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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 19. März 1996 |
i.S. G. gegen Kanton Zürich und Kantonsrat des Eidgenössischen Standes Zürich |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 und 58 BV, Art. 2 ÜbBest. BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK; Zürcher Gesetzesänderungen betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung; abstrakte Normenkontrolle. |
§ 5a der Zürcher Zivilprozessordnung (ZPO), wonach der Richter am Ort der Anstalt zur Behandlung eines Gesuchs um gerichtliche Beurteilung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung zuständig ist, verletzt Art. 2 ÜbBest. BV, Art. 58 BV und Art. 4 BV nicht (E. 2b/aa-cc). |
Es verstösst nicht gegen Bundesrecht, wenn nach dem kantonalen Recht die Berufung auch gegen einen den Freiheitsentzug aufhebenden Entscheid des Einzelrichters zulässig ist (E. 2c/aa). |
Die Vorschrift von § 203e Abs. 2 Ziff. 4 ZPO, die den Kreis der Verfahrensbeteiligten gegenüber dem Bundesrecht einschränkt, verletzt Art. 2 ÜbBest. BV (E. 2c/bb). |
Die zürcherische Regelung des Berufungsverfahrens ist mit Art. 397f Abs. 1 ZGB und Art. 5 Ziff. 4 EMRK vereinbar (E. 2d). | |
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A. | |
Die Stimmberechtigten des Kantons Zürich nahmen in der Volksabstimmung vom 12. März 1995 die Vorlage über die Gesetzesänderungen betreffend die fürsorgerische Freiheitsentziehung an. Der Kantonsrat erwahrte das Abstimmungsergebnis am 8. Mai 1995. Dieser Beschluss wurde im kantonalen Amtsblatt vom 19. Mai 1995 veröffentlicht. Am 7. Juni 1995 setzte der Regierungsrat des Kantons Zürich die erwähnten Gesetzesänderungen auf den 1. Januar 1996 in Kraft.
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G. erhob gegen die Gesetzesänderungen betreffend die fürsorgerische Freiheitsentziehung staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Art. 4 BV, 58 BV, 2 ÜbBest. BV, 5 Ziff. 4 EMRK und 6 Ziff. 1 EMRK. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und hebt § 203e Abs. 2 Ziff. 4 der zürcherischen Zivilprozessordnung auf. Im übrigen weist es die Beschwerde ab.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
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aa) Der in Art. 2 ÜbBest. BV enthaltene Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts bedeutet, dass die Kantone in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, nicht zur Rechtsetzung befugt sind. Wird mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung dieses Grundsatzes gerügt, so prüft das Bundesgericht frei, ob die beanstandete kantonale Norm mit dem Bundesrecht vereinbar ist (BGE 120 Ia 89 E. 2a; 117 Ia 472 E. 2a, je mit Hinweisen). Nach Art. 64 Abs. 1 und 2 BV steht dem Bund die Gesetzgebung auf dem ganzen Gebiet des Zivilrechts zu. Die ![]() ![]() | 7 |
Gemäss Art. 397b Abs. 1 ZGB ist für den Entscheid über eine fürsorgerische Freiheitsentziehung eine vormundschaftliche Behörde am Wohnsitz oder, wenn Gefahr im Verzuge liegt, eine vormundschaftliche Behörde am Aufenthaltsort der betroffenen Person zuständig. Der Beschwerdeführer macht geltend, im Vormundschaftsrecht gelte allgemein der Grundsatz, dass die Behörde am Wohnsitz der betroffenen Person zum Entscheid über vormundschaftliche Massnahmen zuständig sei. Solche Massnahmen müssten, wenn immer möglich, dort angeordnet und aufgehoben werden können, wo der Schutzbefohlene seinen Lebensmittelpunkt habe. Vom Wohnsitzprinzip dürfe nur abgewichen werden, wenn das Bundesrecht dies selber vorsehe oder wenn es dem kantonalen Gesetzgeber dazu ausdrücklich die Befugnis einräume. In bezug auf die gerichtliche Überprüfung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung geniesse der kantonale Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der sachlichen Zuständigkeit völlige Freiheit, bei der Regelung der örtlichen Zuständigkeit hingegen sei er an Art. 397b ZGB gebunden. Die vom zürcherischen Gesetzgeber in § 5a ZPO vorgesehene Überprüfung durch den Richter am Ort der Anstalt verstosse daher gegen Bundesrecht.
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Aus den Materialien zu den Art. 397a ff. ZGB ergibt sich, dass das Bundesrecht die materiellen Voraussetzungen einer fürsorgerischen ![]() ![]() | 9 |
Nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt der Umstand, dass der Bundesgesetzgeber in einem vom Bundeszivilrecht geregelten Bereich keine abschliessende Ordnung getroffen hat, für sich allein nicht, um die vom Kanton diesbezüglich erlassenen Vorschriften als zulässig zu betrachten. Erforderlich ist zudem, dass die kantonalen Bestimmungen einem schutzwürdigen öffentlichen Interesse entsprechen und nicht gegen Sinn und Geist des Bundeszivilrechts verstossen. Auch diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Im Kanton Zürich war früher die Psychiatrische Gerichtskommission, die ihren Sitz in Zürich hatte, als einzige kantonale ![]() ![]() | 10 |
bb) Zur Begründung des Vorwurfs, diese kantonale Norm verstosse gegen die Garantie des verfassungsmässigen Richters, bringt der Beschwerdeführer vor, wenn der Einzelrichter am Ort der Anstalt für die Überprüfung der ![]() ![]() | 11 |
Art. 58 Abs. 1 BV gewährleistet den Anspruch auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter sowie die Einhaltung der einmal getroffenen staatlichen Zuständigkeitsordnung. Er schreibt aber den Kantonen nicht eine bestimmte Gerichtsorganisation oder ein bestimmtes Verfahren vor (BGE 117 Ia 190 E. 6a; 114 Ia 50 E. 3b). Aus Art. 58 Abs. 1 BV lässt sich nicht ableiten, dass zur Überprüfung einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung der Richter am Wohnsitz des Betroffenen zuständig sein müsse. Sodann genügt es unter dem Gesichtspunkt dieser Verfassungsbestimmung, dass sich die Zuständigkeit zur Überprüfung des Freiheitsentzugs aufgrund des § 5a ZPO im Anwendungsfall bestimmen lässt. Inwiefern die in dieser Vorschrift getroffene Regelung den Möglichkeiten des Manipulierens Tür und Tor öffnen soll, wird durch die blossen Mutmassungen und Behauptungen des Beschwerdeführers nicht dargetan; es ist klar, dass die Behörden die Anstalt im Hinblick auf die Interessen der einzuweisenden Person wählen müssen und Spekulationen über die Art der gerichtlichen Beurteilung keine Rolle spielen dürfen. Die angefochtene kantonale Norm verstösst weder gegen die Garantie von Art. 58 Abs. 1 BV noch gegen den hier nicht über die Verfassungsbestimmung hinausgehenden Anspruch gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
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cc) Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, die Zuständigkeitsordnung von § 5a ZPO verletze den Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne von Art. 4 BV. Er führt zur Begründung aus, Personen, die in eine Anstalt an ihrem Wohnort oder in eine ausserkantonale Anstalt eingewiesen worden seien, würden von ihrem Wohnsitzrichter beurteilt. In allen anderen Fällen sei der Wohnsitzrichter nicht zuständig, obwohl die Schutzbedürftigkeit, die zur Einweisung führe, sich in nichts ![]() ![]() | 13 |
Ein Erlass verstösst gegen das Willkürverbot, wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt oder sinn- und zwecklos ist. Er verletzt das Rechtsgleichheitsgebot, wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen (BGE 119 Ia 123 E. 2b; 117 Ia 97 E. 3a; 114 Ia 321 E. 3a, je mit Hinweisen). Es bestehen, wie dargelegt, ernsthafte sachliche Gründe dafür, dass im Falle der Einweisung einer Person in eine innerhalb des Kantons gelegene Anstalt der Richter am Anstaltsort zur Beurteilung des fürsorgerischen Freiheitsentzugs zuständig ist. Eine solche Ordnung ist nicht sinn- und zwecklos und hält dem Willkürverbot stand. Dass nach § 5a ZPO in jenen Fällen, in denen die Anstalt ausserhalb des Kantons liegt, der Richter am Wohnsitz der betroffenen Person oder am Sitz der einweisenden Behörde zur Beurteilung der Freiheitsentziehung zuständig ist, verletzt das Gebot der Rechtsgleichheit nicht. Die unterschiedliche rechtliche Regelung ist deshalb gerechtfertigt, weil sich in diesen selteneren Fällen der Betroffene nicht in einer innerhalb des Kantons gelegenen, sondern in einer ausserkantonalen Anstalt befindet und der Zürcher Gesetzgeber nicht befugt ist, eine ausserkantonale Behörde als richterliche Instanz einzusetzen. Die in § 5a ZPO getroffene Ordnung verstösst demnach nicht gegen Art. 4 BV. c) Gemäss § 203e Abs. 2 ZPO gelten als Verfahrensbeteiligte:
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"1. die betroffene Person;
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2. die Anstaltsleitung, sofern die Einweisung durch einen Arzt erfolgt ist;
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3. die Vormundschaftsbehörde, wenn sie die Einweisung verfügt hat oder wenn sie vormundschaftliche Massnahmen, die über die Vermögensverwaltung hinausgehen, angeordnet oder das Verfahren für solche Massnahmen eingeleitet hat;
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4. nahe Angehörige, die mit der gesuchstellenden Person im gemeinsamen Haushalt leben oder sich am Einweisungsverfahren wesentlich beteiligt haben."
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aa) Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorschrift von § 203e Abs. 2 Ziff. 2-4 ZPO verstosse gegen Art. 397d ZGB und missachte damit den Vorrang des Bundesrechts. Aus den Materialien zu § 203e Abs. 2 ZPO ergebe sich, dass die in dieser Vorschrift aufgeführten Verfahrensbeteiligten legitimiert ![]() ![]() | 19 |
Nach Art. 397d ZGB kann die betroffene oder eine ihr nahestehende Person "gegen den Entscheid" den Richter anrufen (Abs. 1), und dieses Recht besteht auch bei Abweisung eines Entlassungsgesuches (Abs. 2). Die Bestimmungen, welche Art. 397d ZGB vorangehen, handeln von den Voraussetzungen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung (Art. 397a ZGB), von der Zuständigkeit zur Anordnung dieser Massnahme (Art. 397b ZGB) und von der behördlichen Mitteilungspflicht bei Anordnung einer Freiheitsentziehung (Art. 397c ZGB). Wenn Art. 397d Abs. 1 ZGB vom "Entscheid" spricht, dessen gerichtliche Beurteilung die betroffene oder eine ihr nahestehende Person verlangen kann, so kann damit nach der Systematik der gesetzlichen Regelung nur der Entscheid gemeint sein, der gemäss den vorangehenden Bestimmungen die Freiheitsentziehung anordnet. Auch die Systematik innerhalb der Vorschrift von Art. 397d ZGB selber führt zu diesem Schluss, denn wenn nach Abs. 2 das Recht auf Anrufung des Richters "auch bei Abweisung eines Entlassungsgesuches" besteht, so lässt sich daraus schliessen, dass mit dem "Entscheid" gemäss Abs. 1 nur jener über Unterbringung oder Zurückbehaltung in einer Anstalt gemeint sein kann. Aufgrund der Gesetzesmaterialien muss ebenfalls angenommen werden, die ![]() ![]() | 20 |
Was der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift beanstandet, betrifft nicht die in Art. 397d ZGB geregelte Frage, gegen welche vormundschaftlichen Entscheide aus dem Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung der Richter angerufen werden kann. Der Beschwerdeführer kritisiert, dass nach der zürcherischen Ordnung in einem gerichtlichen Verfahren, in dem der Einzelrichter die Entlassung verfügte, der Entscheid mit Berufung beim Obergericht angefochten werden kann. Wie die kantonalen ![]() ![]() | 21 |
Der Beschwerdeführer könnte mit seiner Rüge nur durchdringen, wenn aus der Regel des Art. 397d ZGB, welche die Anrufung des Richters bei Entlassungsentscheiden ausschliesst, sinngemäss der Schluss gezogen werden müsste, die Kantone dürften gegen Entlassungsentscheide des Einzelrichters die Berufung nicht zulassen. Es ist verständlich, dass der Beschwerdeführer diesen Schluss zieht, doch ist diese Folgerung keineswegs zwingend. Es ist durchaus sinnvoll, dass der eidgenössische Gesetzgeber einerseits die allgemeine Frage, welche Entscheide der Vormundschaftsbehörde richterlicher Anfechtung zugänglich sind, selber regelte, während er anderseits die Frage, ob im Fall eines Entscheids des Einzelrichters die Berufung an eine obere kantonale Instanz zulässig ist, nach dem allgemeinen Grundsatz, dass die Ordnung des Verfahrens Sache der Kantone ist, der kantonalen Regelung überliess. In der Botschaft des Bundesrates wurde ausgeführt, es seien kantonale Ausführungsvorschriften über die sachliche Zuständigkeit und das Verfahren nötig und es bleibe Raum für ergänzende kantonale Bestimmungen; die Kantone könnten dabei bewährte Lösungen in ihr künftiges Recht übernehmen und sie weiterentwickeln (BBl 1977 III, S. 20). Dass der Bundesgesetzgeber selber bestimmte, gegen welche vormundschaftlichen Entscheide der Richter angerufen werden kann, hatte einen besonderen Grund. Soweit mit einem Entscheid der Vormundschaftsbehörde dem Betroffenen die Freiheit entzogen wird, muss nach Art. 5 Ziff. 4 EMRK, welche Vorschrift mit dem Beitritt der Schweiz zur EMRK Bestandteil der schweizerischen Rechtsordnung wurde, eine richterliche Beurteilung gewährleistet sein. Um eine dieser internationalen Norm entsprechende Ordnung zu garantieren, empfahl es sich dem Bundesgesetzgeber, selber zu bestimmen, in welchen Fällen richterliche Beurteilung verlangt werden kann, und damit festzulegen, dass im Fall des Freiheitsentzugs stets der Richter muss ![]() ![]() | 22 |
bb) Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Vorschrift von § 203e Abs. 2 Ziff. 4 ZPO verstosse aus einem weiteren Grund gegen Bundesrecht. Gemäss Art. 397d ZGB komme die Legitimation im Verfahren nach Art. 397a ff. ZGB neben der betroffenen auch jeder "nahestehenden Person" zu, wobei dieser Begriff weit zu verstehen sei und darunter auch jemand falle, der die betroffene Person aufgrund freundschaftlicher oder beruflicher Beziehungen gut kenne. Die kantonale Bestimmung umschreibe den Kreis der Verfahrensbeteiligten mit "nahen Angehörigen, die mit der gesuchstellenden Person im gemeinsamen Haushalt leben oder sich am Einweisungsverfahren wesentlich beteiligt haben". Da diese Umschreibung bedeutend enger gefasst sei als der bundesrechtliche Begriff, werde mit der kantonalen Bestimmung die Parteistellung von nahestehenden Personen in unzulässiger und ![]() ![]() | 23 |
Nach Art. 397d Abs. 1 ZGB steht das Recht, im Falle einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung den Richter anzurufen, der betroffenen oder einer ihr nahestehenden Person zu. In den Materialien wurde ausgeführt, der Begriff "nahestehende Person" entspreche dem Sinne nach der in Art. 420 ZGB verwendeten Umschreibung "jedermann, der ein Interesse hat"; diese Formulierung wäre aber unbefriedigend gewesen, weil nach Lehre und Praxis nur derjenige ein Interesse im Sinne des Gesetzes habe, welcher Mündelinteressen wahren wolle (BBl 1977 III, S. 37). Der Begriff der nahestehenden Personen nach Art. 397d Abs. 1 ZGB wird in Lehre und Rechtsprechung weit ausgelegt (SPIRIG, a.a.O., N. 24 u. 26 zu Art. 397d ZGB mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; CYRIL HEGNAUER, Zum Begriff der nahestehenden Person im Sinne von Art. 397d ZGB, Zeitschrift für Vormundschaftswesen 39/1984, S. 26 ff.; THOMAS SEEGER, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung, Zeitschrift für öffentliche Fürsorge 81/1984, S. 76; CHRISTIANA SUHR BRUNNER, Fürsorgerische Freiheitsentziehung und Suchterkrankungen, insbesondere Drogensucht, Diss. Zürich 1994, S. 145). Das Bundesgericht versteht darunter jene Personen, die den Betroffenen zufolge Verwandtschaft oder Freundschaft oder wegen ihrer Funktion oder beruflichen Tätigkeit (Arzt, Sozialhelfer, Priester oder Pfarrer etc.) gut kennen (BGE 114 II 213 E. 3). Auch in der Literatur wird ausgeführt, nahestehende Personen seien jene, die wegen ihrer Beziehung zum Betroffenen eine unmittelbare Kenntnis seiner Persönlichkeit hätten und deshalb geeignet seien, die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen. In diesem Sinne erscheine als nahestehende Person neben nahen Verwandten wie Vater und Mutter auch der vertraute Freund und die vertraute Freundin, ausserdem der Lehrer, der Pfarrer, der Arzt, der Psychologe, der Jugendgruppenleiter oder der Sozialarbeiter, wenn er beruflich mit der eingewiesenen Person in engen Kontakt gekommen sei (HEGNAUER, a.a.O., S. 27 f.). Nach der hier angefochtenen kantonalen Bestimmung gelten als Verfahrensbeteiligte "nahe Angehörige, die mit der gesuchstellenden Person im gemeinsamen Haushalt leben oder sich am Einweisungsverfahren wesentlich beteiligt haben". Die Zürcher Behörden halten in ihren Beschwerdeantworten fest, der kantonale Gesetzgeber habe mit dieser Umschreibung den Kreis der Verfahrensbeteiligten gegenüber der bundesrechtlichen Vorschrift nicht beschränken wollen. Der Regierungsrat weist darauf hin, unter dem Begriff ![]() ![]() | 24 |
Bei der Beurteilung der Frage, ob die angefochtene kantonale Norm einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist, hat das Bundesgericht grundsätzlich vom Wortlaut der Vorschrift auszugehen. Nach dem Wortlaut von § 203e Abs. 2 Ziff. 4 ZPO umfasst der Kreis der Verfahrensbeteiligten nahe Angehörige, die entweder mit dem Betroffenen im gemeinsamen Haushalt leben oder sich am Einweisungsverfahren wesentlich beteiligt haben. In der Sprache des eidgenössischen Rechts sind "Angehörige" einer Person nur der Ehegatte, die Verwandten gerader Linie, die vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, die Adoptiveltern und Adoptivkinder, nicht aber Schwager und Schwägerin, Stiefeltern und Stiefkinder, Verlobte und Konkubinatspartner (Art. 110 Ziff. 2 StGB; STEFAN TRECHSEL, Kurzkommentar zum StGB, Zürich 1989, N. 3 zu Art. 110 StGB; vgl. auch PIERRE TERCIER, Qui sont nos "proches"?, in Festgabe Bernhard Schnyder, Freiburg 1995, S. 799 ff., der den Begriff der Angehörigen weniger eng auslegt). Wenn der Regierungsrat ausführt, unter den Begriff "Angehörige" falle auch der Konkubinatspartner und allgemein eine Drittperson, die zum Betroffenen eine gewisse Beziehung habe, so legt er die kantonale Bestimmung gegen ihren unmissverständlichen Wortlaut aus. Wie ausgeführt, sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch Ärzte, Sozialhelfer, Priester und Pfarrer, die den Betroffenen gut kennen, zu den nahestehenden Personen im Sinne von Art. 397d ZGB zu rechnen. Es ist klar, dass diese nicht als Angehörige betrachtet werden können, und das macht es besonders deutlich, dass die Behauptung der Zürcher Behörden, die in § 203e Abs. 2 Ziff. 4 ZPO enthaltene Regel schränke den Kreis der Verfahrensbeteiligten nicht ein, verfehlt ist. Die kantonale Vorschrift steht mit dem Bundesrecht in klarem Widerspruch, lässt sich nicht verfassungskonform auslegen und verstösst gegen den in Art. 2 ÜbBest. BV statuierten Grundsatz des Vorranges des Bundesrechts. Sie ist aufzuheben und die Beschwerde in diesem Punkt gutzuheissen.
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d) Im weiteren bringt der Beschwerdeführer vor, die Ausgestaltung des Berufungsverfahrens in den §§ 260 Abs. 2, 268a und 268b ZPO verstosse gegen das Gebot des "einfachen und raschen Verfahrens" gemäss Art. 397f Abs. 1 ![]() ![]() | 26 |
Der fürsorgerische Freiheitsentzug nach Art. 397a ff. ZGB stellt eine Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. e EMRK dar. Dementsprechend hat eine von einer solchen Massnahme betroffene Person gemäss Art. 5 Ziff. 4 EMRK das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht so rasch als möglich über die Rechtmässigkeit der Freiheitsentziehung entschieden und im Falle der Widerrechtlichkeit die Entlassung angeordnet wird (BGE 116 Ia 60 E. 3a; 114 Ia 182 E. 3a/bb). Der Entscheid über eine fürsorgerische Freiheitsentziehung kann nach Art. 397d ZGB beim Richter angefochten werden. Die Verfahrensordnung wird unter Beachtung der bundesrechtlichen Grundsätze von Art. 397e und Art. 397f ZGB durch das kantonale Recht bestimmt. Das zürcherische Recht sieht in § 203d ZPO für das Verfahren vor dem Einzelrichter vor, dass die betroffene Person spätestens innerhalb von vier Arbeitstagen seit Eingang des Gesuchs durch den Richter persönlich zu befragen und die Hauptverhandlung in der Regel innert der gleichen Frist durchzuführen ist. Mit dieser Ausgestaltung wird dem Gebot eines raschen und einfachen Verfahrens in hinreichender Weise entsprochen, und der Beschwerdeführer behauptet denn auch zu Recht nicht, das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren vermöge den Anforderungen von Art. 5 Ziff. 4 EMRK nicht zu genügen.
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Seine Kritik bezieht sich auf das Berufungsverfahren. Es stellt sich die Frage, ob Art. 5 Ziff. 4 EMRK auch dann anwendbar ist, wenn ein Gericht als zweite gerichtliche Instanz über die Rechtmässigkeit eines fürsorgerischen Freiheitsentzugs befindet. Das Bundesgericht hat in einem Urteil vom 5. Juli 1991 (BGE 117 Ia 193 ff.) erklärt, die genannte Konventionsbestimmung gelte nur für Verfahren, in denen ein Gericht als erste gerichtliche Haftprüfungsinstanz tätig sei; auf das Haftprüfungsverfahren der zweiten gerichtlichen Instanz komme Art. 5 Ziff. 4 EMRK nicht zur Anwendung. Die ![]() ![]() ![]() ![]() | 28 |
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Der Regierungsrat hält in der Beschwerdeantwort fest, das Gericht müsse einen gewissen Spielraum haben, um über die Ausrichtung einer Prozessentschädigung zu entscheiden. Von einer Entschädigung könne dann abgesehen werden, wenn der Partei kein Schaden erwachsen sei. Es treffe zu, ![]() ![]() | 30 |
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Der fürsorgerische Freiheitsentzug als solcher erfolgt mit der Einweisung in eine Anstalt. Diese Massnahme hat nach den Regeln gemäss Art. 397a ff. ZGB zu erfolgen. Bei der Versetzung in eine andere Anstalt geht es indessen nicht mehr um die Einweisung als solche; der Freiheitsentzug ist vielmehr bereits erfolgt, und es geht nur mehr um die Art und Weise seiner Durchführung. Deshalb muss das formelle Verfahren grundsätzlich nicht eingehalten werden. Im übrigen weist die kantonale Behörde mit Grund darauf hin, dass der Vormundschaftsbehörde die Versetzung mitgeteilt werde und die betroffene Person jederzeit eine gerichtliche Überprüfung verlangen könne. Dem Schutz des Betroffenen wird so in genügender Weise Rechnung getragen. Die in § 117e Abs. 3 EG zum ZGB getroffene Regelung steht mithin nicht in Widerspruch zu Art. 397a ZGB. ![]() | 32 |
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