BGE 103 Ia 417 - Schweizer | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
64. Auszug aus dem Urteil |
vom 5. Oktober 1977 |
i.S. Schweizer gegen Grossen Rat des Kantons Schaffhausen | |
Regeste |
Art. 85 lit. a OG; Ungültigerklärung einer Initiative wegen Verletzung von Art. 22ter BV. |
Das im Kanton Schaffhausen mit einer Volksinitiative anbegehrte "Gesetz zur Erhaltung von Wohnraum" verletzt die Eigentumsgarantie. |
- Institutsgarantie (E. 3). |
- Bestandesgarantie (E. 4). | |
Sachverhalt | |
A.- Mit Beschluss vom 21. Juni 1976 erklärte der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen auf Antrag des Regierungsrats die Volksinitiative für ein "Gesetz zur Erhaltung von Wohnraum" für ungültig. Die Initiative hat den folgenden Wortlaut:
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"Art. 1
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Sind Wohnbauten weder abbruchwürdig noch sanierungsbedürftig, dürfen sie grundsätzlich nicht abgebrochen, umgebaut oder im Zweck verändert werden.
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Art. 2
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Sind Wohnbauten abbruchwürdig oder sanierungsbedürftig, dürfen sie nur mit Bewilligung abgebrochen, umgebaut oder im Zweck verändert werden. Das Bewilligungsverfahren ist gleich zu gestalten wie beim Baubewilligungsverfahren.
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Die Bewilligung für diese Massnahmen wird erteilt, wenn durch den Neu- oder Umbau oder durch die Zweckveränderung wenigstens in bisherigem Ausmass Wohnraum zu tragbaren Mietzinsen entsteht bzw. erhalten bleibt. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so hat die Gemeinde das Recht, die Liegenschaften zu erwerben. Sie kann darauf selber Wohnbauten zu tragbaren Mietzinsen erstellen. Ebenso kann sie das Grundstück zu diesem Zweck an Dritte im Baurecht vergeben.
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Art. 3
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Wenn es das öffentliche Wohl erfordert, sind Ausnahmen von den Verboten und Bewilligungsverfahren zulässig."
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Gegen diesen Beschuss führt ein Stimmbürger staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung seiner politischen Stimmberechtigung und beantragt die Aufhebung des Grossratsbeschlusses. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
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Erwägung 3 | |
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Wie der Regierungsrat in seinem Bericht an den Grossen Rat ausführt, gehen die im Volksbegehren verlangten Eingriffe in das Eigentum sehr weit. Für alle Wohnungen, die weder abbruch- noch sanierungsbedürftig sind, wird ein völliges Abbruch-, Umbau- und Zweckänderungsverbot verhängt, es sei denn, dass vorhandener Wohnraum zu tragbaren Mietzinsen verbessert oder vergrössert wird oder dass das öffentliche Wohl eine Ausnahme erheischt. Weder Eigenheime noch Luxuswohnungen sind von dieser Regelung ausgenommen. Und selbst anerkanntermassen abbruchwürdige oder sanierungsbedürftige Wohnbauten dürfen nur dann abgerissen oder umgebaut werden, wenn wenigstens gleichviel Wohnraum wieder geschaffen wird und der Mietzins überdies tragbar bleibt. Andernfalls kann die Gemeinde die Liegenschaft erwerben.
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Trotzdem räumt auch der Regierungsrat ein, dass dem Eigentümer nach dem Wortlaut der Initiative wesentliche Befugnisse wie die bisherige Nutzung und das Veräusserungsrecht erhalten bleiben. Es kann daher von einer Verletzung der Institutsgarantie nicht gesprochen werden. Die Möglichkeit, Privateigentum zu erwerben, zu nutzen und wieder zu veräussern, bleibt grundsätzlich bestehen.
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Die Art und Weise der Nutzung kann aufgrund von Art. 22ter Abs. 2 und 22quater BV beschränkt werden, ohne dass das Institut des Privateigentums selbst dadurch betroffen wäre (BGE 101 Ia 514). Dem Regierungsrat kann nicht gefolgt werden, wenn er bereits im Nutzungszwang eine Verletzung des Wesenskerns der Eigentumsgarantie sieht, indem dem Eigentümer leerstehender, schwer vermietbarer Wohnungen "tatsächlich nichts als ein leeres, nur noch der Bezeichnung nach vorhandenes Eigentum" verbleibe. Der Eigentümer erleidet zwar u.U. eine Vermögenseinbusse dadurch, dass er den Mietzins senken muss. Diese Schädigung berührt jedoch nicht die Institutsgarantie, sondern nur allenfalls die Bestandesgarantie, welche die konkreten, individuellen Eigentumsrechte schützt (BGE 96 I 559).
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Erwägung 4 | |
4.- Im folgenden ist die Vereinbarkeit der zu beurteilenden Initiative mit der Bestandesgarantie zu prüfen. Ob an einer Eigentumsbeschränkung ein erhebliches öffentliches Interesse besteht, das im Vergleich mit den ihm entgegenstehenden privaten Interessen überwiegt, und ob der fragliche Eingriff nicht weiter geht, als es dieses öffentliche Interesse erfordert, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei. Dabei übt es jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht, und soweit sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen (BGE 99 Ia 38; 98 Ia 376 mit Hinweisen).
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Das Bundesgericht ging dabei davon aus, dass die Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg durch ein stetiges Anwachsen der Baukosten sowie ein rapides Bevölkerungswachstum gekennzeichnet war, was eine bedrohliche Verknappung des Angebots an preisgünstigen Wohnungen, insbesondere in Stadtzentren, zur Folge hatte. Es führte aus, dass die Bereitstellung billiger Wohnungen als Massnahme der sozialen Wohlfahrt unter anderem durch den Bundesbeschluss über Massnahmen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus und das Bundesgesetz über Massnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus anerkannt worden sei. Auch habe sich die Wohnmarktlage in den vorangehenden Jahren eher verschlechtert.
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Es ist zu prüfen, ob sich diese Situation seither wesentlich geändert habe. Am 1. Dezember 1974 betrug der Leerwohnungsbestand im Kanton Schaffhausen noch 1,05% des Gesamtwohnungsbestandes oder in absoluten Zahlen 286 Wohnungen (vgl. "Die Volkswirtschaft" 1975, S. 203). Am 1. Dezember 1975 betrug der Leerwohnungsbestand schon 2,44% oder 683 Leerwohnungen (a.a.O. 1976, S. 206). Und für den 1. Dezember 1976 lauteten die Zahlen 2,62% oder 735 Leerwohnungen (a.a.O. 1977, S. 196).
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Was die Agglomeration Schaffhausen betrifft, so ist sogar ein noch stärkeres Anwachsen des Leerwohnungsbestandes zu verzeichnen: Während der Bestand am 1. Dezember 1974 noch 0,93% oder 201 Wohnungen betrug (a.a.O. 1975, S. 72), stieg er bis zu 2,83% oder 622 Wohnungen am 1. Dezember 1976.
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Obwohl diese Entspannung der Wohnmarktlage in mehr oder minderem Masse in allen Kantonen eingetreten ist (vgl. die oben mehrfach erwähnte Statistik), hat das Bundesgericht doch auch in letzter Zeit noch immer die Existenz eines öffentlichen Interesses an Massnahmen zur Bekämpfung des Wohnungsmangels bejaht (BGE 102 Ia 376 f.; 101 Ia 510). Vor allem den Mangel an billigen Wohnungen beurteilte es als noch nicht behoben, so dass immer noch eine unerwünschte Abhängigkeit der Mieter von den Vermietern bestehe.
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Gemäss der "Analyse des Leerwohnungsbestandes in der Agglomeration Zürich" (zur Publikation bestimmt in: Schriftenreihe Wohnungswesen des Bundesamtes für Wohnungswesen) sind der grösste Teil der leerstehenden Wohnungen entweder zu teuer oder ungünstig gelegen. Es handelt sich dabei oft um Wohnungen, die in Gemeinden mit wenig Arbeitsplätzen und dementsprechend viel Wegpendlern, mit schlechten Verkehrsverbindungen zum Agglomerationszentrum und hohem Steuerfuss gelegen sind. Ausserdem geben die Wohnungen zu Beanstandungen Anlass wegen starker Immissionen, störender Einsichtsmöglichkeiten von der Strasse her oder Anordnung in grossen Serien gleichartiger, monotoner Baukörper. Der zu hohe Mietzins für solche Wohnungen resultiert daraus, dass sie zumeist in der Zeit des Baubooms mit sehr hohen Baukosten erstellt wurden, so dass die Miete, soll sie kostendeckend bleiben, nicht genügend gesenkt werden kann.
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Die Beurteilung der Frage, ob ein gesunder Wohnungsmarkt vorhanden sei, darf nicht bei der quantitativen Feststellung eines Angebotsüberhangs stehenbleiben. Sie muss vielmehr auch die Qualität dieses Angebots überprüfen. Ein Vergleich mit der Art der vorhandenen Nachfrage ergibt dann, ob eine Wohnung als zumutbar beurteilt werden kann oder nicht. Wenn in der oben erwähnten Studie für den Kanton Zürich festgestellt wurde, dass der grösste Teil des Leerwohnungsbestandes diesen Anforderungen nicht zu genügen vermag, so dürfte dieses Ergebnis auch für städtische Agglomerationen in andern Kantonen aufschlussreich sein.
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Aus den angeführten Gründen muss deshalb das Bestehen eines erheblichen öffentlichen Interesses an der Erhaltung von Wohnraum nach wie vor bejaht werden. Immerhin wird in der Interessenabwägung zu berücksichtigen sein, dass die Intensität dieses Interesses doch in den letzten Jahren zurückgegangen ist und dass es sich nunmehr auf Wohnungen beschränkt, deren Qualität-Preis-Relation günstig ist.
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Der Beschwerdeführer hat in seinen Eingaben betont, es gehe bei der Initiative um den Schutz qualitativ guten und preisgünstigen Wohnraums; wie oben festgestellt, besteht nur an solchen Wohnungen ein öffentliches Interesse. Die genannte Zielsetzung mag zwar von den Initianten beabsichtigt sein, sie äussert sich aber nicht genügend im massgebenden Initiativtext. Die Zielsetzung der Initiative gilt ganz allgemein der Erhaltung von Wohnraum, ohne irgendwelche Präzisierungen bezüglich der Art dieses Wohnraums. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrer Benennung als "Initiative für ein Gesetz zur Erhaltung von Wohnraum", sondern auch aus der Formulierung der Art. 1 und 2, welche in keiner Weise die Qualität oder den Preis der betroffenen Wohnungen als relevantes Kriterium für die Anwendbarkeit des Erlasses erwähnen. Es hätte zumindest eine Ausnahmeregelung geschaffen werden müssen, die erlaubt hätte, nur die im öffentlichen Interesse liegenden Wohnungen zu schützen. Die allzu weit gefasste Zielsetzung der Initiative liesse sich nur dann rechtfertigen, wenn sie aus Gründen der Praktikabilität oder der Gleichbehandlung zur Erreichung des eigentlichen öffentlichen Zweckes unumgänglich wäre, oder wenn erwartet werden könnte, dass der Erlass nur in dieser Form eine Mietpreissenkung bewirke.
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Was die Praktikabilität betrifft, so zeigen andere kantonale Regelungen, dass eine Differenzierung danach, ob eine Wohnung zu einer Kategorie gehört, in der Mangel herrscht, durchaus möglich ist. So unterstellt das im Entscheid 101 Ia 502 vom Bundesgericht beurteilte Dekret im Kanton Waadt den Abbruch von Wohnungen nur in denjenigen Gemeinden der Bewilligungspflicht, in denen Mangel an Wohnungen herrscht. Im weiteren wird die Abbruchbewilligung nur für jene Wohnungen verweigert, die in eine solche "Mangelkategorie" fallen (vgl. S. 503 oben). Auch das vom Beschwerdeführer selbst zum Vergleich angeführte Basler Abbruchgesetz (vgl. BGE 99 Ia 36) führt eine gewisse Differenzierung ein, indem z.B. vermietete Einfamilienhäuser besonders behandelt werden (§ 3 lit. e). Diese Beispiele zeigen, dass eine differenzierende Regelung nicht den für die Kantone zumutbaren Verwaltungsaufwand übersteigt.
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Was die Gleichbehandlung betrifft, so besteht vorliegend kein Grund, die Eigentümer von Wohnungen, an deren Erhaltung kein öffentliches Interesse besteht, denselben Regeln zu unterstellen wie die Eigentümer von schützenswerten Wohnungen. Der Einbezug von Wohnungen, an deren Erhaltung kein öffentliches Interesse besteht, bedeutet im Hinblick auf den Zweck des Erlasses eine Gleichbehandlung von Ungleichem.
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Die Initianten haben denn auch weder die Praktikabilität noch die Rechtsgleichheit ins Feld geführt zur Begründung des weiten, undifferenzierten Anwendungsbereichs der Initiative. Sie haben sich darauf beschränkt nachzuweisen, dass nach wie vor Mangel an zinsgünstigen, geräumigen und verkehrsgünstig gelegenen Wohnungen herrscht. Inwiefern zu deren Erhaltung ein generelles und zudem zeitlich unbeschränktes Abbruch- und Zweckänderungsverbot notwendig ist, ist jedoch nicht ersichtlich. Die Initiative erweist sich somit schon aus diesem Grund als unverhältnismässig und somit verfassungswidrig.
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aa) Art. 1 des Volksbegehrens verbietet grundsätzlich den Abbruch, den Umbau und die Zweckveränderung von nicht sanierungsbedürftigen Wohnungen. Ausgenommen davon ist nur die Verbesserung oder Vergrösserung des vorhandenen Wohnraums zu tragbaren Mietzinsen. Ausnahmen sind überdies zulässig, wenn dies das öffentliche Wohl erfordert (Art. 3).
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Die Regelung bedeutet demnach keinen Eingriff für den Eigentümer, der keine Nutzungsveränderung anstrebt, denn normalerweise wird nicht umgebaut, ohne dass der Wohnraum dadurch verbessert würde. In seinen Befugnissen eingeschränkt würde höchstens derjenige Eigentümer, der mit so hohen Kosten umbauen möchte, dass "tragbare" Mietzinse nachher nicht mehr möglich wären. Dies entspricht dem mit der Initiative verfolgten öffentlichen Interesse und ist damit zweck- und verhältnismässig.
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Anders liegen die Verhältnisse jedoch, wenn der Wohnraum in Geschäftsraum umgewandelt werden soll. Ein Interesse daran besteht insbesondere, wenn es sich um schlecht vermietbaren Wohnraum handelt. Aus der obigen Darstellung ergibt sich, dass schlechte Vermietbarkeit oft darauf zurückzuführen ist, dass der Raum als Wohnraum ungeeignet ist. In diesen Fällen hat die Öffentlichkeit wenig Interesse, den leeren Wohnraum zu erhalten, so dass sich ein Zweckänderungsverbot nicht rechtfertigt. Anderseits erfordert aber das öffentliche Wohl auch nicht eine Ausnahme im Sinne des Art. 3, so dass die Behörden diesem Fall nicht gerecht werden könnten.
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bb) Für die abbruchwürdigen oder sanierungsbedürftigen Wohnbauten regelt Art. 2 der Initiative folgendes: Sie dürfen nur mit Bewilligung abgebrochen, umgebaut oder im Zweck verändert werden, wobei wenigstens im bisherigen Ausmass Wohnraum zu tragbaren Mietzinsen entstehen oder erhalten bleiben muss, damit eine Bewilligung erteilt werden kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so hat das Gemeinwesen das Recht, die Liegenschaft zu erwerben. Es kann alsdann selber Wohnbauten zu tragbaren Mietpreisen erstellen oder das Grundstück zu diesem Zweck an Dritte im Baurecht vergeben.
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Vorweg ist festzustellen, dass es unverständlich erscheint, dass die abbruchwürdigen und sanierungsbedürftigen Wohnbauten nur mit Bewilligung abgebrochen, im Zweck verändert oder umgebaut werden dürfen, während dies für intakte Bauten gemäss Art. 1 ohne weiteres möglich sein soll, wenn nur dabei im Sinne von Abs. 2 der Wohnraum verbessert oder vergrössert wird. Diese Inkongruenz der Initiative ist unter dem Gesichtswinkel des Gleichbehandlungsgebots fragwürdig.
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Was die Eigentumsbeschränkungen betrifft, so wirkt sich wohl die Initiative für die Kategorie der abbruchwürdigen oder sanierungsbedürftigen Wohnbauten etwas weniger einschneidend aus als für die intakten Bauten. Einmal sind die Voraussetzungen für die Erteilung der Abbruchbewilligung etwas weniger streng, indem der Wohnraum nur erhalten, nicht aber verbessert bzw. vergrössert werden muss. Zum andern soll offenbar immerhin dann die Möglichkeit einer Nutzungsveränderung bestehen, wenn das Gemeinwesen auf sein Erwerbsrecht verzichtet. Hingegen lässt der Wortlaut von Art. 2 der Initiative keinen Raum für die Würdigung privater Interessen des Eigentümers; es fehlen somit auch hier die Voraussetzungen einer verfassungskonformen Handhabung des Gesetzes.
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cc) Weder vor dem Grundsatz der Rechtsgleichheit noch vor dem Prinzip der Verhältnismässigkeit hält schliesslich stand, dass die Gemeinde in jedem Fall einer von Privaten angestrebten Zweckveränderung das Recht des Erwerbs erhält; ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne des Gesetzes für eine solche Massnahme könnte allenfalls dort bejaht werden, wo es sich um die Möglichkeit der Schaffung preisgünstigen Wohnraums in geeigneter (z.B. verkehrsgünstiger) Wohnlage handelt. Das Bundesgericht hat in BGE 88 I 248 eine Initiative für den Bau von preisgünstigen Wohnungen als verfassungsmässig erklärt. Es erkannte, dass ein Kanton ein Vorkaufsrecht mit Enteignungsmöglichkeiten anordnen kann, wenn das öffentliche Interesse für eine solche Massnahme erheblich ist. Es handelte sich dort um eine Genfer Initiative der 60-er Jahre, als in jenem Kanton der Wohnungsmarkt äusserst angespannt war und das öffentliche Interesse an der Minderung der Wohnungsnot als sehr gewichtig bezeichnet werden musste. Trotzdem war lediglich ein Vorkaufsrecht des Staates vorgesehen, welches unter eng begrenzten Voraussetzungen ausgeübt werden konnte. Im Kanton Schaffhausen war die Wohnungsnot nicht vergleichbar gross und die Wohnmarktlage hat sich in jüngster Zeit entspannt. Das öffentliche Interesse an Eingriffen in die Eigentumsfreiheit wiegt demnach nicht so schwer wie im Kanton Genf des letzten Jahrzehnts. Zudem ist ein Kaufsrecht vorgesehen, dessen Ausübung an wesentlich weiter gefasste Voraussetzungen geknüpft ist als das in Genf vorgesehene Vorkaufsrecht. Die Initiative lässt im weiteren offen, auf welche Weise der Kaufpreis festgesetzt werden soll, wenn sich die Parteien nicht einigen sollten. Es ist anzunehmen, dass der Kanton in diesem Fall nach der Meinung der Initianten zur Enteignung schreiten könnte. Die Ausübung des Kaufsrechts und der damit verbundene zwangsweise Entzug des Eigentums könnte in jedem Fall erfolgen, wenn ein Gesuch um Abbruch, Umbau oder Zweckänderung einer Baute abgewiesen würde.
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Die generelle Einräumung des Erwerbsrechts an die Gemeinde erscheint unverhältnismässig.
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Diese Erwägungen zeigen, dass die Initiative nicht nur in ihren Grundzügen verfassungswidrig ist, sondern dass sie sich auf bestimmte Fälle verfassungswidrig auswirken muss, da sie keinen Raum zu verfassungskonformer Anwendung gibt. Der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen hat die Initiative somit zu Recht als verfassungswidrig bezeichnet und der Volksabstimmung nicht unterbreitet.
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