VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 133 II 64  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
5. Das Kantonsgericht ging davon aus, dass die Mobilfunkanlage in ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Swisscom Mobile SA, Munizipalgemeinde Zermatt und Staatsrat des Kantons Wallis sowie Kantonsgericht Wallis (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
1A.129/2006 vom 10. Januar 2007
 
 
Regeste
 
Bau- und planungsrechtliche Möglichkeiten der Gemeinden betreffend Mobilfunkanlagen.  
Ortsplanerische Bestimmungen, die anderen als umweltschutzrechtlichen Interessen dienen, sind dagegen grundsätzlich möglich, sofern die Zielsetzungen der Fernmeldegesetzgebung respektiert werden (E. 5.3).  
 
Sachverhalt
 
BGE 133 II, 64 (64)Die Swisscom Mobile SA reichte am 2. Dezember 2002 bei der Munizipalgemeinde Zermatt ein Baugesuch für die Errichtung bzw. BGE 133 II, 64 (65)Änderung der Mobilfunkanlage im Kirchturm der Pfarrkirche ein. Gegen das Baugesuch erhoben X., Y. und weitere Personen Einsprache.
1
Die Gemeinde Zermatt verlangte von der Swisscom Mobile SA und den übrigen Mobilfunk-Anbietern ein Gesamtkonzept über den zukünftigen Ausbau, die Zusammenarbeit und die koordinierte Planung von Antennenanlagen im Gemeindegebiet. Am 25. September 2003 trat die Gemeinde auf das Baugesuch der Swisscom nicht ein, weil kein Gesamtkonzept vorliege.
2
Gegen den Entscheid der Gemeinde reichte die Swisscom Mobile SA Beschwerde beim Staatsrat des Kantons Wallis ein. Am 5. Oktober 2005 wies der Staatsrat die Beschwerde ab. Er hielt es für unzulässig, das Baugesuch wegen Fehlens eines Gesamtkonzepts abzuweisen, schützte den Bauabschlag der Gemeinde jedoch aus anderen Gründen.
3
Die Swisscom focht den Staatsratsentscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht an. Dieses hiess die Beschwerde am 19. Mai 2006 gut und wies die Angelegenheit im Sinne der Erwägungen zu neuem Entscheid an die Gemeinde Zermatt zurück.
4
Gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid haben X. und Y. am 25. Juni 2006 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Baubewilligung sei zu verweigern.
5
Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
6
 
Aus den Erwägungen:
 
7
Diese Auffassung hatte bereits der Staatsrat vertreten: Die Baubewilligung sei eine Polizeierlaubnis, auf deren Erteilung Anspruch bestehe, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien (Art. 24 Abs. 1 der kantonalen Bauverordnung vom 2. Oktober 1996). Vorliegend seien keine materiellen Vorschriften oder planerischen BGE 133 II, 64 (66)Vorgaben des kantonalen oder kommunalen Rechts ersichtlich, welche es ermöglichen würden, den Standort im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen bzw. die Bewilligung von der Beibringung eines Gesamtkonzepts aller gegenwärtigen und zukünftigen Antennenstandorte aller Mobilfunkbetreiberinnen abhängig zu machen.
8
5.1 Die Beschwerdeführer machen dagegen geltend, Art. 20 Abs. 2 des Walliser Baugesetzes vom 8. Februar 1996 (BauG) ermögliche es der Gemeinde, Auflagen und Bedingungen zum Schutz der Umwelt in die Bewilligung aufzunehmen oder Projektänderungen zu verlangen, insbesondere um schädliche Immissionen für die Nachbarschaft einzudämmen. Dies genüge als gesetzliche Grundlage für die Anordnung einer Koordinationspflicht und für die Einreichung eines Gesamtkonzepts. Zusätzlich führen sie das Tourismusgesetz vom 9. Februar 1996 an, das die Gemeinden zur Förderung eines qualitativ hochstehenden Tourismus und zur Achtung der natürlichen und kulturellen Gegebenheiten verpflichte. Schliesslich seien nach Art. 18 des Bau- und Zonenreglements der Gemeinde in der streitbezogenen Zone nur Einrichtungen zulässig, die im öffentlichen Interesse liegen. Es sei Aufgabe der Gemeinde, das öffentliche Interesse zu bestimmen und Auflagen und Projektänderungen zum Schutz der Nachbarschaft zu verlangen.
9
5.2 Der Immissionsschutz ist bundesrechtlich im USG und den darauf gestützten Verordnungen geregelt. Für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung, die beim Betrieb ortsfester Anlagen erzeugt wird, hat der Bundesrat die Verordnung vom 23. Dezember 1999 über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710) erlassen; diese Verordnung regelt insbesondere auch die Immissionen von Mobilfunksendeanlagen (vgl. Ziff. 6 Anh. 1 NISV). Diese Regelung ist abschliessend, und zwar nicht nur hinsichtlich des Schutzes vor schädlicher und lästiger Strahlung, sondern auch im Bereich des vorsorglichen Immissionsschutzes (vgl. BGE 126 II 399 E. 3c S. 403). Für das kommunale und kantonale Recht bleibt deshalb kein Raum (so auch BENJAMIN WITTWER, Bewilligung von Mobilfunkanlagen, Diss. Zürich 2006, S. 10 und 91 f.; ARNOLD MARTI, Urteilsanmerkung, ZBl 107/2006 S. 213). Insofern findet die kantonale Regelung zum Immissionsschutz in Art. 20 BauG keine Anwendung. Die Gemeinde kann gestützt auf diese Bestimmung keine Auflagen oder Bedingungen verfügen, die über die Anforderungen der NISV hinausgehen.
10
BGE 133 II, 64 (67)5.3 Dies bedeutet nicht, dass die Gemeinde keinerlei Möglichkeiten hätte, auf die Standorte von Mobilfunkanlagen Einfluss zu nehmen: Im Rahmen ihrer bau- und planungsrechtlichen Zuständigkeiten ist sie grundsätzlich befugt, Bau- und Zonenvorschriften in Bezug auf Mobilfunksendeanlagen zu erlassen, sofern sie die bundesrechtlichen Schranken, die sich insbesondere aus dem Bundesumwelt- und -fernmelderecht ergeben, beachtet (so schon Urteil 1A.280/2004 vom 27. Oktober 2005, E. 3.7.3, publ. in: ZBl 107/2006 S. 207). Ausgeschlossen sind nach dem oben (E. 5.2) Gesagten bau- oder planungsrechtliche Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung vor nichtionisierender Strahlung. Überdies dürfen die kommunalen Vorschriften nicht die in der Fernmeldegesetzgebung konkretisierten öffentlichen Interessen verletzen, d.h. sie müssen den Interessen an einer qualitativ guten Mobilfunkversorgung und an einem funktionierenden Wettbewerb zwischen den Mobilfunkanbietern Rechnung tragen (vgl. Art. 1 des Fernmeldegesetzes vom 30. April 1997 [FMG; SR 784.10]).
11
Werden die Zielsetzungen der Fernmeldegesetzgebung eingehalten, so sind ortsplanerische Bestimmungen, die anderen als umweltschutzrechtlichen Interessen dienen, wie z.B. der Wahrung des Charakters oder der Wohnqualität eines Quartiers, grundsätzlich möglich (vgl. dazu WITTWER, a.a.O., S. 97 f.; MARTI, a.a.O., S. 213). In der Regel wird es sich dabei um Negativplanungen handeln, d.h. um Zonenvorschriften, die Mobilfunkanlagen in bestimmten Zonen grundsätzlich ausschliessen. Denkbar sind aber auch positive Planungen, die besondere Zonen für Mobilfunksendeanlagen ausweisen, sofern es sich um Standorte handelt, die sich besonders gut eignen und eine genügende Versorgung durch alle Mobilfunkanbieter ermöglichen. Der Konzentration von Sendestandorten innerhalb des Siedlungsgebiets werden allerdings durch die Anlagegrenzwerte der NISV enge Grenzen gesetzt (vgl. Ziff. 62 Abs. 1 Anh. 1 NISV, wonach alle Mobilfunksendeantennen, die in einem engen räumlichen Zusammenhang stehen, als eine Anlage gelten und gemeinsam den Anlagegrenzwert einhalten müssen).
12
13
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).