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Informationen zum Dokument  BGE 87 I 217  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der Patentbewerber oder Patentinhaber ist gemäss Art. 47  ...
2. Was die Beschwerdeführerin über Rechtsanwalt Okubo,  ...
3. ... ...
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37. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Mai 1961 i.S. Whirlpool Corporation gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum.
 
 
Regeste
 
Art. 47 Abs. 1 PatG, Art. 101 OR.  
 
Sachverhalt
 
BGE 87 I, 217 (217)A.- Das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum erteilte der in den Vereinigten Staaten von Amerika niedergelassenen Whirlpool Corporation am 15. Dezember 1959 das Patent Nr. 324'917, um das sie am 9. Dezember 1955 nachgesucht hatte. Am 15. März 1960 erlosch der Schutz wegen unbenützten Ablaufs der Frist zur Zahlung BGE 87 I, 217 (218)der Gebühren für das zweite bis fünfte Patentjahr. Von der Möglichkeit, das Patent spätestens am 15. Juni 1960 gemäss Art. 46 PatG wiederherstellen zu lassen, machte die Inhaberin nicht Gebrauch.
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Am 28. Dezember 1960 ersuchte die Whirlpool Corporation das Amt für geistiges Eigentum, sie gemäss Art. 47 PatG in die am 15. März 1960 abgelaufene Zahlungsfrist wiedereinzusetzen. Sie machte geltend, sie lasse ihre ausländischen Patente durch das Rechtsbüro Hill, Sherman, Meroni, Gross & Simpson in Chicago verwalten. Dieses sei von der Firma E. Blum & Co. in Zürich am 9. Januar 1960 auf die Zahlungsfrist aufmerksam gemacht worden. Das Rechtsbüro Hill, Sherman, Meroni, Gross & Simpson habe sie nicht eingehalten, weil der Vorsteher seiner Auslandabteilung, Rechtsanwalt Edward Okubo, aus unerklärlichen Gründen eine erhebliche Zahl von Briefen, darunter auch jenen der Firma E. Blum & Co., unbeantwortet gelassen und unrichtig eingeordnet habe, was trotz normaler Überwachung seiner Tätigkeit von den Leitern des Büros erst Ende Oktober 1960 entdeckt worden sei. Okubo sei hierauf entlassen worden. Auf eine Anfrage vom 22. November 1960 an E. Blum & Co. habe das Rechtsbüro Hill, Sherman, Meroni, Gross & Simpson am 3. Dezember 1960 vom Verfall des Patentes Kenntnis erhalten.
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B.- Das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum wies am 27. Februar 1961 das Wiedereinsetzungsgesuch ab, weil Okubo sich grob pflichtwidrig verhalten habe.
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C.- Die Whirlpool Corporation führt gemäss Art. 97 ff. OG Beschwerde. Sie beantragt dem Bundesgericht, die Verfügung des Amtes für geistiges Eigentum aufzuheben und dieses anzuweisen, das Wiedereinsetzungsgesuch gutzuheissen. Subsidiär stellt sie den Antrag auf Beweisergänzung oder Rückweisung der Sache zur neuen Entscheidung an das Amt für geistiges Eigentum.
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D.- Das Amt für geistiges Eigentum beantragt, auf das Begehren um Ergänzung des Beweises nicht einzutreten und die Beschwerde abzuweisen.
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BGE 87 I, 217 (219)Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Diese Bestimmung spricht nur vom Verschulden des Patentbewerbers oder Patentinhabers. Daraus darf nicht geschlossen werden, die Wiedereinsetzung müsse gewährt werden, wenn glaubhaft ist, dass er die Säumnis nicht persönlich verschuldet habe. Der Patentbewerber oder Patentinhaber handelt meistens durch Hilfspersonen. Er bedient sich namentlich eines Vertreters. Wer in der Schweiz keinen Wohnsitz hat, ist geradezu verpflichtet, einen hier niedergelassenen Vertreter zu bestellen, der im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden und vor dem Richter handelt (Art. 13 PatG, Art. 7 Abs. 4 VollzVo zum PatG). Die Wiedereinsetzung würde daher zur Regel und die Fristen verlören meistens ihren Sinn, wenn der Patentbewerber und Patentinhaber nicht auch für das Verschulden von Hilfspersonen, namentlich des Vertreters, einzustehen hätte. Er brauchte dann nur glaubhaft zu machen, dass er bei der Auswahl und Unterrichtung der Hilfspersonen keinen die Säumnis verursachenden Fehler begangen habe. Das wäre um so unerträglicher, als Art. 47 PatG nicht einmal einen Beweis verlangt, sondern blosses Glaubhaftmachen genügen lässt.
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Die Beschwerdeführerin möchte Art. 55 OR angewendet wissen, wonach der Geschäftsherr für den Schaden haftet, den seine Angestellten oder Arbeiter in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet habe, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der BGE 87 I, 217 (220)Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre. Diese Bestimmung regelt die Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn für einen Schaden, den seine Hilfsperson einem Dritten durch unerlaubte Handlung zufügt. Dieser Fall hat mit dem in Art. 47 PatG geregelten nichts gemein. Wenn eine Hilfsperson die Vorkehren unterlässt, die der Patentbewerber oder Patentinhaber treffen müsste, um eine Frist einzuhalten, benachteiligt sie nicht einen unbeteiligten Dritten, sondern den Geschäftsherrn selbst. Dieser hat daher grundsätzlich den Nachteil aus dem Versagen der Hilfsperson selber zu tragen, gleich wie in den von Art. 101 OR erfassten Fällen, wo jemand die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis durch eine Hilfsperson vornehmen lässt. Wer Pflichten hat oder Rechte ausüben will, muss die aus ihrer Nichterfüllung bzw. Nichtausübung entstehenden Folgen auf sich nehmen, wenn er, statt selber zu handeln, Hilfspersonen beizieht. Er soll sich seinen eigenen Verpflichtungen oder Obliegenheiten nicht dadurch entziehen können, dass er Hilfspersonen einsetzt. Dass Art. 101 OR nicht nur auf die dem Obligationenrecht unterstehenden, sondern auch auf andere zivilrechtliche Verhältnisse anwendbar ist, ergibt sich aus Art. 7 ZGB. Ein solches Verhältnis liegt hier vor, denn die Fristen, die Art. 42 PatG setzt, müssen zur Erhaltung des Patentes, also zur Wahrung eines privaten Rechtes eingehalten werden. Dass dieses ein absolutes Recht ist, während die Hilfsperson in den von Art. 101 OR unmittelbar erfassten Fällen zur Ausübung eines relativen Rechtes beigezogen wird, ändert nichts. In der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 25. April 1950 über die Revision des Bundesgesetzes betreffend die Erfindungspatente wurde denn auch in Erläuterung des dem Art. 47 PatG entsprechenden Art. 48 des Entwurfes ausgeführt, ein Mangel an Sorgfalt des Vertreters falle dem Vertretenen zur Last (BBl 1950 I 1033). Auf dem gleichen Boden steht Art. 35 OG, der die BGE 87 I, 217 (221)Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung einer Frist in der Bundesrechtspflege nur dann gestattet, "wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln". Auch Art. 13 BZP stellt das unverschuldete Hindernis in der Person des Vertreters dem unverschuldeten Hindernis in der Person des Säumigen gleich und bringt damit zum Ausdruck, dass Wiederherstellung nur gewährt werden darf, wenn weder dieser noch jener an der Säumnis schuld ist.
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Hat der Patentbewerber oder Patentinhaber für das Verschulden seines Vertreters einzustehen, so ist ihm auch das Verschulden von Angestellten oder andern Hilfspersonen des Vertreters anzurechnen, denn diese sind mittelbar auch Hilfspersonen des Vertretenen. Diese Auffassung liegt auch den Erwägungen in BGE 85 I 71 zu Grunde. Das Bundesgericht führte dort, ohne die Frage entscheiden zu müssen, im Hinblick auf Art. 47 Abs. 1 PatG aus: "Schuldlosigkeit im Sinne dieser Bestimmung lässt sich zur Not allenfalls noch annehmen, wenn der Erfinder die Besorgung seiner Patentangelegenheiten einem Patentanwalt übertragen hat und dieser die Fristenkontrolle durch einen zuverlässigen und gewissenhaft befundenen Angestellten vornehmen lässt, dem dann ein Versehen unterläuft." Das heisst nicht, das Wiedereinsetzungsgesuch sei schlechthin begründet, wenn den Patentanwalt persönlich keinen Vorwurf treffe, wie immer auch sein Angestellter sich verhalten haben möge. Gegenteils wurde nur ein "Versehen" des zuverlässigen und gewissenhaften Angestellten "zur Not allenfalls" als Wiedereinsetzungsgrund ins Auge gefasst, also ein entschuldbares einmaliges Versagen eines im übrigen pflichtgetreuen Angestellten.
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2. Was die Beschwerdeführerin über Rechtsanwalt Okubo, den Vorsteher der Auslandabteilung der Gesellschaft Hill, Sherman, Meroni, Gross & Simpson, ausführt und durch eine eidesstattliche Erklärung des Gesellschafters BGE 87 I, 217 (222)Donald J. Simpson glaubhaft macht, ist nicht ein einmaliges entschuldbares Versehen eines zuverlässigen und gewissenhaften Angestellten, sondern zeigt, dass die Nichtzahlung der vier Jahresgebühren die Folge einer wiederholten erheblichen Pflichtvergessenheit eines in leitender Stellung tätigen Funktionärs der Parteivertreterin war. Okubo ordnete eine beträchtliche Zahl von Briefen unrichtig ein und gab ihnen keine weitere Folge. Simpson kann sich dieses Verhalten nicht erklären, nennt also keinen Grund, der es zu entschuldigen vermöchte. Die Beschwerdeführerin spricht von einem "psychischen Unvermögen" Okubos, seine Arbeit zu bewältigen, von einem "allgemeinen Rückstand in der Arbeit", den sie dem "chronischen Übel der heutigen Geschäftslast" zuschreibt. Das entschuldigt Okubo und dessen Arbeitgeberin nicht. Wer nicht imstande ist, auch bei grosser Geschäftslast gewissenhaft zu arbeiten, muss sich entlasten, nötigenfalls durch Ablehnung von Aufträgen. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, Okubo sei das entschuldbare Opfer einer Überlastung mit Arbeit, verträgt sich zudem nicht mit der aus der eidesstattlichen Erklärung hervorgehenden Tatsache, dass seine Arbeitgeberin ihn entliess, als sie von seinem Verhalten Kenntnis erhielt. Dass er ausgebildeter und zur Prozessführung vor den höchsten Gerichten zugelassener Rechtsanwalt ist, die Auslandabteilung seiner Arbeitgeberin leitete und mit dem Fristenwesen vertraut war, rückt sein Verhalten nicht in ein milderes Licht. Seine Bildung und Fachkenntnisse erlaubten ihm, die Folgen seines Tuns und Unterlassens vorauszusehen, und seine mit Verantwortung verbundene Stellung verpflichtete ihn zu sorgfältiger Pflichterfüllung. Die Beschwerdeführerin lässt selber ausführen, es sei zu bedenken, "dass eine Versäumnis der vorliegenden Art die wirtschaftliche Existenz des Okubo auf dem Gebiete der gewerblichen Schutzrechte in Frage stellen musste und auch in Frage gestellt hat, was ihm zweifellos bewusst war und ihm nicht gleichgültig sein BGE 87 I, 217 (223)konnte". Gerade dieses Wissen macht die Schuld dieser Hilfsperson besonders schwer.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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