BGE 122 II 234 - Rodungsbewilligung und Völkerrecht | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Juni 1996 i.S. Schweizerischer Bund für Naturschutz (SBN), Schweizer Heimatschutz (SHS), World Wildlife Fund Schweiz (WWF), Dr. Emanuel Isler und Dr. Ambros Isler gegen Regierungspräsidium Freiburg im Breisgau und Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Rodungsbewilligung für den Bau einer staatsvertraglich vereinbarten zollfreien Strasse. |
Konsequenzen der völkerrechtlichen Bindung für das innerstaatliche Rodungsbewilligungsverfahren (E. 4e). | |
Sachverhalt | |
Der Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Grossherzogtum Baden betreffend die Weiterführung der badischen Eisenbahnen über schweizerisches Gebiet vom 27. Juli 1852 räumt der deutschen Seite das Recht ein, über schweizerisches Gebiet eine Verbindungsstrasse (Zollfreie Strasse) zwischen den Städten Lörrach und Weil am Rhein zu bauen. Ein vom Regierungspräsidium Freiburg im Breisgau ausgearbeitetes "Auflageprojekt vom November 1974" wurde bei der Gemeindeverwaltung Riehen und beim Baudepartement des Kantons Basel-Stadt öffentlich aufgelegt und in der Folge aufgrund von Einsprachen überarbeitet. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt genehmigte am 16. Dezember 1975 das überarbeitete Projekt mit verschiedenen Auflagen und Bedingungen. Am 7. Mai 1976 trafen das Land Baden-Württemberg und der Kanton Basel-Stadt eine Vereinbarung über die technischen Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Bau, Betrieb und Unterhalt der Verbindungsstrasse (im folgenden: technische Vereinbarung). In der Folge schlossen die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Bundesrepublik Deutschland am 25. April 1977 einen Staatsvertrag über die Verbindungsstrasse ab (SR 0.725.122; im folgenden: Staatsvertrag von 1977). Gemäss diesem bestimmen sich Linienführung und Bau der Strasse nach dem vom Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt genehmigten Auflageprojekt, wobei auf einen dem Vertrag beigefügten "Rahmenplan" verwiesen wird (Art. 2). Der Staatsvertrag ist am 14. Dezember 1979 von der Bundesversammlung ratifiziert worden und am 1. August 1980 in Kraft getreten.
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Die geplante Verbindungsstrasse liegt, soweit sie schweizerisches Territorium durchquert, auf Gebiet der Gemeinde Riehen. Nach dem Rahmenplan überschreitet sie die Landesgrenze auf der linken Seite des Flusses Wiese, überquert diesen Fluss nach rund 70 m, verläuft alsdann bis zur Weilstrasse der Wiese entlang, wobei sie abgesenkt und rund 120 m vor der Weilstrasse in einen Tunnel verlegt wird. Der Tunnel verläuft unter der Weilstrasse durch und führt unter dem natürlichen Terrain auf die Landesgrenze in der Mühlematt. Im Bereich der Landesgrenze tritt die Strasse aus dem Tunnel und steigt auf deutscher Seite auf das natürliche Terrain an. Das rechte Wieseufer ist von der Landesgrenze an abwärts bis nahe an die Weilstrasse bestockt. Mit Verfügung vom 27. November 1991 qualifizierte das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) die Bestockungen auf den Parzellen Nrn. A013600, A013700, 904400 und B147501 als Wald im Sinne der damaligen eidgenössischen Forstpolizeigesetzgebung; das Waldareal umfasst eine Fläche von 7'023,5 m2.
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Gemäss § 1 Abs. 2 der technischen Vereinbarung hatte das Regierungspräsidium Freiburg i.Br. - betreffend den auf schweizerischem Gebiet liegenden Teil der Verbindungsstrasse - Ausführungspläne, Absteckungspläne, Vermessungsunterlagen, Submissionsunterlagen und das Bauprogramm dem Baudepartement des Kantons Basel-Stadt zur Genehmigung zu unterbreiten. Am 17. Januar 1992 genehmigte das Baudepartement Unterlagen, die ihm am 8. Mai 1991 vorgelegt worden waren. Gegen diesen Genehmigungsbeschluss rekurrierte der World Wildlife Fund Schweiz (WWF), Sektion Basel, an den Regierungsrat mit dem Antrag auf Aufhebung der Genehmigung und Durchführung eines ordentlichen Verfahrens zur Prüfung der Umweltverträglichkeit des Projekts. Der Regierungsrat trat mit Entscheid vom 25. August 1992 auf das Rechtsmittel nicht ein. Einen dagegen erhobenen Rekurs wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht am 20. August 1993 mit der Begründung ab, dass erst nach der Ratifizierung des Staatsvertrages von 1977 in Kraft getretene Umweltschutzbestimmungen auf das umstrittene Strassenprojekt nicht anwendbar seien und dass die Genehmigung des Baudepartements Punkte betreffe, die lediglich der Verwirklichung des bereits rechtskräftig beschlossenen Projekts dienten. Das Urteil des Appellationsgerichts erwuchs in Rechtskraft.
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Zur Realisierung der Verbindungsstrasse werden Waldflächen beansprucht. Am 13. Juli 1993 stellte das Regierungspräsidium Freiburg i.Br. beim Kantonsforstamt Basel-Stadt ein Gesuch um Rodung von 2'090 m2 Wald auf den Parzellen Nr. A013600 und A013700. Das Gesuch wurde publiziert und öffentlich aufgelegt. Nach Durchführung des Auflage- und Einspracheverfahrens erteilte der Regierungsrat mit Beschluss vom 4. April 1995 die nachgesuchte Rodungsbewilligung unter zahlreichen Bedingungen und Auflagen und wies die Einsprachen ab. Als Rodungsersatz ordnete er die Wiederaufforstung von 1'040 ma an Ort und Stelle und die Ersatzaufforstung von 1'050 m2 auf der Parzelle Nr. B147501 an.
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Gegen die Rodungsbewilligung haben einerseits der SBN, der Schweizer Heimatschutz (SHS) sowie der WWF und andererseits Emanuel und Ambros Isler beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Die Beschwerdeführer beantragen im wesentlichen die Aufhebung der Rodungsbewilligung bzw. die Abweisung des Rodungsgesuchs.
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Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerden ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
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a) Ein von der Bundesversammlung genehmigter Staatsvertrag wird mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden für die Vertragsstaaten völkerrechtlich verbindlich; er erlangt zusammen mit der völkerrechtlichen auch landesrechtliche Wirkung. Er kann vom Bürger vor Gericht angerufen bzw. von den Behörden als Grundlage einer Entscheidung herangezogen werden, wenn er - wie im vorliegenden Fall - unbedingt und eindeutig genug formuliert ist, um in einem konkreten Fall direkt angewendet zu werden (Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung, Gemeinsame Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz und der Direktion für Völkerrecht vom 26. April 1989, VPB 53 Nr. 54 S. 404 mit Hinweisen).
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b) Gemäss dem Staatsvertrag von 1977 ist die Eidgenossenschaft befugt, die Bauausführung der Verbindungsstrasse in polizeilicher Hinsicht und bezüglich der Einhaltung der Vereinbarungen und Pläne zu überwachen (Art. 1 Abs. 2). Die für den Bau erforderlichen Grundstücke werden vom Kanton Basel-Stadt zur Verfügung gestellt. Sie sind nötigenfalls auf dem Wege der Landumlegung oder der Enteignung zu beschaffen. Für den Fall des Landerwerbs durch Enteignung überträgt die Eidgenossenschaft dem Kanton das Enteignungsrecht im Sinn von Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Enteignung vom 20. Juni 1930 (SR 711). Das Enteignungsverfahren beschränkt sich auf die Behandlung der angemeldeten Forderungen; Einsprachen gegen die Umlegung oder gegen die Enteignung sowie Begehren, die eine Planänderung bezwecken, sind ausgeschlossen (Art. 1 Abs. 4). Linienführung und Bau der Strasse bestimmen sich nach dem vom Regierungsrat am 16. Dezember 1975 genehmigten Auflageprojekt (Art. 2 Abs. 1). In Art. 2 Abs. 2 wird die Strassenführung beschrieben, und es wird auf den dem Vertrag beigefügten Rahmenplan verwiesen. Dieser Plan ist in der amtlichen Sammlung des Bundesrechts veröffentlicht (AS 1980 984). Die Regelung technischer Einzelheiten behält der Staatsvertrag von 1977 der besonderen Vereinbarung zwischen dem Kanton Basel-Stadt und dem Land Baden-Württemberg vor (Art. 2 Abs. 7). Das Übereinkommen ordnet ferner die Strassenbenützung und bestimmt das hierfür massgebliche Recht. Die Schlussbestimmungen legen u.a. fest, wie Meinungsverschiedenheiten über die Vertragsauslegung beizulegen sind. Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und kann nur im gegenseitigen Einvernehmen zwischen den Vertragsstaaten aufgehoben oder geändert werden; die Vertragsstaaten treten auf Verlangen eines Vertragsstaates in Verhandlungen über eine angemessene Neuregelung, wenn sich bei der Durchführung erhebliche Schwierigkeiten ergeben oder sich die Verhältnisse wesentlich verändert haben (Art. 22).
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c) Die Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (VRK; SR 0.111) ist für die Schweiz am 6. Juni 1990 in Kraft getreten. Das Übereinkommen findet zwar auf den vorliegend zur Diskussion stehenden, bereits 1977 abgeschlossenen Staatsvertrag keine direkte Anwendung (Art. 4 VRK). Dem steht jedoch nicht entgegen, dass sich die Vertragsauslegung an den in Art. 31 ff., insbesondere in Art. 31 Abs. 1 VRK festgelegten allgemeinen Grundsätzen orientiert (vgl. BGE 117 V 268 E. 3b S. 269), zumal diese in ihrem wesentlichen Gehalt Völkergewohnheitsrecht kodifizieren (BGE 120 Ib 360 E. 2c S. 365) und mithin der bisherigen Praxis des Bundesgerichts entsprechen (s. BGE 116 Ib 217 E. 3a mit weiteren Hinweisen; speziell zum Vertrauensgrundsatz vgl. BGE 38 I 551 E. 4a S. 585; BGE 94 I 669 E. 4 S. 673). Nach Art. 31 Abs. 1 VRK ist ein Staatsvertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.
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d) Lage und Umfang der projektierten Verbindungsstrasse sind im Staatsvertrag von 1977 detailliert festgelegt. Das dem Rodungsgesuch zugrundeliegende Projekt entspricht dieser vertraglichen Festsetzung, was unbestritten ist. Ziel und Zweck des Vertrages sind, die Verbindungsstrasse am vorgesehenen Ort zu bauen und hernach zu betreiben. Der Staatsvertrag regelt abschliessend, unter welchen Voraussetzungen der Vertragszweck erreicht werden soll. Die Bauausführung richtet sich nach dem Auflageprojekt und den im Genehmigungsbeschluss enthaltenen Bedingungen und Auflagen. Weitergehende Voraussetzungen können dem Vertragstext nicht entnommen werden; insbesondere fehlen Rückverweise auf Landesrecht und Vorbehalte zugunsten landesinterner Bewilligungen. Es gibt auch keine Hinweise dafür, dass die Vertragsstaaten Bewilligungsverfahren stillschweigend vorbehalten hätten. Dies ist um so weniger anzunehmen, als dem Vertragsabschluss ein landesinternes Auflage- und Einspracheverfahren vorausgegangen war. Sodann kann weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus dem Vertragszweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Bestimmungen geschlossen werden, die Übereinkunft sei im hier zur Diskussion stehenden Bereich lückenhaft oder gebe die wirkliche Willensmeinung der Parteien unzutreffend wieder. All dies führt zum Auslegungsergebnis, dass der Vertragszweck und mithin die Verwirklichung der Verbindungsstrasse nicht vom Ergebnis nachfolgender landesinterner Bewilligungsverfahren abhängen soll.
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e) Die Eidgenossenschaft kann sich der völkerrechtlichen Verpflichtung nicht unter Berufung auf inländisches Recht entziehen; das Völkerrecht hat grundsätzlich Vorrang (vgl. BGE 119 V 171 E. 4 S. 176 ff.; BGE 109 Ib 165 E. 7b S. 173). Dies verlangt von den Rechtsanwendungsinstanzen eine völkerrechtskonforme Handhabung des Landesrechts. In bezug auf die vorliegend umstrittenen Rodungsvoraussetzungen wirkt sich dies materiell in zweierlei Hinsicht aus: Zum einen ist mit der Ratifizierung des Vertrags abschliessend über die Standortgebundenheit des Werks entschieden worden und die Rodungsbehörde kann diese unter keinem Aspekt mehr in Frage stellen. Zum anderen besteht kein Raum mehr für eine Interessenabwägung; diese liegt der eingegangenen Verpflichtung zugrunde, den Bau der Strasse ohne Vorbehalt zugunsten landesinterner Bewilligungsverfahren zu ermöglichen. Damit ist durch den Staatsvertrag von 1977 vorgegeben, dass den wichtigen Gründen, die hier für eine Rodung angeführt werden können, kein überwiegendes Interesse an der Walderhaltung entgegensteht. Bei dieser Rechtslage erscheint fraglich, ob das Projekt überhaupt einer Rodungsbewilligung bedurfte oder ob nicht eine Verfügung über die Ersatzaufforstung genügt hätte; jedenfalls ist es nicht zu beanstanden, dass die für die Erteilung der Rodungsbewilligung zuständige kantonale Instanz die Vorgaben des Staatsvertrages von 1977 bei der Handhabung der waldrechtlichen Bestimmungen beachtete. Insofern verletzt der angefochtene Beschluss kein Bundesrecht und es erübrigt sich, auf den gegenteiligen Standpunkt der Beschwerdeführer weiter einzugehen.
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Daran vermag auch der Hinweis auf Art. 22 Abs. 2 des Staatsvertrages von 1977 nichts zu ändern. Nach dieser Bestimmung treten - wie schon gesagt - die Vertragsstaaten bei erheblichen Schwierigkeiten in der Durchführung des Vertrages oder bei wesentlicher Veränderung der Verhältnisse in "Verhandlungen über eine angemessene Neuregelung". Die Möglichkeit der Vertragsänderung schränkt die völkerrechtliche Verpflichtung nicht ein, den Vertrag nach Treu und Glauben zu erfüllen. Solange eine Vertragsänderung nicht zustande gekommen ist, behält der in Kraft stehende Vertrag seine völkerrechtliche Verbindlichkeit und mithin landesrechtliche Wirkung, d.h. er ist für die rechtsanwendenden Behörden verbindlich. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist es daher für die Beurteilung der streitigen Rodung unerheblich, ob die Voraussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen vorliegen und ob gegebenenfalls nach innerstaatlichem Recht die Verpflichtung zur Verhandlungsaufnahme besteht oder nicht. Nachdem es auch keine Anzeichen gibt, dass die Eidgenossenschaft mit einem Änderungsbegehren an die Bundesrepublik Deutschland herantreten wird, besteht kein Anlass, mit der Beurteilung der Streitsache bis zum Vorliegen eines Verhandlungsergebnisses zuzuwarten.
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