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Informationen zum Dokument  BGE 117 Ia 157  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entschei ...
2. Der Beschwerdeführer wirft v. S. nicht ein bestimmtes Ver ...
3. Der Beschwerdeführer bringt vor, v. S. sei bis Ende 1988  ...
4. a) Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen un ...
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27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. März 1991 i.S. S. gegen v. S., Generalprokurator und Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.  
2. Bei Gutheissung einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter hebt das Bundesgericht neben dem direkt angefochtenen Zwischenentscheid auch das in der Zwischenzeit ergangene Sachurteil auf, soweit dieses den Beschwerdeführer betrifft (E. 4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 117 Ia, 157 (158)Im gegen S. und A. hängigen Strafverfahren setzte das Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern die Hauptverhandlung auf den 26. Juni 1990 an. Die Zusammensetzung des Gerichts wurde S. auf Ersuchen hin am 28. März 1990 mitgeteilt. Mit Eingabe vom 20. Juni 1990 beantragte er die Ersetzung von v. S., welcher bis Ende 1988 Generalprokurator des Kantons Bern gewesen war und als ausserordentlicher Suppleant zum dritten Mitglied des Gerichts bestellt worden war. Das Wirtschaftsstrafgericht lehnte das Gesuch am 22. Juni 1990 unter Ausschluss von v. S. ab. Es erwog unter anderem, v. S. sei mit dem Geschäft nicht direkt befasst gewesen und habe auch nie Weisungen erteilt; somit fehlten objektive Gründe für die Parteilichkeit. Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 16. August 1990 beantragt S., der Entscheid des Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern vom 22. Juni 1990 sei aufzuheben. Er macht geltend, dieser verletze Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Zur Begründung bringt er insbesondere vor, der ehemalige Generalprokurator sei gegenüber den Beamten der Staatsanwaltschaft weisungsberechtigt gewesen und habe im BGE 117 Ia, 157 (159)Verfahren gegen den Mitangeklagten A. beim Überweisungsantrag mitgewirkt. Unter diesen Umständen müsse v. S. als befangen gelten. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen:
 
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a) Der aus Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleitete Anspruch auf einen unbefangenen und unparteiischen Richter bietet nur eine Minimalgarantie (BGE 114 Ia 53 E. 3b; BGE 112 Ia 292 E. 3); die Kantone sind berechtigt, weitergehende Ansprüche zu gewährleisten. In der staatsrechtlichen Beschwerde beruft sich der Beschwerdeführer lediglich auf die Minimalgarantie. In einem solchen Fall prüft das Bundesgericht mit voller Kognition, ob die angefochtene Verfügung mit den Anforderungen an einen unbefangenen und unparteiischen Richter nach Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar sei (BGE 116 Ia 33 E. 2a).
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b) Das Wirtschaftsstrafgericht und Richter-Suppleant v. S. erachten die Rüge der Voreingenommenheit als zu spät erhoben. Sie bringen vor, die vom Beschwerdeführer behaupteten Ablehnungsgründe seien diesem schon lange bekannt gewesen; es sei rechtsmissbräuchlich, sie erst derart kurz vor Verhandlungsbeginn vorzubringen. Indessen ist das Wirtschaftsstrafgericht im angefochtenen Entscheid auf das Ablehnungsgesuch eingetreten und ist demzufolge nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch ausgegangen (vgl. BGE 114 Ia 350 E. e); es hat vielmehr das Gesuch materiell behandelt und abgewiesen. Der Rechtsmissbrauch und auch die Verwirkung des Anspruchs (BGE 116 Ia 142 E. 4 Nr. 58 E. 1; BGE 114 Ia 349 f. E. d) bilden somit nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids. Aus diesem Grund braucht das Bundesgericht darauf nicht einzugehen.
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c) (vgl. BGE 116 Ia 33 f. E. 2b)
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a) Die Besorgnis der Voreingenommenheit und damit ein Misstrauen gegenüber dem Richter kann dann entstehen, wenn sich einzelne Richter bereits in einem früheren Zeitpunkt in amtlicher (richterlicher oder nichtrichterlicher) Funktion mit der konkreten Streitsache befasst haben. In welchen Fällen eine solche sogenannte Vorbefassung unter dem Gesichtswinkel von Verfassung und Konvention die Ausstandspflicht begründet, kann jedoch nicht allgemein gesagt werden. Immerhin muss das Verfahren in bezug auf den konkreten Sachverhalt und die konkret zu entscheidenden Rechtsfragen trotz der Vorbefassung als offen erscheinen und darf nicht den Anschein der Vorbestimmtheit erwecken (BGE 116 Ia 34 f. E. 3a). Die Ausstandsfrage ist demnach anhand der tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Fragen zu entscheiden (BGE 115 Ia 220 E. 5a; BGE 116 Ia 391 E. 2b); entscheidend ist, ob in den verschiedenen Verfahrensabschnitten, bei denen der Richter mitgewirkt hat, eine ähnliche oder qualitativ gleiche Frage geprüft wurde. Dabei ist nicht wesentlich, ob die Prüfungen tatsächlich vorgenommen werden; unter dem Gesichtswinkel des Anscheins der Befangenheit kommt es in erster Linie auf die objektive Kompetenzordnung und weniger darauf an, in welchem Umfange davon Gebrauch gemacht wird (BGE 114 Ia 69). Schon aus der Kompetenzordnung ergibt sich, ob bei objektiver Beurteilung mit genügendem Grund der Anschein entsteht, der Richter werde nicht mehr unvoreingenommen prüfen oder habe wegen seiner Vorkenntnisse im Richterkollegium ein verstärktes Gewicht (BGE 112 Ia 301 f.). Die Besorgnis der Befangenheit ist ferner unter Umständen begründet, weil durch die doppelte Mitwirkung der Sinn der Verfahrensordnung unterlaufen wird (BGE 114 Ia 55 E. a, 57, 71). Dieser besteht aus rechtsstaatlichen Überlegungen oft darin, zwischen Strafuntersuchung, Anklagezulassung und abschliessender materieller Beurteilung zu trennen. Zu beachten ist ferner der Umfang des Entscheidungsspielraums bei der Beurteilung der sich in beiden Abschnitten stellenden Fragen und die Bedeutung der Entscheidungen im Hinblick auf den Fortgang des Verfahrens (BGE 116 Ia 35 E. 3a).
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b) Das Bundesgericht erachtete - in Anlehnung an die Rechtsprechung der Strassburger Organe zur Befangenheit aus funktionellen oder organisatorischen Gründen (Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. De Cubber vom 26. Oktober BGE 117 Ia, 157 (161)1984, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, Vol. 86 = EuGRZ 1985 S. 407 ff., vgl. auch EuGRZ 1986 S. 672 f.) - die Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter nach den Verfahrensordnungen der Kantone Wallis (BGE 112 Ia 290 ff.; EuGRZ 1986 S. 670), Freiburg (BGE 113 Ia 73; unveröffentlichtes Urteil vom 22. Dezember 1986 i.S. F., E. 3), Bern (unveröffentlichtes Urteil vom 9. Januar 1987 i.S. F., E. 3) und Jura (unveröffentlichtes Urteil vom 10. Juni 1987, i.S. B., E. 4) als verfassungswidrig. Gleich entschied es bezüglich der Personalunion von Untersuchungsrichter und erkennendem Strafrichter im bündnerischen Ehrverletzungsprozess (BGE 114 Ia 277 f. E. 2b) und im zürcherischen Privatklageverfahren (BGE 115 Ia 217 ff.). Als verfassungswidrig wurde auch die Personalunion von Überweisungsrichter und Sachrichter betrachtet (BGE 114 Ia 50 ff. betr. Kanton Zürich; vgl. BGE 113 Ia 73 ff. E. 3 betr. Kanton Freiburg; Ziff. 92 ff. des Berichts der Kommission vom 7. Mai 1985 i.S. Ben Yaacoub, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, Vol. 127; das Bundesgericht liess die Frage in BGE 114 Ia 139 ff. betr. der Strafverfahrensordnung des Kantons Bern offen). Der Europäische Gerichtshof sah sodann eine Verletzung von Art. 65 Ziff. 1 EMRK in der Tatsache, dass ein Richter in einem Fall mitwirkte, mit dem er bereits in seiner früheren Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft befasst war (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofes i.S. Piersack vom 1. Oktober 1982, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, Vol. 53 = EuGRZ 1985 S. 301 ff., vgl. auch EuGRZ 1986 S. 672 f.). Ebenfalls als unzulässig betrachtete er in einem speziell gelagerten Fall die Personalunion von Haftrichter und Sachrichter (Urteil des Europäischen Gerichtshofes i.S. Hauschildt vom 24. Mai 1989, Ziff. 51 ff., Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, Vol. 154, und Bericht der Kommission vom 16. Juli 1987, Ziff. 96 ff.; vgl. auch die in BGE 115 Ia 180 ff. nicht publizierte E. 3b/aa in: EuGRZ 1989 S. 330). Ferner entschied das Bundesgericht, Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK seien verletzt, weil der bernische Strafmandatsrichter im gleichen Verfahren auf Einsprache hin als Strafrichter urteilte (BGE 114 Ia 150 ff. E. 7).
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Als verfassungskonform betrachtet das Bundesgericht dagegen, dass dieselben Richter den Sachentscheid treffen und sodann über Revisionsbegehren befinden (BGE 113 Ia 62 ff.; BGE 107 Ia 15 ff.; BGE 117 Ia, 157 (162)Urteil vom 15. November 1978 i.S. K. c. Kanton Zürich, E. 2, publiziert in: ZBl 80/1979 S. 537 f.). Ebensowenig gilt der Richter wegen der Mitwirkung an einem unterinstanzlichen Urteil, das im Rechtsmittelverfahren aufgehoben worden ist, bei der erneuten Beurteilung der Sache als befangen (BGE 116 Ia 30 E. 2a; BGE 113 Ia 410 E. 2b). Den Anschein der Voreingenommenheit verneinte das Bundesgericht auch in Fällen, wo dieselben Richter das Abwesenheitsurteil nach baselstädtischem Verfahren erneut beurteilten (BGE 116 Ia 32 ff.) und wo personelle Identität von Haftprüfungs- und Haftentschädigungsrichter bestand (BGE 116 Ia 391 E. 2b).
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3. Der Beschwerdeführer bringt vor, v. S. sei bis Ende 1988 Generalprokurator gewesen und als solcher sei er gegenüber den Staatsanwälten und damit indirekt gegenüber den Untersuchungsrichtern weisungsberechtigt gewesen. Diese Befugnis sei v. S. auch in der vorliegenden Strafuntersuchung zugestanden, welche am 13. März 1988 gegen ihn, den Beschwerdeführer, eröffnet worden sei. Zudem habe v. S. im Verfahren gegen den Mitangeklagten am Überweisungsbeschluss vom 28. August/15. Dezember 1986 mitgewirkt. Aus diesen Gründen genüge v. S. den Anforderungen von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht. V. S. wendet dagegen im wesentlichen ein, er sei in der Angelegenheit nie staatsanwaltschaftlich tätig gewesen und habe dem für die Anklage zuständigen stellvertretenden Prokurator keine Weisungen erteilt.
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a) Das Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern ist als 2. Kriminalkammer des Obergerichts konzipiert (Art. 9a des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden (GOG) vom 31. Januar 1909). Es urteilt unter Mitwirkung von drei Richtern (Art. 9 Abs. 1 GOG). Für Mitglieder, die verhindert sind, an den Verhandlungen teilzunehmen, sind vom Obergerichtspräsidenten bezeichnete Mitglieder einer anderen Kammer oder Ersatzmänner beizuziehen (Art. 15 Abs. 1 GOG). Wenn kein Mitglied einer anderen Kammer zur Verfügung steht, darf der Präsident der Kriminalkammer als ausserordentliche Ersatzmänner Gerichtspersonen, Fürsprecher oder Notare beiziehen, jedoch nicht den mit dem zu beurteilenden Fall befassten Untersuchungsrichter (Art. 15 Abs. 2 GOG). Ebenfalls als unfähig, an der Verhandlung und Beurteilung einer Strafsache teilzunehmen, gilt, wer in der gleichen Strafsache bereits als Staatsanwalt aufgetreten ist (Art. 32 Ziff. 7 des Gesetzes über das Strafverfahren des Kantons Bern (StrV) vom 20. Mai 1928). Somit sind sowohl Staatsanwalt als auch BGE 117 Ia, 157 (163)Untersuchungsrichter ausdrücklich als Ersatzrichter ausgeschlossen, wenn sie sich bereits einmal mit der Strafsache befasst haben. Abgesehen davon kann ein Richter nach der allgemeinen Regel abgelehnt werden, wenn Tatsachen vorliegen, welche geeignet sind, ihn als befangen erscheinen zu lassen und Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu erregen (Art. 33 StrV).
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Der Generalprokurator ist, wie auch der Bezirksprokurator, ein Beamter der Staatsanwaltschaft (Art. 84 Abs. 1 GOG). Er führt die Aufsicht über den Bezirksprokurator und erteilt ihm die nötigen Weisungen (Art. 97 Abs. 1 Satz 2 GOG). Der Bezirksprokurator seinerseits ist gegenüber dem Generalprokurator weisungsgebunden und hat ihm Bericht zu erstatten (Art. 94 GOG). Er ist befugt, die Einleitung einer Strafuntersuchung durch den zuständigen Untersuchungsrichter anzuordnen; ebenso kann er verlangen, dass der Untersuchungsrichter vor Eröffnung einer Strafverfolgung einzelne Untersuchungsmassnahmen vornimmt (Art. 91 GOG). Der Bezirksprokurator hat auch die Voruntersuchungen zu überwachen. Er ist befugt, jederzeit in die Untersuchungsakten Einsicht zu nehmen, den Untersuchungshandlungen beizuwohnen und die Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen durch den Untersuchungsrichter anzuordnen (Art. 94 StrV).
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Ein Fall, in dem zur Hauptsache stafbare Handlungen gegen das Vermögen oder Urkundenfälschungen in Frage stehen und dessen Beurteilung besondere wirtschaftliche Kenntnisse oder die Würdigung einer grossen Zahl schriftlicher Beweismittel voraussetzt, wird nach Abschluss der Voruntersuchung an das Wirtschaftsstrafgericht überwiesen (Art. 208b StrV). Ist der Überweisungsbeschluss durch den Untersuchungsrichter und den Bezirksprokurator zu fassen, legt der Untersuchungsrichter die Akten mit einem schriftlichen Antrag dem Bezirksprokurator vor (Art. 184 Abs. 1 StrV). Hält er dafür, dass der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung hinreichend verdächtig erscheint, so stellt er den Antrag auf Überweisung an das zuständige Gericht (Art. 184 Abs. 3 StrV). Stimmt der Bezirksprokurator zu, so ist der Antrag des Untersuchungsrichters zum Beschluss erhoben (Art. 185 StrV). Ferner ist nach den Weisungen des Generalprokurators des Kantons Bern vom 23. September 1981 für die Überweisung an das Wirtschaftsstrafgericht die Genehmigung des Generalprokurators erforderlich. Diese soll die einheitliche Anwendung von Art. 208 StrV sicherstellen (vgl. Vorbemerkungen zu den erwähnten Weisungen).
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BGE 117 Ia, 157 (164)b) Die Fragestellung im vorliegenden Fall ist vergleichbar mit derjenigen, welche dem bereits erwähnten Fall Piersack zugrunde lag. Piersack wurde durch ein Gericht, welches sich aus dem Präsidenten, zwei Beisitzern und zwölf Geschworenen zusammensetzte, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der Gerichtspräsident verfügte während des Verfahrens und der Beratung über umfassende Befugnisse. In seiner früheren Stellung im "ministère public" hatte dieser Gerichtspräsident eine staatsanwaltschaftliche Funktion inne. Er war damals während längerer Zeit Vorgesetzter über die mit der Ermittlung gegen Piersack befassten Staatsanwälte gewesen und hatte über gewisse Kontroll- und Beratungsbefugnisse verfügt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bejahte die Befangenheit des Gerichtspräsidenten; entscheidend dafür war allein der Umstand, dass der Gerichtspräsident früher bei der die Anklage erhebenden Staatsanwaltschaft eine Stellung besass, die eine Mitarbeit am betreffenden Fall möglich machte; indessen war für den Gerichtshof unbedeutend, von welchem Umfang die effektive Tätigkeit im konkreten Fall war (Urteil Piersack, Ziff. 30 f.).
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c) Als Beamter der Staatsanwaltschaft (Art. 84 Abs. 1 GOG) untersteht der Generalprokurator Art. 32 Ziff. 7 StrV, wonach ein Richter unfähig ist, an der Verhandlung und Beurteilung einer Strafsache teilzunehmen, wenn er in der gleichen Sache bereits als Staatsanwalt aufgetreten ist. Ob unter "Auftreten" im Sinne dieser Bestimmung lediglich dasjenige als Partei in einem Haupt- oder Rechtsmittelverfahren zu verstehen sei (vgl. MAX WAIBLINGER, Das Strafverfahren des Kantons Bern, Langenthal 1937 und 1942, N 6 zu Art. 32/33 StrV, S. 79) oder ob dieser Ausdruck im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichts und der Strassburger Konventionsorgane weiter auszulegen sei, kann hier offen bleiben. Im vorliegenden Fall besass v. S. in seiner Funktion als Generalprokurator bis Ende 1988, somit auch während der Voruntersuchung gegen den Beschwerdeführer, ein Weisungsrecht gegenüber den Bezirksprokuratoren (Art. 94 und Art. 97 Abs. 1 Satz 2 GOG) und damit eine Einflussmöglichkeit gegenüber den Untersuchungsrichtern (vgl. Art. 91 GOG und Art. 94 StrV). Diese Kompetenzen ermöglichten ihm einen Einfluss auf das Verfahren, der sich mit demjenigen der Anklagebehörde, des Überweisungsrichters und des Untersuchungsrichters vergleichen lässt: Er besass eine wesentliche Stellung in einem Verfahrensteil, der vom Sinn der Verfahrensordnung her von der definitiven, materiellen Beurteilung BGE 117 Ia, 157 (165)getrennt sein soll. Ob v. S. von seinen Einflussmöglichkeiten tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ist nicht von Bedeutung; ebenso ist im konkreten Fall nicht wichtig, dass er in seiner Funktion als Generalprokurator beim Überweisungsbeschluss vom 28. August/15. Dezember 1986 mitgewirkt hat. Entscheidend ist allein, dass aufgrund der bernischen Verfahrensordnung der objektive Anschein der Befangenheit entstehen kann, wenn der frühere Generalprokurator auch als Richter amtet. Der Richter, der vorher im gleichen Verfahren als Generalprokurator amtete, bietet somit nicht hinreichende Gewähr, um jeden berechtigten Zweifel an seiner Unparteilichkeit auszuschliessen. Aufgrund seiner Stellung während der Voruntersuchung hat der Generalprokurator als befangen zu gelten (Art. 33 StrV, Art. 58 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK); er ist deshalb gleich zu behandeln wie die anderen Staatsanwälte und die Untersuchungsrichter, die mit der gleichen Strafsache bereits befasst waren. Die Beschwerde ist demnach insoweit begründet und gutzuheissen, weshalb es sich erübrigt, die anderen Rügen zu behandeln.
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4. a) Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Zwischenentscheid aufzuheben. Damit wird dem Sachurteil des Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern vom 5. Juli 1990 die Grundlage entzogen, weil das Gericht in einer gegen Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verstossenden Zusammensetzung entschieden hat. Dieses Sachurteil ist zwar nicht ausdrücklich Gegenstand des staatsrechtlichen Beschwerdeverfahrens; da jedoch mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich gegen den Beschluss über ein Ablehnungs- oder Ausstandsgesuch richtet, die Wiederherstellung des verfassungsmässigen Zustands bezweckt wird, ist im Antrag auf Aufhebung dieses Beschlusses sinngemäss auch derjenige auf Aufhebung des vom Gericht in der verfassungswidrigen Zusammensetzung gefällten Sachurteils zu sehen. Dies rechtfertigt sich zudem dadurch, dass die verfassungswidrige Zusammensetzung eines Gerichts innert nützlicher Frist gerügt werden muss, ansonsten das Recht zur Anfechtung des Sachurteils wegen des gleichen Grundes verwirkt würde (BGE 116 Ia 142 E. 4, Nr. 58 E. 1; BGE 114 Ia 349 f. E. d). Anders zu entscheiden hiesse, vom Beschwerdeführer zu verlangen, dass er dem Bundesgericht dieselben Fragen in einer zweiten Beschwerde, welche sich gegen das Sachurteil richtete, vorlege. Nach dem Gesagten ist auch das Urteil des Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern vom 5. Juli 1990 förmlich aufzuheben.
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BGE 117 Ia, 157 (166)b) Mit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen kantonale Verfügungen (Art. 84 Abs. 1 OG) kann der einzelne lediglich die ihm zustehenden verfassungsmässigen Rechte durchsetzen. Folglich sind die Wirkungen des bundesgerichtlichen Entscheids über eine Beschwerde, mit der die Verletzung des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter geltend gemacht wird, auf den Beschwerdeführer begrenzt. Namentlich kennt das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren keine Ausdehnung der Rechtswirkung des Bundesgerichtsentscheids auf Personen, die sich nicht am Verfahren beteiligt haben. Dies gilt auch im Bereich von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, zumal nach der bundesgerichtlichen Praxis entsprechende Einwände nach Treu und Glauben möglichst früh vorgebracht werden müssen, ansonsten der Anspruch auf Anrufung der verletzten Verfassungsbestimmung verwirkt (BGE 116 Ia 142 E. 4, 388 E. 1; BGE 114 Ia 280 E. e, 349 E. d) und damit die Strafsache trotz der Beurteilung durch einen verfassungsmässigen Richter nicht aufgehoben wird. Nach dem Gesagten ist das Urteil des Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern vom 5. Juli 1990 lediglich gegenüber dem Beschwerdeführer aufzuheben, nicht auch gegenüber dem anderen Mitangeklagten.
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