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Informationen zum Dokument  BGE 98 II 288  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die eingeklagte Schadenersatzforderung wird aus einem Vertrags ...
2. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien war, wie das O ...
3. Nach Ansicht der kantonalen Gerichte hat der Baggerführer ...
4. Buchli, der den Schaden verursacht hat, gehörte als Lastw ...
5. Dass den Beklagten selber keinerlei Verschulden am Eintritt de ...
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42. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1972 i.S. Kindler gegen Umbricht.
 
 
Regeste
 
Vertragliche Haftung für Hilfspersonen (Art. 101 OR).  
1. Pflichten des Mieters nach Art. 261 und 271 OR. Haftung für Hilfspersonen unter den Voraussetzungen des Art. 101 OR (Erw. 2).  
2. Ist der Umstand, dass der Baggerführer, als er sich auf kurze Zeit vom Bauplatz entfernte, den Motor des Baggers im Leergang laufen liess, als Mitursache des Schadens zu betrachten? Natürlicher und rechtlicher (adäquater) Kausalzusammenhang, Tatund Rechtsfrage. Art. 63 Abs. 2 und 3 OG (Erw. 3).  
3. Der Angestellte, der entgegen einem Verbot des Mieters mit dem Bagger hantierte und dadurch den Schaden verursachte, hat nicht als Hilfsperson im Rahmen des Rechtsverhältnisses der Baggermiete zu gelten. Vorbehalten bleibt die Frage, wie es sich verhielte, wenn jener eingegriffen hätte, um dringliche Interessen des Mieters zu wahren (Erw. 4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 98 II, 288 (289)A.- Dominik Umbricht stellte im Frühjahr 1967 dem Rudolf Kindler für den Aushub beim Schulhaus-Neubau in Brugg gegen Entgelt einen Bagger mit dem Baggerführer Ulrich Suter zur Verfügung. Am 3. April 1967 riss bei der Arbeit das Auslegerdrahtseil des Baggers. Um ein neues Seil zu holen, begab sich Suter in das Geschäft Umbrichts nach Ennet-Turgi. Den Motor des sonst gesicherten Baggers liess er im Leergang laufen. Während seiner Abwesenheit schob der bei Kindler angestellte Traxführer Willi Brändli den Auslegearm des Baggers, der ihn bei der Arbeit störte, etwas beiseite. Hierauf wollte der auch bei Kindler angestellte Lastwagenchauffeur Roman Buchli den Auslegearm zur Behebung jeder Behinderung ganz verstellen. Er bestieg den Bagger, manipulierte aber falsch, so dass sich die Maschine in Bewegung setzte. Buchli sprang ab; der Bagger stürzte in die Baugrube, wo er erheblich beschädigt liegen blieb. Die nötige Reparatur wurde von der Firma Robert Aebi A.-G. in Zürich vorgenommen; sie war am 26. Juni 1967 abgeschlossen.
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B.- Im Januar 1970 erhob Umbricht gegen Kindler Klage auf Schadenersatz im Betrage von Fr. 43'776.-- nebst 6% Zins seit 23. September 1967. Die Klage wurde vom Bezirksgericht Brugg abgewiesen, vom Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 26. Mai 1972 für Fr. 22'152.-- nebst 5% Zins seit 23. September 1967 gutgeheissen.
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BGE 98 II, 288 (290)C.- Der Beklagte legte Berufung an das Bundesgericht ein, mit den Begehren, die Klage sei abzuweisen, eventuell für einen Fünftel und subeventuell für die Hälfte des vom Obergericht festgesetzten Schadens zu schützen.
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Der Kläger beantragt Bestätigung des obergerichtlichen Urteils.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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2. Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien war, wie das Obergericht unter Hinweis auf BGE 91 II 291 zutreffend annimmt, jedenfalls insoweit, als es um die Ueberlassung des Baggers zum Gebrauche ging, ein Mietvertrag. Ob die damit verbundene Zurverfügungstellung des Bedienungsmannes Suter als blosse Nebenverpflichtung in den Rahmen des Mietvertrages falle oder als eine neben die Miete tretende, ihr gleichgeordnete Verpflichtung zur Verschaffung von Diensten zu betrachten sei, kann ebenso wie im Falle des erwähnten Präjudizes offen bleiben. So wie anders erwuchsen dem Beklagten die sich aus Art. 261 und 271 OR ergebenden Pflichten eines Mieters. Da er den Bagger in stark beschädigtem Zustande zurückgab und dieser Zustand nicht durch den vertragsmässigen Gebrauch eingetreten, sondern durch den Missgriff eines seiner auf dem Bauplatze beschäftigten Angestellten herbeigeführt worden war, haftet er als Mieter für den Schaden, sofern er für das schädigende Verhalten jenes Angestellten nach Art. 101 OR einzustehen hat.
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3. Nach Ansicht der kantonalen Gerichte hat der Baggerführer Suter den Schaden mitverursacht, indem er den Motor des Baggers nicht gänzlich ausschaltete, sondern im Leergang laufen liess, als er sich zum erwähnten Zweck vom Bauplatz entfernte. Während aber das Bezirksgericht den ursächlichen Zusammenhang dieses Umstandes mit dem Schadenseintritt als inadäquat erachtete, bejaht das Obergericht die Adäquanz, weil der im Leergang laufende Motor den Schadenseintritt immerhin BGE 98 II, 288 (291)begünstigt habe. An die in dieser Würdigung enthaltene Feststellung eines natürlichen Kausalzusammenhanges ist das Bundesgericht gebunden (Art. 63 Abs. 2 OG; BGE 96 II 37, 395). Ob aber dieser natürliche Zusammenhang auch adäquat sei, ist Rechtsfrage und kann im Berufungsverfahren überprüft werden (Art. 63 Abs. 3 OG; BGE 96 II 396). Sie ist zu verneinen. Betrachtet man Suter als Hilfsperson des Beklagten bei der Benützung des Baggers für die Aushubarbeiten (BGE 91 II 294 /5), so geschah es in Ausübung seiner Verrichtungen, dass er während seiner kurzen (nach seinen Aussagen etwa eine Viertelstunde dauernden) Abwesenheit den Motor des Baggers im Standgas weiterlaufen liess. Doch barg dieser Umstand nach den tatbeständlichen Feststellungen der kantonalen Gerichte keine ernstliche Schadensgefahr in sich. Denn der Bagger war im übrigen völlig gesichert, derart, dass ihn jemand, der sich nicht darauf verstand, auch bei leer laufendem Motor nicht in Betrieb setzen konnte, und der Bauplatz war eingezäunt, so dass unbefugte Dritte keinen Zutritt hatten.
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Die Vorinstanz stellt ferner fest, dass auf zivilen Bauplätzen im Gegensatz zu militärischen die Gepflogenheit besteht, bei kurzen Arbeitsunterbrechungen die Maschine zwar zu sichern, ihre Motoren aber im Leergang drehen zu lassen. Daran sind die auf Bauplätzen beschäftigten Leute gewöhnt. Hier war ihnen zudem, und war insbesondere dem Lastwagenchauffeur Buchli, vom Beklagten eigens verboten worden, auf fremde Wagen zu gehen und daran zu hantieren. Bei solcher Sachlage war das blosse Laufenlassen des Baggermotors nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung nicht geeignet, den eingetretenen Schaden herbeizuführen, daher nicht adäquat im Sinne der nach Rechtsprechung und Lehre gültigen Definition dieses Rechtsbegriffes (vgl. BGE 96 II 396; OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 2. Aufl., I S. 57 ff.). Und wollte man es im Ausgangspunkt noch anders sehen, wäre jedenfalls ein ursprünglich gegebener adäquater Zusammenhang durch das spätere unerlaubte, unnötige und ungleich wirksamere Eingreifen Buchlis verdrängt worden (vgl. OFTINGER, a.a.O. S. 91 ff.).
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Entbehrt somit das Verhalten des Baggerführers Suter der rechtserheblichen Bedeutung als Schadensursache, so kann auf sich beruhen bleiben, ob überhaupt das Obergericht dieses Verhalten aus der von ihm angestellten Erwägung als Grund BGE 98 II, 288 (292)einer Haftung des Beklagten beurteilen durfte, obwohl der Kläger selber vorgetragen hatte, das Laufenlassen des Baggermotors stelle überhaupt keine Unvorsichtigkeit dar.
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4. Buchli, der den Schaden verursacht hat, gehörte als Lastwagenchauffeur zu dem auf dem Bauplatz beschäftigten Personal des Beklagten. Zur Beurteilung aber steht, ob er auch im Rahmen des Mietverhältnisses, auf das sich die Klage stützt, als Hilfsperson des Beklagten zu betrachten sei. Das Bezirksgericht verneint es und lehnt daher eine vertragliche Schadenshaftung des Beklagten nach Art. 101 OR ab. Das Obergericht ist anderer Ansicht. Es unterscheidet an sich richtig zwischen Schädigungen, welche in Ausübung, und solchen, welche nur bei Gelegenheit dienstlicher Verrichtungen der Hilfsperson bewirkt werden. Das trennende Merkmal sieht es in Uebereinstimmung mit Lehre und Rechtsprechung darin, dass bei diesen Schädigungen höchstens ein zeitlicher und räumlicher, bei jenen zudem ein funktioneller Zusammenhang mit der dienstlichen Verrichtung besteht; und zwar ein funktioneller Zusammenhang mit dienstlicher Verrichtung, die der Hilfsperson im Rahmen der vertraglichen Rechte und Pflichten des Dienstherrn übertragen ist (BGE 90 II 17; OFTINGER, a.a.O., II/1 S. 110 ff.; VON TUHR/SIEGWART, Allg. Teil des schweiz. OR S. 567/68; BECKER, 2. Aufl., zu Art. 101 OR N. 15 - 17, zu Art. 55 OR N. 5-7; OSER/SCHÖNENBERGER, zu Art. 101 OR N. 13, zu Art. 55 OR N. 15/16). Das Obergericht hält dafür, Buchli habe sich in solcher Weise betätigt, weshalb der Beklagte nach Art. 101 OR für den entstandenen Schaden hafte. Es führt dazu aus: Bei einem Dienstpflichtigen dürfe wohl nicht einfach auf bestimmt umrissene dienstvertragliche Pflichten abgestellt werden. Vielmehr komme es auf den Pflichtenkreis in einem weiteren Sinne an, zu dem insbesondere die Treuepflicht nach Art. 328 Abs. 1 OR (heute Art. 321a OR) und die Pflicht zu genereller Wahrnehmung der Interessen des Dienstherrn gehörten. Soweit der Dienstnehmer eine Handlung zur generellen Wahrnehmung solcher Interessen verrichte, werde sie selbst dann als im dienstvertraglichen Pflichtenkreis liegend zu betrachten sein, wenn sie sich ausserhalb des engeren Aufgabenkreises bewege, aber immerhin aus ihm heraus vorgenommen sei. Unter diesen Gesichtspunkten müsse das Verhalten Buchlis als dienstliche Verrichtung gewertet werden. In der gegebenen Situation habe sein Eingreifen einem möglichst einfachen BGE 98 II, 288 (293)Betriebsablauf auf der Baustelle gedient und damit im Interesse des Dienstherrn gelegen. Dass es "nur in einem mittelbaren Zusammenhang" zu den Zwecken des Dienstherrn gestanden habe und möglicherweise auch ein wenig auf Renommierbedürfnis zurückzuführen sei, ändere nichts.
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Nach Art. 101 Abs. 1 OR haftet, wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis durch eine Hilfsperson vornehmen lässt, für den von dieser bei ihren Verrichtungen verursachten Schaden. Haftungsvoraussetzung also ist, neben dem Bestehen eines Schuldverhältnisses, der Beizug einer Hilfsperson zur Vertragserfüllung durch den aus dem Vertrag Verpflichteten oder Berechtigten (OSER/SCHÖNENBERGER, zu Art. 101 OR N. 5). Diese Voraussetzung ist streng zu beachten, wenn die Anwendung des Art. 101 OR nicht "ins Uferlose" ausgedehnt werden soll (VON TUHR/SIEGWART, a.a.O. S. 566). Vorliegend fehlt sie. Der Beklagte hat Bedienung und Einsatz des zu einem bestimmten Zweck gemieteten Baggers nicht durch Buchli, sondern durch den vom Kläger mit dem Bagger gestellten Baggerführer Suter besorgen lassen. Wie das Obergericht selber feststellt, hatte Buchli auf dem Bagger nichts zu suchen, war ihm das Hantieren mit andern als den ihm zugeteilten Maschinen sogar ausdrücklich verboten. Buchli war also, obzwar Dienstnehmer des Beklagten, nicht eine von diesem für den Gebrauch des Baggers beigezogene Hilfsperson. Schon das schliesst eine Behaftung des Beklagten für den von Buchli verursachten Schaden am Bagger aus. Abweichendes folgt auch nicht aus den vom Obergericht herangezogenen Erwägungen aus BGE 85 II 270 /71. In jenem Falle war, anders als hier, der tätigen Person die Vertragsausführung wenigstens teilweise aufgetragen.
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Hinzu kommt, dass die Handlungsweise Buchlis mangels zugrunde liegender Weisung und angesichts des erwähnten Verbotes auch nicht als eine im dienstvertraglichen Pflichtenkreis liegende Verrichtung angesehen werden könnte. Selbst von der ausdehnenden Betrachtungsweise des Obergerichtes ausgegangen, war das Eingreifen Buchlis durch keinerlei dringliche Interessenwahrung für den Beklagten gerechtfertigt. Es bestand weder eine Gefahrenlage noch, zumal bei der ohnehin kurzen Unterbrechung des Baggereinsatzes, eine erhebliche Arbeitsbehinderung für den Traxführer.
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5. Dass den Beklagten selber keinerlei Verschulden am BGE 98 II, 288 (294)Eintritt des Schadens trifft und daher seine persönliche Haftung entfällt (Art. 97 OR), ergibt sich aus dem Gesagten und wurde bereits vom Bezirksgericht in zutreffender Weise dargetan.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, I. Zivilabteilung, vom 26. Mai 1972 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
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