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Informationen zum Dokument  BGE 114 III 83  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Nach Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde handelt e ...
3. Die Vorinstanz hat im Hinblick auf Art. 91 ff. SchKG mit Recht ...
4. Wenn die Vorinstanz den Betrag zur freien Verfügung gem&a ...
5. Indessen ist bereits im Hinblick auf Art. 93 SchKG eine Beschr ...
6. Eine weitere Beschränkung der Pfändbarkeit einzelner ...
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25. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 18. Oktober 1988 i.S. S. (Rekurs)
 
 
Regeste
 
Pfändung des der Ehefrau nach Art. 164 ZGB zustehenden Betrages zur freien Verfügung.  
 
Sachverhalt
 
BGE 114 III, 83 (84)In den gegen D. S. eingeleiteten Betreibungen pfändete das Betreibungsamt monatlich den Betrag von Fr. 120.-- mit der Begründung, die Schuldnerin könne eine solche Leistung gestützt auf Art. 164 ZGB von ihrem Ehemann beanspruchen.
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Die Schuldnerin focht diese Pfändung mit einer Beschwerde bei der unteren kantonalen Aufsichtsbehörde über die Schuldbetreibung an. Der Gerichtspräsident wies die Beschwerde mit Verfügung vom 29. Juni 1988 ab. D. S. zog diese Verfügung an die Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau als kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs weiter. Diese wies die Beschwerde am 17. August 1988 ebenfalls ab.
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D. S. und ihr Ehemann, dieser in eigenem Namen und als Bevollmächtigter seiner Ehefrau, führen Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragen sinngemäss die Aufhebung des Entscheids der kantonalen Aufsichtsbehörde sowie der Pfändung.
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Das Bundesgericht heisst den Rekurs gut, soweit darauf einzutreten ist, und hebt den angefochtenen Entscheid auf. Es weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen:
 
2. Nach Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde handelt es sich beim Betrag, den ein Ehegatte dem andern Gatten, der den Haushalt besorgt, die Kinder betreut oder im Beruf oder Gewerbe mitarbeitet, gestützt auf Art. 164 ZGB zur freien Verfügung auszurichten hat, um einen unabdingbaren Anspruch, auf den der berechtigte Ehegatte nicht verzichten kann. Die Vorinstanz führte dazu aus, dieser Anspruch bilde nicht etwa Teil des ehelichen Unterhalts, sondern sei eine dem haushaltführenden Ehegatten persönlich zustehende Forderung. Auf dieses Einkommen müssten die Gläubiger des anspruchsberechtigten Ehegatten unabhängig von der Art der Schulden, für welche sie diesen Gatten belangen, greifen können. Es könnten daher auch für voreheliche Schulden konkrete zukünftige Ansprüche eines Ehegatten nach Art. 164 ZGB gepfändet werden.
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3. Die Vorinstanz hat im Hinblick auf Art. 91 ff. SchKG mit Recht geprüft, ob der Anspruch gemäss Art. 164 ZGB nach seinem Charakter und seiner Zwecksetzung familienrechtlicher BGE 114 III, 83 (85)Natur sei, um die Frage nach seiner Pfändbarkeit zu beantworten. Indessen erregt die Annahme der kantonalen Aufsichtsbehörde, der Betrag zur freien Verfügung im Sinne von Art. 164 ZGB sei nicht dem ehelichen Unterhalt zuzuordnen, schon insofern Bedenken, als diese Bestimmung im Gesetz zusammen mit Art. 163 und 165 ZGB unter dem Marginale "Unterhalt der Familie" steht.
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a) Der Unterhalt der Familie erstreckt sich auf den gesamten Lebensbedarf der Ehegatten und ihrer im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder. Dieser Lebensbedarf umfasst nicht nur die gemeinsamen Haushaltskosten für alle Familienangehörigen, namentlich die Kosten der Grundbedürfnisse Nahrung, Wohnung und Kleidung, sondern er schliesst neben weiteren gemeinsamen Bedürfnissen auch einen gewissen persönlichen Bereich der Familienmitglieder ein. Die Befriedigung dieser persönlichen Bedürfnisse erfolgt nicht auf gemeinsame Absprache hin, und die beiden Ehegatten sowie weitere Familienangehörige haben der Gemeinschaft darüber keine Rechenschaft abzulegen (DESCHENAUX/STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, S. 54 ff.; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, N. 8 ff. zu Art. 163 und N. 10 ff. zu Art. 159 ZGB). Ein solcher vom ehelichen Unterhalt erfasster persönlicher Bereich war in der Form eines Taschengeldes bzw. des Nadelgeldes für den zur Haushaltführung verpflichteten Ehegatten, d.h. für die Ehefrau, schon im bisherigen Recht anerkannt (LEMP, N. 27 zu Art. 160 aZGB). Obwohl Art. 163 ZGB im Gegensatz zum bundesrätlichen Entwurf vom 11. Juli 1979 nicht mehr ausdrücklich von persönlichen Bedürfnissen spricht, lassen die Materialien keinen Zweifel daran, dass mit der Streichung dieses Ausdrucks durch die eidgenössischen Räte keine materiellrechtliche Änderung eintreten sollte (Amtl.Bull. SR 1981, 76). Im Unterhalt im Sinne von Art. 163 ZGB ist daher auch weiterhin die Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und weiterer Familienmitglieder eingeschlossen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 4 und 10 zu Art. 163 ZGB).
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b) Wo es die Verhältnisse der Ehegatten erlauben, erweitert Art. 164 ZGB für den haushaltführenden, kinderbetreuenden oder im Beruf oder Gewerbe mitarbeitenden Ehegatten den Bereich der persönlichen Bedürfnisse über den Anspruch auf ein blosses Taschengeld hinaus auf einen angemessenen Betrag zur freien Verfügung. Damit sollen weitere persönliche Bedürfnisse gedeckt oder aber die Taschengeldbedürfnisse in aufwendigerer Art befriedigt werden können (DESCHENAUX/STEINAUER, a.a.O., S. 64; BGE 114 III, 83 (86)HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 8 f. zu Art. 164 ZGB). Ist aber ein Anspruch nach Art. 164 ZGB begründet, erfasst er auch das Taschengeld des Art. 163 ZGB (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 10 zu Art. 163 ZGB). Was im Rahmen von Art. 163 ZGB zweifelsfrei zum Unterhalt gehört, kann als Gegenstand von Art. 164 ZGB nicht dem Unterhalt entzogen werden. Entgegen HEGNAUER, Grundriss des Eherechts, 2. Aufl., Rz. 16.47 f., ist daher der Betrag zur freien Verfügung als besonderer Teil des ehelichen Unterhalts zu betrachten (Amtl.Bull. NR 1983, 651; DESCHENAUX/STEINAUER, a.a.O., S. 64; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 9 zu Art. 164 ZGB). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass in Art. 173 ZGB zwischen dem Geldbeitrag gemäss Art. 163 und dem Betrag zur freien Verfügung nach Art. 164 ZGB unterschieden wird und nur in Absatz 1 vom Geldbeitrag an den Unterhalt der Familie die Rede ist.
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4. Wenn die Vorinstanz den Betrag zur freien Verfügung gemäss Art. 164 ZGB mit Recht als unabdingbaren Anspruch und somit als solchen zwingender Natur bezeichnet, so ist damit offensichtlich das unverzichtbare Stammrecht gemeint, das dem haushaltführenden, kinderbetreuenden oder im Gewerbe oder Beruf des andern mitarbeitenden Ehegatten von Gesetzes wegen zusteht. Auf diesen Anspruch zum voraus zu verzichten, ist unzulässig, dagegen ist ein nachträglicher Verzicht auf eine konkrete einzelne Leistung nicht auszuschliessen (REUSSER, Das neue Eherecht und seine Berührungspunkte mit dem SchKG, BlSchKG 1987 S. 88; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 32 zu Art. 164 und N. 21 der Vorbemerkungen zu Art. 159 ff. ZGB). Da auf das Stammrecht nicht verzichtet werden kann, muss dieses auch unpfändbar sein.
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Zu prüfen bleibt, ob die einzelne konkrete Leistung gemäss Art. 164 ZGB als bestrittene Forderung gepfändet werden kann, wie das von der kantonalen Aufsichtsbehörde bejaht worden ist. In BGE 114 III 82 E. 2 hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Pfändbarkeit solcher einzelner Leistungen nicht grundsätzlich zu verneinen ist (anderer Meinung SCHWAGER, in Das neue Eherecht, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, Bd. 26 S. 247). Der Anspruch nach Art. 164 ZGB ist zwar wie der aufgrund von Art. 163 ZGB zu leistende Geldbetrag zweckgebunden, indessen ist nicht zu übersehen, dass der Betrag zur freien Verfügung den Kredit des anspruchsberechtigten Ehegatten erhöht. Darauf sollen sich seine Gläubiger grundsätzlich verlassen BGE 114 III, 83 (87)dürfen. Der Vorinstanz ist daher zuzustimmen, wenn sie den Gläubigern dieses Ehegatten nicht jeden Zugriff auf eine Forderung aufgrund von Art. 164 ZGB verwehrt (gleicher Meinung ist ISAAK MEIER, Neues Eherecht und Schuldbetreibungsrecht, S. 101, allerdings finden sich gegenteilige Ausführungen zu Art. 163 ZGB auf S. 98 ff.; nur dem Grundsatze nach wird die Pfändbarkeit der konkreten einzelnen Leistung auch bejaht von REUSSER, a.a.O., S. 88, und von HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 37 zu Art. 164 ZGB; gegenteiliger Meinung ist SCHWAGER, a.a.O., S. 247).
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6. Eine weitere Beschränkung der Pfändbarkeit einzelner Leistungen im Sinne von Art. 164 ZGB ergibt sich sodann aus dem Zweck der Forderung, die von Gesetzes wegen auf die Befriedigung erweiterter persönlicher Bedürfnisse des anspruchsberechtigten Ehegatten ausgerichtet ist. Zwar trifft es zu, dass dieser Ehegatte die Leistungen im Rahmen von Art. 164 ZGB nicht zweckentsprechend verwenden muss, sondern damit auch Errungenschaftsvermögen äufnen kann (Botschaft Ziff. 214.2; DESCHENAUX/STEINAUER, a.a.O., S. 272; HEGNAUER, a.a.O., Rz. 16.49; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 40 zu Art. 164 ZGB). Inwiefern diese gesparten Vermögenswerte nicht unbeschränkt pfändbar sein sollen, ist nicht ersichtlich. Doch darf daraus nicht der Schluss gezogen werden, eine Pfändung künftiger einzelner Leistungen gemäss Art. 164 ZGB sei auch zulässig, wenn der Pfändung Schulden zugrunde liegen, welche diese Leistungen ihrem gesetzlichen Zweck entfremden würden. Das ist jedoch eindeutig der Fall, wenn die Pfändung solcher künftiger Forderungen eines Ehegatten der Begleichung vorehelicher Schulden dienen BGE 114 III, 83 (88)soll. Die Leistungen nach Art. 164 ZGB sollen vielmehr dem anspruchsberechtigten Ehegatten für seine Bedürfnisse während der Ehe zur Verfügung stehen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 37 zu Art. 164 ZGB).
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Soweit die kantonale Aufsichtsbehörde die Ansprüche nach Art. 164 ZGB ganz generell als pfändbar erklärt hat, kann ihr aus den dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Sollte die Behauptung der Rekurrentin, die angefochtene Pfändung habe der Deckung vorehelicher Schulden gedient, zutreffen, wäre diese unzulässig. Da die Vorinstanz hierüber keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, muss sie diesen Einwand noch abklären. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückzuweisen.
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