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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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71. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung |
vom 3. Oktober 1995 |
i.S. F. gegen Stätzerhorn Ski- und Sessellift AG |
(Berufung) | |
Regeste |
Verkehrssicherungspflicht; Haftung der Bergbahnunternehmen für die Sicherheit auf den Skipisten. |
Vereinzelte Masten oder Bäume am Pistenrand müssen durch geeignete Vorrichtungen (z.B. Polsterungen) gesichert werden, wenn sie eine besondere Gefahrenquelle darstellen (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 4). |
Anforderungen an den Beweis des Kausalzusammenhanges zwischen der unterlassenen Sicherung und dem eingetretenen Schaden (E. 5). | |
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A. | |
F. begleitete seit dem 28. Januar 1979 ein Skilager in Churwalden als Hilfsleiter. Die Lagerteilnehmer fuhren tagsüber auf der Alp Stätz Ski und kehrten am Abend jeweils über eine Verbindungspiste nach Churwalden zurück, welche abwechselnd über offenes Gelände und durch eigentliche Waldschneisen führte. Am 2. Februar 1979 fuhr F. bei guten Sicht- und Schneeverhältnissen zusammen mit einem anderen Leiter und zwei Schülern gegen 16.40 Uhr diese Verbindungspiste hinunter. Die Gruppe durchquerte eine längere Waldschneise und gelangte in offenes Gelände, wo sie etwa 130 Meter vor der Brücke über den Stätzerbach anhielt. Von diesem Standort aus war gut erkennbar, dass sich links und rechts vor der Brücke je zwei Lärchen befanden, welche eine Durchfahrt von etwa fünf Metern freiliessen. Die präparierte Piste bis zur Brücke war zirka sieben Meter breit und führte zuerst über einen etwa 70 ![]() ![]() | 1 |
Am 3. April 1979 eröffnete die Staatsanwaltschaft Graubünden eine Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil von F., welche mit Verfügung vom 16. Mai 1979 eingestellt wurde.
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Mit Schreiben vom 2. Mai 1988 teilte F. der Stätzerhorn Ski- und Sessellift AG (nachstehend: Stätzerhorn AG) mit, sie sei als Verantwortliche für die Skipiste ihren Verkehrssicherungspflichten nicht genügend nachgekommen und daher für die Unfallfolgen haftpflichtig.
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B. | |
Nach erfolglosem Sühneverfahren klagte F. am 6. September 1991 beim Bezirksgericht Plessur gegen die Stätzerhorn AG auf Bezahlung einer Genugtuungssumme von Fr. 100'000.-- zuzüglich Zins von 5% seit 2. Februar 1979. Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. März 1993 ab.
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Eine von F. eingereichte Berufung wurde vom Kantonsgericht von Graubünden am 19. Januar 1994 abgewiesen.
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C. | |
F. erhebt eidgenössische Berufung und beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Stätzerhorn AG sei zu verurteilen, ihm unter Vorbehalt der Mehrforderung eine Genugtuungssumme von Fr. 100'000.-- zuzüglich Zins zu 5% seit dem 2. Februar 1979 zu bezahlen. Eventuell sei die Sache zwecks Festlegung der Höhe der Genugtuungssumme und subeventuell zur Ergänzung des Sachverhaltes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Stätzerhorn AG schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf eingetreten werden könne. ![]() | 7 |
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Aus den Erwägungen:
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Erwägung 4 | |
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Der Kläger macht demgegenüber geltend, die Sicherung der Unfallstelle sei erforderlich und zumutbar gewesen.
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a) Es ist allgemein anerkannt, dass Bergbahn- und Skiliftunternehmen, welche Skipisten erstellen und diese für den Skilauf öffnen, grundsätzlich verpflichtet sind, die zur Gefahrenabwehr zumutbaren Vorsichts- und Schutzmassnahmen vorzukehren (BGE 115 IV 189 E. 3a S. 191 f. mit Hinweis; HANS-KASPAR STIFFLER, Schweizerisches Skirecht, 2. Auflage, 1991, S. 107 Rz. 407). Diese sogenannte Verkehrssicherungspflicht ergibt sich aus der allgemeinen Schutzpflicht dessen, der einen Gefahrenzustand schafft und ist insoweit deliktischer Natur (STIFFLER, a.a.O., S. 108 Rz. 409 f.; NOLL/TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Auflage, S. 225). Bergbahnunternehmen haften aber auch vertraglich für die Sicherheit auf den Skipisten, weil sich die Skifahrer nach dem Vertrauensgrundsatz darauf verlassen dürfen, dass jene nicht nur für den Transport sondern auch für die Pistensicherheit und den Rettungsdienst sorgen (BGE 113 II 246 E. 6c S. 250). Der beträchtliche Aufwand für diese Dienste wird denn auch fast ausschliesslich von den Bahnunternehmungen finanziert und ist damit im Preis der im Winter üblichen Tages- und Wochenkarten inbegriffen (BGE 113 II 246 E. 6b S. 249; STIFFLER, a.a.O., S. 115 Rz. 435). Ob die Haftungsgrundlage vertraglicher oder ausservertraglicher Natur ist, ändert aber nichts am Inhalt der Verkehrssicherungspflicht (BGE 113 II 246 E. 3</a> S. 247; STIFFLER, a.a.O., S. 115 Rz. 436). Diese verlangt zum einen, dass Skifahrer vor Gefahren zu schützen sind, welche nicht ohne weiteres erkennbar sind und sich daher als eigentliche Fallen erweisen (BGE 115 IV 189 E. 3c S. 194, 111 IV 15 E. 2 S. ![]() ![]() ![]() ![]() | 11 |
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Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzte, indem sie es unterliess, den Baumstrunk und die Bäume an der Unfallstelle zu sichern. ![]() | 13 |
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5.- Da das Kantonsgericht schon die Vertragsverletzung verneinte, äusserte es sich nicht zur weiteren vom Kläger zu beweisenden Haftungsvoraussetzung des Kausalzusammenhanges zwischen der Vertragsverletzung und dem erlittenen Schaden (BGE 113 II 246 E. 7 S. 251). Die Beklagte bestreitet diesen Kausalzusammenhang und macht insbesondere geltend, selbst das Anbringen einer Polsterung hätte bei der grossen Geschwindigkeit des Klägers einen ungewissen Einfluss auf die durch die Kollision hervorgerufenen Verletzungen gehabt. Der Kläger muss daher nachweisen, dass die verlangte Sicherung der Unfallstelle seine Querschnittlähmung verhindert hätte. Dabei genügt es, wenn nach den Erfahrungen des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für diesen hypothetischen Kausalverlauf spricht (BGE 115 II 440 E. 5a S. 447 f. und E. 6a S. 449 f. mit Hinweis).
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Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz enthalten bezüglich der Fahrgeschwindigkeit des Klägers und dem Kollisionsvorgang selbst nur sehr ungenaue Angaben. Der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt bietet deshalb keine genügende Grundlage, um über die hypothetische Kausalität entscheiden zu können. Er erlaubt es auch nicht, das mögliche von der Beklagten ebenfalls geltend gemachte Selbstverschulden des Klägers zu beurteilen. Ein solches könnte allenfalls zu einer Haftungsreduktion oder, wenn es als grob zu qualifizieren wäre, zur Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhanges führen (BGE 116 II 519 E. 4b S. 524, 81 II 450 E. 3 S. 454; HAGENBUCHER, a.a.O., S. 105). Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bedürfen somit der Vervollständigung im Sinne von Art. 64 Abs. 1 OG. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben und zur Ergänzung des Sachverhaltes und zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. ![]() | 15 |
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