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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Simone Jampen, A. Tschentscher | |||
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vom 8. Juli 1908 |
in Sachen Huber und Genossen gegen Kanton Solothurn. |
Solothurnisches Gesetz vom 27. Mai 1907 betr. die Aufhebung der Ehehaften. Eingriff in wohlerworbene Privatrechte, Art. 15 soloth. KV? Nachweis der entschädigungsberechtigten Ehehaften; Entschädigungsmodus. | |
Sachverhalt | |
A. | |
Das solothurnische Wirtschaftsgesetz vom 28. November 1905 bestimmt in § 4:
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"Die Rechte der Ehehaften bleiben vorbehalten. Diese Rechte erstrecken sich jedoch nicht auf die persönlichen Erfordernisse des Wirtschaftsinhabers, die polizeilichen Vorschriften dieses Gesetzes, sowie auf den Ausschank und Verkauf gebrannter Wasser (§ 16). Bis zum gesetzmäßigen Loskauf der Ehehaften sind die Inhaber solcher Rechte von der Bezahlung der Gebühren, welche in § 33 für die Erwerbung des Rechtes zur Veranstaltung öffentlicher Tanzbelustigungen vorgesehen sind, enthoben; es soll jedoch hierdurch keinerlei Prä ![]() ![]() | 2 |
Am 27. Mai 1907 erließ der Kantonsrat von Solothurn ein "Gesetz betreffend die Aufhebung der Ehehaften", das in der Volksabstimmung vom 15. Dezember 1907 angenommen und vom Regierungsrat mit der amtlichen Publikation des Abstimmungsresultates auf den 21. Dezember 1907 in Kraft erklärt wurde. Aus diesem Gesetz sind hier folgende Bestimmungen hervorzuheben:
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§ 1. "Die im Wirtschaftsgewerbe den Besitzern von ‚Ehehaften' gewährten Vergünstigungen und Vorrechte werden durch dieses Gesetz auf den 30. Juni 1910 aufgehoben."
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§ 2. "Bisherige Ehehaftenbesitzer, welche vom 1. Juli 1910 hinweg das Wirtschaftsgewerbe weiterführen wollen, haben die gesetzlich vorgesehenen Patente zu erwerben und die entsprechenden Abgaben zu bezahlen."
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§ 4. "Sofern und soweit Ehehaften auf wohlerworbenen, unwiderruflichen Privatrechten beruhen, leistet der Staat den Besitzern den Umständen angemessene Entschädigung.
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Diese wird in der einmaligen Ausrichtung einer Geldsumme bestehen. Im Falle eines Vergleiches (§ 5) kann jedoch die Fortsetzung des Wirtschaftsgewerbs in bisheriger Weise für die Dauer von noch höchstens 16 Jahren gestattet werden."
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§ 5. "Der Regierungsrat ist ermächtigt, auf Wunsch von Ehehaftenbesitzern, deren Entschädigungsansprüche durch Vergleich zu erledigen.
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Derartige Abkommen unterliegen der Genehmigung durch den Kantonsrat."
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§ 6. "Wird von einem Ehehaftenbesitzer der Vergleichsweg nicht betreten oder führt dieser zu keinem Erfolg, so entscheiden auf Klage des Besitzers die Gerichte.
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Jeder Ehehaftenbesitzer hat seinen Anspruch gesondert geltend zu machen."
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Art. 15 der KV von Solothurn lautet:
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Bei der Beratung des "Gesetzes betreffend die Aufhebung der Ehehaften" im Kantonsrat wurde der Ausdruck "wohlerworbene, unwiderrufliche Privatrechte" in § 4 der Vorlage von den Berichterstattern des Regierungsrates und der Kommission damit begründet, daß im Kanton eine große Zahl widerruflicher Ehehaften vorhanden sei, die seinerzeit vom Lehens- oder Landesherr "so lange es uns gefällt", "auf Gefallen hin", und in ähnlichen Wendungen verliehen worden seien, und daß die Inhaber solcher die Widerrufsklausel enthaltenden Tavernenrechte nicht entschädigungsberechtigt sein sollten. Von anderer Seite wurde bemerkt, daß das Wort "unwiderruflich" in § 4 eigentlich überflüssig sei, weil es schon im Begriff des wohlerworbenen Rechts liege, daß es nicht widerruflich sein könne; immerhin diene hier das Wort "unwiderruflich" zur Klarlegung und Verdeutlichung. In Bezug auf die Bemessung der Entschädigungen der Besitzer von Ehehaften wurde im Kantonsrat ein Antrag, eine "dem wirklichen Wert der Ehehafte entsprechende Entschädigung" zuzusichern, abgelehnt. Dabei wurde von den Berichterstattern des Regierungsrates und der Kommission für die Gesetz gewordene Fassung der Vorlage, wonach der Staat den Besitzern "den Umständen angemessene Entschädigung" leistet, angeführt, daß die vorhandenen Ehehaften sehr verschiedenartig seien, sodaß bei Zumessung der Entschädigungen jeweilen den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falles Rechnung getragen werden müsse. Doch wurde von anderer Seite auch betont, daß es sich bei dieser Frage um einen Streit um Worte handle, weil materiell kein Unterschied bestehe zwischen einer dem wirklichen Wert der entzogenen Sache entsprechenden und einer den Umständen angemessene Entschädigung.
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B. | |
Gegen das "Gesetz betreffend die Aufhebung der Ehehaften" haben am 17. Februar 1908 Robert Huber-Zepfel zur "Krone" in Solothurn und 114 in einer Beilage zum Rekurs namentlich aufgeführte Personen als Inhaber von Ehehaften den staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht ergriffen mit dem Begehren: Das Bundesgericht möge erkennen, es sei § 4 des in der solothurnischen Volksabstimmung vom 15. Dezember 1907 angenom ![]() ![]() | 15 |
Die Beschwerdepunkte werden wie folgt formuliert:
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"a) daß nur diejenigen Ehehaften, welche auf wohlerworbenen "unwiderruflichen" Privatrechten beruhen, entschädigt werden sollen, statt daß einfach mit dem Wortlaut der Verfassung nur von wohlerworbenen Privatrechten gesprochen wird;
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b) daß den Ehehaftenbesitzern vom Staate nur eine "den Umständen angemessene Entschädigung" geleistet werden soll, statt, wie die Verfassung sagt, volle Schadloshaltung, und
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c) daß im Falle eines Vergleiches den betreffenden Ehehaftenbesitzern die Fortsetzung des Wirtschaftsgewerbes noch für eine Dauer bis zu 16 Jahren gestattet werden kann, während einerseits diese Vergünstigung ausdrücklich ausgeschlossen ist, wenn der Ehehaftenbesitzer seine Entschädigung durch den Richter festsetzen läßt, und anderseits alle Rechte, welche sonst mit den Ehehaften verbunden sind, nach Maßgabe von § 1 des Gesetzes auf dm 30. Juni 1910 aufgehoben sein sollen."
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Zur Begründung wird ausgeführt: Nach den Beratungen im Kantonsrat müsse wohl als Wille des Gesetzgebers angenommen werden, daß gemäß dem Wort "unwiderruflich" in § 4 die für das materielle Recht höchst wichtige Bestimmung in das Gesetz habe aufgenommen werden wollen, daß nur diejenigen Ehehaften wohlerworbene Privatrechte bedeuten, welche als unwiderrufliche verliehen worden seien, diejenigen aber, welche bei der Verleihung als widerrufliche konstituiert worden seien, als wohlerworbene Privatrechte im Sinne des Gesetzes und der Verfassung nicht angesehen werden sollen. Wenn man nun auch zugeben wollte, daß bei der Verleihung von Ehehaften durch Klauseln, wie: "so lange es uns gefällt" und dergl., Wirtschaftsgerechtigkeiten entstanden sein möchten, bei welchen der Landesherr oder die damalige Regierungsgewalt das Recht gehabt hätte, ohne weiteres die Gerechtigkeit wieder rückgängig zu machen, so sei damit die Frage noch ![]() ![]() ![]() ![]() | 20 |
Ebenso verletze der § 4 des Gesetzes mit seiner Bestimmung, daß "eine den Umständen angemessene Entschädigung" zu leisten sei, den Art. 15 KV. Dieser verlange "volle Entschädigung" und das bedeute etwas anderes als "den Umständen angemessene Entschädigung". An Stelle der unbeschränkten und fixen Entschädigungspflicht nach Expropriationsrecht trete eine eingeschränkte und variable, wie sie etwa Art. 51 OR für den privatrechtlichen Schadenersatz aus unerlaubter Handlung festsetze. Die volle Entschädigung aber bedeute, daß das abzutretende Recht ganz, hinsichtlich aller in ihm enthaltenen, vermögensrechtlich relevanten Befugnisse entschädigt werde; daß ferner voraussetzungslos entschädigt werde, d.h. ohne daß die Entschädigungspflicht von andern Bedingungen abhängig gemacht werde und daß endlich der bisher Berechtigte für allen und jeden Schaden, der ihm aus der Abtretung erwachse, den direkten und indirekten Schaden, einen Ersatz in Geld erhalte. Das freie richterliche Ermessen in der Zubilligung dieser vollen Entschädigung wolle offenbar (wofür wiederum die kantonsrätliche Beratung herangezogen wird) auch durch den angefochtenen Entschädigungsmaßstab beschränkt und eingeengt werden. Der § 4 enthalte deshalb auch in dieser Beziehung eine unzulässige authentische Interpretation des Art. 15 KV und einen nach Art. 4 KV unzulässigen Eingriff der gesetzgebenden in das Gebiet der richterlichen Gewalt.
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Die Bestimmung des § 4 endlich, wonach im Falle eines Vergleichs die Fortsetzung des Wirtschaftsgewerbes in bisheriger Weise für die Dauer von noch höchstens 16 Jahren gestattet werden könne, möge ein fiskalisch gewandter Schachzug sein, dagegen enthalte sie eine Überschreitung der dem Gesetzgeber verfassungsgemäß gesetzten Schranken. Nur die "öffentliche Wohlfahrt" ermögliche dem Gesetzgeber die Aufhebung der Ehehaften, und nur diese könne für die Frage maßgebend sein, ob diese Auf ![]() ![]() | 22 |
C. | |
Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat auf Abweisung des Rekurses angetragen. In der Vernehmlassung wird anerkannt, daß Art. 15 Abs. 2 KV nicht nur auf die Fälle der Expropriation Bezug habe, sondern auch auf die Aufhebung eines Privatrechts durch die Gesetzgebung.
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"Aus Art. 15 KV kann gefolgert werden, daß der Gesetzgeber nicht berechtigt ist, durch Aufhebung von Privatrechten das Vermögen des einzelnen Bürgers zu schädigen, d.h. Privatrechte ohne Gewährung voller Schadloshaltung aufzuheben, bezw. wenn das Prinzip oder das Maß bestritten ist, der Entscheidung der zuständigen Behörde hierüber vorzugreifen und den angeblich in ihren Rechten Gekränkten den Rechtsweg in der einen oder in der andern Richtung zu verschließen."
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Zu dem Beschwerdepunkt betreffend den Zusatz der Unwiderruflichkeit der Ehehaften in § 4 wird bemerkt, es habe damit keineswegs angedeutet werden wollen, daß die wohlerworbenen Privatrechte nicht geschützt seien. Der Staat anerkenne vielmehr ausdrücklich die Entschädigungspflicht gegenüber wohlerworbenen Privatrechten an und habe sich dieser Pflicht nicht dadurch entziehen wollen, daß er erkläre, nur die unwiderruflichen entschädigen zu wollen, denn widerrufliche Privatrechte gehörten eben nicht zu den wohlerworbenen. Welche Rechte widerrufliche und welche unwiderrufliche seien, das unterstehe in jedem einzelnen Falle der richterlichen Kognition. Würde § 4 des angefochtenen Gesetzes einfach von den Ehehaftenrechten als wohlerworbenen Privatrechten schlechthin gesprochen haben, so hätte der Staat riskiert, daß ihm ![]() ![]() | 25 |
Was den Beschwerdepunkt betreffend die Bemessung der Entschädigung anbetrifft, so wird vom Regierungsrat ausgeführt, es genüge je nach den Umständen zum "vollen Ersatz aller Vermögensnachteile" gemäß den Einzelheiten des besondern Falls eine größere oder kleinere Summe. Das habe mit der Wendung "den Umständen angemessene Entschädigung" gesagt werden wollen und nicht mehr. Die vom Gesetze geforderte Berücksichtigung des einzelnen Falls wolle also keineswegs bedeuten, daß die wohlerworbenen Rechte nicht voll entschädigt werden sollen.
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Der Regierungsrat bestreitet sodann, daß in der Bestimmung des § 4, wonach im Falle eines Vergleiches die Fortsetzung des Wirtschaftsgewerbes in bisheriger Weise für die Dauer von noch höchstens 16 Jahren gestattet werden kann, eine ungleiche Behandlung der Rekurrenten liege. Diese Belassung des Wirtschaftsbetriebes auf bisheriger Ehehaftgrundlage solle der Entschädigung für die sofortige Ablösung der Ehehaft gleichkommen. Jeder Ehehaftinhaber könne sich auf diese Weise entschädigen lassen; glaube er sich damit nicht voll entschädigt, so könne jeder auf dem Prozeßwege eine Geldentschädigung verlangen.
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Am Schluß der Antwort wird bemerkt, daß das Bundesgericht sich darauf beschränken dürfte, von den Erklärungen des Regierungsrates Akt zu nehmen, die resümierend dahin gingen, daß das Gesetz in keiner Weise dem durch Art. 15 der KV proklamierten Schutz wohlerworbener Privatrechte Abbruch tun wolle, und daß dem Zivilrichter in Ansehung der Auslegung und Anwendung des Begriffes wohlerworbener Privatrechte und der Bemessung der Entschädigung durch das Gesetz nicht vorgegriffen werde.
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D. | |
In der Replik haben die Rekurrenten an ihren Anträgen festgehalten. ![]() | 29 |
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
2. Frägt es sich, ob § 4 Abs. 1 des Gesetzes, insofern darnach der Staat für die auf wohlerworbenen unwiderruflichen Privatrechten beruhenden Ehehaften den Umständen angemessene Entschädigung leistet, mit Art. 15 KV in Widerspruch steht, so ist nicht zu verkennen, daß die von Art. 15 bewußt abweichende Formulierung der Bestimmung in Verbindung mit der Beratung im Kantonsrat, insbesondere den Äußerungen der Berichterstatter des Regierungsrates und der Kommission, die Vermutung erwecken könnte, man habe mit den Ausdrücken "wohlerworbene unwiderrufliche Privatrechte" und "den Umständen angemessene Entschädigung" die Verpflichtung des Staates gegenüber Art. 15 KV beschränken wollen. Betrachtet man jedoch die Vorschrift des § 4 Abs. 1 als solche, ohne Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte, so kann nicht gesagt werden, daß sie an sich schon gegen Art. 15 KV verstoße; denn das Wort "unwiderruflich" kann sehr wohl lediglich als eine zwar überflüssige, aber vor Art. 15 KV nicht unzulässige Erläuterung des Begriffs "wohlerworbenes Privatrecht" verstanden werden in der Bedeutung, daß ein rein prekaristisches, vom Staate jederzeit nach Belieben und ohne Entschädigung widerrufliches Wirtschaftsrecht nicht als wohlerworbenes ![]() ![]() | 32 |
Erwägung 3 | |
3. Nach § 4 Abs. 2 des Gesetzes in Verbindung mit § 5 ist der Regierungsrat befugt, in Vergleichen mit Ehehaftenbesitzern über die Entschädigung als Leistung des Staates bei der Bemessung der Entschädigung für die Dauer von höchstens 16 Jahren die Gerechtigkeit noch fortdauern zu lassen. Die Bestimmung mag insofern einigermaßen befremden, als dadurch, entgegen dem Zweck des Gesetzes, die Aufhebung von Ehehaften allerdings nur für eine verhältnismäßig beschränkte Zahl von Jahren hinausgeschoben werden kann. Eine Verletzung der Rechtsgleichheit den Rekurrenten gegenüber kann aber darin nicht erblickt werden. Denn jener Entschädigungsmodus ist unter den gleichen Voraussetzungen und in gleicher Weise für alle Beteiligten vorgesehen. Jeder Besitzer einer Ehehaften kann in Vergleichsunterhandlungen mit dem Regierungsrat treten und hat dabei ![]() ![]() | 33 |
Demnach hat das Bundesgericht erkannt: | |
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