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Informationen zum Dokument  BGE 99 II 382  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
4. Nach Art. 469 Abs. 1 ZGB sind Verfügungen, die der Erblas ...
8. Mit Bezug auf die beiden erst nach dem Tode des Erblassers vom ...
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54. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. November 1973 i.S. Züblin gegen Hofmann
 
 
Regeste
 
Erbvertrag; Ungültigerklärung wegen Willensmängeln (Art. 469 ZGB). Art. 469 ZGB findet auch auf Erbverträge Anwendung (Erw. 4).  
Will der Erblasser einen von ihm abgeschlossenen Erbvertrag wegen eines Willensmangels aufheben, so hat er dem Vertragspartner davon Kenntnis zu geben (Erw. 4b).  
Ein Erbvertrag darf nicht wegen eines Willensmangels ungültig erklärtwerden, von dem mit Sicherheit anzunehmen ist, dass er nicht in wirksamer Weise geltend gemacht worden wäre, hätte ihn der Erblasser noch zu seinen Lebzeiten entdeckt (Erw. 8).  
 
BGE 99 II, 382 (383)Aus den Erwägungen:
 
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Nach herrschender Auffassung beziehen sich diese Regeln auch auf Erbverträge, jedenfalls soweit es sich um Willensmängel des auf seinen Tod hin Verfügenden handelt (ESCHER und TUOR, je N. 2 zu Art. 469 ZGB; PICENONI, Die Auslegung von Testament und Erbvertrag, S. 96, je mit Zitaten; vgl. auch BGE 53 II 102, BGE 72 II 156 ff., BGE 75 II 284 Erw. 3). Eine abweichende BGE 99 II, 382 (384)Auffassung vertritt PIOTET in seinem Beitrag zur Festgabe für W. Schönenberger: Les vices de la volonté dans le pacte successoral, S. 329 ff., insbes. S. 335/36. Dieser Autor ist der Meinung, Art. 469 ZGB sei nur auf das Testament zugeschnitten, wogegen sich die Anfechtung eines Erbvertrages wegen Willensmängeln ausschliesslich nach den - gemäss Art. 7 ZGB anwendbaren - Regeln des Obligationenrechtes richte, und zwar auch insoweit, als es sich um Willensmängel des künftigen Erblassers handle. So beachtlich die von PIOTET angeführten Gründe auch sind und so befriedigend die praktischen Ergebnisse, zu denen er gelangt, erscheinen mögen, kann doch nicht darüber hinweggesehen werden, dass Art. 469 ZGB nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nicht nur auf Testamente, sondern auch auf Erbverträge anwendbar ist. Die Art. 467 und 468 ZGB regeln die Verfügungsfähigkeit für die Errichtung von Testamenten und den Abschluss von Erbverträgen. Wenn sich die unmittelbar darauf folgende Bestimmung nur auf Testamente bezöge, müsste dies aus ihrem Wortlaut hervorgehen. Das ist indessen nicht der Fall, spricht doch Art. 469 ZGB ganz allgemein von Verfügungen ("dispositions", "disposizioni"). Auch Art. 519 ZGB, der die Ungültigerklärung von Verfügungen von Todes wegen regelt und der mit Art. 469 ZGB inhaltlich eng zusammenhängt, gilt sowohl für Testamente wie für Erbverträge (BGE 53 II 102, BGE 72 II 156). Der Auffassung von PIOTET kann deshalb nicht zugestimmt werden.
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Es trifft jedoch zu, dass Art. 469 ZGB eine sehr unvollkommene Regelung enthält, die zwischen der Anfechtung von Testamenten und Erbverträgen wegen Willensmängeln nicht unterscheidet, obwohl die Interessenlage in beiden Fällen offensichtlich nicht die gleiche ist. Im vorliegenden Prozess stellt sich die vom Bundesgericht bisher noch nie ausdrücklich beurteilte Frage, ob die Irrtumsanfechtung nicht nur beim Testament, sondern auch beim Erbvertrag wegen eines blossen Motivirrtums möglich oder ob sie hier nur in den Schranken von Art. 24 OR zulässig sein soll. Ferner fragt es sich, ob der Erblasser einen Erbvertrag ohne Kenntnisgabe an den Vertragspartner aufheben kann, wenn er den Willensmangel zu seinen Lebzeiten entdeckt.
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a) Was die Frage des Motivirrtums betrifft, vertreten die Kommentatoren ESCHER und TUOR übereinstimmend die Auffassung, dass kein Unterschied zwischen Testament und Erbvertrag bestehe; in beiden Fällen sei auch ein Irrtum im Beweggrund BGE 99 II, 382 (385)beachtlich (ESCHER, N. 6 und TUOR, N. 23 zu Art. 469 ZGB). Das Bundesgericht scheint in BGE 75 II 284 Erw. 3 ebenfalls dieser Auffassung zuzuneigen, obwohl die Frage damals nicht zu entscheiden war. Die Begründung, die für die Beachtlichkeit des Motivirrtums des Erblassers gegeben wird, ist beim Erbvertrag die gleiche wie beim Testament: Es wird hervorgehoben, dass die bei Rechtsgeschäften unter Lebenden gebotene Rücksicht auf den gutgläubigen Verkehr, die zur Anwendung des Vertrauensprinzips führe, hier wegfalle; der Erbvertrag sei kein Verkehrsgeschäft (ESCHER, N. 6 und TUOR, N. 7 zu Art. 469 ZGB; vgl. auch BGE 75 II 284 Erw. 3).
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An dieser Gleichbehandlung von Testament und Erbvertrag hinsichtlich des Irrtums im Beweggrund ist indessen von verschiedenen Autoren Kritik geübt worden. Diese Kritik geht davon aus, dass es sich beim Erbvertrag im Unterschied zum Testament um ein zweiseitiges Rechtsgeschäft handelt und dass deshalb die Berücksichtigung des Motivirrtums auf Seiten des Erblassers nicht nur auf Kosten des Vertragspartners geht, der sich in seinem Vertrauen auf den Vertragswortlaut getäuscht sieht, sondern dass sie auch eine stossende Ungleichheit zur Folge hat, da der Vertragspartner seinerseits den Vertrag nur in den Schranken von Art. 24 OR wegen Irrtums anfechten kann (GOTTFRIED MÜLLER, Die Ungültigkeitsklage bei den Verfügungen von Todes wegen, Zürcher Diss. 1928, S. 34/35; RASCHEIN, Die Ungültigkeit der Verfügungen von Todes wegen, Berner Diss. 1953, S. 23/24; PICENONI, a.a.O. S. 96 ff. und 100 ff.; PIOTET, a.a.O. S. 332 ff.).
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In der Tat ist nicht zu verkennen, dass die stärkere Berücksichtigung des Willens des Erblassers beim Erbvertrag in Konflikt gerät mit dem Vertrauen des Vertragspartners, dessen Schutz die Bestimmungen des Obligationenrechtes über den Vertragsschluss anstreben. Im Hinblick auf Art. 7 ZGB, der die Anwendung der Bestimmungen des Obligationenrechtes über die Entstehung, Erfüllung und Aufhebung der Verträge auf vergleichbare andere zivilrechtliche Verhältnisse gebietet, sind die in der Literatur erhobenen Einwände gegen eine unbeschränkte Berücksichtigung des Motivirrtums des Erblassers beim Erbvertrag begründet. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz hat deshalb ein solcher Irrtum nur dann als beachtlich zu gelten, wenn er sich auf einen Sachverhalt bezieht, der vom Erblasser nach Treu und Glauben als notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet BGE 99 II, 382 (386)worden ist. Mit Recht weist PICENONI darauf hin. dass beim Erbvertrag den Motiven beim Vertragsschluss in der Regel eine grössere Beachtung geschenkt wird als bei denjenigen Rechtsgeschäften des Obligationenrechtes, die in grosser Zahl abgeschlossen zu werden pflegen (a.a.O. S. 101). Entsprechend häufiger dürfte es daher sein, dass ein den Erblasser zum Vertragsschluss bewegendes und auch dem Vertragspartner bekanntes Motiv als Vertragsgrundlage anerkannt werden muss, wenn sich der Erblasser darüber in einem Irrtum befunden haben sollte. Ob das der Fall ist, muss nach Treu und Glauben auf Grund der konkreten Umstände beurteilt werden, unter denen der Erbvertrag zustande gekommen ist. Von Treu und Glauben "im Geschäftsverkehr" gemäss der Ausdrucksweise von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR kann, wie PICENONI, a.a.O., zutreffend hervorhebt, im Zusammenhang mit Erbverträgen allerdings nicht gesprochen werden, da diese nicht zu den Verkehrsgeschäften gehören (vgl. einen analogen Fall in BGE 70 II 198 /99).
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b) Im weitern stellt sich die Frage, wie der Erblasser einen Willensmangel, den er zu seinen Lebzeiten entdeckt. geltend zu machen hat. Beide Kommentatoren nehmen übereinstimmend an, der Erblasser müsse von seinem in Art. 469 Abs. 2 ZGB vorgesehenen Aufhebungsrecht in der Form eines Testamentes Gebrauch machen. Ihre Auffassungen weichen indessen voneinander ab, was die Frage der Mitteilung an die Gegenseite betrifft. ESCHER hält dafür, dass eine solche Mitteilung Gültigkeitserfordernis der Aufhebung bilde, während TUOR die Meinung vertritt, die Mitteilung der einseitigen Aufhebung an den Vertragspartner sei zwar nicht Voraussetzung für deren Gültigkeit; ihre Unterlassung könne aberje nach den Umständen Bereicherungs- oder sogar Schadenersatzansprüche auslösen (ESCHER, N. 18/19, TUOR, N. 19 und 30 zu Art. 469 ZGB).
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Im vorliegenden Fall wollte der Erblasser den mit der Klägerin und deren Sohn abgeschlossenen Erbvertrag durch das später errichtete Testament grösstenteils wieder aufheben, ohne seinen Vertragspartnern davon Kenntnis zu geben. Die in der Literatur kontroverse Frage, ob die einseitige Aufhebung des Erbvertrages nur in Testamentsform erfolgen könne, muss hier nicht entschieden werden, nachdem sich der Erblasser dieser Form bedient hat. Hingegen stellt sich die Frage, ob der Erblasser den Erbvertrag wegen des im Testament geltend gemachten Willensmangels einseitig aufheben konnte, ohne der Gegenseite davon Kenntnis BGE 99 II, 382 (387)zu geben. Das ist mit der überwiegenden Mehrzahl der Autoren zu verneinen, da eine Aufhebung in Unkenntnis der Gegenpartei mit der Vertragsnatur des Erbvertrages schlechterdings unvereinbar wäre (ausser ESCHER in diesem Sinne auch MÜLLER, a.a.O. S. 48; RASCHEIN, a.a.O. S. 66; GAUTHIER, Le pacte successoral, Thèse Lausanne 1955, S. 96; PICENONI, a.a.O. S. 106 ff.; PIOTET, a.a.O. S. 337 ff.; der letztere vertritt als einziger die Auffassung, die Aufhebung könne nur auf dem Weg der Klage erfolgen). In der Berufungsschrift wird demgegenüber eingewendet, der Erbvertrag lasse sich mit einem andern Vertrag nicht vergleichen, da der Erblasser nach Art. 494 Abs. 2 ZGB frei bleibe, zu seinen Lebzeiten über sein Vermögen zu verfügen. Diese Argumentation übersieht. dass der Erblasser mit Abschluss des Erbvertrages im Unterschied zum Testament eben doch eine Bindung eingeht und im Vertragspartner ein bestimmtes Vertrauen erweckt. Mit diesem Vertrauen lässt sich eine einseitige Vertragsaufhebung ohne Mitteilung an die Gegenseite nicht vereinbaren. Ob die Aufhebung sogar nur auf dem Wege der Klage möglich sei, wie PIOTET annimmt, braucht hier nicht entschieden zu werden.
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Mangels Kenntnisgabe an die Vertragspartner ist somit der vom Erblasser im Testament vom 20. Oktober 1965 zum Ausdruck gebrachte Irrtum über die Angemessenheit des Kaufpreises von Fr. 280 000.-- für die in Frage stehende Liegenschaft wirkungslos geblieben und kann, da der Erbvertrag diesbezüglich konvaleszierte, nachträglich nicht mehr geltend gemacht werden.
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8. Mit Bezug auf die beiden erst nach dem Tode des Erblassers vom Beklagten geltend gemachten Willensmängel stellt sich die Frage ihrer Kausalität noch in einer andern Hinsicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, wie sie in BGE 94 II 140 letztmals bestätigt worden ist, rechtfertigt sich die Ungültigerklärung eines Testaments wegen Irrtums nur dann, wenn als wahrscheinlich dargetan ist, dass der Erblasser bei Kenntnis der wahren Sachlage die Aufhebung der Verfügung deren Aufrechterhaltung vorgezogen hätte. Die gleiche Betrachtungsweise muss bei einem Erbvertrag zur Anwendung gelangen, auch wenn bei diesem der Motivirrtum, der nicht einen Grundlagenirrtum im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR darstellt, nur im Falle der absichtlichen Täuschung zur Ungültigkeit führen kann.
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Im vorliegenden Fall steht zwar fest, dass der Erblasser den BGE 99 II, 382 (388)Erbvertrag zu seinen Lebzeiten aufheben wollte; er führte diese Absicht aber in untauglicher Weise aus, weil er den Mut oder die Kraft nicht aufbrachte, der Klägerin gegenüber zu diesem Entschluss zu stehen, und es deshalb unterliess, ihr vom Aufhebungstestament Kenntnis zu geben. Selbst wenn der Erblasser die beiden nach seinem Tode geltend gemachten Willensmängel noch zu seinen Lebzeiten entdeckt hätte, kann nicht daran gezweifelt werden, dass er sie der Klägerin ebenfalls nicht zur Kenntnis gebracht hätte. Die Geltendmachung dieser Willensmängel wäre somit ebenso wie der im Testament vom 20. Oktober 1965 angerufene Irrtum unbeachtlich gewesen. Dieser Umstand steht der nachträglichen Anrufung der betreffenden Willensmängel entgegen. Es ist mit der erwähnten Bundesgerichtspraxis unvereinbar, den Erben die Berufung auf einen Willensmangel zu gestatten, von dem mit Sicherheit anzunehmen ist, dass er nicht in wirksamer Weise geltend gemacht worden wäre, hätte ihn der Erblasser noch zu seinen Lebzeiten entdeckt.
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