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Informationen zum Dokument  BGE 124 I 121  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. a) Die Beschwerdeführerin rügt vorab die Verletzung  ...
2. Es ist in erster Linie Sache des anwendbaren kantonalen Verfah ...
3. a) Unabhängigkeit und Unbefangenheit des Richters gew&aum ...
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16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. April 1998 i.S. Bürgergemeinde W. gegen Politische Gemeinde X. und Kantonsgericht (Zivilkammer von Graubünden) (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Ablehnung eines nebenamtlichen Richters.  
 
Sachverhalt
 
BGE 124 I, 121 (121)Die Bürgergemeinde W. ist Eigentümerin der auf dem Gebiete der politischen Gemeinde X. gelegenen Alp M. Umstritten ist die Grenzziehung der Alp nach Norden im Bereiche des Vorabfirns.
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Mit Urteil vom 14. Juli 1997, an dem der als Anwalt tätige nebenamtliche Richter Y. mitwirkte, stellte das Kantonsgericht von Graubünden fest, "dass die nördliche Grenze des Grundstückes L.+S.-Register Parzelle 11, Plan 221 bzw. Grundstück 1981 gemäss Grundbuchvermessung der Gemeinde X., Los Nr. 2, von Punkt B nach Punkt D gemäss dem diesem Urteil beigehefteten Plan (grüne Linie) verläuft."
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BGE 124 I, 121 (122)Dagegen hat die Bürgergemeinde W. staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, in der sie die Mitwirkung von Richter Y. als mit Art. 58 BV bzw. 6 Ziff. 1 EMRK unvereinbar kritisiert und beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt das angefochtene Urteil auf.
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Aus den Erwägungen:
 
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b) Das Kantonsgericht hält in seiner Stellungnahme fest, dass den Parteien die Mitwirkung von Y. bekannt gegeben worden sei und anlässlich des Augenscheins zu keinen Einwendungen Anlass gegeben habe. Gemäss Art. 20 des Bundesgesetzes über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung sowie über die Form, die Bekanntmachung und das Inkrafttreten ihrer Erlasse (GVG; SR 171.11) sei die Ablehnung eines Richters innert zehn Tagen geltend zu machen. Dass in beiden Fällen in rechtlicher Hinsicht von Art. 664 ZGB und 118 f. EG zum ZGB auszugehen sei, habe keine Vorbefasstheit von Y. zu begründen vermocht, ebensowenig der Umstand, dass Y. in seinen Eingaben Professor Liver zitiere, welche Zitate sich auch im angefochtenen Urteil fänden; um die Meinung von Professor Liver komme man in diesen Fällen nicht herum. Was den konkreten Sachverhalt und die Beweiswürdigung betreffe, seien die beiden Fälle nicht vergleichbar.
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2. Es ist in erster Linie Sache des anwendbaren kantonalen Verfahrensrechts, die prozessualen Rechte im allgemeinen und die Art und Weise ihrer Geltendmachung zu umschreiben. Wo sich der kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die sich unmittelbar aus der Verfassung ergebenden Garantien Platz. Dies BGE 124 I, 121 (123)gilt auch für den aus Art. 58 BV und 6 Ziff. 1 EMRK abgeleiteten Anspruch auf einen unabhängigen, unparteiischen und unvoreingenommenen Richter. Dabei ist den Kantonen nicht verwehrt, die Einhaltung gewisser Vorschriften bei der Ausübung solcher Rechte zu verlangen, so etwa, dass entsprechende Anträge frist- und formgerecht erhoben werden. Es wäre mit dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Rechtsmissbrauchsverbot nicht vereinbar, Ablehnungs- und Ausstandsgründe, welche in einem früheren Prozessstadium hätten geltend gemacht werden können, bei ungünstigem Ausgang später vorzubringen; ein echter oder vermeintlicher Organmangel ist vielmehr so früh wie möglich, d.h. nach dessen Kenntnis bei erster Gelegenheit geltend zu machen (BGE 119 Ia 221 E. 5a S. 227 ff.).
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Die Beschwerdeführerin behauptet, ihr früherer Vertreter, Rechtsanwalt P., habe von der Befangenheit Y.s keine Kenntnis gehabt; erst nach dem Anwaltswechsel während der Berufungsfrist habe sie davon erfahren. Dazu äussern sich weder das Kantonsgericht noch die Beschwerdegegnerin. Der Beschwerdeführerin war zwar bekannt, dass Y. bei der Beurteilung der kantonalen Berufung mitwirken werde; doch bestehen nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür, dass sie während und vor Abschluss des Verfahrens vor Kantonsgericht auch Kenntnis des von ihr heute geltend gemachten Befangenheitsgrundes hatte. Auf die Rüge der Verletzung von Art. 58 BV und 6 Ziff. 1 EMRK ist daher einzutreten, ebenso auf die in diesem Zusammenhang aufgelegten Beweismittel.
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Die Rechtsprechung hat sich wiederholt mit der Frage befasst, ob eine konkrete Beziehung, namentlich eine solche beruflicher Natur, zwischen einem Richter und den Parteien oder deren Vertreter einen Ablehnungsgrund darstelle. Das Bundesgericht hat die Befangenheit eines ausserordentlichen, im Hauptberuf als Anwalt tätigen Strafrichters BGE 124 I, 121 (124)bejaht, der als Anwalt ein Bankinstitut zu seinen Klienten zählt, welches ein erhebliches finanzielles Interesse an einem mit dem Strafverfahren konnexen Geschäft hat (BGE 116 Ia 135 E. 3c S. 141 f.). Ebenso erscheint ein nebenamtlich tätiger Richter befangen, wenn er als Anwalt zu einer Partei in einem Auftragsverhältnis steht oder für eine Partei mehrmals anwaltlich tätig gewesen ist (BGE 116 Ia 485 E. 3 S. 488 ff.). Mit der Unvoreingenommenheit nicht zu vereinbaren ist laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Verbindung von Laienrichtern mit privaten Vereinigungen, die ein (dem Beschwerdeführer entgegengesetztes) Interesse am Ausgang des Verfahrens haben (Entscheid vom 22. Juni 1989 i.S. Langborger gegen Schweden, in: PCourEDH Serie A, Vol. 155 § 30 ff.). Dagegen hat das Bundesgericht die Mitwirkung eines Richters beim "Tribunal des baux et loyers" für unbedenklich erklärt, obwohl dieser früher als Anwalt für jene Mietervereinigung tätig gewesen ist, die nunmehr im Prozess eine der Parteien vertritt (nicht veröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 24. November 1997 i.S. SI F./Tribunal des baux et loyers de Genève).
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b) Die Befangenheit Y.s wird weder damit begründet, dass einer seiner Klienten ein unmittelbares Interesse am Ausgang des Verfahrens habe, noch damit, dass er selber in einer beruflichen Beziehung zu einer der Prozessparteien stehe; nach Ansicht der Beschwerdeführerin ergibt sich die Befangenheit vielmehr daraus, dass er ein konkretes und noch offenes Prozessmandat innehat, bei dem sich die gleiche umstrittene Rechtsfrage stellt. In diesem Zusammenhang macht die Beschwerdegegnerin geltend, mit den Argumenten der Beschwerdeführerin würde die Einsitznahme eines Anwaltes in einem Gericht praktisch verunmöglicht.
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Es ist nicht zu übersehen, dass solche und ähnliche Konstellationen bei sonst den Anwaltsberuf ausübenden nebenamtlichen Richtern bis zu einem gewissen Grade systemimmanent sind. Ist ein Gericht so organisiert, dass es nebst Berufsrichtern und allenfalls Laien auch als nebenamtliche Richter tätige Anwälte zu seinen Mitgliedern zählt, wird in Kauf genommen, dass letztere, wenn auch nicht hinsichtlich konkreter, noch offener Mandate, so doch in einem allgemeinen Sinne auch ihre beruflichen Interessen und damit - zumindest indirekt - auch jene ihrer Klienten im Auge haben. Es wäre realitätsfremd anzunehmen, ein Anwalt vermöge, sobald er als Richter fungiere, von den Konsequenzen zu abstrahieren, die beispielsweise die Auslegung einer prozessualen Vorschrift für seine Arbeit als beruflicher Prozessvertreter und für die Position seiner BGE 124 I, 121 (125)Klienten im Prozess haben könnte. Zur Verfassungs- und Konventionskonformität solcher Konstellationen braucht hier allerdings nicht abschliessend Stellung genommen zu werden, wird doch der Vorwurf der Befangenheit - wie bereits erwähnt - lediglich damit begründet, Y. habe als Anwalt ein Mandat offen, bei dem es im wesentlichen um dieselbe umstrittene Rechtsfrage gehe. An der Sache vorbei geht daher das Argument des Kantonsgerichts, es werde wohl niemandem einfallen, einen Richter deshalb abzulehnen, weil er zu einer Frage wissenschaftlich eine bestimmte Meinung geäussert habe; ebensowenig vermag auch die Auffassung der Beschwerdegegnerin zu überzeugen, mit der Ablehnung eines Richters, der hinsichtlich einer Rechtsfrage als Anwalt einen bestimmten Standpunkt eingenommen hat, würde die Gerichtsbarkeit mit nebenamtlichen Richtern verunmöglicht.
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c) Beim vorliegenden Fall wie auch bei jenem, in welchem Y. als Anwalt die Gemeinde C. gegen die Erben O. vertritt, dreht sich der Streit u.a. darum, ob sich das der Kultur nicht fähige Land aufgrund der gesetzlichen Vermutung gemäss Art. 664 ZGB in der Hoheit der politischen bzw. Territorialgemeinde oder aber im Privateigentum stehe. Dabei laufen die beiden Verfahren zeitlich verschoben: Im Zeitpunkt, da im Verfahren zwischen der Beschwerdeführerin und der Gemeinde X. das erstinstanzliche Urteil erging (3. September 1996), war im Streit zwischen den Erben O. und der Gemeinde C. erst das Einspracheverfahren hängig. In beiden Verfahren kommt es in rechtlicher Hinsicht wesentlich darauf an, welche Bedeutung historischen Grenzumschreibungen beizumessen ist und ob namentlich von der Grenzumschreibung mit Berggräten bzw. Bergspitzen auf Privateigentum an diesseits derselben gelegenem, der Kultur nicht fähigem Land geschlossen werden darf. In beiden Fällen wird namentlich gestützt auf historische Dokumente Privateigentum an Alpen bis hinauf zu den Berggräten beansprucht: Die Beschwerdeführerin beruft sich hinsichtlich der umstrittenen Grenze der Alp M. insbesondere auf die Umschreibung in der Kaufurkunde vom Jahre 1525: "...oberthalb in die oberstenn spytz, so man gan Glaris ab gsicht..." (oberhalb bis zu den obersten Spitzen, von denen man nach Glarus hinunter sieht). Im Parallelprozess stützen sich die Erben O. u.a. auf einen zwischen 1861 und 1864 entstandenen Grenzbeschrieb, in welchem die Eigentümer die Grenze zwischen den Alpen E. und F. als auf dem Grat der Bergkette verlaufend bezeichneten. In beiden Fällen relativieren die politischen Gemeinden diese Art der Grenzumschreibung, indem sie sinngemäss geltend machen, mit BGE 124 I, 121 (126)solchen Hinweisen sei zwar die Grenze gegenüber den jenseits der Berggräte gelegenen Alpen angezeigt, nicht aber ein Recht am diesseits der Gräte liegenden, der Kultur unfähigen Land beansprucht worden. In seiner für die Gemeinde C. verfassten Einsprache vom 30. Oktober 1996 führte Y. namentlich gestützt auf die Meinung von Professor Liver aus, dass es in früheren Zeiten nur darauf angekommen sei, die Grenze gegen die nächste Alp jenseits der Berggräte anzuzeigen; es sei deshalb selbstverständlich gewesen, Gräte als Grenzen anzugeben, wenn auch noch so ausgedehntes, der Kultur nicht fähiges Land innerhalb dieser Grenze lag, an dem man keine Rechte beanspruchte, weil es gar nicht nutzbar war. Gleich argumentierte die Beschwerdegegnerin. Im angefochtenen Urteil wird sinngemäss die von Y. als Anwalt im Parallelprozess vertretene Auffassung übernommen.
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Es ist unübersehbar, dass die Interessen der Beschwerdegegnerin und jene der von Y. als Anwalt vertretenen Gemeinde C. in grossem Masse gleichgerichtet sind. Das angefochtene Urteil entfaltet für das Parallelverfahren präjudizielle Wirkung. Mit dem konkreten Ausgang des Verfahrens vor Kantonsgericht wurde unter Mitwirkung von Y. in rechtlicher Hinsicht genau der Position entsprochen, für welche er als Anwalt der Gemeinde C. kämpft. Diese Konstellation ist mit der vom Richter geforderten Unvoreingenommenheit offensichtlich unvereinbar. Der Anschein, dass Y. bei der Mitwirkung am Entscheid über die Streitigkeit zwischen der Bürgergemeinde W. und der Gemeinde X. unter dem Einfluss seines noch offenen Mandates der Gemeinde C. gestanden hat und mithin befangen gewesen ist, drängt sich damit geradezu auf. Es wäre sogar realitätsfremd anzunehmen, es sei jemand in einer solchen Lage befähigt, als Richter von den gleichgerichteten Interessen der von ihm als Anwalt vertretenen Partei völlig zu abstrahieren. Durch die Mitwirkung Y.s am angefochtenen Urteil wurde Art. 58 BV bzw. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, weshalb die staatsrechtliche Beschwerde gutgeheissen und das angefochtene Urteil aufgehoben wird.
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