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Informationen zum Dokument  BGE 116 Ia 426  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. (Unzulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde). ...
2. und 3.- (Gemeindeautonomie bejaht). ...
4. Im angefochtenen Entscheid stellte der Staatsrat gestützt ...
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62. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. September 1990 i.S. Gemeinde Düdingen gegen Zahno und Staatsrat des Kantons Freiburg (staatsrechtliche Beschwerde und Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Raumplanung, Gemeindeautonomie; Spezialplanung für ein Einkaufszentrum.  
 
Sachverhalt
 
BGE 116 Ia, 426 (426)Peter Zahno ist Bauherr eines inzwischen bis auf den Innenausbau fertiggestellten Gebäudes auf Parzelle Nr. 4754 an der Warpelstrasse in der Gemeinde Düdingen. Das Gebäude, welches gemäss Baugesuch "Büro-, Gewerbe- und Lagerräume mit Autoeinstellhalle" beinhalten soll, liegt in der Industriezone und umfasst ca. 18 000 m.
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BGE 116 Ia, 426 (427)Am 21. Juni 1988 erteilte der Oberamtmann des Sensebezirkes Peter Zahno die Baubewilligung für Büro-, Gewerbe- und Lagerräume mit Autoeinstellhalle auf der Parzelle Nr. 4754; am 19. September 1988 die Baubewilligung für das neu vorgesehene Attikageschoss mit Abwartwohnung und Büro. Die Gemeinde Düdingen stellte Mitte Oktober 1988 fest, dass nicht nach den bewilligten Plänen gebaut wurde bzw. eine andere Verwendung der Räume vorgesehen war; im Erd- und im ersten Obergeschoss Räume für die Firma "Otto's Warenposten" und ein Fitnesscenter anstelle einer Attikawohnung. Um die Fortführung der Bauarbeiten nicht in Frage zu stellen, beschränkte der Bauherr die für "Otto's Warenposten" vorgesehene Fläche auf 900 m2. Der Oberamtmann des Sensebezirkes erteilte daraufhin am 6. Juni 1989 die Baubewilligung. Die Bedingungen der Gemeinde vom 20. März 1989 wurden zum integrierenden Bestandteil der Bewilligung erklärt. Im weiteren wurde der Bauherr ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass jede weitere Nutzungsänderung vorgängig bewilligungspflichtig sei. Die Nutzung des ersten und zweiten Obergeschosses habe sich im Rahmen der im Plan angegebenen Nutzung (Büro, Gewerbe, Lager) zu halten, wobei reine Verkaufsflächen nicht zulässig seien. Dagegen erhob Peter Zahno Verwaltungsbeschwerde beim Staatsrat des Kantons Freiburg. Dieser hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 19. Dezember 1989 gut, mit der Feststellung, dass kein Einkaufszentrum vorliege, wenn die Firma "Otto's Warenposten" zwei Etagen, die Firma Top-Fitness das Attikageschoss und verschiedene, vorwiegend büromässig tätige Betriebe das verbleibende Geschoss des Mehrzweckgebäudes im Warpel belegen.
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Die Gemeinde Düdingen erhebt gegen diesen Entscheid des Staatsrates des Kantons Freiburg mit Eingabe vom 22. Januar 1990 staatsrechtliche Beschwerde und subsidiär Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht.
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Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein und heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen:
 
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BGE 116 Ia, 426 (428)4. Im angefochtenen Entscheid stellte der Staatsrat gestützt auf das kantonale RPBG und Art. 19 des Gemeindebaureglements fest, dass ein Einkaufszentrum in der Industriezone der Gemeinde Düdingen zonenkonform sei. Einzuhalten sei aber, wenn ein Einkaufszentrum von Anfang an geplant oder durch eine Zweckänderung der Räume nachträglich dazu werde, die Spezialplanung nach Art. 69 und 70 RPBG. Nach der vorgesehenen Nutzung der Baute und insbesondere derjenigen durch die Firma "Otto's Warenposten" handle es sich aber nicht um ein Einkaufszentrum.
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a) Da mangels rechtsgenüglicher Begründung auf die Rüge betreffend die Zonenkonformität nicht eingetreten werden kann, ist einzig zu prüfen, ob der Staatsrat willkürlich das Vorliegen eines Tatbestandes der Spezialplanung nach Art. 69 und 70 RPBG verneint hat.
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Nach der Rechtsprechung liegt Willkür nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid der kantonalen Behörde nur auf, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 114 Ia 27 f. E. 3b, 218 E. 2a, BGE 113 Ia 106 E. 2b).
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b) Art. 69 Abs. 1 lit. a RPBG bezeichnet den Bau von Einkaufs- und Verteilerzentren als Gegenstand von Spezialplänen, ohne den Begriff des Einkaufszentrums näher zu umschreiben.
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Nach den Darlegungen des Staatsrates ist auch den Materialien und der kantonalen Rechtsprechung eine Umschreibung dieses Begriffs nicht zu entnehmen. Der Staatsrat ging bei seiner Beurteilung davon aus, dass ein Einkaufszentrum dann gegeben sei, wenn von der Art des Betriebes her ein besonderer Umsatz, ein reiches und vielfältiges Warenangebot und eine dadurch bedingte deutliche Abhebung gegenüber der Konkurrenz gegeben sei. Das Vorhaben müsse geeignet sein, die Kunden vom Ortszentrum wegzulocken und auf diese Weise (über das Absterben der bisherigen Betriebe im Ortskern) die Güterversorgung letztlich in Frage zu stellen, statt sie zu verbessern. Damit ein Einkaufszentrum vorliege, müsse eine gewisse Palette von alltäglichen Gütern und Dienstleistungen angeboten werden, sei dies durch einen oder mehrere Anbieter. Von der Verkehrssituation her müsse der Tagesverkehr 30 Fahrzeuge oder mehr pro 100 m2 Bruttoladenfläche betragen und der Spitzenverkehr pro Stunde 6 Fahrzeuge BGE 116 Ia, 426 (429)auf 100 m2 Bruttoladenfläche erreichen. Nach unbestrittener Feststellung des Staatsrates weist das Bauvorhaben im Warpel neben einem Fitnesscenter, einer Postversandfirma, einer Firma mit Büro, Lager und Ausstellung betreffend land- und gartenwirtschaftliche Geräte und der Verwaltung der Firma Escor AG das Verkaufsgeschäft "Otto's Warenposten" mit ca. 6 Angestellten und einem Angebot von Haushaltgegenständen aller Art, Möbeln, Kleidern, Esswaren, aber keine Frischprodukte, auf einer Bruttoverkaufsfläche von etwa 2400 m2 und einem Verkehrsaufkommen von max. 250 Fahrzeugen pro Tag aus. Damit lägen bei der Firma "Otto's Warenposten" die Voraussetzungen für ein Einkaufszentrum nicht vor. Da Frischprodukte fehlten, sei der Betrieb nicht geeignet, die vorhandene Güterversorgung in Frage zu stellen. Zudem hebe sich der Betrieb weder durch besonderen Umsatz noch durch ein vielfältiges Warenangebot von der Konkurrenz ab. Abgesehen davon beruhe die Versorgung von Düdingen schon heute zu einem wichtigen Teil auf dem Bahnhofzentrum, weshalb sich das Mehrzweckgebäude im Warpel nicht schlechthin gegen die Güterversorgung der Bevölkerung auswirke. Auch aus der Sicht des zu erwartenden Verkehrsaufkommens liege kein Einkaufszentrum vor. Im übrigen bestünde die Gefahr, dass die Hälfte des Baus für Büroräume dienen würde, wenn das erste Obergeschoss nicht für "Otto's Warenposten" genutzt werden könnte.
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c) Die Beschwerdeführerin rügt diese Auslegung als unhaltbar. Dass ein Einkaufszentrum begriffsnotwendig Frischprodukte führe, sei nicht notwendig. Die versorgungstechnischen Auswirkungen auf die Bevölkerung seien in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Ein Verkaufsgeschäft auf 2500 m2 Fläche wie "Otto's Warenposten", mit ganzschweizerisch 30 weiteren Filialen, einem breiten Warenangebot, einer überregionalen Einkaufsorganisation und einer strikten Arbeitsteilung beim Personal könne nur als Einkaufszentrum betrieben werden.
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d) Das Bundesgericht hatte sich in seiner bisherigen Rechtsprechung mit der Frage der Zulässigkeit von raumplanerischen Beschränkungen von Einkaufszentren vorab unter den verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten der Handels- und Gewerbefreiheit und der Eigentumsgarantie zu befassen (vgl. BGE 110 Ia 169, 109 Ia 264 ff., BGE 102 Ia 113). Zum Begriff des Einkaufszentrums hatte es indessen nicht im einzelnen Stellung zu nehmen.
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aa) Einkaufszentren stellen, wie das Bundesgericht festgestellt hat, besondere, atypische Betriebe dar, die regelmässig raumplanerisch BGE 116 Ia, 426 (430)relevante Probleme aufwerfen und daher zulässigerweise Gegenstand besonderer Vorschriften sein dürfen (BGE 110 Ia 170 E. 7aa, BGE 102 Ia 117). Als solche Probleme wurden insbesondere solche der Erschliessung, der störenden Wirkung auf die Nachbarschaft und der verkehrstechnisch einwandfreien Verbindung mit dem öffentlichen Strassennetz, welches der erhöhten Verkehrsbelastung häufig nicht ohne weiteres gewachsen ist, genannt (BGE 102 Ia 116 E. 5b). Hingewiesen wurde auch darauf, dass je nach Standort eine Anpassung an die bauliche oder landschaftliche Umgebung angestrebt werden muss. Hinsichtlich der Standortwahl könnten sich sodann Probleme daraus ergeben, dass keine der ausgeschiedenen Bau- und Nutzungszonen für die Aufnahme derartiger Betriebe vorgesehen und geeignet ist. Legitimes und planerisches Anliegen könne sein, zu verhindern, dass die bestehenden Ortszentren, insbesondere solche von historisch erhaltenswürdigem Rang, durch den Bau von abseits gelegenen Einkaufszentren völlig entleert oder in ihrer Lebensfähigkeit schwer beeinträchtigt werden. Gegenstand der Raumplanung dürfe mindestens in gewissen Schranken ebenfalls die Konsumversorgung der Wohngebiete sein.
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bb) Dem unterschiedlichen Regelungszweck entsprechend, besteht darüber, was unter einem Einkaufszentrum zu verstehen ist, keine einheitliche Definition. Als bedeutsam erscheint die Vielfalt des Warenangebots und die Grösse der im Einkaufszentrum vorhandenen oder zusammengefassten Verkaufseinheiten des Detailhandels. Dass ein Einkaufszentrum aus mehreren Geschäften besteht, wird aus baurechtlicher Sicht regelmässig nicht vorausgesetzt (vgl. § 5 der zürcherischen Verordnung über die Verschärfung oder die Milderung von Bauvorschriften für besondere Anlagen/Besondere Bauverordnung II; Art. 24 Abs. 1 der Bauverordnung des Kantons Bern). Als Kriterien für die Anwendbarkeit von besonderen Vorschriften für Einkaufszentren sowohl hinsichtlich der Quartierplanungspflicht als auch bezüglich der gesetzmässigen Beschränkung der Verkaufseinheiten dienen regelmässig die Nettoladenflächen. Diesbezüglich können u.a. Verkaufseinheiten mit 1000 bis 4000 m2 (Kleinzentren) und solche von 4000 bis 12 000 m2 (Mittelzentren) Nettoladenfläche als Einkaufszentren bezeichnet werden (BGE 102 Ia 119). Das Erfordernis, wonach Verkaufseinheiten von über 1000 m2 Nettoladenfläche nur aufgrund eines rechtskräftigen Quartierplans bewilligt werden dürfen, wurde als einleuchtend bezeichnet (BGE BGE 102 Ia 118). Im Hinblick auf die im BGE 116 Ia, 426 (431)Oberengadin herrschenden örtlichen Verhältnisse wurde es als gerechtfertigt erkannt, Einkaufszentren bereits ab einer Nettoladenfläche von 200 m2 Sondervorschriften zu unterstellen (BGE 109 Ia 270 f. E. 5c).
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cc) In seinem angefochtenen Entscheid wendete der Staatsrat den Begriff des Einkaufszentrums so an, wie wenn es um eine normale Baubewilligung ginge. Er stellte insbesondere auf die betriebs- und volkswirtschaflichen Gegebenheiten des Betriebes und auf das vermutliche Verkehrsaufkommen ab. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht wie in einem Baubewilligungsverfahren um die Frage, ob eine Baute oder Anlage der im Plan vorgesehenen Nutzung und den entsprechenden Vorschriften des Baureglements entspricht. Es geht vielmehr darum, ob die Gemeinde wegen den räumlichen Auswirkungen des Bauvorhabens ein Planungsbedürfnis bejahen und daher eine Spezialplanung nach Art. 69 und 70 RPBG verlangen durfte. Diese Spezialplanung ermöglicht der Gemeinde, die Planungsgrundsätze des RPG (Art. 3 RPG) auch bei Einkaufszentren zu verwirklichen, wie dies denn auch in Art. 70 Abs. 1 RPBG ausgeführt wird. Bei der Frage, ob ein Planungsbedürfnis überhaupt vorliegt, sind für den Begriff des Einkaufszentrums weniger streng formulierte Kriterien massgebend. Im Gegensatz zum Baubewilligungsverfahren muss man sich mit einem Kriterium wie der Grösse der Verkaufsfläche begnügen.
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Wenn ein Bauvorhaben geeignet ist, die Güterversorgung im Ortskern in Frage zu stellen oder ein bestimmtes Verkehrsaufkommen zu verursachen, so können diese Merkmale wohl für die Konkretisierung der in Art. 70 RPBG genannten Planungsgrundsätze und Bedingungen bezüglich Strassenverkehr massgeblich sein. Sie sind jedoch nicht entscheidend für die Frage, ob ein Planungsbedürfnis besteht und daher eine entsprechende Planung überhaupt an die Hand zu nehmen sei. Das Vorliegen eines Planungsbedürfnisses hängt auch nicht von der momentanen örtlichen Versorgungslage ab. Darauf würde es aber hinauslaufen, wenn mit dem Staatsrat auf das schon bestehende Bahnhofzentrum abgestellt würde. Das Planungsbedürfnis kann auch nicht davon abhängen, dass neben Haushaltgegenständen aller Art Frischprodukte angeboten werden.
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Es entspricht dem Sinn der zugrundeliegenden Planungspflicht, dass der Begriff des Einkaufszentrums einerseits nicht zu eng ausgelegt wird und andererseits nicht an begriffliche Voraussetzungen geknüpft wird, welche ohne weiteres ändern können und BGE 116 Ia, 426 (432)dabei nicht der baurechtlichen Bewilligungspflicht unterliegen. Würde auf die momentane Charakteristik des einzelnen Betriebes abgestellt, stellte sich bei jeder Änderung oder Erweiterung des Angebots und des Verkehrsaufkommens die Frage, ob diesbezüglich eine planungsrechtlich bedeutsame Tatsache vorliege, welche nunmehr den Tatbestand der Spezialplanung als gegeben erscheinen lasse. Das aber wäre sowohl aus praktischen wie auch aus planerischen Gründen unerwünscht, da beispielsweise die tatsächlichen und rechtlichen Erschliessungsverhältnisse regelmässig nicht im nachhinein leichthin geändert und angepasst werden können.
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All das gebietet, den Begriff des Einkaufszentrums im vorliegenden Zusammenhang nicht nur in einem engen betriebs- und volkswirtschaftlichen Sinn, sondern nach dem planerischen Sinn und Zweck der Bestimmung auszulegen. Danach ist die Grösse der Verkaufsfläche durchaus ein geeignetes Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob ein Planungsbedürfnis vorliege. Im vorliegenden Fall weist das Bauvorhaben eine Bruttoverkaufsfläche von 2400 m2 auf, was auf ein erhebliches Planungsbedürfnis schliessen lässt. Gleichwohl hat der Staatsrat das Vorliegen eines Einkaufszentrums verneint und die Spezialplanung nach Art. 69 f. RPBG ausgeschlossen. Damit hat er zu Unrecht in die Planungszuständigkeit der Gemeinde eingegriffen. Das hat der Staatsrat mit seinem Hinweis auf das mögliche Vorgehen nach Art. 85 RPBG und die dort für die Gemeinde vorgesehene Möglichkeit, das Baugesuchsverfahren zur Erstellung eines Detailbebauungsplans einzustellen, denn auch indirekt anerkannt. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich insoweit als berechtigt.
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