![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher | |||
![]() | ![]() |
![]() |
2. Bei der Bemessung der Aufopferungsentschädigung können nichtvermögensrechtliche Nachteile des Betroffenen keine Berücksichtigung finden. |
Einl Pr ALR §§ 74, 75. |
III. Zivilsenat |
Urteil |
vom 13. Februar 1956 |
i. S. Land B.W. (Bekl.) w. H. (KI.) |
-- III ZR 175/54 -- |
I. Landgericht Heidelberg |
II. Oberlandesgericht Karlsruhe | |
Der Kläger kam während des letzten Krieges als Soldat nach einer Granatsplitterverwundung in Lazarettbehandlung. Im Herbst 1941 wurde er in das Teillazarett bei der Chirurgischen Universitätsklinik in H. eingewiesen, die damals unter der Leitung des Prof. Dr. K. stand. Er wurde dort wegen eines Aneurys ![]() ![]() | 1 |
Die Thorotrastinjektionen führten beim Kläger zu einer Leberzirrhose (Leberschrumpfung), die von der Versorgungsbehörde als Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden ist. Infolge dieser Erkrankung ist der Kläger erwerbsunfähig und es entstehen ihm Kosten, die von der Versorgungsbehörde nicht getragen werden.
| 2 |
Der Kläger legt Prof. Dr. K. und Dr. Ph. Pflichtverletzungen zur Last und macht letzterem schuldhaft falsche Behandlung, insbesondere übermäßige Dosierung und unzulässige intravenöse Einspritzung des Kontrastmittels Thorotrast zum Vorwurf. Er hat deshalb mit seiner gegen das beklagte Land B.-W. als Rechtsnachfolger des badischen Staates erhobenen und auf Amtspflichtverletzung gestützten Klage beantragt, die Verpflichtung des beklagten Landes festzustellen, ihm unter Anrechnung seiner Versorgungsrente allen aus der fehlerhaften Behandlung entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen sowie das beklagte Land zur Zahlung eines Schmerzensgelds zu verurteilen.
| 3 |
Das Landgericht hat festgestellt, "daß der Beklagte an Stelle des vom Kläger begehrten Schadensersatzes und Schmerzensgeldes verpflichtet ist, diesen für die aus den in der Chirurgischen, Klinik in H. vorgenommenen Thorotrast-Arteriographien entstandenen Nachteile billig zu entschädigen". Gegen dieses Urteil haben das beklagte Land Berufung und der Kläger Anschluß ![]() ![]() | 4 |
Die Revision des Landes blieb in der Hauptsache erfolglos.
| 5 |
Aus den Gründen: | |
I. Das Berufungsgericht hat einen Aufopferungsanspruch des Klägers im wesentlichen aus folgenden Erwägungen bejaht: Mit der Entscheidung BGHZ 9, 83 sei davon auszugehen, daß auch bei Eingriffen, die auf Gesetz beruhen, und auch bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit ein Aufopferungsanspruch gegeben sein könne. Es könne deshalb offen bleiben, auf welcher Rechtsgrundlage die Pflicht des Klägers als Wehrmachtangehöriger zur Duldung der angeordneten Behandlung beruhte, als deren Folge er eine Leberzirrhose erlitten habe, die ihn arbeitsunfähig und unabhängig von den körperlichen Schäden auch seelisch zu einem Krüppel gemacht habe. Die finanzielle Unterstützung, die der Kläger auf dem Wege der Kriegsbeschädigtenversorgung erhalte, insbesondere seine Rente, gleiche diese Schäden nicht annähernd aus. Wegen der im vorliegenden Fall gegebenen Umstände könne nicht eingewendet werden, daß derartige Kriegsschäden, wie sie der Kläger erlitten habe, durch die Versorgungsgesetze erschöpfend geregelt seien. Die besondere Art der Behandlung des Klägers (Vornahme von Arteriographien unter Verwendung von Thorotrast) habe hier auch noch einem Nebenzweck, nämlich der wissenschaftlichen Forschung gedient. Dem Kläger, der zu dem verhältnismäßig kleinen Personenkreis der zu diesem Nebenzweck in das Teillazarett eingelieferten Wehrmachtsangehörigen gehört habe, sei durch die besondere Behandlungsmethode ein besonderes Opfer zugemutet worden. Träger der wissenschaftlichen Forschung, in deren Interesse der zur Schädigung des Klägers führende Eingriff erfolgt sei, sei die Universität H. gewesen und dieser seien die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit in der Klinik zugute gekommen, so daß sie als durch den Eingriff "begünstigt" anzusehen sei. Infolgedessen sei der damalige badische Staat als vermögensrechtlicher Träger der Universität H. entschädigungspflichtig geworden und als Rechts- und Funktionsnachfolger des badischen Staates das beklagte Land an dessen Stelle getreten.
| 6 |
![]() ![]() | 7 |
Im allgemeinen stellt jedoch eine Wehrdienstbeschädigung mit ihren Folgen einen Aufopferungstatbestand im Rechtssinne nicht dar, weil es insoweit daran fehlt, daß von dem Betroffenen als einzelnen oder als Glied eines begrenzten Personenkreises durch Eingriff von hoher Hand ein ihn im Vergleich zu anderen ungleich treffendes und anderen nicht zugemutetes besonderes Opfer verlangt worden ist. Die Wehrdienstgesetze verlangten ganz allgemein von allen dazu tauglichen Männern, im Krieg Wehrdienst zu leisten und die damit verbundenen Nachteile und Gefahren auf sich zu nehmen, so daß der einzelne, wenn er bei Erfüllung des Wehrdienstes einen Schaden erlitten hat, insoweit kein besonderes Opfer im Sinne des allgemeinen in § 75 EinlALR zum Ausdruck gekommenen Rechtsgrundsatzes erbracht hat. Der Betroffene muß sich deshalb insoweit allein auf die Versorgungsansprüche, wie sie den Kriegsbeschädigten durch die besonderen Versorgungsgesetze gewährt sind (jetzt Bundesversorgungsgesetz vom 20. Dezember 1950/7. August 1953 - BVG -), verweisen lassen (§ 81 BVG).
| 8 |
![]() ![]() | 9 |
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bestand eine Anordnung in der Wehrmacht, Soldaten mit Erkrankungen, wie sie beim Kläger vorlagen, in das Teillazarett bei der Chirurgischen Universitätsklinik in H. zu verlegen. Diese Maßnahme war nicht nur geleitet von dem Gedanken, für die erkrankten oder verwundeten Soldaten und im ausschließlichen Interesse ihrer Heilung die besonderen Einrichtungen, Erfahrungen und personellen Kräfte, über die das Lazarett verfügte, nutzbar zu machen. Vielmehr spielte dabei nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine besondere Rolle der Gedanke, auf diese Weise dem Dr. Ph. - den der Leiter des Lazarettes und der Klinik, Prof. Dr. K., für einen außerordentlich befähigten Wissenschaftler hielt und dem er infolgedessen in der Klinik eine der eines Oberarztes vergleichbare überragende Stellung eingeräumt hatte - das für seine besonderen Forschungsarbeiten auf dem Gebiete der Arteriographien unter Verwendung von Thorotrast benötigte umfangreiche Material von Patienten zu bieten, dessen anderweite Beschaffung wegen der sonst erforderlichen Zustimmung der Patienten zu der besonderen Behandlungsmethode Schwierigkeiten bereitet haben würde. Bei der Vornahme der Arteriographien unter Verwendung von Thorotrast an den in die H. Klinik eingelieferten Wehrmachtangehörigen hat es sich zwar nicht darum gehandelt, daß an ihnen als reinen Versuchsobjekten, eine bis dahin unbekannte und sonst noch nicht gebräuchliche Behandlungsmethode ausprobiert werden sollte. Aber immerhin ging es doch darum, dem auf dem Gebiet der umstrittenen Arteriographien unter Thorotrast-Verwendung umfangreich wissenschaftlich und praktisch tätigen Dr. Ph. ![]() ![]() ![]() ![]() | 10 |
2. Die Vorinstanzen haben auch mit Recht angenommen, daß das beklagte Land für den Aufopferungsanspruch des Klägers passiv legitimiert sei. Das Berufungsgericht hat dazu im einzelnen ausgeführt: "Eingreifender Hoheitsträger" sei zwar die Wehrmacht gewesen. Das aber sei nicht entscheidend, vielmehr komme es darauf an, wer durch die in Rede stehende Maßnahmen "begünstigt" worden sei. Durch die bei dem Kläger vorgenommene Behandlung aber sei angesichts des damit verbundenen Forschungszweckes die Universität H. begünstigt, so daß der damalige Staat als vermögensrechtlicher Träger der Universität und als dessen Rechts- und Funktionsnachfolger das beklagte Land entschädigungspflichtig geworden sei. Dem ist - zumindest im Ergebnis - beizupflichten. Dabei kann offen bleiben, ob für die entscheidend zu Forschungszwecken vorgenommene besondere Behandlung des Klägers tatsächlich noch die Wehrmacht oder ob nicht insoweit - allein oder auch - die Universität (oder der die Universität tragende Staat) als "eingreifender Hoheitsträger" anzusehen ist. Entscheidend kommt es nach den Grundsätzen in BGHZ 11, 248 [251 ff.] darauf an, daß jedenfalls als durch das Sonderopfer des Klägers "begünstigt" die Universität H. als Träger der wissenschaftlichen Forschung angesehen werden muß. Daraus folgt die Haftung des jetzt beklagten Landes. Dabei braucht der Frage nicht weiter nachgegangen zu werden, ob der Aufopferungsanspruch im Jahre 1941 zunächst gegen das Reich oder ob er - mit Rücksicht darauf, daß die damaligen Länder zwar ihre Qualifikation als "Staat" verloren hatten und keine eigene Kulturhoheit mehr besaßen, sie aber doch noch höchst potenzierte Selbstverwaltungskörperschaften und haushaltsrechtliche Träger der Universitäten waren - zunächst gegen das damalige Land Baden entstanden ist. Jedenfalls ergibt sich die Haf ![]() ![]() | 11 |
3. Jedoch kann den Vorinstanzen in der Frage des Umfangs des Entschädigungsanspruchs und in der Behandlung des von dem Kläger geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs nicht gefolgt werden. Nach der Auffassung des erkennenden Senats kann im Rahmen der auf Grund eines Aufopferungsanspruchs zu gewährenden Entschädigung ein Ausgleich für Schmerzen und sonstige immaterielle Nachteile nicht gewährt werden.
| 12 |
Unsere gegenwärtige Rechtsordnung und insbesondere das Schadensersatz- und Entschädigungsrecht ist beherrscht von dem in § 253 BGB festgelegten Grundsatz, daß ein Ausgleich in Geld nur für vermögensrechtliche (materielle) Einbußen verlangt werden kann. Nur ganz ausnahmsweise gewährt das Gesetz in den Fällen der §§ 847, 1300 BGB eine billige Entschädigung auch "wegen des Schadens, der nicht Vermögensschäden ist". Es handelt sich hierbei um Tatbestände, in denen durch ein - vermeidbares - schuldhaftes Verhalten einem Dritten Unbill zugefügt worden ist, und in diesen Fällen liegt die ausnahmsweise für den Schädiger im Gesetz normierte Verpflichtung zur Entschädigungsleistung über den vermögensrechtlichen Schaden hinaus entscheidend mitbegründet in dem Gedanken der Genugtuung, die der Schädiger dem Verletzten schuldet (vgl. dazu BGHZ 18, 149 [154]). Dementsprechend hat der Gesetzgeber bei allen sonstigen Haftungstatbeständen, die ein Verschulden nicht voraussetzen und bei denen infolgedessen auch der Genugtuungsgedanke keine entscheidende Rolle spielen kann, insbesondere bei der sog. Gefährdungshaftung, davon abgesehen, dem Geschädigten einen Ausgleich für immaterielle Schäden zu gewähren. Daß im Einzelfall einmal auch bei mangelndem Verschulden ein Schmerzensgeld verlangt werden kann, so bei der Tierhalterhaftung (vgl. RGZ 50, 244 [252/3]), steht dem Gesagten nicht entgegen und stellt keine Systemwidrigkeit dar, da die Tierhalterhaftung vom Gesetzgeber mit unter die - grundsätzlich Verschulden voraussetzenden - "unerlaubten Handlungen" eingereiht worden ist und diese Haftung nach Maßgabe des § 833 Satz 2 BGB in den ![]() ![]() | 13 |
Von dem Grundsatz, daß nur für vermögensrechtliche Nachteile Entschädigung zu gewähren sei, gehen auch die Bestimmungen der §§ 74, 75 EinlALR, auf die das auch für die Gebiete außerhalb des früheren Landes Preußen anerkannte und gewohnheitsrechtlich fortgebildete Rechtsinstitut des Aufopferungsanspruchs zurückgeht, aus. Dementsprechend ist auch in allen Fällen, in denen hier interessierende Aufopferungstatbestände eine besondere gesetzliche Regelung erfahren haben, von einer Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Schäden abgesehen worden. Insoweit ist hinzuweisen auf: § 2 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vom 20. Mai 1898 (RGBl. 345); § 3 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14. Juli 1904 (RGBl. 321); § 4 des Gesetzes über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920 (RGBl. 941); § 537 Nr. 5 RVO i.d.F. des 6. Änderungsgesetzes vom 9. März 1942 (RGBl. I, 107) und der 1. Durchführungsverordnung dazu vom 20. August 1942 - RGBl. I, 532 (früher § 553 a RVO i.d.F. des 5. Änderungsgesetzes vom 17. Februar 1939 (RGBl. I, 2671); § 9 des Bundesversorgungsgesetzes vom 20. Dezember 1950 (BGBl. 791); § 151 des Bundesbeamtengesetzes vom 14. Juli 1953 (BGBl. I, 551); Bundesentschädigungsgesetz vom 18. September 1953 (BGBl. I, 1387) (vgl. dazu BGHZ 12, 278 [282]); § 70 Pr PolVerwG vom 1. Juni 1931 (GS 77) (vgl. hierzu Friedrichs, Komm [1932] Anm 5 zu § 70; Klausener-Kerstiens-Kempner [1932] Anm. IV 3 zu § 70); Impfschädengesetz für Nordrhein-Westfalen vom 10. Februar 1953 (GVBl. 166); § 65 PolVerwG für Rheinland-Pfalz vom 26. März 1954 (GVBl. 31).
| 14 |
Aus den vorstehend wiedergegebenen Regelungen in ihrer Gesamtheit muß auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, daß eine Entschädigung für immaterielle Schäden nur in den ausdrücklich normierten Sonderfällen der §§ 847, 1300 BGB gewährt werden, im übrigen aber - insbesondere auch bei Vorliegen von Aufopferungstatbeständen - Schadensersatz und Entschädigung auf den Ausgleich vermögensrechtlicher Nach ![]() ![]() | 15 |
Eine Berücksichtigung der dem Kläger erwachsenen immateriellen Schäden muß ihm deshalb im Rahmen der Aufopferungsentschädigung versagt bleiben. Das schließt jedoch nicht aus, daß in diesem Rahmen - ebenso wie im allgemeinen Schadensersatzrecht die Beseitigung immaterieller Schäden im Wege der Na ![]() ![]() ![]() | 16 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |