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Informationen zum Dokument  BGE 112 II 14  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
2. c) In dem Grundsatzgutachten, welches das Bundesgericht zum Be ...
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2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Februar 1986 i.S. X. gegen Y. (Berufung)
 
 
Regeste
 
Art. 262 Abs. 3 ZGB; Gutachten zur Feststellung der Vaterschaft.  
 
BGE 112 II, 14 (14)Aus den Erwägungen:
 
2. c) In dem Grundsatzgutachten, welches das Bundesgericht zum Beweiswert des erweiterten Gc-Systems und des HLA-(A, B, C)-Systems bei Professor Dr. R. Bütler vom Zentrallaboratorium des Blutspendedienstes SRK eingeholt hat, wird ausgeführt, populationsgenetische Untersuchungen an über 6600 Einzelpersonen und an 205 Familien mit 391 Kindern sowie die Typisierung und Auswertung von 422 Mutter/Kind-Paaren hätten den Erbmodus für das erweiterte Gc-System vollumfänglich bestätigt. Der Gutachter hält deshalb die Bestimmung von Gc-Untergruppen für ein voll beweiskräftiges Mittel für die Abklärung strittiger Abstammungsfragen. Einem Vaterschaftsausschluss nach dieser Methode komme das Prädikat der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" zu, entsprechend einer Aussagesicherheit von mindestens 99,8 Prozent.
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Sodann erklärt Professor Dr. R. Bütler, es seien heute etwa 80 Faktoren der HLA-(A, B, C)-Genloci bekannt, von denen rund 40 bei Gutachten, die sein Laboratorium abgibt, verwendet würden.
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BGE 112 II, 14 (15)Das Institut verfüge über eine mehr als zehnjährige Erfahrung mit dieser Methode. Da die Zahl der kritischen Fälle (d.h. die Zahl der nichtmerkmaltragenden Kinder von Eltern, die das entsprechende Antigen ebenfalls nicht besitzen) für alle HLA-A-, B- und C-Merkmale über 3107 liege - führt der Gutachter unter Berufung auf den Wiener Genetiker Wolfgang Mayr weiter aus -, sei die maximale Irrtumswahrscheinlichkeit bei der Formulierung eines solchen Ausschlusses nach der ersten Erbregel (d.h. ein beim Kind gefundenes Merkmal ist weder bei der Mutter noch beim Mann vorhanden) kleiner als 0,2 Prozent, weshalb das Ergebnis "Vaterschaft offenbar unmöglich" lauten könne. Nach Professor Mayr erfüllten die Genprodukte der Loci HLA-A, -B und -C alle Kriterien, die von Erbmerkmalen gefordert werden, um in der Paternitätsserologie Anwendung zu finden, nämlich gesicherten Erbgang, Umweltstabilität, Zuverlässigkeit und Einfachheit der Bestimmungsmethode. Sofern keine interferierenden Kreuzreaktionen im betreffenden Fall aufträten, könne einem HLA-(A, B, C)-Vaterschaftsausschluss das Prädikat der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" erteilt werden.
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Als Schlussfolgerung für den vorliegenden Fall ergibt sich somit nach dem Grundsatzgutachten von Professor Dr. R. Bütler folgendes: Der Präsumtivvater ist nach der ersten Erbregel durch das erweiterte Gc-System als Erzeuger von X. ausgeschlossen; denn das Kind besitzt das Gen GcIF, das weder im Erbgut der Mutter noch in jenem des Präsumtivvaters vorhanden ist. Einem solchen Ausschluss kommt heute das Prädikat der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" zu. Ebenfalls ausgeschlossen als Erzeuger von X. ist der Beklagte nach der ersten Erbregel durch das HLA-System. Das Kind besitzt das HLA-Gen B-12, das weder im Erbgut der Mutter noch in jenem des Präsumtivvaters enthalten ist. Bezüglich allfälliger interferierender Kreuzreaktionen, führt der Gutachter aus, präsentiere sich die Situation wie folgt: Der Ausschlussfaktor HLA-B-12 besitzt Antigenverwandtschaften (Kreuzreaktivitäten) zu den Faktoren B-12, BW-21 und BW-50 und kann zudem in die Untergruppen BW-44 und BW-45 aufgespalten werden. Dagegen besitzt der Faktor B-12 keine Antigenverwandtschaft (Kreuzreaktivität) zu den Faktoren B-5 und BW-41, die das Kind allenfalls vom Präsumtivvater geerbt haben könnte. Der HLA-B-12-Ausschluss sei daher voll beweiskräftig, stellt der Experte fest; es komme ihm im vorliegenden Fall heute das Prädikat der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" zu.
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BGE 112 II, 14 (16)Wenn der Gutachter aufgrund seiner Untersuchungen sowohl nach dem Gc-System als auch nach dem HLA-(A, B, C)-System die Vaterschaft von Y. mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad von wenigstens 99,8 Prozent ausschliesst und es gestützt darauf als "praktisch unmöglich" bezeichnet, dass der Beklagte Erzeuger des X. sein könne, so deckt sich seine Auffassung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts, die bei einem Wahrscheinlichkeitsgrad von wenigstens 99,8 Prozent (nach der Methode Essen-Möller bzw. nach dem System der sauren Erythrozytenphosphatase) die Vaterschaft als ausgeschlossen erklärt (BGE 104 II 299 ff., 101 II 13 ff., 96 II 314 ff.). Eine zusätzliche Beweisabnahme durch Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens erübrigt sich deshalb, wie die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung und ohne Verletzung von Bundesrecht entschieden hat.
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