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Informationen zum Dokument  BGE 113 Ib 77  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. a) Die Beschwerdeführerin wendet sich nicht gegen die Gew ...
3. a) Die Tatbestände der Art. 162 und 321 StGB decken sich  ...
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14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. April 1987 i.S. X. AG gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (RVUS). Voraussetzung für die Anwendung von Zwangsmassnahmen. Strafbarkeit nach schweizerischem Recht bei Insidergeschäften, denen ein Geheimnisverrat durch einen Anwalt zugrunde liegt.  
 
Sachverhalt
 
BGE 113 Ib, 77 (78)In der vorliegenden Rechtshilfesache hatte das Bundesgericht bereits über eine Zwischenverfügung zu befinden. Der der Angelegenheit zugrunde liegende Sachverhalt kann dem entsprechenden, in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteil vom 12. Januar 1987 (BGE 113 Ib 72 ff.) entnommen werden, mit dem die zu beurteilende Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war.
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Am 5. Januar 1987, also noch vor Erledigung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Zwischenentscheid vom 22. August 1986, erliess das BAP eine Verfügung in der Hauptsache. Es wies damit die Einsprache der X. AG vom 20. August 1986 ab und ordnete an, die Behörden des Kantons Zürich hätten das Rechtshilfeersuchen der USA zu BGE 113 Ib, 77 (79)vollziehen. Die dagegen gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ebenfalls ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen:
 
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b) Ausgangspunkt bildet unbestrittenermassen die Rechtsprechung des Bundesgerichtes zum Tatbestand des sogenannten Insidergeschäftes. Wie im Urteil BGE 109 Ib 47 ff. mit einlässlicher Begründung dargelegt worden ist, bildet der direkte Gebrauch von Insiderwissen durch den Insider selbst nach schweizerischem Recht keinen strafbaren Tatbestand und ist demnach die Rechtshilfe in solchen Fällen ausgeschlossen. Anders verhält es sich dagegen, wenn der Insider sein Wissen an einen oder mehrere Dritte weitergibt, die dann ihrerseits daraus Vorteil ziehen. Liegt dieser Sachverhalt vor, so fällt er hinsichtlich der Person des Insiders selbst unter den Tatbestand von Art. 162 Abs. 1 StGB, hinsichtlich der Personen, welche den Geheimnisverrat ausnützen, unter Art. 162 Abs. 2 StGB. Es kann hierzu im einzelnen auf das angeführte, veröffentlichte Urteil verwiesen werden, mit dem Bemerken, dass diese Rechtsprechung seither wiederholt bestätigt worden ist, u.a. in den beiden der Beschwerdeführerin bekannten und von ihr selbst zitierten, nicht veröffentlichten Urteilen vom 3. Oktober 1985 in Sachen Ch. und R. In diesen beiden Fällen wurde Rechtshilfe unter Anwendung von Zwangsmassnahmen bewilligt in Verfahren wegen Verwertung von Insiderkenntnissen, die den damaligen Beschwerdeführern direkt oder indirekt infolge Verrats von Geschäftsgeheimnissen durch den Bürochef einer grossen Anwaltsfirma mit Sitz in New York zugeflossen waren. Die Beschwerdeführerin greift (zum mindesten mittelbar) diese Praxis an und will ihren Fall nach anderen Gesichtspunkten beurteilt wissen. Sie BGE 113 Ib, 77 (80)glaubt, Anwälte und ihre Hilfspersonen könnten sich des Tatbestandes des Verrates von Geschäftsgeheimnissen im Sinne von Art. 162 StGB nicht schuldig machen, sondern einzig der Verletzung des Berufsgeheimnisses im Sinne von Art. 321 StGB. Bei diesem Tatbestand sei aber derjenige, der sich den Geheimnisverrat zunutze mache, nach schweizerischem Recht nicht strafbar. Das Bundesgericht hat diese These bereits im erwähnten Urteil vom 12. Januar 1987 verworfen. Da sie hier etwas ausführlicher entwickelt wird, rechtfertigen sich einige zusätzliche Ausführungen.
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3. a) Die Tatbestände der Art. 162 und 321 StGB decken sich nicht, schliessen sich aber auch nicht gegenseitig aus, wie dies die Beschwerdeführerin annimmt. Sie sind vielmehr mit zwei Kreisen vergleichbar, die sich teilweise überschneiden. Der Verletzung eines Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses im Sinne von Art. 162 StGB kann sich nicht nur ein geschlossener Personenkreis schuldig machen, sondern grundsätzlich jedermann; dafür ist der Gegenstand des Geheimnisverrates ein beschränkter, indem es sich um ein Geheimnis handeln muss, zu dessen Bewahrung die betreffende Person gesetzlich oder vertraglich verpflichtet ist. Demgegenüber trifft die Bestimmung des Art. 321 StGB über die Verletzung des Berufsgeheimnisses nur einen im Gesetz abschliessend umschriebenen Personenkreis, zu dem u.a. die Rechtsanwälte und ihre Hilfspersonen gehören; dafür umfasst die Geheimhaltungspflicht jedes ihnen infolge ihres Berufes anvertraute Geheimnis. Die Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses durch einen Anwalt kann demnach unter beide genannten Bestimmungen fallen. Dass gegebenenfalls die Bestimmung von Art. 321 StGB derjenigen von Art. 162 StGB als lex specialis vorgeht (vgl. ERNST HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, Berlin 1937, S. 391), ändert nichts daran, dass der Anwalt dem Grundsatze nach durchaus auch den Tatbestand der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen verwirklichen kann. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Stelle des Lehrbuchs von VITAL SCHWANDER (Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Zürich 1964, S. 399) befasst sich mit dem Problem nicht des näheren und kann jedenfalls nicht als Beleg für die gegenteilige Auffassung angeführt werden. Verhielte es sich allerdings anders, so wäre die Rechtshilfe zwar gleichwohl zu gewähren, jedoch mit der Auflage, die aus der Schweiz gewonnenen Informationen lediglich im Verfahren gegen den Anwalt und nicht BGE 113 Ib, 77 (81)gegen die "tippees" zu verwenden (BGE 112 Ib 603 E. d). Das Urteil in Sachen der Beschwerdeführerin vom 12. Januar 1987 wäre in diesem Punkt zu präzisieren.
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b) Das Bundesgericht hat im mehrfach erwähnten Urteil vom 12. Januar 1987 offengelassen, ob in Fällen der vorliegenden Art zwischen der berufsspezifischen Tätigkeit des Anwaltes und dessen allfälliger Tätigkeit ausserhalb dieser Sphäre zu unterscheiden sei. Die vorstehenden Ausführungen machen diese Unterscheidung, die ohnehin in der Praxis nur mit grösster Schwierigkeit zu treffen wäre, entbehrlich: Geschäftsgeheimnisse bleiben Geschäftsgeheimnisse, gleichgültig, ob der Geheimnisherr seine Geschäfte ganz oder teilweise durch einen Anwalt führen lässt oder nicht (vgl. zu einem Problem ähnlicher Art: nicht publiziertes Urteil vom 2. Juni 1986 in Sachen M.). Die Argumentation der Beschwerdeführerin würde zum unverständlichen Resultat führen, dass eine Firma, die sich für die Vorbereitung einer Fusion oder ähnlicher Transaktionen eines Anwaltsbüros bedient, schlechter geschützt wäre als eine solche, die Vorbereitungen der nämlichen Art durch eine Treuhand- oder Finanzgesellschaft treffen lässt. Es muss nach Sinn und Geist des schweizerischen Strafgesetzbuches angenommen werden, dass eine solche Wirkung nicht gewollt gewesen sein kann, dass also Art. 162 Abs. 2 StGB über die Ausnützung des Verrates von Geschäftsgeheimnissen auch dann gilt, wenn das geheimzuhaltende Geschäft von einem Anwaltsbüro ausgeführt oder vorbereitet wurde. Damit ist das erste Erfordernis für Zwangsmassnahmen nach dem RVUS, die Strafbarkeit der Tat nach schweizerischem Recht, hier gegeben.
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