtssphäre der Wohnungsinhaber anzusehen sind. Als solche sind sie keine entschädigungspflichtigen Enteignungen, sondern eine inhaltliche Begrenzung der Herrschaftsbefugnis aller vom Wohnungsgesetz betroffenen Wohnungsinhaber. Ob das gleiche auch noch für den Fall gelten kann, wenn der zahlungsfähige und zahlungswillige Wohnungsuchende später zahlungsunfähig wird und der Wohnungsinhaber dadurch einen Mietausfall erleidet, muß im Hinblick auf die gestellten Fragen offen gelassen werden.
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IV. | |
Den Fragen zu I, 3 liegt insofern der gleiche Sachverhalt zu Grunde, als in beiden Fällen die Zuweisungsverfügung der zuständigen Wohnungsbehörde auf einer unzutreffenden Gesetzesanwendung beruht und sich infolgedessen als ein rechtswidriger Eingriff in die Rechtssphäre des jeweils betroffenen Wohnungsinhabers darstellt. Dieser Umstand gewinnt für die Frage nach dem Vorliegen einer Enteignung oder eines enteignungsgleichen Tatbestandes entscheidende Bedeutung. In den Ausführungen unter III ist dargelegt, daß es im allgemeinen geboten ist, die Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden in einen unmittelbaren Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorschriften zu rücken, weil sie nur die Verwirklichung der bereits im Wohnungsgesetz vorgesehenen Inhaltsbegrenzung des Wohnungseigentums darstellen. Beide bilden in dieser Hinsicht eine Einheit und stellen so gesehen insgesamt die gesetzliche Inhaltsbestimmung des Eigentums dar. Anders ist es dagegen, wenn sich die Maßnahmen der Wohnungsbehörde von der gesetzlichen Grundlage entfernen und ![]() ![]() | 46 |
Es ist aber geboten, unrechtmäßige Eingriffe der Staatsgewalt in die Rechtssphäre eines Einzelnen dann wie eine Enteignung zu behandeln, wenn sie sich für den Fall ihrer gesetzlichen Zulässigkeit sowohl nach ihrem Inhalt wie nach ihrer Wirkung als eine Enteignung darstellen würden und wenn sie in ihrer tatsächlichen Wirkung dem Betroffenen ein besonderes Opfer auferlegt haben. Die Beschränkung des Tatbestandes der Enteignung in Art. 153 WeimVerf und in Art. 14 GrundG auf rechtmäßige Eingriffe des Staates bedeutet ihrem Sinn nach eine Beschränkung für die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines solchen Eingriffs, nicht aber eine Beschränkung für die Zubilligung eines Entschädigungsanspruchs. Der entscheidende GrundG edanke für die Zubilligung eines Entschädigungsanspruchs ist bei einem unrechtmäßigen Staatseingriff, der in seiner Wirkung für den Betroffenen einer Enteignung gleichsteht, mindestens in dem gleichen Maße gegeben wie bei einer rechtmäßigen, also gesetzlich zulässigen Enteignung. Es kann insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des Reichsgerichts in RGZ 140, ![]() ![]() | 47 |
Führt das unrechtmäßige Verhalten einer Wohnungsbehörde, das mit den Vorschriften des Wohnungsgesetzes und den dazu ergangenen landesrechtlichen Vorschriften in Widerspruch steht, in seiner tatsächlichen Wirkung für den betroffenen Wohnungsinhaber zu einem Mietausfall, so stellt das für den Betroffenen ein besonderes Opfer dar, das ihm auf diese Weise durch die Bewirtschaftungsmaßnahmen der Wohnungsbehörde, also durch eine Einschränkung seiner Herrschaftsbefugnis, auferlegt wird. Diese Einschränkung seiner Herrschaftsbefugnis ist nicht mehr Ausfluß der Begrenzung seines Wohnungseigentums und bedeutet daher einen enteignungsgleichen Tatbestand, der demzufolge auch zu Gunsten des Betroffenen einen Entschädigungsanspruch in entsprechender Anwendung des Art. 153 WeimVerf oder des Art. 14 GrundG auslöst.
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Ahnliche Erwägungen gelten für den Fall, daß von hoher Hand in das Mietrecht eines Mieters vor dem Erlaß des Wohnungsgesetzes ohne jede Rechtsgrundlage eingegriffen und in Abwesenheit des Mieters seine Wohnung einem anderen Wohnungssuchenden zugeteilt wird. Zur Zeit der hier in Betracht kommenden Zuweisungsverfügung (Oktober 1945) wurden im allgemeinen die Bewirtschaftungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungswesens unter Anwendung des Reichsleistungsgesetzes vorgenommen. Diese Maßnahmen waren Einzeleingriffe der Verwaltungsbehörden in die private Rechtssphäre der von diesen Maßnahmen Betroffenen und stellten daher entschädigungspflichtige Enteignungen dar. Bei dieser Sachlage kann es keinen Unterschied machen, ob in einem Fall, in dem das Reichsleistungsgesetz keine ausreichende rechtliche Grund ![]() ![]() | 49 |
V. | |
Ist nach den vorstehenden Ausführungen dem jeweils betroffenen Wohnungsinhaber in allen drei Fällen nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen eine Entschädigung für das besondere Opfer zu leisten, das ihm durch die unrechtmäßigen Maßnahmen der in Betracht kommenden Verwaltungsbehörden auferlegt ist, so fragt sich weiter, nach welchen Grundsätzen die Enteignungsentschädigung in den drei vorliegenden Tatbeständen zu berechnen ist und wie hoch sie sich in diesen drei Fällen stellt. Dabei ist als Rechtsgrundlage für die Berechnung der Enteignungsentschädigung, wie unter I dargelegt, für die Zeit bis zum 23. Mai 1949 Art. 153 WeimVerf und für die Zeit ab 24. Mai 1949 Art. 14 GrundG heranzuziehen.
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1. Die Entschädigungsformel des Art. 153 WeimVerf \'bbangemessene Entschädigung\'ab ist von der Rechtsprechung des Reichsgerichts unter Zustimmung der überwiegenden Ansicht ![]() ![]() ![]() ![]() | 51 |
2. Die gleichen Erwägungen gelten auch bei Anwendung des Art. 14 GrundG für die Zeit nach dem 23. Mai 1949. Dabei kann es offen bleiben, ob die Entschädigung gemäß Art. 14 GrundG , die unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu. bestimmen ist, die angemessene Entschädigung im Sinn des Art. 153 WeimVerf ist. Denn selbst wenn das zu verneinen wäre, so kann dieser etwaige Unterschied zwischen den beiden Entschädigungsformeln für die vorliegenden Tatbestände keinen Einfluß ausüben. Wie bereits ausgeführt worden ist, ist hier bei den vorliegenden unrechtmäßigen Eingriffen der jeweiligen Verwaltungsbehörde ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der vorgenommenen Eingriffe in die private Rechtssphäre der betroffenen Wohnungseigentümer und des betroffenen Wohnungsinhabers nicht gegeben. Es kann daher auch nicht davon gesprochen werden, daß im Hinblick auf ein solches Interesse eine niedrigere Festsetzung der Entschädigung aus Gründen der ![]() ![]() | 52 |
3. Die Entschädigung, die bei einer Enteignung dem Betroffenen zu zahlen ist, ist dazu bestimmt, die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes zu gewährleisten. Die Entschädigung soll dem Betroffenen einen Ausgleich für das Opfer bieten, das ihm durch den Eingriff in seine private Rechtssphäre auferlegt wird. Das bedeutet zwar nicht, daß die Entschädigung eine Schadensersatzleistung im Sinn des Bürgerlichen Gesetzbuches ist, die unter allen Umständen sämtliche Vermögenseinbußen des Betroffenen in Gegenwart und Zukunft umfaßt. Aber es bedeutet jedenfalls, daß sie ihrem GrundG edanken nach einen materiellen Ausgleich für die auferlegte Vermögenseinbuße darstellt. Daraus folgt, daß sowohl bei der Berechnung der angemessenen Entschädigung im Sinn des Art. 153 WeimVerf wie bei der Entschädigung nach Art. 14 GrundG Vermögensvorteile berücksichtigt werden können, die dem Betroffenen in Verbindung mit dem Enteignungseingriff erwachsen sind. Eine solche Berücksichtigung kann sowohl bei der Berechnung einer angemessenen Entschädigung wie auch bei der Berechnung einer Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten geboten sein. Es besteht daher insoweit kein Hinderungsgrund, in dem gegebenen Einzelfall die Grundsätze über die Vorteilsausgleichung bei der Berechnung der Enteignungsentschädigung entsprechend heranzuziehen. Allerdings können nur echte Vermögensvorteile, also Vorteile wirtschaftlicher Art, berücksichtigt werden, nicht bloße vermiedene Unannehmlichkeiten wie z. b. die Fernhaltung eines unerwünschten Mieters, wenn dadurch zugleich ein vorhandener, erwünschter und zahlungsfähiger Mieter ferngehalten wurde. ![]() | 53 |
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