BGE 138 I 55 - Besoldung von Pfarrern | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. B.X. gegen Steuerverwaltung des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_360/2010 vom 22. November 2011 | |
Regeste |
Art. 15 BV, Art. 14 KV/BE und Art. 9 EMRK; Finanzierung der Pfarrerlöhne durch den Staat. |
Aufgrund der Allgemeinheit der Steuer kann die Steuerpflicht nicht mit Argumenten bestritten werden, welche die Mittelverwendung durch den Staat betreffen (E. 3). | |
Sachverhalt | |
A. Die Steuerverwaltung des Kantons Bern veranlagte das Ehepaar A.X. und B.X. am 8. Juni 2006 für die Kantons- und Gemeindesteuern 2005 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 97'400.-. Da die Ehefrau 1991 aus der evangelisch-reformierten Landeskirche ausgetreten war, wurde für sie keine Kirchensteuer erhoben. Sie beantragte indessen zusätzlich eine Reduktion ihres Kantonssteueranteils um 0,813 %, d.h. um den Anteil der Pfarrerlöhne am Gesamtaufwand des Kantons, was von den kantonalen Instanzen abgelehnt wurde.
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B. Das Bundesgericht weist die von B.X. gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 11. März 2010 erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Art. 15 BV gewährleistet die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Abs. 1); niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören (Abs. 4). Art. 49 Abs. 6 der alten Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) garantierte zudem ausdrücklich, dass niemand gehalten sei, Steuern zu zahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Diese Regel wird heute direkt aus dem Grundsatz von Art. 15 Abs. 1 BV abgeleitet (BGE 128 I 317 E. 2.1 S. 319). Der von der Beschwerdeführerin ebenfalls angerufene Art. 14 KV/BE vermittelt keinen weiterreichenden Schutz als die erwähnten Garantien (vgl. URS BOLZ, in: Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Kälin/Bolz [Hrsg.], 1995, S. 270).
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2.3 Die Beschwerdeführerin übersieht nicht, dass sie nach dieser Praxis keinen Anspruch auf die verlangte Verringerung ihrer Kantonssteuer hat. Sie macht aber geltend, an der bisherigen Praxis könne nicht mehr festgehalten werden. Die neue Bundesverfassung enthalte keine Art. 49 Abs. 6 aBV entsprechende Regel mehr, so dass der Grund für die Ausnahme von der Steuerbefreiung Konfessionsloser bei den kantonalen Steuern weggefallen sei.
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Erwägung 3 | |
3.1 Art. 15 Abs. 4 BV verbürgt das Recht, jederzeit aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten. Aus diesem Recht folgt, dass die Wirkungen der Mitgliedschaft mit dem Austritt erlöschen. Kirchensteuern dürfen deshalb für einen Zeitraum, in dem ein Ausgetretener der Kirche nicht mehr angehört hat, nicht erhoben werden (BGE 104 Ia 79 E. 4 S. 86 f.). Streitgegenstand bilden indessen keine Kirchen-, sondern die Kantonssteuern.
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Soweit die Kantone in ihrer Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt sind, üben sie alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind (Art. 3 BV). Zu diesen Rechten zählt auch die Steuerhoheit. Der Kanton kann diese ausüben, soweit er darin nicht durch ausdrückliche Vorschriften der Bundesverfassung oder durch allgemeine grundrechtliche Vorgaben beschränkt ist (BLUMENSTEIN/LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl. 2002, S. 49). Die Aufwendungen des Gemeinwesens zur Erfüllung seiner allgemeinen öffentlichen Aufgaben bedingen eine Belastung der seiner Gebietshoheit unterworfenen Individuen, auch wenn zwischen diesen und der Erfüllung der einzelnen Aufgaben kein Zusammenhang besteht (Voraussetzungslosigkeit und Allgemeinheit der Steuer; BLUMENSTEIN/LOCHER, a.a.O., S. 5; vgl. BGE 122 I 305 E. 4b und BGE 124 I 289 E. 3b). Die Steuererträge fliessen daher grundsätzlich in die allgemeine Staatskasse, sie sind ohne entgegenstehende ausdrückliche Anordnung nicht zweckgebunden (MARKUS REICH, Steuerrecht, 2009, § 2 N. 2).
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Aufgrund der Allgemeinheit der Steuer spielt bei deren Erhebung die Religionszugehörigkeit keine Rolle. Die Pflicht zu ihrer Bezahlung gründet auf dem allgemeinen Mittelbedarf des Staates und nicht auf der Verfolgung besonderer religiöser Zwecke; ein religiöser Zwang geht deshalb davon grundsätzlich nicht aus. Die Steuerpflicht kann daher von vornherein nicht mit Argumenten bestritten werden, die die Mittelverwendung durch den Staat betreffen; denn bei Letzterer ist die Verbindung zur Mittelbeschaffung beim Steuerpflichtigen derart lose, dass nicht gesagt werden kann, der Einzelne unterstütze mittels seiner Steuern eine bestimmte Religionsgemeinschaft. Nur in diesem Fall wäre seine Glaubens- und Gewissensfreiheit - als subjektives Individualrecht (CAVELTI/KLEY, in: Die schweizerische Bundesverfassung, 2. Aufl. 2008, N. 9 zu Art. 15 BV) - betroffen. Davon kann indessen schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil nach den Berechnungen der Beschwerdeführerin lediglich ein verschwindend kleiner Anteil vom Gesamtbudget (0,813 %) für Kultuszwecke verwendet wird. Auch angesichts der Anzahl Steuerpflichtiger im Kanton Bern kann keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin in auch nur in Ansätzen feststellbarem Umfang an die finanzielle Unterstützung einer Religionsgemeinschaft beiträgt.
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Auch nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe zu Art. 9 EMRK kann die Zahlung der Steuern nicht unter Berufung auf Gewissensgründe verweigert werden, weil 40 % davon für Rüstungsausgaben verwendet werden. Ebenso wenig erlaubt Art. 9 EMRK eine Verweigerung von Sozialversicherungsbeiträgen, weil diese auch für Zahlungen für Abtreibungen dienen. Schliesslich kann der Abschluss einer obligatorischen Haftpflichtversicherung und die damit verbundene Prämienzahlung nicht unter Berufung auf das individuelle Gewissen verweigert werden (Nachweise bei FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2009, N. 21 f. zu Art. 9 EMRK).
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Der schweizerische Gesetzgeber geht ebenfalls davon aus, dass die Pflicht zur Bezahlung von Steuern und Prämien obligatorischer Versicherungen die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht berührt und ihre Erfüllung deshalb nicht unter Berufung auf dieses Grundrecht abgelehnt werden kann (vgl. BGE 88 IV 121 E. 2 S. 122 betreffend die Pflicht zur Bezahlung von Militärpflichtersatz auch durch Armeegegner; Urteil K 57/00 vom 14. November 2000 betreffend die Pflicht zur Bezahlung von Krankenversicherungsprämien).
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3.3 Es ist zwar verständlich, dass die Beschwerdeführerin als Atheistin auch nicht indirekt an die Besoldung der Pfarrer beitragen möchte. Doch ändert der Umstand, dass der Kanton Bern - im Unterschied zu anderen Schweizer Kantonen - die Pfarrer der öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen selber besoldet, nichts daran, dass die Pflicht zur Bezahlung der Kantonssteuern nicht in ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit eingreift. Es spielt unter dem Gesichtswinkel dieses Grundrechts und mit Blick auf den Grundsatz der Allgemeinheit der Steuer keine Rolle, ob der Staat aus den allgemeinen Mitteln die Pfarrer selber besoldet oder er den anerkannten Kirchen entsprechende Beiträge ausrichtet und diese daraus die Löhne ihrer Geistlichen bezahlen. Der Staat richtet auch in anderen Bereichen - etwa in der Form von Stipendien - direkt Beiträge an den Lebensunterhalt von Personen aus, deren Tätigkeit er für förderungswürdig erachtet. Der Steuerpflichtige kann jedoch keine entsprechende Reduktion seiner Einkommens- und Vermögenssteuern verlangen, weil er unter Berufung auf seinen Glauben, sein Gewissen oder seine politischen Überzeugungen die geförderte Tätigkeit ablehnt.
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3.4 Selbst wenn unter den gegebenen Umständen eine Berührung der Glaubens- und Gewissensfreiheit bejaht würde, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Pflicht zur Bezahlung der unverminderten Kantonssteuer erschiene gemäss Art. 36 BV als zulässige Einschränkung dieses Grundrechts. Sie stützt sich unbestrittenermassen auf eine gesetzliche Grundlage im kantonalen Steuergesetz. Das öffentliche Interesse an der Erhebung von Einkommens- und Vermögenssteuern ist offenkundig, ebenso an der staatlichen Unterstützung der anerkannten Landeskirchen (vgl. Art. 123 Abs. 3 KV/BE). Schliesslich wäre auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt, da allenfalls lediglich von einem geringfügigen Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit gesprochen werden könnte.
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