BGHZ 16, 184 - Haftung für Verbindlichkeiten Preußens | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Jens Krüger, A. Tschentscher | |||
GrundG Art. 135; Gesetz zur vorläufigen Regelung des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen vom 21. Juli 1951 (BGBl I, 467) § 5; BREG Art. 39 |
II. Zivilsenat |
Urteil |
vom 31. Januar 1955 |
i. S. Land Nds. (Bekl.) w. J. (Kl.) |
- II ZR 234/53 - |
I. Landgericht Aurich |
II. Oberlandesgericht Oldenburg | |
Auf Grund des Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933 hat das Land Preußen ein Grundstück, das dem Verlag einer sozialdemokratischen Zeitung gehörte, eingezogen und es am 8. Mai 1939 an den Kläger verkauft.
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Die SPD hat Rückerstattungsansprüche bezüglich dieses Grundstücks gegenüber dem Kläger geltend gemacht. Der Kläger hat auf Grund des Art. 39 Abs 1 des Gesetzes Nr. 59 für die Brit Besatzungszone (im Nachstehenden BREG) Klage mit dem Antrage erhoben festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet sei, den gesamten Schaden zu ersetzen, den er bei Herausgabe des Grundstücks an die SPD oder deren anderweitigen Entschädigung erleide.
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Das Land hat in erster Linie seine Passivlegitimation bestritten.
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Beide Vorinstanzen haben nach dem Klagantrage erkannt, die Revision führte zur Abweisung der Klage.
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Aus den Gründen: | |
Dem Kläger würde ein Rückgriffsanspruch gegen seinen unmittelbaren Rechtsvorgänger, das Land Preußen, nach Art. 39 Abs 1 BREG zustehen (BGHZ 11,16 [20, 21, 22]). Die Schadensersatzpflicht entfällt auch nicht, wenn der Kläger bei Abschluß des Vertrages gewußt hatte, daß das von ihm gekaufte Grundstück der SPD gehört hat und der Beklagte das Grundstück unter Umständen erworben hätte, die die Merkmale des Entziehungstatbestandes des nunmehr geltenden Rückerstattungsgesetzes erfüllt haben. § 439 Abs 1 BGB ist durch Art. 39 Abs 1 BREG ausdrücklich ausgeschlossen (BGHZ aaO 22).
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Das Land Preußen ist spätestens durch Art. 1 des Kontrollratsgesetzes Nr. 46 vom 25. Februar 1947 aufgelöst worden. Es fragt sich, ob das beklagte Land für die Verbindlichkeiten des ehemaligen Landes Preußen aus Art. 39 Abs 1 BREG einzustehen hat. Eine gesetzliche Sonderregelung fehlt bisher. Art. 135 GrundG befaßt sich mit der Rechtsnachfolge in das Vermögen der alten Länder. Der Übergang dieses Vermögens wird im gewissen Umfange in Abs 1 bis 3 geregelt, jedoch mit der sich aus Abs 4 ergebenden Einschränkung. Aus den Bestimmungen des Art. 135 Abs 1 bis 3 GrundG kann für die Passivlegitimation des Landes nichts gewonnen werden. Preußen ist ein nicht mehr bestehendes Land; auf solche ehemaligen Länder beziehen sich Abs 2 und 3 des Art. 135 GrundG. Die hierin getroffenen Regelungen betreffen nicht den zur Entscheidung vorliegenden Fall. Der von dem Kläger an das Land Preußen gezahlte Kaufpreis hat nicht die Zweckbestimmung gehabt, Verwaltungsaufgaben Preußens zu dienen. Der Kaufpreis ist nicht dem beklagten Lande zugeflossen, Grundvermögen ist nicht auf das Land übergegangen. An dem verkauften Grundstück hat weder Preußen noch der Kläger Eigentum erworben. Nach der Fiktion des Art. 12 BREG ist das Eigentum an diesem Grundstück vielmehr der ursprünglichen Eigentümerin bzw deren Rechtsnachfolgerin, der SPD, verblieben, da es widerrechtlich entzogen wurde. Art. 135 Abs 3 GrundG trifft daher nicht zu.
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Das Land ist auch nicht in die Verkäuferstellung Preußens eingerückt und haftet auch nicht für dessen Verbindlichkeiten aus Art. 39 Abs 1 BREG.
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Eine Haftung ergibt sich weder aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Identität des Landes mit Preußen noch aus dem der Staatensukzession. Insoweit macht sich der Senat die Ausführungen des Urteils des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 1. Dezember 1952 zu eigen (BGHZ 8,169). Dort war allerdings die Haftung der neugebildeten Länder für Schulden des Reichs Gegenstand der Untersuchung, aber die Ausführungen zu dieser Frage treffen im wesentlichen auch auf das Verhältnis des ehemaligen Landes Preußen zu den neugeschaffenen Ländern, die Gebietsteile des ehemaligen Preußen in sich aufgenommen haben, zu. Der Hess. Verwaltungsgerichtshof (VerwRspr 4, 138 [140, 141]) hat darin recht, daß zwischen den neuerstandenen Ländern und Preußen keine Identität bestehe und daß Staatensukzession bezüglich der darin aufgegangenen Gebietsteile Preußens nicht in Betracht komme.
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Auch eine Rechtsnachfolge im allgemeinen Sinne und eine Haftung in analoger Anwendung des § 419 BGB scheidet aus.
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a) Gegen die Annahme einer Rechtsnachfolge spricht die Entwicklung, die zur Neubildung des Landes Niedersachsen geführt hat. Schon vor Erlaß des Kontrollratsgesetzes Nr. 46 vom 25. Februar 1947, durch welches der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden aufgelöst wurden, und dessen Präambel hervorhebt, Preußen habe in Wirklichkeit bereits zu bestehen aufgehört, erging die MilRegVO Nr. 46 betreffend die Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen in der Britischen Zone und ihre Neubildung als selbständige Länder vom 23. April 1946 (ABl Brit MilReg Nr. 13 S 305). In ihr wurde bestimmt, daß, ohne die Möglichkeit einer späteren Neugliederung auszuschließen, die Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, Westfalen, die Regierungsbezirke Aachen, Düsseldorf und Köln in der Rheinprovinz als solche aufgelöst werden und vorläufig die staatsrechtliche Stellung von Ländern erhalten. Am 1. November 1946 trat die MilRegVO Nr. 55 über die Bildung des Landes Niedersachsen in Kraft, nach welcher aus den Ländern Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe, die ihre Selbständigkeit als Länder verloren, das Land Niedersachsen gebildet wurde (ABl Brit MilReg Nr. 15 S 341). Diese Verordnung ist durch die Ergänzungsverordnung Nr. 70 vom 1. November 1946 (ABl Brit MilReg Nr. 16 S 408) dahin vervollständigt worden, daß das Land Niedersachsen als Rechtsnachfolger der früheren Länder Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe anzusehen ist. Das alles schließt es aus, daß das Land Niedersachsen Rechtsnachfolger Preußens geworden sein könnte.
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b) Die Übernahme ehemals preußischen Vermögens ist nicht durch Vertrag oder einen dem gleichwertigen tatsächlichen Vorgang geschehen. § 419 BGB ist auf öffentlichrechtliche Vorgänge nicht anwendbar (RGZ 68, 216; 130, 169 [171]). Die Anwendung des Rechtsgedankens des § 419 BGB verbietet sich auch, weil diese Vorschrift, die die Haftung der Vermögensübernehmers nur mit dem Bestande des übernommenen Vermögens kennt, einen Wettlauf um die Befriedigungsobjekte ermöglicht und ein solcher Wettlauf für einen Staat, der Vermögen eines aufgelösten Staates übernommen hat, nicht tragbar ist. Denkbar ist allerdings im Falle des § 419 BGB ein Sonderkonkurs über das übernommene Vermögen (Mentzel, KonkO § 1 Anm 5m w Nachw). Die Frage, inwieweit das der Grundsatz hindert, daß Staaten konkursunfähig sind (vgl. dazu Mentzel, § 213 Anm 2), und die weitere Frage, inwieweit zur Schuldendeckung statt der laufenden Einnahmen des aufgelösten Staates solche des übernehmenden Staates herangezogen werden sollen, kann nur durch den Gesetzgeber geregelt wer den und ist der richterlichen Entscheidung verschlossen. Von dieser Rechtslage ausgehend, hat § 5 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen vom 21. Juli 1951 (BGBl I, 467) entsprechend Art. 135 Abs 5 GrundG bestimmt, daß die Regelung von Verbindlichkeiten Preußens einem späteren Bundesgesetz vorbehalten bleibt. Bis zum Erlaß dieses Gesetzes kann eine Haftung des Beklagten nicht anerkannt werden.
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Rechtsprechung (BGHZ 4,266; 8,169; 10,125 und 220; 13,303) und Rechtslehre (Löning DRZ 1946, 129 [132]; Reinhardt NJW 1952, 443) haben allerdings in der Erwägung, daß in den Fällen geholfen werden müsse, in denen dem Betroffenen aus sozialpolitischen Gründen ein längeres Zuwarten nicht zuzumuten sei, den Gedanken der Funktionsnachfolge verwendet. Nach Ansicht des Senats handelt es sich dabei um eine Hilfskonstruktion, um dringende Ansprüche durchzusetzen, deren Befriedigung wegen ihres öffentlichrechtlichen Charakters nicht bis zum Erlaß eines Gesetzes aufgeschoben werden kann, ohne daß Berechtigte und die Rechtsordnung Schaden erleiden. Dies ist z. B. der Fall bei Beamtengehältern. Der Gedanke der Funktionsnachfolge muß auf derartige Ansprüche beschränkt werden; einer Ausdehnung auf die Haftung für zivilrechtliche Ansprüche ist er nicht fähig, es sei denn, daß es sich um Ansprüche aus einem Dienstvertrage handelt, bei welchen sich eine Haftung aus dem Gesichtspunkt der Betriebsnachfolge rechtfertigen lassen könnte. Anderenfalls würde die dem Gesetzgeber aus guten Gründen vorbehaltene umfassende Regelung der Schulden Preußens durch richterliche Einzelentscheidungen vorweggenommen werden. Dem kann nicht die Hand geboten werden, weil der Richter nicht die Größenordnung der übernommenen Vermögen und der Schuldenlast kennt und nicht abmessen kann, ob und inwieweit laufende Einnahmen der neugebildeten Länder zur Schuldendeckung herangezogen werden können. Durch die Übertragung des Funktionsnachfolgegedankens auf die Haftung für privatrechtliche Schulden würde der Rechtsgedanke des § 419 BGB völlig verändert und, wenn auch nicht unter dem Namen der Vermögensübernahme, unermeßlich ausgedehnt werden. Diese Erwägungen verbieten es auch, den allgemein gültigen Rechtsgrundsatz, daß der Fiskus, dem das Vermögen einer juristischen Person anfällt, für deren Schulden aufzukommen habe (RGZ 130, 169 [177/178]; 136, 339 ff), auf die Auflösung Preußens anzuwenden. Nur die gesetzliche Regelung der hierdurch entstandenen Lage kann eine gerechte Verteilung der Verbindlichkeit auf die neu entstandenen Länder, die Gebietsteile Preußens in sich aufgenommen haben, unter Anpassung an deren Leistungsfähigkeit gewährleisten.
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Inhalt der Funktionsnachfolge ist die Übernahme hoheitsrechtlicher Funktionen durch den Bund, ein Land oder eine öffentlichrechtliche Körperschaft, die vor dem Zusammenbruch von einer Behörde des Reichs, eines Landes oder einer öffentlichrechtlichen Körperschaft ausgeübt wurden. Aus der Kontinuität derartiger hoheitsrechtlicher Funktionen mag zwangsläufig auch die Kontinuität der bei Erfüllung dieser Aufgaben erwachsenden Verbindlichkeiten zu folgern sein. Diese Voraussetzung ist aber in dem hier zur Entscheidung stehenden Fall nicht gegeben, Die dem Land Preußen aus dem Verkauf des Grundstücks erwachsenen Rechte und Pflichten waren nicht hoheitsrechtlicher, sondern rein privatrechtlicher Art. Das Grundstück gehörte zum fiskalischen Finanzvermögen Preußens. Sein Verkauf an den Kläger begründete für Preußen keine anderen Rechte und Pflichten als sie jeder Privatperson erwachsen wären, wenn sie das Grundstück einem Dritten verkauft haben würde. Der Umstand, daß Preußen das Grundstück entzogen hat, ist für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch ohne rechtliche Bedeutung, denn der Anspruch nach Art. 39 Abs 1 BREG in Verbindung mit § 434 BGB richtet sich gegen den unmittelbaren Rechtsvorgänger, nicht weil er das Grundstück entzogen hat, sondern weil das Grundstück entzogen und daher rückerstattungspflichtig ist; es ist also gleichgültig, ob der unmittelbare Rechtsvorgänger die wider rechtliche Entziehung vollzogen hat oder nicht.
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