BGE 96 I 104 - Freie Wahl des Begräbnisplatzes | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
20. Auszug aus dem Urteil vom 18. März 1970 i.S. N. gegen Sanitätsdepartement und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt | |
Regeste |
Ungeschriebene verfassungsmässige Rechte. Voraussetzungen ihrer Anerkennung (Erw. 1). |
Zulässigkeit einer Vorschrift, welche die Bewilligung zur Aufstellung eines Grabmals von der Erfüllung ästhetischer Voraussetzungen abhängig macht (Erw. 2). |
Willkürliche oder rechtsungleiche Anwendung dieser Vorschrift auf eine für ein Familiengrab bestimmte Rehplastik? (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
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A.- Das basel-städtische Gesetz vom 9. Juli 1931 betreffend das Bestattungswesen, das mit der Eröffnung des neuen Friedhofs auf dem Hörnli in Wirksamkeit trat (§ 30), macht die Aufstellung von Denkmälern auf den Grabstätten von einer Bewilligung der Friedhofverwaltung abhängig und ermächtigt den Regierungsrat, auf dem Verordnungswege nähere Bestimmungen über Form, Grösse und Material der Denkmäler zu erlassen (§ 13). Diese Bestimmungen finden sich in den §§ 54 ff. der Bestattungs- und Friedhofordnung vom 29. April 1932 (BFO). § 58 Abs. 2 bestimmt:
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"Die Zulassung (eines Grabmals) kann verweigert werden, wenn das Grabmal den Vorschriften dieser Verordnung oder den ästhetischen Anforderungen nicht genügt oder nicht in die Umgebung passt."
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B.- Der Beschwerdeführer N. möchte auf einem Familiengrab des Hörnli-Friedhofes, in dem sein im Jahre 1967 verstorbenes Kind bestattet ist, eine vom Bildhauer X. entworfene Rehplastik aus Bronze aufstellen und kam um die Bewilligung dafür ein. Das Friedhofamt lehnte das Gesuch ab, da es sich um eine "banale Gartenplastik" handle, die auf dem Friedhof deplaziert wirke. Ein Rekurs hiegegen wurde vom Sanitätsdepartement des Kantons Basel-Stadt gestützt auf einen Bericht der Grabmalkommission am 26. September 1968 abgewiesen.
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Gegen diesen Entscheid rekurrierte N. an den Regierungsrat, der den Rekurs ohne materiellen Entscheid dem Verwaltungsgericht überwies. Dieses nahm einen Augenschein vor und wies dann den Rekurs mit Urteil vom 5. August 1969 ab. Die Rehplastik, die der Beschwerdeführer aufstellen wolle, sei nicht naturalistisch, sondern stilisiert und passe wegen ihrer kleinen Ausmasse und der weichlichen Formgebung nicht zu den übrigen Denkmälern auf dem gleichen Grabfeld. Auf einem Familiengrab auf dem Wolfsgottesacker, ja sogar auf einem Kindergrab auf dem Hörnli könnte sie noch hingenommen werden, nicht aber auf einem Familiengrab in einer Umgebung, zu der sie nicht passe. Da Tierplastiken auf einem Friedhof allgemein als problematisch zu bezeichnen seien, erscheine es zudem als richtig, an solche Darstellungen strenge Massstäbe anzulegen. Insbesondere in der vom Beschwerdeführer gewählten Form entspreche die Rehfigur nicht den ästhetischen Anforderungen, die an Grabmäler zu stellen seien. Der Vorwurf der rechtsungleichen Behandlung sei unbegründet. Die Praxis sei zwar bis vor 5 oder 6 Jahren etwas nachgiebiger gewesen, doch habe sich in letzter Zeit die Auffassung durchgesetzt, dass im Hinblick auf den Ernst und die Würde einer Stätte der gemeinsamen Totenehrung strengere Anforderungen zu stellen seien. Eine solche Praxisänderung sei zulässig. Im übrigen habe der Augenschein ergeben, dass andere Tierplastiken sich vom Modell des Beschwerdeführers deutlich unterschieden.
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C.- Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts hat N. staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Er erhebt insbesondere folgende Rügen:
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1. Das ungeschriebene verfassungsmässige Recht auf freie Grabmalgestaltung sei verletzt.
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2. Art. 4 BV sei verletzt
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- durch eine Ablehnung des Grabmals aus "anstaltsfremden" Erwägungen,
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- durch eine rechtsungleiche Behandlung gegenüber andern Friedhofbenützern,
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- durch eine ungerechtfertigte Praxisänderung.
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Die Begründung dieser Rügen ergibt sich, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungen. - Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Erwägungen: | |
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Dass es ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes gibt und dieses auch Freiheitsrechte gewährleistet, deren Verletzung mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden kann, hat das Bundesgericht schon wiederholt erkannt (BGE 91 I 485 /6). Bei der Anerkennung solcher durch ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes gewährleisteten Freiheitsrechte ist jedoch Zurückhaltung geboten (AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse Nr. 312). Es geht nicht an, von jeder Befugnis und Freiheit, die an sich als Gegenstand eines verfassungsmässigen Rechtes denkbar wäre, ohne weiteres anzunehmen, sie werde, sofern sie nicht ausdrücklich gewährleistet sei, durch ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes garantiert. Diese Annahme rechtfertigt sich nur bei Befugnissen, die eine Voraussetzung für die Ausübung anderer Freiheitsrechte bilden oder die sonst als unentbehrliche Bestandteile der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung des Bundes erscheinen. In diesem Sinne hat das Bundesgericht die Garantie der persönlichen Freiheit und des Eigentums, die Meinungsfreiheit und die Sprachenfreiheit als ungeschriebene Grundrechte des Bundes anerkannt (BGE 91 I 485 /6 und dort angeführte Urteile; vgl. auch BGE 91 I 119 sowie HANS HUBER, Probleme des ungeschriebenen Verfassungsrechts, ZBJV 91 bis 1955 S. 104/5). Ein Recht auf "freie Grabmalgestaltung" kann niemals ein Grundrecht in diesem Sinne sein. Es ist für den Bestand des demokratischen Rechtsstaates keineswegs notwendig; dieser lässt sich auch mit einer einheitlichen Gestaltung der Friedhöfe vereinbaren. Die Rechte der Friedhofbenützer werden durch Art. 53 Abs. 2 BV sowie durch die kantonalen und kommunalen Erlasse über das Bestattungswesen gegenüber ungerechtfertigten Übergriffen der Verwaltung hinreichend geschützt, auch wenn das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung dieser Erlasse nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel des Art. 4 BV überprüfen kann. Die Rüge, der angefochtene Entscheid verletze das ungeschriebene verfassungsmässige Recht auf freie Grabmalgestaltung, ist somit unbegründet; es gibt kein solches Recht. Zu prüfen bleibt, ob der Entscheid gegen Art. 4 BV verstosse.
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2. Gemäss Art. 53 Abs. 2 BV steht die Verfügung über die Begräbnisplätze den bürgerlichen Behörden zu und haben diese dafür zu sorgen, dass jeder Verstorbene schicklich beerdigt werde. Hieraus folgt sowohl, dass die Verfügung mit Einschluss der Rechtsetzung nicht kirchlichen Behörden überlassen werden darf, wie auch, dass die Kantone und die politischen Gemeinden Vorschriften über die Benützung der Friedhöfe erlassen dürfen. Diese Vorschriften können nicht nur der Wahrung der Ordnung und Gesundheit dienen, sondern auch dem Zweck, den Friedhöfen ein würdiges und harmonisches Aussehen zu verschaffen und zu erhalten. Dazu gehört, wie das Bundesgericht von jeher angenommen hat, auch die ästhetische Gestaltung der Friedhöfe (BGE 48 I 242/3, bestätigt in BGE 80 I 126 und BGE 82 I 220 /21). Wenn ästhetische Rücksichten selbst Eingriffe in das private Eigentum durch baupolizeiliche Vorschriften und solche des Heimat- und Naturschutzes rechtfertigen (BGE 88 I 253 und dort angeführte frühere Urteile), darfihnen erst recht Bedeutung beigemessen werden, wenn die Ausgestaltung eines Begräbnisplatzes und damit die Benützung von Eigentum des Gemeinwesens in Frage steht. Auch in andern Kantonen sind Vorschriften erlassen worden, welche sich gegen die Vernachlässigung der Denkmalkunst in früheren Jahrzehnten richten und sich auf Form, Material, Grösse und Farbe der Grabmäler beziehen (REMUND, Die rechtliche Organisation des Bestattungswesens im Aargau, 1948 S. 99 und Entscheid des Luzerner Regierungsrates in ZBl 65/1964 S. 530 ff.; vgl. schonBGE 48 I 243). Die Berücksichtigung ästhetischer Anforderungen an Grabmäler ist daher, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, nicht "anstaltsfremd".
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a) Von einer willkürlichen Auslegung oder Anwendung kann nicht die Rede sein. Dass das vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Grabmal künstlerische Mängel aufweise, ist kaum zu übersehen und lässt sich jedenfalls mit guten Gründen vertreten. Man kann auch ohne Willkür sagen, dass es das Niveau einer Gartenplastik kaum überschreite. Die Vorwürfe, dass die Haltung des Tieres "unnatürlich und verquält" sei (Vernehmlassung des Sanitätsdepartements), dass das Reh an eine Figur des Filmzeichners Walt Disney erinnere und wegen seiner verniedlichenden Wirkung auf einem Friedhof als Fremdkörper störe (angefochtener Entscheid), mögen streng sein, sind aber nicht völlig abwegig. Sicher sind auf schweizerischen Friedhöfen weit schlimmere Grabmäler zu finden und geht das basellandschaftliche Verwaltungsgericht (BJM 1968 S. 301 ff.) inbezug auf die ästhetischen Anforderungen an Grabmäler weniger weit als die basel-städtischen Behörden im Falle BJM 1968 S. 298 ff. und im vorliegenden Falle. Das kann aber nicht entscheidend sein. Dem Gemeinwesen als Eigentümer des Friedhofs kann nicht verwehrt werden, für besondere Teile desselben erhöhte Anforderungen an Grabmäler zu stellen. Das tun offenbar die basel-städtischen Behörden im Bereich der Familiengräber des in neuerer Zeit angelegten Hörnli-Friedhofes. Dies hat seinen guten Sinn, da Familiengräber ihrer Bestimmung gemäss über Generationen bestehen bleiben und Fehlleistungen sich daher sehr lange auswirken. Die Absicht, in dem für Familiengräber bestimmten Teil des Friedhofs in künstlerischer Hinsicht besondere Gediegenheit anzustreben, lässt sich vertreten. In diesem Bereich besonders guter Grabmäler stört aber ein minderwertiges Werk viel empfindlicher und beeinträchtigt die angestrebte Würde und Schönheit des Friedhofs weit mehr als anderswo. Die von den Parteien eingereichten Photographien belegen dies. Sind auch nicht alle aufgestellten Werke von gleichem künstlerischen Wert, so erreichen manche doch einen beachtlichen Stand, auf den Rücksicht genommen werden darf.
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Es kann auch nicht gesagt werden, die Basler Behörden gingen mit ihren Anforderungen offensichtlich zu weit und schränkten die Wahlfreiheit des Beschwerdeführers allzu sehr ein. Sie wären nicht nur bereit, die vorgeschlagene Rehplastik auf einem Kindergrab zuzulassen, sondern lehnen auch eine Rehplastik auf einem Familiengrab nicht grundsätzlich ab, wollen es dem Beschwerdeführer also nicht verwehren, aus den von ihm angegebenen Gründen gerade eine solche Plastik auf seinem Familiengrab aufzustellen. Doch hätte diese in ihren Dimensionen einem solchen Grab zu entsprechen und eine künstlerisch bessere Lösung zu bringen, die wenn nicht vom Bildhauer X., dem Schöpfer des streitigen Entwurfs, so doch von einem andern Künstler unschwer zu finden sein dürfte. Der künstlerischen Phantasie und dem persönlichen Geschmack lässt die Praxis der Behörden, wie die bei den Akten liegenden Photographien zeigen, offensichtlich einen weiten Spielraum.
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b) Nach dem angefochtenen Entscheid hat die Friedhofverwaltung die Praxis vor 5 bis 6 Jahren verschärft. Der Beschwerdeführer bestreitet eine solche Verschärfung und erblickt darin eventuell eine gegen Art. 4 BV verstossende "ungerechtfertigte Praxisänderung". Was in diesem Zusammenhang vorgebracht wird, wird jedoch durch die Ausführungen in der Ergänzungsvernehmlassung des Sanitätsdepartements vom 30. Oktober 1969 widerlegt und ist jedenfalls nicht geeignet, eine Verletzung des Art. 4 BV darzutun.
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c) Der Vorwurf der rechtsungleichen Behandlung wäre nur begründet, wenn heute Gleiches ungleich behandelt würde. Eine solche Ungleichbehandlung liegt nicht schon darin, dass für den Wolfgottesacker, der immerhin in 40 Jahren aufgehoben werden soll und viele den heutigen Anschauungen nicht mehr entsprechende Grabmäler enthalten dürfte, weniger strenge Anforderungen gestellt werden und dass auch für Einzel- und insbesondere Kindergräber auf dem Hörnli-Friedhof grösseres Entgegenkommen gezeigt wird. Es könnte nur dann von rechtsungleicher Behandlung gesprochen werden, wenn der Beschwerdeführer dargetan hätte, dass in der Gegenwart Vorschläge für die Gestaltung von Familiengräbern angenommen worden wären, die mit dem seinen vergleichbar wären. Dafür ist er aber den Beweis schuldig geblieben; insbesondere ergibt sich dies aus den zu den Akten gegebenen Photographien nicht.
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