BGE 106 Ib 330 - Gebrüder Thomann & Co. | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
50. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 22. Oktober 1980 |
i.S. Gebrüder Thomann & Co. gegen Gemischte Gemeinde Röschenz und Verwaltungsgericht des Kantons Bern |
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 30 GSchG und Art. 22ter BV; Entschädigung für Nutzungsbeschränkungen infolge Grundwasserschutzzone. |
Aufgrund von Art. 30 GSchG mit Schutzzonenplan angeordnetes Verbot einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung, ohne jedoch die bisherige Nutzung zu untersagen. Art. 30 Abs. 2 GSchG ordnet keine Entschädigungspflicht an, sondern legt nur fest, wen eine solche allenfalls trifft (E. 3). Abgrenzung zwischen materieller Enteignung und entschädigungslos zulässiger Eigentumsbeschränkung (Bestätigung von BGE 96 I 359). Mögliche Ausnahmen vom Grundsatz der Entschädigungslosigkeit von Eigentumsbeschränkungen polizeilicher Natur im engern Sinne (E. 4). | |
Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 3 | |
3.- Die Auffassung der Beschwerdeführerin, Art. 30 GSchG gebe ihr einen Entschädigungsanspruch unabhängig davon, ob sie durch die Nutzungsbeschränkungen materiell enteignet werde, geht fehl. Abgesehen davon, dass sie das Verfahren zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen wegen materieller Enteignung eingeleitet hat und ihre Behauptung bereits aus diesem Grunde widersprüchlich ist, geht aus dem Wortlaut von Art. 30 GSchG unmissverständlich hervor, dass er keine Entschädigungspflicht für Grundwasserschutzzonen anordnet, sondern einzig festlegt, wer allfällige Entschädigungen für Nutzungsbeschränkungen auszurichten hat. Die Gesetzesmaterialien bestätigen diesen Zweck des Art. 30 Abs. 2. Der Berichterstatter der Mehrheit der ständerätlichen Kommission (Hofmann) legte dar, der dem heutigen Art. 30 Abs. 2 entsprechende Art. 29 Abs. 2 des Entwurfes behandle das Problem der Entschädigung; diese treffe grundsätzlich die Eigentümer der Grundwasserfassungen, sofern eine Entschädigungspflicht bestehe. Ausdrücklich hielt dieser Berichterstatter fest: "Wann eine Entschädigungspflicht besteht, wird in diesem Gesetz nicht bestimmt." Der Berichterstatter der Minderheit (Rohner) wünschte unter Hinweis auf die Praxis des Bundesgerichtes, wonach Eingriffe polizeilicher Natur zum Schutze der öffentlichen Gesundheit nicht entschädigungspflichtig seien, eine andere Gliederung des Artikels, "weil sonst leicht der Eindruck entstehen wird, dass die Ausscheidung von Schutzzonen in jedem Fall entschädigungspflichtig sei". Bundesrat Tschudi antwortete hierauf, dass keine materielle Differenz bestehe. Auch aus der Zustimmung zum Antrag der Mehrheit und des Bundesrates könne nicht geschlossen werden, dass damit alle Nutzungsbeschränkungen entschädigungspflichtig wären. Die Meinung gehe durchaus dahin, "dass auch in Zukunft gemäss der Praxis des Bundesgerichts, die von Herrn Ständerat Rohner zitiert wurde, gehandelt werden soll" (Amtl.Bull. 1971 S 147 f.). Im Nationalrat gab die Bestimmung zu keinen weiteren Diskussionen Anlass (Amtl. Bull. 1971 N 715 f.). Der Artikel wurde in der Fassung der Mehrheit angenommen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ergibt sich hieraus eindeutig, dass Art. 30 GSchG die Frage der Entschädigungspflicht nicht regelt, da es der Gesetzgeber bei der bundesgerichtlichen Praxis bewenden lassen wollte. In dieser Hinsicht hat somit die Rechtslage gegenüber dem früheren Gewässerschutzgesetz vom 16. März 1955 keine Änderung erfahren. Der Ausgang der Beschwerdesache hängt somit davon ab, ob die Nutzungsbeschränkungen eine materielle Enteignung der Beschwerdeführerin zur Folge haben.
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Erwägung 4 | |
4.- Das Bundesgericht ist in steter Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Ausübung jedes verfassungsmässigen Rechts unter dem Vorbehalt staatlicher Massnahmen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung stehe. Es hat daraus geschlossen, dass sich die Frage der Entschädigungspflicht des Gemeinwesens für Eigentumsbeschränkungen dann nicht stelle, wenn der Eingriff in das Grundeigentum zum Schutze von Polizeigütern, insbesondere zur Gewährleistung von Leben, Gesundheit, Ruhe und öffentlicher Sicherheit, erfolge. Dabei hat es der Abgrenzung zwischen entschädigungsloser Eigentumsbeschränkung und materieller Enteignung einen engen Polizeibegriff zugrunde gelegt. In BGE 96 I 359 führte es aus:
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"Von einer entschädigungslos zulässigen Eigentumsbeschränkung muss ... dann gesprochen werden, wenn mit der gegen den Störer gerichteten Massnahme eine als Folge der beabsichtigten Grundstücksbenutzung zu erwartende konkrete, d.h. ernsthafte und unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit abgewendet werden soll und wenn die zuständige Behörde zu diesem Zweck ein von Gesetzes wegen bestehendes Verbot konkretisiert und in Bezug auf die in Frage stehende Grundstücksnutzung bloss die stets zu beachtenden polizeilichen Schranken der Eigentumsfreiheit festsetzt."
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Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht dem Grundsatze nach wiederholt bestätigt (BGE 105 Ia 335 E. 3b und 103 Ib 214 E. 1c; Urteil Stalder vom 14. Februar 1979, in BVR 77/1979 S. 381 E. 4b und c). ANDRE GRISEL (Juridiction constitutionnelle de demain, in ZBl 72/1971 S. 224) meldet dagegen einen Vorbehalt an, weil die Abgrenzung des engen Polizeibegriffs schwierig sei. Dieser Umstand allein bildet aber keinen genügenden Grund zur Aufgabe des Grundsatzes, dass Beschränkungen, welche die stets zu beachtenden polizeilichen Schranken der Eigentumsfreiheit festsetzen, entschädigungslos zu dulden sind. Das von A. GRISEL angeführte Beispiel - gänzliches Bauverbot zur Sicherung der Verkehrsübersicht - vermag deshalb nicht zu überzeugen, weil ein entsprechendes, regelmässig mit planerischen Mitteln wie einer Baulinienziehung erfolgendes Verbot, das eine an sich zur Überbauung geeignete, einer Bauzone zugewiesene erschlossene Parzelle betrifft, keineswegs bloss die stets zu beachtenden polizeilichen Schranken der Eigentumsfreiheit festsetzt. Im Vordergrund steht vielmehr eine Massnahme der Strassenplanung, die ein dem Eigentümer grundsätzlich zustehendes Recht entzieht. Es ist denn auch kennzeichnend, dass das positive Recht vielfach ausdrücklich die Möglichkeit der Entschädigung, allenfalls in Form der Gewährung des sogenannten Heimschlagsrechts, für entsprechendes, zufolge der Baulinien nicht mehr überbaubares Land vorsieht.
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Auch die Kritik von BLAISE KNAPP (La garantie de la propriété - l'expropriation matérielle, in: Le droit suisse en évolution, veröffentlicht von der Faculté de droit de l'université de Lausanne, 1978 S. 12) spricht nicht gegen den genannten Entscheidungsgrundsatz, da das von ihm angeführte Beispiel der Bauvorschriften zur Beschränkung der Geschosszahl auch nach der Auffassung des Bundesgerichts keinen Anwendungsfall des Polizeibegriffes im engeren Sinne darstellt. Das zweite Beispiel - Verschärfung von Sicherheitsvorschriften, die zur Folge haben können, dass bewilligte Installationen geändert werden müssen - berührt Fragen der Bestandesgarantie, auf die sich der angeführte Entscheidungsgrundsatz nicht ohne weiteres bezieht, hat doch das Bundesgericht die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn eine bereits bestehende Nutzung untersagt wird, ausdrücklich offen gelassen (BGE 96 I 359 unten).
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ULRICH ZIMMERLI schliesslich (Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur materiellen Enteignung, ZBl 75/1974 S. 152 f.) möchte den Grundsatz des Ausschlusses der Entschädigungspflicht bei polizeilichen Eigentumsbeschränkungen im engeren Sinne dahin präzisieren, dass jedenfalls solche Eigentumsbeschränkungen entschädigungslos zuzulassen sind, "die der konkreten Gefahrenabwehr dienen und mit denen vermieden werden soll, dass der Eigentümer von seinem Grundstück aus andere Bürger ernsthaft und unmittelbar gefährdet oder schädigt oder dass der Grundeigentümer sich selber erheblichen Gefahren aussetzt". Diese Formulierung entspricht durchaus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, umfasst sie doch die in BGE 96 I 128 E. b angeführten Beispiele sowie das mit Rücksicht auf eine Grundwasserfassung angeordnete Verbot der Kiesausbeutung, das dem Entscheid BGE 96 I 350 ff. zugrunde liegt.
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An dieser Rechtsprechung ist daher festzuhalten. Es ist indes hervorzuheben, dass nach ihr nur solche polizeilichen Verbote entschädigungslos zu dulden sind, welche "in bezug auf die in Frage stehende Grundstücksnutzung bloss die stets zu beachtenden polizeilichen Schranken der Eigentumsfreiheit" festsetzen. Stets zu beachten sind nur die im Sinne des Verhältnismässigkeitsprinzipes notwendigen Beschränkungen, nicht auch Anordnungen, welche weiter gehen, als zur Abwendung der ernsthaften und unmittelbaren Gefahr erforderlich ist. Bei den mit Gewässerschutzzonen verbundenen Nutzungsbeschränkungen ist es sehr wohl denkbar, dass z.B. anstelle blosser Baubeschränkungen (wie sie das Bundesrecht in der Verordnung vom 19. Juni 1972 zum Schutze der Gewässer gegen Verunreinigung durch wassergefährdende Flüssigkeiten vorsieht) Bauverbote angeordnet werden, etwa weil ausser dem Grundwasserschutz auch allgemeine raumplanerische Erwägungen für eine Freihaltezone sprechen. In solchen Fällen lässt sich der Ausschluss der Entschädigungspflicht nicht von vornherein mit der blossen Verweisung auf den (auch) polizeilich motivierten Charakter der entsprechenden Anordnungen begründen. Weiter hat das Bundesgericht die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn nicht eine geplante, sondern eine bereits bestehende Nutzung untersagt wird, ausdrücklich offen gelassen (BGE 96 I 359 unten). Schliesslich sind die Fälle vorzubehalten, in denen die Schaffung einer Schutzzone nach Art. 30 GSchG eine Auszonung baureifen oder grob erschlossenen Landes bewirkt (vgl. BGE 105 Ia 338 E. 3d) oder einer solchen Auszonung gleichkommt; dabei stellt sich die Frage der Auszonung aber nur, wo sich die Schutzzone mit der Zone der Grundnutzung nicht verträgt.
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Erwägung 5 | |
5.- (Im vorliegenden Fall stellen die angeordneten Nutzungsbeschränkungen eine gegen den Störer gerichtete Massnahme dar, mit der eine konkrete, d.h. ernsthafte und unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit abgewendet werden soll, nämlich die Gefahr der Verschmutzung der von der Gemeinde seit langem betriebenen Trinkwasserfassung "Kächbrunnen", von deren Bestehen die Beschwerdeführerin beim Erwerb des fraglichen Landwirtschaftsbetriebes Kenntnis haben musste.)
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