BGE 120 II 225 - Soziale Hohlfahrt | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
42. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. August 1994 i.S. D. c. W. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 28 ZGB; Kunstfreiheit als Rechtfertigungsgrund für eine Persönlichkeitsverletzung? |
Die in einem Buch veröffentlichte fiktive Geschichte ist so zu gestalten, dass der durchschnittliche Leser ehrverletzende Äusserungen nicht auf eine tatsächlich lebende Person bezieht. | |
Sachverhalt | |
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B.- Auf Antrag von Willi W. verbot der Gerichtspräsident von B. am 16. April 1991 Anita D., das Buch weiter zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, ausser sie mache die betreffenden Stellen im Text unlesbar oder entferne sie sonstwie.
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Auf nachfolgende Klage von Willi W. hin stellte das Bezirksgericht B. mit Urteil vom 22. Oktober 1991 fest, dass Anita D. durch die Bezeichnung von Willi W. als
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- "stinkender Wirsig"
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- "ekelhaftes Weisskohl-Borstenschwein von einem Beamten"
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- "Dummkopf"
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- "strohsackblöd"
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und die Behauptung, Willi W. habe
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- "eine Altersheiminsassin in die Küche gezerrt und ihr eine Pfändungsunterschrift abgerungen",
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- "dem Sohn einer Altersheiminsassin passiv geholfen, laufend die AHV und Pension seiner Mutter zu kassieren",
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eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung gegenüber dem Kläger begangen habe. Das Gericht gestattete Willi W., das Urteil in verschiedenen Zeitungen auf Kosten der Beklagten veröffentlichen zu lassen. Zudem wurde Anita D. verboten, ohne Entfernung der entsprechenden Stellen das genannte Buch weiter zu verbreiten und die darin enthaltenen, Willi W. betreffenden Aussagen zu wiederholen.
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Eine von Anita D. gegen dieses Urteil eingereichte Appellation wurde vom Obergericht des Kantons X mit Entscheid vom 25. Juni 1992 abgewiesen.
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C.- Auf staatsrechtliche Beschwerde von Anita D. hin hob das Bundesgericht mit Entscheid vom 17. Juni 1993 das obergerichtliche Urteil auf. Am 17. Februar 1994 hat das Obergericht des Kantons X neu entschieden, wobei es wiederum die Appellation abgewiesen hat.
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D.- Anita D. gelangt erneut mit staatsrechtlicher Beschwerde und Berufung an das Bundesgericht.
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Während Willi W. die Abweisung der Berufung beantragt, hat das Obergericht unter Hinweis auf das begründete Urteil auf Bemerkungen verzichtet.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) ... Weil der Vorwurf nicht der Wahrheit entspricht, kann sich die Beklagte nicht auf ein öffentliches Interesse an der Aufdeckung eines Fehlverhaltens eines Beamten berufen.
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b) Die Beklagte macht als überwiegendes Interesse überdies ihr Recht geltend, sich künstlerisch zu betätigen. Ihr Buch sei mit einem autobiographischen Werk vergleichbar, bei dem es unvermeidbar sei, auch andere Personen darzustellen, die durch ihr Handeln in das Leben der Autorin eingegriffen hätten.
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In einer rechtsstaatlichen Demokratie besteht in der Tat ein erhebliches Interesse daran, dass ein künstlerisches Schaffen möglich ist. Entsprechend hat auch das Bundesgericht die Kunstfreiheit als Teil der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt (BGE 117 Ia 478). Daraus darf allerdings nicht der Schluss gezogen werden, jede Persönlichkeitsverletzung könne mit der Kunstfreiheit gerechtfertigt werden. Die künstlerische Betätigung hat sich im Rahmen der Rechtsordnung zu halten. Auch der Kunstschaffende hat die Persönlichkeitsrechte anderer zu respektieren. Es ist somit das Interesse des Verletzten gegen das Interesse des Verletzers an der künstlerischen Betätigung abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, welche Möglichkeiten dem Künstler offengestanden hätten, sein Werk ohne die Persönlichkeitsverletzung zu schaffen.
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Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass es ihr im vorliegenden Buch mit Bezug auf die eingeklagten Stellen darum gegangen sei, die Wirklichkeit mit künstlerischen Mitteln darzustellen. Sie konnte den Wahrheitsbeweis für die geschilderten Sachverhalte nicht erbringen. Es geht somit nicht um die Darstellung einer realen Begebenheit, sondern um Fiktion. Deshalb kann der Beklagten nicht gefolgt werden, wenn sie ihr Buch mit einem autobiographischen Werk vergleicht. Entsprechend stehen auch die von ihr zitierten Ausführungen von GEISER (Die Persönlichkeitsverletzung insbesondere durch Kunstwerke, Basel 1990, Rz. 9.73) in keinem Zusammenhang zum vorliegenden Fall. Geht es hier aber um Fiktion und nicht um die Darstellung einer wahren Begebenheit, kann von der Autorin verlangt werden, die fiktive Geschichte so auszugestalten, dass der Leser nicht auf eine reale Person schliesst. Wenn es ihr darum ging, eine fiktive Geschichte über ein verwerfliches Verhalten eines Beamten künstlerisch zu erzählen, hätte sie die nötige Sorgfalt aufwenden müssen, um jeden Bezug zu tatsächlich lebenden Personen auszuschliessen (GEISER, Rz. 2.44, S. 65). Dass aus irgendwelchen, in der Konzeption des Werks liegenden Gründen die Person so ausgestaltet und beschrieben sein musste, wie die Beklagte es tatsächlich tat, so dass der durchschnittliche Leser auf den Kläger schliesst, hat die Beklagte in keiner Weise dargetan.
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Nichts anderes gilt mit Bezug auf die Kraftausdrücke. Wohl können solche Wortschöpfungen als Ausdruck der künstlerischen Freiheit den Stil eines Buches prägen. Das bedeutet aber nicht, dass es die Kunst auch gebietet, mit diesen Ausdrücken tatsächlich lebende Personen zu verunglimpfen.
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