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Informationen zum Dokument  BGE 120 Ib 339  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
aus folgenden Erwägungen:
3. f) Die Beschwerdeführer F., Z. und G. haben mit Schreiben ...
4. Hauptstreitpunkt bildet die Frage, ob und inwieweit das Gebiet ...
5. Für den Fall, dass keine bestockte Weide vorliege, stelle ...
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48. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. November 1994 i.S. Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege gegen Eidgenössisches Departement des Innern (u.a.) und F. und Mitbeteiligte gegen Eidgenössisches Departement des Innern (u.a.) (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Waldfeststellung, Art. 2 des Bundesgesetzes über den Wald vom 4. Oktober 1991 (WaG) und Art. 1 und 2 der Verordnung vom 30. November 1992 über den Wald (WaV).  
Zum Begriff der bestockten Weide im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. a WaG, Art. 2 WaV (E. 4).  
Prüfung, ob die Bestockungen in besonderem Masse Wohlfahrts- und Schutzfunktionen i.S.v. Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG, Art. 1 Abs. 2 WaV erfüllen (E. 5).  
 
Sachverhalt
 
BGE 120 Ib, 339 (340)Das Eidgenössische Departement des Innern (im folgenden: Departement) traf am 21. Juli 1993 für eine Reihe von Grundstücken im Gebiet "L." in der Gemeinde Champfèr/St. Moritz eine Waldfeststellungsverfügung. Diesem Entscheid ging ein längeres Verfahren voraus.
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Gegen die Waldfeststellungsverfügung des Departements erhoben die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz (SL; im folgenden: Stiftung) sowie F. und diverse Mitbeteiligte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Die Stiftung verlangt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und eine Neufeststellung des Gebietes als bestockte Weide oder als Wald, der im besonderem Masse Wohlfahrts- oder Schutzfunktionen erfülle. F. und diverse Mitbeteiligte beantragen, der angefochtene Entscheid sei teilweise aufzuheben und es sei eine neue Waldfeststellung durch das Bundesamt, eventuell durch das Departement und subeventuell durch das Bundesgericht vorzunehmen.
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Am 20. September 1994 führte eine Delegation des Bundesgerichts einen Augenschein durch, zu dem sie Dr. P., Forstingenieur und Raumplaner, als Experten beizog.
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Die Verfahrensbeteiligten erhielten Gelegenheit, sich zu den Feststellungen des Experten zu äussern und anschliessend zum Protokoll der Augenscheinsverhandlung sowie zur nachträglich eingereichten vegetationskundlichen Untersuchung Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführer haben davon Gebrauch gemacht und gleichzeitig auch neue Beweisanträge gestellt.
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Mit Schreiben vom 21. November 1994 stellen F. und weitere Mitbeteiligte ein Ausstandsbegehren gegen den vom Bundesgericht beigezogenen Experten. Sie machen geltend, Dr. P. habe Forschungsaufträge von der Eidgenössischen Forstdirektion erhalten und stehe somit in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Bundesamt bzw. zum Eidgenössischen Departement des Innern.
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BGE 120 Ib, 339 (341)Das Bundesgericht trat auf die Eingaben vom 21. November 1994 nicht ein und wies die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab
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aus folgenden Erwägungen:
 
3. f) Die Beschwerdeführer F., Z. und G. haben mit Schreiben vom 21. November 1994 den vom Bundesgericht beigezogenen Experten als befangen abgelehnt. Gemäss Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 58 BZP gelten für Sachverständige die gleichen Ausstandsgründe, die für Richter in den Artikeln 22 und 23 OG vorgesehen sind. Entsprechend der Vorschrift in Art. 58 Abs. 2 BZP erhielten die Parteien mit Verfügung des Instruktionsrichters vom 23. Juni 1994 Gelegenheit, Einwendungen gegen den in Aussicht genommenen Sachverständigen vorzubringen. Die Beschwerdeführer machten von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch. Dr. P. trug sein Gutachten am Augenschein vom 20. September 1994 mündlich vor. Die Parteien konnten Ergänzungsfragen stellen und in der Folge zum Augenscheinsprotokoll Stellung nehmen. Im Zeitpunkt der Einreichung des Ausstandsgesuchs war das Gutachten bereits erstattet und entgegengenommen. Die vorgebrachten Gründe, wegen welcher der Experte in den Ausstand hätte treten sollen, fallen als Ablehnungsgründe im Sinn von Art. 23 OG in Betracht. Es werden somit nachträglich Ablehnungsgründe geltend gemacht mit dem Zweck, die Ungültigkeit der Begutachtung zu bewirken. Art. 28 Abs. 1 OG erklärt Amtshandlungen als anfechtbar, an denen eine Gerichtsperson teilgenommen hat, die ihr Amt nicht hätte ausüben dürfen. Nach Art. 28 Abs. 2 OG tritt im Fall eines Ablehnungsgrundes die Nichtigkeit erst auf den Zeitpunkt des Ablehnungsbegehrens ein, d.h. eine rückwirkende Aufhebung von Amtshandlungen ist ausgeschlossen. Diese Bestimmung schliesst die nachträgliche Geltendmachung blosser Ablehnungsgründe (im Gegensatz zu Ausstandsgründen) schlechthin aus (BGE 111 Ia 72 E. 2d S. 76 f.). Sachverständige unterstehen der gleichen Ausstandsregelung wie Gerichtspersonen. Es sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, die unterschiedliche Rechtsfolgen bei allfälliger Verletzung von Ausstandsvorschriften rechtfertigen würden. Art. 28 OG ist auf Begutachtungen, gegen deren Urheber nachträglich Ausstands- oder Ablehnungsgründe geltend gemacht werden, analog anwendbar. Dies hat vorliegend zur Folge, dass auf das Ausstandsgesuch der beschwerdeführenden Grundeigentümer nicht eingetreten werden kann. Im übrigen vermögen die im Gesuch erwähnten Aufträge der Eidgenössischen Forstdirektion die BGE 120 Ib, 339 (342)Beweiskraft des zur Diskussion stehenden Gutachtens nicht in Frage zu stellen.
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a) Gemäss Art. 3 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über den Wald (WaG, SR 921.0, AS 1992 2521) soll die Waldfläche der Schweiz nicht vermindert werden. Das Waldgesetz soll den Wald in seiner Fläche und seiner räumlichen Verteilung erhalten sowie als naturnahe Lebensgemeinschaft schützen (Art. 1 Abs. 1 lit. a und b WaG) und überdies dafür sorgen, dass er seine Funktionen, namentlich seine Schutz-, Wohlfahrts- und Nutzfunktion (Waldfunktionen) erfüllen kann (Art. 1 Abs. 1 lit. c WaG). Art. 2 WaG umschreibt den Begriff des Waldes. Als Wald gilt jede Fläche, die mit Waldbäumen oder Waldsträuchern bestockt ist und Waldfunktion ausüben kann. Entstehung, Nutzungsart und Bezeichnung im Grundbuch sind nicht massgebend (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 WaG). Als Wald gelten u.a. auch Weidwälder, bestockte Weiden (Wytweiden) und Selven (Abs. 2). Nicht als Wald gelten u.a. isolierte Baum- und Strauchgruppen, Hecken, Garten-, Grün- und Parkanlagen sowie Baumkulturen, die auf offenem Land zur kurzfristigen Nutzung angelegt worden sind (Abs. 3).
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Entsprechend der bisherigen, bewährten Praxis (s. BGE 118 Ib 614 E. 4a S. 617 f. und die dortigen Hinweise) sind bei der Prüfung, ob eine Bestockung Wald ist, in der Regel der im Zeitpunkt des Entscheids tatsächliche Wuchs und dessen Funktion massgebend; ausnahmsweise ist trotz ganzen oder teilweisen Fehlens einer Bestockung Wald anzunehmen, wenn Flächen ohne Bewilligung gerodet worden sind. Welche Ursache die Bewaldung hat, ist nicht entscheidend; das gesetzliche Gebot der Walderhaltung besteht unabhängig vom Willen des Eigentümers. Auch früher unbewaldete Flächen werden (vorbehältlich Art. 13 WaG) zu geschütztem Waldareal, wenn sich dort Waldbäume oder -sträucher ansiedeln, wenn der Eigentümer nicht alles zur Verhinderung der Bewaldung vorgekehrt hat, was unter den gegebenen Umständen vernünftigerweise von ihm erwartet werden konnte.
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BGE 120 Ib, 339 (343)b) Schon nach bisherigem Recht waren Weidwälder und bestockte Weiden als Wald geschützt. Art. 2 WaV definiert, was unter bestockten Weiden (Wytweiden) zu verstehen ist. Es handelt sich um Flächen, auf denen Waldbestockungen und offene Weideplätze mosaikartig abwechseln und die sowohl der Vieh- als auch der Forstwirtschaft dienen. Dies stimmt inhaltlich mit der bisherigen Begriffsbestimmung in Praxis und Lehre überein, wonach bestockte Weiden grössere Weideflächen sind, auf denen in lockerer Form einzelne Bäume oder Baumgruppen wachsen, und die dauernd einer Mischwirtschaft, nämlich der landwirtschaftlichen Weidenutzung und forstwirtschaftlichen Holzerzeugung dienen (BGE 118 Ib 614 E. 4b S. 618; AEMISEGGER/WETZEL, Wald und Raumplanung, Schriftenfolge VLP Nr. 38, Frühling 1985, S. 11; BLOETZER/MUNZ, Walderhaltungsgebot und Rodungsbewilligung, in ZBl 73/1972 S. 435; Richtlinien für die Waldfeststellung im Kanton Graubünden [Bündner Richtlinien], Ziffer 7 S. 23). Wie aus Art. 2 WaV hervorgeht, gilt die bestockte Weide in ihrer gesamten Fläche und nicht nur im bestockten Teil als Wald.
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c) Auf einem Teil des vom Waldfeststellungsperimeter erfassten Gebiets wechseln Bestockungen und offene Flächen mosaikartig ab. Dies trifft namentlich für Teile der Parzellen Nrn. ... zu. Insoweit weist das Gebiet eine Bestockungsform auf, wie sie für die bestockte Weide vorausgesetzt wird. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass diese Flächen Wald sind. Hierfür wäre erforderlich, dass es sich bei den offenen Flächen um Weideplätze handelt. Eine Beweidung findet heute nicht mehr statt. Nach Auffassung der Beschwerdeführer sei dies früher der Fall gewesen. Die Weidenutzung sei wohl durch andere Nutzungen ersetzt worden. Dies habe aber an der Waldeigenschaft der betroffenen Flächen nichts geändert. Wie es sich damit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht verhält, ist nachfolgend zu prüfen.
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aa) Bestockte Weiden sind Wald. Ihre Flächen unterstehen dem allgemeinen Walderhaltungsgebot von Art. 3 WaG. Sie sollen in der heutigen Form mit der ihr eigenen Dynamik erhalten bleiben (s. Botschaft vom 29. Juni 1988, BBl. 1988 III S. 189). Daraus ergibt sich, dass die Fläche einer bestockten Weide grundsätzlich die Waldqualität auch dann behält, wenn das Beweiden durch eine andere landwirtschaftliche Nutzung ersetzt wird oder wegfällt. Dies galt schon nach bisherigem Recht (BGE 118 Ib 614 E. 4d S. 619).
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bb) Das Departement ging von der Regel aus, dass bei Waldfeststellungen grundsätzlich die Verhältnisse im Zeitpunkt des Entscheids massgebend BGE 120 Ib, 339 (344)seien, und hielt ein Abweichen von dieser Regel für gerechtfertigt, wenn die Beweidung erst kurze Zeit vor dem Entscheid aufgegeben worden sei und Anzeichen einer Beweidung noch deutlich vorhanden seien. Diese Voraussetzungen hielt es im vorliegenden Fall für nicht gegeben. Das Departement klärte die Frage der Weidenutzung unter einem etwas zu engen Blickwinkel ab. Die mit Hinweis auf BGE 113 Ib 357 E. 2b 359 angerufene Praxis betrifft das Erfordernis der Bestockung und lässt sich nicht auf dasjenige der Weidenutzung übertragen. Sonst würde bei Aufgabe der Weidenutzung die Waldeigenschaft ohne weiteres - jedenfalls nach einer kurzen Übergangszeit - wegfallen, was sich mit dem Walderhaltungsgebot gemäss Art. 3 WaG nicht vertrüge (s. oben lit. aa). Eine andere Frage ist, ob und inwieweit dem Zeitablauf Rechnung zu tragen ist. Wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen werden, konnte der Sachverhalt im bundesgerichtlichen Verfahren vervollständigt werden, so dass sich die strittige Beweisfrage abschliessend beurteilen lässt. Daher ist die Rüge, das Departement habe den rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig und unvollständig festgestellt, für den Ausgang des Verfahrens nicht entscheidend, weshalb sie nicht weiter überprüft werden muss.
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cc) Der Begriff der bestockten Weide setzt voraus, dass die unbestockten Flächen dauernd der landwirtschaftlichen Weidenutzung dienen (BGE 118 Ib 614 E. 4b S. 618), d.h. es ist eine Beweidung von geländeprägender Intensität begriffsnotwendig. Weideplätze einer bestockten Weide müssen als solche erkennbar sein. Einer bloss gelegentlichen Beweidung, die "nie über einige Tage" hinausging und mit einer Mähwiesennutzung abwechselte, fehlt die erforderliche Wirkung. Mit dem Beweis einer solchen Nutzung lassen sich keine Weideplätze im Sinn von Art. 2 WaV nachweisen.
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Bei fehlender aktueller Weidenutzung stellt sich die Beweisfrage, ob in früheren Zeiten eine auf Dauer ausgerichtete, regelmässige und hinreichend intensive Beweidung stattgefunden hat. Eine solche Nutzung hinterlässt typischerweise Spuren im Gelände, die noch während sehr langer Zeit nach Aufgabe der Weidenutzung im Gelände erkennbar bleiben. Am Augenschein hat sich ergeben, dass keine solche Hinweise vorhanden sind: Zwar hat ein Vertreter der Stiftung (Forsting. S.) vereinzelte Spuren feststellen wollen. Doch vermochte die Interpretation der festgestellten Spuren - nämlich eine Grasblösse, die auf einen Kuhfladen zurückzuführen sei, und zwei/drei kleine Vertiefungen, bei denen es sich um Hufabdrucke handle - BGE 120 Ib, 339 (345)nicht zu überzeugen. Gemäss den Ausführungen des Experten hätte eine regelmässige Beweidung im steilen Gelände horizontale Kuhwege verursacht. Es hätten sodann zumindest bei einem Teil der Bäume festgetrampelte Wurzelteller beziehungsweise Wurzelverletzungen festgestellt werden müssen, sowie Reibspuren und fehlende Äste bis auf eine Höhe von etwa 2 m. Von all dem konnte am Augenschein nichts festgestellt werden. Darüber hinaus fehlen auch Hinweise auf Läger, Tränken und Weidzäune. Ein seitens des Stiftungsvertreters entdecktes Holzbrett stammt sicher nicht von einem Weidezaun, und die als Viehtränke vermutete Vertiefung im unteren Teil der Parzellen ... hat sich als Bade-Weiherchen erwiesen, das Buben aus Champfèr vor langer Zeit angelegt hatten. Insgesamt fehlt es im Gelände an Spuren, die auf Weideplätze im Sinn von Art. 2 WaV hinweisen würden. Es müssten aber solche vorhanden sein, wenn in der in Betracht fallenden Zeitspanne eine regelmässige Weidenutzung stattgefunden hätte.
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Bei den offenen Flächen handelt es sich somit nicht um frühere Weideplätze in der Art, wie sie für bestockte Weiden vorauszusetzen wären. Dies deckt sich im übrigen mit den Angaben der Beschwerdeführer, die selbst einräumen, es habe sich um eine Übergangsweide gehandelt; die Beweidung habe den Grasschnitt ergänzt und sei wohl nie über einige Tage hinausgegangen. Ihre Beweisanträge zwecks Nachweises einer solchen Beweidung (bis 1985 durch Kühe, bis 1987 noch eine Heimkuh und bis vor ca. 5 Jahren durch Schafe) sind daher - soweit sie durch die Augenscheinnahme nicht gegenstandslos geworden sind - unerheblich. Desgleichen kommt es nicht auf die eingereichte vegetationskundliche Untersuchung von A. an, so dass sich eine Auseinandersetzung mit derselben erübrigt. Bei diesem Beweisergebnis steht fest, dass im strittigen Gebiet keine bestockten Weiden im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. a WaG und Art. 2 WaV bestehen. Insofern ist die angefochtene Waldfeststellung nicht zu beanstanden.
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a) Gemäss Art. 2 Abs. 4 S. 2 WaG, Art. 1 Abs. 2 WaV gelten Bestockungen, die in besonderem Masse Wohlfahrts- oder Schutzfunktionen erfüllen, unabhängig von ihrer Fläche, ihrer Breite oder ihrem Alter als Wald. Im Gegensatz zu den bestockten Weiden, bei denen auch die Weideflächen als Wald gelten, beziehen sich die genannten Bestimmungen ausschliesslich auf bestockte Flächen, für die je einzeln geprüft werden muss, ob sie die behaupteten Funktionen erfüllen. Es ist daher nicht das ganze Gebiet mit allen Einzelbäumen und bestockungsfreien Flächen als solches in Betracht zu ziehen und einer Gesamtbeurteilung zu unterwerfen, wie es die beschwerdeführenden Grundeigentümer im Prinzip geltend machen. Wie in BGE 118 Ib 614 E. 5b S. 620 f. ausgeführt, ist es nicht Aufgabe des Waldrechts, die Anstrengungen der Raumplanung oder des Natur- und Heimatschutzes zu ersetzen; offenes Wiesland kann auch dann nicht als Wald in Betracht fallen, wenn es zusammen mit Baumgruppen das Landschaftsbild prägt und sich unter dem Blickwinkel des Landschaftsschutzes oder des Natur- und Heimatschutzes als besonders schutzwürdig erweist.
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b) Aufgrund der Feststellungen am Augenschein und des vom Experten erstellten Bestockungsplans vom August 1994 kommen im vorliegenden Fall folgende drei Baumgruppen in Betracht:
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Die Baumgruppe 1 besteht aus 6 Arven, die auf der Parzelle Nr. ... stocken. Die Baumgruppe weist eine Fläche von 151 m2 auf.
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Die Baumgruppe 2 besteht aus 5 Arven, die im Schnittpunkt der Parzellen Nrn. ... stocken und eine Fläche von 63 m2 aufweist.
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Die Baumgruppe 3 besteht 7 Arven und 5 Lärchen, die auf der Parzelle Nr. ... stocken. Die Fläche ist nicht aktenkundig, indes liegt sie sicher unter 200 m2. Der Baumgruppe sind zwei Kleinstgruppen von je 4 Bäumen vorgelagert. Zwischen den einzelnen Gruppen besteht kein Wuchszusammenhang.
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Wie sich am Augenschein ergeben hat, besteht zwischen diesen Baumgruppen und dem geschlossenem Wald kein Wuchszusammenhang. Es kann auch nicht gesagt werden, es handle sich um aufgelöste Bestockungen im Bereich der oberen Waldgrenze. Es sind isolierte Bestockungen, die Wald sind, wenn sie für sich die erforderlichen Waldmerkmale erfüllen.
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c) Nach den Bündner "Richtlinien für die Waldfeststellung im Kanton Graubünden" vom Herbst 1981 muss eine Bestockung eine Mindestfläche von 250 m2 (Ziff. 2.1) und eine Mindestbreite von 12 m (Ziff. 2.2) aufweisen.
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BGE 120 Ib, 339 (347)Diese Richtlinien stellen zwar keine Rechtssätze dar; solange jedoch der Kanton die zum Vollzug der eidgenössischen Waldgesetzgebung erforderlichen Ausführungsbestimmungen noch nicht erlassen hat beziehungsweise die hierfür in Art. 66 WaV eingeräumte Frist noch nicht abgelaufen ist, können bestehende Richtlinien, soweit sie sich an die Vorgaben von Art. 1 WaV und Art. 2 WaG halten, für die Bestimmung der massgeblichen quantitativen Hilfskriterien herangezogen werden (nicht veröffentlichte Urteile in Sachen R. vom 30. Juni 1994, E. 4c und in Sachen Z. vom 13. Juni 1994, E. 3d). Da die in Frage kommenden Bestockungen die Mindestfläche von 250 m2 nicht erreichen und sogar das in Art. 1 Abs. 1 lit. a WaV bestimmte Minimum von 200 m2 unterschreiten, kommt ihnen nur dann Waldeigenschaft zu, wenn sie in besonderem Masse Wohlfahrts- oder Schutzfunktionen erfüllen (Art. 2 Abs. 4 WaG und Art. 1 Abs. 2 Satz 2 WaV). Angesichts dieser bundesrechtlichen Regelung hat Ziffer 10 der Richtlinien für Waldfeststellung im Kanton Graubünden (Bündner Richtlinien) keine selbständige Bedeutung, so dass sich eine Erörterung erübrigt, soweit sich die Beschwerdeführer auf diese Richtlinienbestimmung berufen.
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d) Die Beschwerdeführer heben die landschaftliche und landschaftsökologische Bedeutung der in Frage stehenden Baumgruppen hervor. Das Gebiet "L." stelle im Gesamtgefüge der Oberengadiner Seenlandschaft eine Natur- und Kulturlandschaft von nationaler Bedeutung dar. Die Oberengadiner Seenlandschaft sei im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler als Objekt Nr. 19 08 aufgenommen (VBLN; SR 451.11).
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aa) Das Gebiet "L." liegt nicht innerhalb des BLN-Schutzobjektes Nr. 19 08. Durch den angefochtenen Entscheid wird das Schutzobjekt nicht beeinträchtigt. Es braucht daher - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - kein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission eingeholt zu werden (s. Art. 7 des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz [NHG; SR 451]). Zu den Wohlfahrtsfunktionen des Waldes gehört auch der Landschaftsschutz (vgl. BGE 114 224 E. 9a/ac S. 232 und E. 10cb S. 233 mit Hinweisen). Es ist den Beschwerdeführern beizupflichten, dass Klein- und Kleinstbestockungen im Wechselspiel mit Einzelbäumen, geschlossenem Wald und offenem Gelände eine landschaftliche Gliederungsfunktion erfüllen und den Reiz einer Landschaft ausmachen können. Das ist auch in der Oberengadiner Seenlandschaft der Fall. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die konkret in Frage stehenden BGE 120 Ib, 339 (348)Baumgruppen in besonderem Masse eine solche Landschaftsgliederungsfunktion und entsprechende Wohlfahrtsfunktion erfüllen und deshalb als Wald zu gelten hätten. Das Gebiet "L." ist teilweise mit Villen überbaut. Am Fuss des Hanges liegt die alte Landstrasse, die Champfèr mit St. Moritz Dorf verbindet und an welcher - auch im Bereich des "L."-Hanges - zum Teil wuchtige Gebäudekomplexe stehen. Das umstrittene Gebiet erscheint - auch von der gegenüberliegenden Talseite aus betrachtet - als Teil des Siedlungsgebiets von Champfèr. Die drei Baumgruppen tragen zur Auflockerung und Gliederung der Villenzone bei; es lässt sich jedoch nicht sagen, dass sie aufgrund ihrer konkreten Lage im Rahmen der Gesamtlandschaft in besonderem Masse eine Landschaftsgliederungsfunktion erfüllen. Zwar mag eine Einschränkung der baulichen Nutzung des als Villenzone ausgeschiedenen Gebietes aus Sicht des Landschaftsschutzes erwünscht erscheinen; dies allein ist jedoch kein hinreichender Grund, den fraglichen Baumgruppen Waldqualität beizumessen. Persönliche Interessen der beschwerdeführenden Grundeigentümer, auf deren Parzellen bereits Villen stehen, kommt kein entscheidendes Gewicht zu.
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bb) Desgleichen ist aus landschaftsökologischer Sicht den fraglichen Baumgruppen kein erhöhter Stellenwert zuzumessen. Nichts weist darauf hin, dass der in ihrem Bereich vorhandene biologische Reichtum (Flora und Fauna) sich wesentlich von demjenigen an zahlreichen anderen Orten in der näheren und weiteren Umgebung unterscheiden würde, wo Einzelbäume, Kleinstbestockungen, geschlossener Wald und offene Flächen ineinander verzahnt sind. Der von den Beschwerdeführern geltend gemachte und durch die am 8. September 1994 eingereichte vegetationskundliche Untersuchung bestätigte botanische Artenreichtum des Gebietes betrifft darüber hinaus im wesentlichen die Magerwiese und nicht die hier in Frage stehenden bestockten Flächen. Es kann daher nicht gesagt werden, die fraglichen Baumgruppen würden im Rahmen einer gesamtheitlichen Betrachtung eine besondere Naturschutzaufgabe erfüllen.
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e) Nach Ansicht der Beschwerdeführer sollen die fraglichen Baumgruppen - insbesondere die Gruppe Nr. 1 und 2 - eine besondere Schutzfunktion erfüllen: Sie würden dafür sorgen, dass Schneerutsche nicht schon unter der Via F. anrissen und grosse Schneemassen auf die Via S. verfrachteten.
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Der Experte äusserte sich zu diesem Problem am Augenschein. Nach seinen BGE 120 Ib, 339 (349)Ausführungen wirke sich grundsätzlich jeder Baum günstig gegen das Schneegleiten aus. Von einer Wald-Schutzfunktion könne jedoch erst gesprochen werden, wenn eine Gefährdung bestehe und die Bäume diese beeinflussen könnten. Vorliegend könne die Via S. als gefährdetes Objekt betrachtet werden. Zur wissenschaftlichen Beurteilung der Schneegleit- und Schneerutschgefahr bedürfe es regelmässiger, über Jahre hinweg geführter Schneemessungen, die für das Gebiet "L." nicht vorlägen. Allerdings sei davon auszugehen, dass die bestehenden Baumgruppen keinen besonderen Schutz böten, da es sonst in den offenen Couloirs zu Schneeabgängen gekommen sein müsste. Davon sei ihm nichts bekannt. Der Bestockungsgrad der Flächen müsse viel höher sein, damit eine relevante Wirkung erzeugt werden könnte. G. wies am Augenschein darauf hin, dass seit 1962 zweimal Schnee auf die Strasse gerutscht sei. Die Schneedecke sei jedoch jeweils unterhalb der Bäume angerissen; es sei also auch in den unbestockten Hangteilen nie zu Schneeabgängen ab der Via F. gekommen. Schliesslich wies der Anwalt von B. auf den Plan des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung, wonach die Zone hoher Lawinengefahr sowie die Zone geringer Lawinengefahr oberhalb des streitigen Gebietes lägen. Der Vertreter des kantonalen Forstamtes ergänzte, das Gebiet "L." sei auch nicht im Gefahrenverzeichnis der Gemeinde aufgeführt.
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Nach dem Gesagten erscheint der rechtserhebliche Sachverhalt genügend abgeklärt und es besteht kein Anlass, das beantragte Gutachten des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung auf Weissfluhjoch-Davos einzuholen. Eine spezielle Gefahrensituation besteht nicht. Abgesehen davon, vermöchten die in Frage stehenden Baumgruppen gegen Schneeabgänge keinen besonderen Schutz bieten. Die entsprechenden Fachausführungen des Experten sind überzeugend. Es kann bei dieser Sachlage nicht gesagt werden, dass die Baumgruppen in besonderem Masse eine Schutzfunktion gegen Schneerutsch erfüllen. Dem stehen auch die Angaben von G. nicht entgegen.
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f) Dasselbe trifft auch hinsichtlich der Streitfrage zu, ob die Baumgruppen einer allgemeinen Rutschgefahr entgegenwirken können oder nicht. Nach Ansicht des Experten weist der mit einer dünnen Humusschicht überdeckte kristalline Untergrund mit grosser Wahrscheinlichkeit keine tiefen Rutschhorizonte auf, welche bei extremer Wasserzufuhr ein Abgleiten von Erd- und Steinmassen bewirken könnten. Der Experte hat sich zur Rutschgefahr nicht abschliessend äussern können. Entscheidend ist indessen, BGE 120 Ib, 339 (350)dass gemäss seinen überzeugenden Ausführungen die vorhandenen Einzelbäume und Baumgruppen ohnehin nur eine unbedeutende Wirkung gegen Rutschgefahr hätten. Die Schutzfunktion des Waldes beruhe vor allem auf der sogenannten Evaporotranspiration, d.h. der Aufnahme und Verarbeitung von Wasser und dadurch bedingt einer Verringerung der in den Boden eindringenden Wassermenge. Einzelne Bäume beziehungsweise Baumgruppen hätten jedoch keinen spürbaren Einfluss auf die Regulierung des Wasserregimes.
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Schliesslich verneinte der Experte auch eine besondere Schutzfunktion gegen die Erosion der Humusschichten. Ein grosser Teil der streitigen Fläche, insbesondere die steilen Partien, sind unbestockt. Der Experte hat in diesen Partien anlässlich der Feldaufnahmen nirgends Erosionsspuren oder Anzeichen von Oberflächenrutschungen feststellen können und daraus geschlossen, dass die Sicherungsfunktion der Bäume auch von einer geschlossenen Grasnarbe übernommen werden könne, die Bewurzelung durch Bäume also keinen zusätzlichen Schutz bewirke. Diese Überlegungen sind schlüssig.
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Die in Frage stehenden Baumgruppen erfüllen auch unter diesem Aspekt nicht in besonderem Masse eine Schutzfunktion.
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g) Insgesamt ergibt sich, dass das Departement weder Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG noch Art. 1 Abs. 2 WaV verletzte, wenn es ausschloss, dass die einzelnen Baumgruppen im besonderen Masse Wohlfahrts- und Schutzfunktionen ausübten, und die fraglichen Baumgruppen daher nicht als Wald feststellte. Auch in diesem Punkt erweisen sich die Beschwerden als unbegründet.
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