BGE 112 Ia 311 - Anwendung verfassungswidriger Bestimmungen | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
47. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. November 1986 i.S. X. gegen Kanton BL und Verwaltungsgericht des Kantons BL (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Rechtsgleiche Besteuerung von Ehegatten und Konkubinatspaaren; ausnahmsweise zulässige Anwendung verfassungswidriger Bestimmungen. |
Verfassungswidriges Recht darf von den kantonalen Gerichten grundsätzlich nicht angewendet werden. Gründe, unter denen dies ausnahmsweise doch zulässig ist. | |
Sachverhalt | |
X., der als Jurist arbeitet, und dessen Ehefrau, die in den Bemessungsjahren 1981/82 als Sekundarlehrerin tätig war, leben seit ihrer Heirat am 11. September 1981 in ungetrennter Ehe. Auf Ende 1982 gaben die Ehegatten X. ihren bisherigen Wohnsitz in einer Gemeinde des Kantons Basel-Landschaft auf und zogen in den Kanton Basel-Stadt. Am 25. April 1984 erliess die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft drei Staatssteuer-Rechnungen für die Steuerjahre 1981-1983. Die Erwerbseinkommen der beiden Ehegatten wurden dabei für die Steuerbemessung zusammengerechnet. Gegen diese Besteuerung erhob X. Einsprache mit dem Antrag, die Staatssteuer-Rechnungen seien aufzuheben und er sei so zu veranlagen, wie wenn er mit seiner Ehefrau im Konkubinat leben würde. Mit Entscheiden vom 11. Mai bzw. 13. Juni 1984 lehnte die kantonale Steuerverwaltung die Einsprache ab.
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Eine gegen die Einspracheentscheide gerichtete Beschwerde wurde von der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Landschaft abgewiesen. Diesen Entscheid zog X. erfolglos an das Verwaltungsgericht weiter.
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Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 12. Februar 1986 hat X. staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, aus folgenden
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Erwägungen: | |
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Das Verwaltungsgericht sieht darin eine im Lichte von BGE 110 Ia 7 ff. verfassungswidrige Benachteiligung des Beschwerdeführers. Trotzdem hat es dessen Beschwerde abgewiesen. Zur Begründung führt es sinngemäss aus, eine Beschwerdegutheissung könnte nicht zur Folge haben, dass der Beschwerdeführer überhaupt keine Steuern zu bezahlen hätte. Es müsste vielmehr eine Neuveranlagung vorgenommen werden, wobei die §§ 8 und 34 StG nicht anzuwenden wären. An deren Stelle müssten andere Bestimmungen treten. Der Erlass solcher Vorschriften sei aber aus Gründen der Gewaltentrennung dem Gesetzgeber zu überlassen. Es stelle sich daher höchstens die Frage, ob die Neuveranlagung vorerst aufzuschieben und erst vorzunehmen sei, nachdem der Gesetzgeber gehandelt habe. Das gehe indes nicht an. Es bleibe daher nichts anderes übrig, als die Beschwerde zwar abzuweisen, gleichzeitig aber festzustellen, dass die angefochtenen, unter Anwendung der §§ 8 und 34 StG ergangenen Steuerveranlagungen verfassungswidrig seien.
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b) Der Beschwerdeführer wirft dem Verwaltungsgericht Willkür vor. Indem es sich weigere, die festgestellte Verfassungswidrigkeit einer Norm im Anwendungsfalle zu beseitigen, verkenne es die Funktion der inzidenten Normenkontrolle. Dieses Rechtsinstitut diene nicht lediglich der Feststellung von Verfassungswidrigkeiten, vielmehr solle es einem konkreten Ansprecher im Einzelfall und ungeachtet sekundärer Folgen für Gesetzgeber oder Fiskus zu einer verfassungskonformen Behandlung verhelfen. Diese sieht er in seinem Fall darin, dass er und seine Ehefrau steuerlich wie ein Konkubinatspaar behandelt werden, also so, wie wenn sie alleinstehend wären.
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c) Das Bundesgericht hat verschiedentlich erkannt, dass kantonale Gerichte unmittelbar gestützt auf die Bundesverfassung verpflichtet sind, das von ihnen anzuwendende kantonale Recht auf seine Übereinstimmung mit der Bundesverfassung zu überprüfen (BGE 91 I 314, BGE 104 Ia 82). Damit verbunden ist grundsätzlich auch die Pflicht, als verfassungswidrig erkanntes Recht im Einzelfall nicht anzuwenden. Bei Vorliegen besonderer Gründe kann dieser Grundsatz jedoch Ausnahmen erleiden (vgl. BGE 110 Ia 7 ff., BGE 109 Ib 81 ff., ferner die unveröffentlichten Entscheide vom 31. Oktober 1985 i.S. R. und S. bzw. vom 10. Oktober 1986 i.S. B. sowie WEBER-DÜRLER, ZSR 1985, Bd. I, S. 21 f.). Das übersieht im Grunde auch der Beschwerdeführer nicht, nimmt er doch auf die erwähnten Urteile ausdrücklich Bezug. Er ist aber der Meinung, im vorliegenden Fall würde kein Grund bestehen, die vom Verwaltungsgericht als verfassungswidrig angesehenen §§ 8 und 34 StG anzuwenden. Auf die Anwendung dieser Bestimmungen könne schlicht und einfach verzichtet und so die Benachteiligung gegenüber einem Konkubinatspaar in gleichen Einkommensverhältnissen eliminiert werden.
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Diese Auffassung verkennt, dass die Individualbesteuerung von Ehepaaren ihrerseits verfassungswidrig wäre, indem sie ebenfalls stossende Ungleichheiten schaffen würde. Namentlich würde sie zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung doppelt verdienender Ehepaare gegenüber alleinverdienenden führen (BGE 110 Ia 17). Den Beschwerdeführer antragsgemäss zu veranlagen, würde somit darauf hinauslaufen, eine Verfassungswidrigkeit durch eine andere zu ersetzen. Dazu war das Verwaltungsgericht nicht gehalten. Es ging daher zu Recht davon aus, dass es im Falle einer Aufhebung der in Frage stehenden Steuerrechnungen nicht einfach auf die Anwendung der §§ 8 und 34 StG hätte verzichten dürfen, sondern gegebenenfalls an deren Stelle andere Bestimmungen hätte zur Anwendung bringen müssen. Ob es solche Regeln - wie die Kantonale Rekurskommission Solothurn für das solothurnische Recht (ZBl 1985, S. 536 ff.) - selbst hätte schaffen dürfen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Fraglich ist einzig, ob es dazu von Verfassung wegen verpflichtet war. Das ist zu verneinen.
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Bei der Vielzahl der möglichen Varianten zur Beseitigung der steuerlichen Benachteiligung der Ehepaare gegenüber Konkubinatspaaren (Doppeltarif, Vollsplitting usw.) kann dem Verwaltungsgericht kein Vorwurf gemacht werden, wenn es diese Aufgabe dem Gesetzgeber überlassen wollte; dies um so weniger, als sich eine absolute Gleichstellung von Konkubinats- und Ehepaaren wegen der faktischen Unmöglichkeit, nicht-eheliche Haushaltsgemeinschaften gemeinsam zu veranlagen, nicht verwirklichen lässt (vgl. BGE 110 Ia 19) und somit die Steuerausgestaltung letztlich weitgehend eine politische Aufgabe bleibt.
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Freilich darf dem Gesetzgeber zur Beseitigung eines verfassungswidrigen Zustandes nicht unbeschränkt Zeit gelassen werden, vielmehr hat der Rechtsunterworfene Anspruch darauf, dass nach angemessener Frist gehandelt wird (vgl. die Entscheide vom 1. November 1985 i.S. Ch. und A.). Im vorliegenden Fall ist dies indes geschehen, hat doch der Landrat des Kantons Basel-Landschaft schon am 25. Juni 1986, also kurz nach Ergehen des angefochtenen Entscheids, eine vom Volk in der Abstimmung vom 28. September 1986 angenommene Teilrevision des Steuergesetzes verabschiedet, um den Forderungen von BGE 110 Ia 7 ff. Rechnung zu tragen. Es könnte sich somit nur fragen, ob das Verwaltungsgericht von Verfassung wegen verpflichtet gewesen wäre, die angefochtenen Verfügungen aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese nach dem Inkrafttreten des revidierten Steuergesetzes eine Neuveranlagung vornehme. Das macht der Beschwerdeführer - zu Recht - nicht geltend.
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