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Informationen zum Dokument  BGE 119 II 12  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
2. c) bb) Laut BGE 107 II 396 ff. ist Art. 43 Abs. 2 OR (i.V.m. A ...
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4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Februar 1993 i.S. C. gegen C. (Berufung)
 
 
Regeste
 
Art. 152 ZGB und Art. 43 Abs. 2 OR. Sicherstellung einer der geschiedenen Ehefrau gestützt auf Art. 152 ZGB zugesprochenen Rente.  
 
BGE 119 II, 12 (13)Aus den Erwägungen:
 
2. c) bb) Laut BGE 107 II 396 ff. ist Art. 43 Abs. 2 OR (i.V.m. Art. 7 ZGB) auf Renten gemäss Art. 151 ZGB entsprechend anwendbar; unter bestimmten Voraussetzungen kann deshalb der Schuldner einer auf Art. 151 ZGB abgestützten Rente zu deren Sicherstellung verhalten werden. Teils ohne jede Begründung, teils unter Bezugnahme auf den erwähnten Entscheid geht die Lehre davon aus, eine solche Sicherstellungspflicht gelte sinngemäss auch für die Bedürftigkeitsrente nach Art. 152 ZGB (HEINZ HAUSHEER, Grundeigentum und Ehescheidung aus zivilrechtlicher Sicht, ZBGR 65/1984 S. 275 f.; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 2. A. Bern 1987, S. 125 N. 12.81; BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, Ergänzungsband, N. 63 zu Art. 151 ZGB mit Verweis auf die vorgenannten Autoren). In seiner Besprechung hält BERNHARD SCHNYDER zutreffend fest, das Bundesgericht sei in jenem Entscheid nicht auf die Frage eingegangen, ob die Sicherstellungspflicht auch bei Renten gemäss Art. 152 ZGB geboten sein könnte. Ein Teil der Lehre scheine dies nicht auszuschliessen. Die Analogie würde sich dann allerdings nur auf die Zusprechung einer Rente und nicht auf den Schadenersatz beziehen. Gehe es doch bei der Rente gemäss Art. 152 ZGB gerade nicht um Schadenersatz (Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts 1981, ZBJV 119/1983 S. 65). Mit diesem Argument hat das Obergericht das Begehren der Klägerin auf Sicherstellung der Bedürftigkeitsrente abgewiesen. Die Rentenverpflichtung nach Art. 152 ZGB sei als nacheheliche Solidaritätsverpflichtung über die Auflösung der Ehe hinaus geschuldet, weil die Beistandspflicht des leistungsfähigen Ehegatten aus Billigkeit und aus sozialen Gründen fortbestehe (unter Hinweis auf BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 4 zu Art. 152 ZGB); die haftpflichtrechtliche Regelung des Art. 43 Abs. 2 OR könne also nicht analog angewendet werden.
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BGE 119 II, 12 (14)Nach dem Wortlaut des Art. 7 ZGB sind die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechtes auch auf andere zivilrechtliche Verhältnisse anwendbar. Herrschende Lehre und Rechtsprechung gehen von einer analogen Anwendung aus. Dem Richter obliegt es, den Sinn der betreffenden Vorschrift des OR sowie die Besonderheiten des zivilrechtlichen Verhältnisses, auf das sie anzuwenden ist, zu ergründen und dann entsprechend zu entscheiden. Im Rahmen dieser Wertung können die Besonderheiten eines zivilrechtlichen Verhältnisses zu einer Einschränkung oder Modifizierung der anzuwendenden Vorschriften des OR führen (vgl. BGE 118 II 5 E. 5a mit Hinweisen; HENRI DESCHENAUX, Der Einleitungstitel, SPR II, Basel 1967, S. 58 und 62; FRIEDRICH, Berner Kommentar, N. 51 zu Art. 7 ZGB). Analogie heisst nach MAX KELLER (Die Anwendung obligationenrechtlicher Regeln auf den Anspruch gemäss Art. 151 I ZGB, FS Cyril Hegnauer, Bern 1986, S. 217 f.) die "Anwendung einer Regel auf einen Tatbestand, für den sie nicht geschaffen worden ist, soweit dieser dem, für den sie geschaffen worden ist, in allen wesentlichen Merkmalen entspricht (d.h. gleich oder gleichwertig ist). Die Übernahme darf m. a. W. nur erfolgen, sofern und soweit ein allfälliger sachlicher Unterschied zwischen dem Tatbestand, für den die Regel geschaffen worden ist, und dem anderen, auf den sie übertragen werden soll, sie zulässt sofern und soweit der besondere, d.h. der eherechtliche Charakter des Anspruchs sie zulässt."
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Von der letzteren Umschreibung ist im Ergebnis auch das Bundesgericht ausgegangen. Es hat im erwähnten Entscheid ausdrücklich festgehalten, Art. 7 ZGB sei richtigerweise so auszulegen, dass Art. 43 Abs. 2 OR auch im Rahmen des ZGB entsprechende Anwendung finden solle, wo es um die Leistung von Schadenersatz gehe (BGE 107 II 399 E. a). Im Unterschied zu den Beiträgen, welche die Eltern an den Unterhalt eines nicht in ihrer Obhut stehenden Kindes und damit in Erfüllung einer ihnen gesetzlich obliegenden Unterhaltspflicht leisteten (Art. 276 Abs. 2 ZGB), würden durch die Rente gemäss Art. 151 ZGB Ansprüche entschädigt, welche der Berechtigte infolge der Scheidung verliere; es handle sich um eine Art von Schadenersatz und Art. 43 OR, welcher die Bestimmung des Schadenersatzes regle, lasse sich daher auf Entschädigungsleistungen gemäss Art. 151 ZGB anwenden, nicht aber auf die Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (S. 400 E. b). Wenn das Bundesgericht auch bezüglich der Voraussetzungen der Sicherstellungspflicht von Art. 43 OR teilweise abgewichen ist (S. 400 E. c; dazu KELLER, a.a.O., S. 228), so hat es doch dem BGE 119 II, 12 (15)schadenersatzrechtlichen Charakter als wesentlichem Merkmal beider Tatbestände für die Zulässigkeit entsprechender Anwendung von Art. 43 OR auf Ansprüche nach Art. 151 ZGB entscheidendes Gewicht beigemessen. Daran ist festzuhalten. Gleich wie die schadenersatzrechtliche Natur der Ansprüche aus Art. 151 Abs. 1 ZGB in der jüngeren Rechtsprechung immer wieder betont worden ist (dazu etwa BGE 117 II 359 ff. und 521 E. c), hat es das Bundesgericht nicht unterlassen, die soziale Ausrichtung der Bedürftigkeitsrente im Sinne einer fortdauernden (nach-)ehelichen Beistandspflicht hervorzuheben (vgl. BGE 114 II 11 E. a). Der Tatbestand des Art. 43 OR und jener nach Art. 152 ZGB sind insofern nicht gleichwertig; insbesondere kann aus Art. 43 Abs. 2 OR kein allgemeingültiger Anspruch auf Sicherstellung eines Unterhaltsbeitrages, unabhängig von dessen Rechtsgrund, hergeleitet werden. Es muss vielmehr dem Gesetzgeber überlassen bleiben, für die Bedürftigkeitsrente eine solche Sicherstellungspflicht vorzuschreiben, wie er dies beispielsweise 1976 in Art. 292 ZGB hinsichtlich künftiger Unterhaltsbeiträge der Eltern für die Kinder getan hat.
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