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Informationen zum Dokument  BGE 102 Ib 290  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. Gemäss Art. 22 Abs. 1 SVG ist für den Entzug des F&u ...
2. a) Der Beschwerdeführer besitzt, wie aus einer Bestä ...
3. Das Übertretungsstrafamt des Kantons Schaffhausen hat dem ...
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49. Urteil vom 12. November 1976 i.S. Bollinger gegen Regierungsrat des Kantons Schaffhausen
 
 
Regeste
 
Entzug des Führerausweises.  
2. Zuständigkeit zur Anordnung der Administrativmassnahme, wenn der Betroffene keinen Wohnsitz in der Schweiz hat.  
 
Sachverhalt
 
BGE 102 Ib, 290 (291)Hansjörg Bollinger, Bürger von Beringen/SH, fuhr am 4. Oktober 1975 auf der Autobahn N 3 in Richtung Chur. Auf der Höhe von Lachen/SZ überholte er zwei Fahrzeuge auf der rechten Fahrspur. Mit Verfügung vom 2. April 1976 entzog ihm das Übertretungsstrafamt des Kantons Schaffhausen den Führerausweis auf die Dauer von zwei Monaten. Gegen diese Verfügung erhob Bollinger Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. Er machte geltend, die schaffhausischen Behörden seien zum Ausweisentzug nicht zuständig. Sein schweizerischer Führerausweis sei gestohlen worden. In der Folge habe er, Bollinger, an seinem Wohnsitz im Fürstentum Liechtenstein einen neuen Führerausweis beantragt. Ein Ausweisentzug könne aus diesem Grund nur von den liechtensteinischen Behörden verfügt werden.
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Der Regierungsrat wies den Rekurs mit Entscheid vom 25. Mai 1976 ab und bestätige den Führerausweisentzug für die Dauer von zwei Monaten. Überdies sprach er dem Rekurrenten für die gleiche Zeitspanne das Recht ab, von seinem liechtensteinischen Ausweis in der Schweiz Gebrauch zu machen. Schliesslich verpflichtete er Bollinger, einen neuerworbenen oder wiedererlangten schweizerischen Führerausweis während der Entzugsdauer zu hinterlegen. Die Fahrbewilligung gelte für diese Zeitspanne als entzogen.
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Das Bundesgericht hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde Bollingers abgewiesen.
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Erwägungen:
 
1. Gemäss Art. 22 Abs. 1 SVG ist für den Entzug des Führerausweises (der eidgenössische Führerausweis ausgenommen) BGE 102 Ib, 290 (292)die Verwaltungsbehörde desjenigen Kantons zuständig, in welchem der Betroffene seinen Wohnsitz hat. Fehlt ein Wohnsitz in der Schweiz, so ist nach Art. 22 Abs. 3 SVG der Ort massgebend, an welchem sich der Betroffene vorwiegend befindet. Im Zweifelsfall ist der Kanton zuständig, der das Verfahren zuerst einleitet. Die einmal gegebene Zuständigkeit bleibt bestehen, auch wenn der Betroffene seinen Wohnsitz oder seinen vorwiegenden Aufenthalt während des Entzugsverfahrens ändert (vgl. STAUFFER, Der Entzug des Führerausweises, S. 100).
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Führerausweise, die von einer ausländischen Behörde ausgestellt worden sind, können - auch wenn das im SVG selber nicht ausdrücklich gesagt ist - in der Schweiz nicht entzogen werden. Darin läge ein unzulässiger Eingriff in ausländische Hoheitsrechte. Dem Inhaber eines ausländischen Ausweises kann jedoch bei Vorliegen der in Art. 16 SVG genannten Gründe das Recht aberkannt werden, von seinem Ausweis in der Schweiz Gebrauch zu machen (Art. 2 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 10. Mai 1957 über den internationalen Motorfahrzeugverkehr; Art. 7 Abs. 3 des Internationalen Abkommens vom 24. April 1926 über Fahrzeugverkehr). Ausländische Ausweise, von denen in der Schweiz kein Gebrauch gemacht werden darf, können dem Inhaber während seines Aufenthaltes in der Schweiz abgenommen werden. Verlässt er die Schweiz, so sind sie ihm wieder auszuhändigen (Art. 5 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 28. Januar 1966 über Motorfahrzeuge und Motorfahrzeugführer aus dem Ausland).
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Zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein besteht ein Notenaustausch vom 30. Januar/16. Februar 1954 über die gegenseitige Anerkennung der Ausweise für die Führung von Motorfahrzeugen. Nach Ziff. II des Notenaustausches wird der gültige schweizerische Führerausweis einer Person, die ihren Wohnsitz von der Schweiz in das Fürstentum Liechtenstein verlegt, von den liechtensteinischen Behörden ohne neue Fahrprüfung anerkannt und durch einen liechtensteinischen Ausweis ersetzt. Solange einer solchen Person der Führerausweis von den schweizerischen Behörden entzogen ist, wird sie in Liechtenstein nicht zur Fahrprüfung zugelassen. Die gleiche Regelung gilt gemäss Ziff. I des Notenaustausches, wenn der Wohnsitz einer Person vom Fürstentum Liechtenstein in die Schweiz verlegt wird. Im Entscheid des BGE 102 Ib, 290 (293)Regierungsrates des Kantons Schaffhausen ist - offenbar aufgrund einer Erkundigung bei der Motorfahrzeugkontrolle des Fürstentums Liechtenstein - ausgeführt, dass die liechtensteinischen Behörden auch ohne entsprechende staatsvertragliche Verpflichtung die von ihnen ausgestellten Führerausweise entziehen, wenn sie von den schweizerischen Behörden darum ersucht werden und sofern ein rechtskräftiger Entscheid einer zuständigen schweizerischen Behörde vorliegt. Dies ändert indessen nichts daran, dass die schweizerischen Behörden nach dem oben Gesagten nicht befugt sind, einen liechtensteinischen Führerausweis zu entziehen.
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Der Beschwerdeführer wurde am 11. November 1975 von der Kantonspolizei St. Gallen über den Vorfall befragt, der Anlass zum Führerausweisentzug gab. Im Protokoll der Befragung wird als Adresse "Stofflerstrasse 2, Thayngen" angegeben. Auch die Mitteilung des Übertretungsstrafamtes des Kantons Schaffhausen, wegen des Vorfalles auf der N 3 werde ein Administrativverfahren eröffnet, ist an die genannte schaffhausische Adresse gerichtet. Das Übertretungsstrafamt vernahm den Beschwerdeführer am 5. Februar 1976. Im Protokoll, das vom Beschwerdeführer unterzeichnet ist, wird wiederum die genannte Adresse in Thayngen/SH angegeben.
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In einer Bestätigung der Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Schaffhausen, die vom 19. Februar 1976 datiert und die dem Beschwerdeführer dazu dienen sollte, einen Ersatz für den angeblich gestohlenen Führerausweis zu verlangen, wird als neuer Wohnsitz des Beschwerdeführers Schaan im Fürstentum Liechtenstein genannt. Auf diese Bescheinigung hin erstellte die Motorfahrzeugkontrolle des Fürstentums Liechtenstein dem Beschwerdeführer am 2. März 1976 einen liechtensteinischen Führerausweis.
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b) Im vorliegenden Fall steht nicht mit Sicherheit fest, wo BGE 102 Ib, 290 (294)sich der Wohnsitz des Beschwerdeführers bei Aufnahme des Administrativverfahrens befand. Es fehlen hinreichende Angaben in der Beschwerde und in den kantonalen Akten, um diese Frage zu beurteilen. Wäre sie für den Verfahrensausgang entscheidend, so müsste deshalb die Beschwerde wegen unvollständiger Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gutgeheissen und an die kantonalen Behörden zur Neubeurteilung zurückgewiesen werden (Art. 104 lit. b OG; 114 Abs. 2 OG). Dies gilt jedenfalls dann, wenn man nicht annimmt, der Beschwerdeführer könne sich ohne Verstoss gegen Treu und Glauben nicht mehr darauf berufen, die schaffhausischen Behörden seien zur Durchführung des Administrativverfahrens nicht zuständig. Wie es sich damit verhält, kann hier jedoch dahingestellt bleiben, ebenso die Frage, ob sich - wie das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement wohl zu Recht aber anscheinend entgegen der Botschaft zum SVG angenommen hat - der Wohnsitzbegriff von Art. 22 SVG mit demjenigen des Art. 23 ZGB deckt (vgl. VPB 40/1976, Nr. 19 und BBl 1955 II S. 26; s. auch STAUFFER, a.a.O., S. 100).
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c) Im hier zu beurteilenden Fall kann nur fraglich sein, ob sich der Wohnsitz des Beschwerdeführers bei Aufnahme des Administrativverfahrens im Kanton Schaffhausen oder im Ausland befand. Nimmt man das erste an, so besteht an der Zuständigkeit der schaffhausischen Behörden kein Zweifel. Hätte der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz jedoch im Fürstentum Liechtenstein gehabt, so wäre die Frage die, ob der Kanton Schaffhausen oder ein anderer schweizerischer Kanton zur Durchführung des Administrativverfahrens zuständig sei. Dass ein solches überhaupt nur von den liechtensteinischen Behörden hätte durchgeführt werden können, wie der Beschwerdeführer annimmt, trifft nicht zu. Besitzt ein Fahrzeugführer keinen Wohnsitz in der Schweiz, so ist gemäss Art. 22 Abs. 3 SVG für die Zuständigkeit zur Durchführung des Administrativverfahrens derjenige Ort massgebend, wo sich der Betroffene vorwiegend befindet. Im Zweifelsfall ist derjenige Kanton zum Entzug des Führerausweises zuständig, der das Verfahren einleitet. Dieser Bestimmung käme keinerlei Sinn zu, wenn die Annahme des Beschwerdeführers richtig wäre.
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Geht man davon aus, der Beschwerdeführer habe seinen Wohnsitz bei Aufnahme des Administrativverfahrens nicht im BGE 102 Ib, 290 (295)Kanton Schaffhausen gehabt, so liesse sich erwägen, der Beschwerdeführer habe sich vorwiegend im Kanton St. Gallen befunden und es sei aus diesem Grunde der Kanton St. Gallen für die Administrativmassnahme zuständig. Immerhin studierte der Beschwerdeführer dort. Ausserdem betätigte er sich im Kanton St. Gallen als Geschäftsführer einer Apotheke, und er benutzte einen Wagen, dessen Standort sich offenbar im Kanton St. Gallen befand und der deshalb ein st. gallisches Kontrollschild trug. Der Beschwerdeführer gab bei Aufnahme des Administrativverfahrens jedoch jeweils eine schaffhausische Adresse an. Es ist zudem unbestritten, dass sich sein Wohnsitz vor der fraglichen Verlegung ins Fürstentum Liechtenstein im Kanton Schaffhausen befand. Bei dieser Sachlage lässt sich jedenfalls ohne Verletzung des Bundesrechts von einem Zweifelsfall im Sinne von Art. 22 Abs. 3 SVG sprechen. Nimmt man an, der Wohnsitz des Beschwerdeführers habe sich seit dem 18. Juni 1975 im Fürstentum Liechtenstein befunden, so ergibt sich die Zuständigkeit des Kantons Schaffhausen zur Anordnung einer Massnahme gemäss Art. 16 SVG demnach daraus, dass er das Verfahren einleitete.
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3. Das Übertretungsstrafamt des Kantons Schaffhausen hat dem Beschwerdeführer den schweizerischen Führerausweis für die Dauer von zwei Monaten entzogen. Der Regierungsrat hat diese Massnahme bestätigt. Zwar ist der schweizerische Führerausweis des Beschwerdeführers angeblich gestohlen worden, was zur Ausstellung eines neuen liechtensteinischen Ausweises führte. Der Entzug des schweizerischen Führerausweises, d.h. der schweizerischen Bewilligung, ein Motorfahrzeug zu führen, behält seinen Sinn aber auch dann, wenn der Betroffene die Urkunde über die Bewilligung nicht mehr besitzt. Dies gilt allein schon im Hinblick auf die Folgen, welche die Massnahme im Hinblick auf die Dauer eines allfälligen späteren Führerausweisentzuges hat (vgl. Art. 17 Abs. 1 lit. c und d SVG). Der Regierungsrat hat dem Beschwerdeführer - der neuen Sachlage nach Ausstellung des liechtensteinischen Ausweises entsprechend - überdies für die Dauer von zwei Monaten das Recht abgesprochen, von seinem liechtensteinischen Führerausweis in der Schweiz Gebrauch zu machen. Er hat den Beschwerdeführer schliesslich verpflichtet, seinen angeblich gestohlenen Führerausweis, falls er ihn wiedererlangen sollte, oder einen allfälligen neuen schweizerischen Führerausweis BGE 102 Ib, 290 (296)für die Dauer des Entzugs zu hinterlegen. Damit hat der Regierungsrat in keiner Weise Bundesrecht verletzt. Insbesondere hat er dem Beschwerdeführer nicht den liechtensteinischen Führerausweis entzogen. Von welchem Zeitpunkt an die Massnahme gilt, haben die schaffhausischen Behörden zu bestimmen.
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