VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 121 III 488  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Das Handelsgericht hat im angefochtenen Entscheid auf den Besc ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
94. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. November 1995 i.S. S. AG gegen I. AG (Berufung)
 
 
Regeste
 
Art. 260 SchKG; Abtretung an mehrere Gläubiger.  
 
Sachverhalt
 
BGE 121 III, 488 (489)Die S. AG (im folgenden Klägerin) gelangte am 28. März 1994 mit Klageschrift und Weisung an das Handelsgericht des Kantons Zürich und beantragte, die I. AG Basel (im folgenden Beklagte) sei zu verpflichten, ihr 200 Namenaktien der M. AG herauszugeben. Sie begründete ihr Begehren im wesentlichen damit, die Beklagte habe die Aktien am 1. Dezember 1987 von F. zur Hinterlegung erhalten; der Kaufvertrag vom selben Tag sei nur simuliert gewesen. Im Konkurs von F. habe das Konkursamt D. ein Aktivum "Anfechtung des Verkaufs von 200 Aktien der M. AG" ins Inventar aufgenommen. Dieser Anspruch sei am 16. August 1988 von der Konkursmasse F. an die Masse der inzwischen ebenfalls konkursiten O. AG abgetreten worden. Die Klägerin belegte, dass ihr dieser Anspruch am 1. April 1993 gemäss Art. 260 SchKG abgetreten worden war und bemerkte, neben ihr seien noch dreizehn weitere Gläubiger zur gerichtlichen Geltendmachung ermächtigt worden. Sie hielt ihre Aktivlegitimation dadurch jedoch in keiner Weise in Frage gestellt, da bis anhin noch keiner der weiteren Gläubiger gerichtlich tätig geworden sei und die anderen Abtretungsgläubiger dem klägerischen Prozess allenfalls beizutreten hätten.
1
Das Handelsgericht des Kantons Zürich trat mit Entscheid vom 12. Juni 1995 auf die Klage nicht ein, nachdem es der Klägerin mit Beschluss vom 24. August 1994 Frist angesetzt hatte, entweder eine Verzichtserklärung der andern elf Gläubigerinnen - die inzwischen ebenfalls Klage eingereicht hatten - oder eine Erklärung dieser elf Klägerinnen sowie der Beklagten beizubringen, dass sie zum Beitritt im Prozess bereit bzw. mit dem entsprechenden Parteiwechsel einverstanden seien. Zur Begründung hatte das BGE 121 III, 488 (490)Handelsgericht im Beschluss vom 24. August 1994 ausgeführt, die prozesswillige Abtretungsgläubigerin könne im Fall einer mehrfachen Abtretung den Prozess nur zusammen mit den andern Abtretungsgläubigerinnen führen, soweit diese den Anspruch ebenfalls gerichtlich geltend machen wollten; zur selbständigen Prozessführung hingegen sei sie nicht legitimiert. Da der Zwang zur Koordination zur Abtretungsbedingung gemacht worden sei, fehle der Klägerin mangels Einhaltung dieser Bedingung das Prozessführungsrecht.
2
Mit Berufung vom 20. Juli 1995 stellt die Klägerin den Antrag, die Ziffern 1 bis 4 des Beschlusses des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Juni 1995 aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf die von der Klägerschaft am 28. März 1994 erhobene Klage auf Herausgabe von 200 Namenaktien der "M. AG", Pfäffikon SZ, je à nom. Fr. 1'000.-- einzutreten.
3
Das Handelsgericht des Kantons Zürich hält in der Vernehmlassung an seiner Rechtsauffassung fest. Die Beklagte enthält sich in ihrer Antwort eines Antrages zum materiellen Teil des Berufungsbegehrens, verwahrt sich gegen die von der Klägerin beantragte Kosten- und Entschädigungsfolge und schliesst sich in der Begründung der Ansicht der Vorinstanz an.
4
 
Aus den Erwägungen:
 
5
Nach Art. 260 Abs. 1 SchKG ist jeder Gläubiger berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet. Das Ergebnis dient nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen derjenigen Gläubiger, an welche die Abtretung stattgefunden hat, nach dem unter ihnen bestehenden Rang. Der Überschuss ist an die Masse abzuliefern (Abs. 2). Das obligatorische Formular 7F betreffend die Abtretung sieht namentlich vor, dass die Gläubiger gemeinsam vorgehen müssen, wenn derselbe Anspruch an mehrere unter ihnen abgetreten worden ist. Ziffer 5 bestimmt: "Sind hinsichtlich BGE 121 III, 488 (491)der gleichen Massarechte mehrere Abtretungen an verschiedene Gläubiger erfolgt, so haben letztere in einem allfälligen Prozessverfahren als Streitgenossen aufzutreten und werden die auf jeden entfallenden Anteile am Erlös von der Konkursverwaltung in einer nach Eingang des Berichts über das Resultat der Geltendmachung der Ansprüche zu erstellenden Verteilungsliste bestimmt" (vgl. FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, Zürich 1993, S. 353 N 38). Die Verpflichtung zu gemeinsamem Vorgehen trifft dabei freilich nur diejenigen Gläubiger, welche tatsächlich von der Abtretung Gebrauch machen und gerichtlich vorgehen wollen (BGE 121 III 291 E. 3a mit Verweisen auf die einhellige Lehre; vgl. auch den in der amtlichen Sammlung nicht veröffentlichten Entscheid des Bundesgerichts vom 3. September 1993 i.S. M./B., E. 3b, publiziert in SJ 1994 S. 62). Ob dagegen die Mehrzahl der prozesswilligen Gläubiger, denen derselbe Anspruch nach Art. 260 SchKG abgetreten wird, unter sich eine notwendige Streitgenossenschaft bilden oder nur eine einfache, ist in der Lehre umstritten und wurde in der Rechtsprechung bislang offengelassen (BGE 121 III 291 E. 3a S. 295, BGE 107 III 91 E. 3c S. 96).
6
a) Die Streitgenossenschaft ist eine notwendige, wenn mehrere Personen Rechte nur gemeinsam geltend machen oder wenn Rechte ihnen gegenüber nur als Gesamtheit geltend gemacht werden können bzw. wenn mehrere Personen an einem Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass für alle Beteiligten nur im gleichen Sinn entschieden werden kann; in diesem Fall können sie auch im Prozess nur gemeinsam als Partei auftreten; ob dies zutrifft, ergibt sich aus dem materiellen Recht (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 296, VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1995, S. 138, HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl., Basel 1990, S. 153, STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Zürich 1982, N 1 zu § 39, LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 4. Aufl., Bern 1995, N 1a und N 2a zu Art. 36, M.-F. SCHAAD, La consorité en procédure civile, Diss. NE 1993, S. 42). Ob sich aus Art. 260 SchKG in gleicher Weise wie aus gewissen Vorschriften des materiellen Bundesrechts eine notwendige Streitgenossenschaft derjenigen Abtretungsgläubiger ergibt, die den abgetretenen Anspruch gerichtlich geltend machen wollen, ist im vorliegenden Fall zu entscheiden. Denn nur unter der Voraussetzung einer notwendigen Streitgenossenschaft durfte die Vorinstanz der Klägerin ohne BGE 121 III, 488 (492)Verletzung von Bundesrecht verwehren, den Prozess unabhängig von den übrigen prozesswilligen Abtretungsgläubigerinnen zu führen.
7
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts handelt es sich bei der Abtretung nach Art. 260 SchKG um ein betreibungs- und prozessrechtliches Institut sui generis (BGE 113 III 135 E. 3a; BGE 109 III 27 E. 1a S. 29). VOGEL (a.a.O., 5. Kap. N 40, S. 136) bezeichnet sie als eine Form der Prozessstandschaft. Die Abtretungsgläubiger handeln zwar im Prozess in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko, werden durch die Abtretung indes nicht Träger des abgetretenen Anspruchs; abgetreten wird ihnen nur das Prozessführungsrecht der Masse (FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., S. 344 N 21, GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3. Aufl. Lausanne 1993, S. 348). Dass sie denselben, einheitlichen Anspruch geltend machen, spricht im Grundsatz dafür, sie auch zu einem einheitlichen prozessualen Verhalten im Sinn einer notwendigen Streitgenossenschaft zu verpflichten, wie dies die Vorinstanz mit einem Teil der Doktrin vertritt (GILLIÉRON, a.a.O., S. 350 und JdT 1983 II S. 124/125, LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, a.a.O., N 1d, 2a zu Art. 36, GULDENER, a.a.O., S. 297 lit. 1e). Denn mit dem Institut der Abtretung nach Art. 260 SchKG geht es nicht nur darum, widersprechende Urteile zu vermeiden (BGE 121 III 291 E. 3a); vielmehr muss die beklagte Partei sich auch nicht auf einen Prozess eines einzelnen Abtretungsgläubigers einlassen, nachdem jeder die gesamte abgetretene Forderung einklagen und der Beklagte mit befreiender Wirkung nur an sämtliche prozessführenden Gläubiger leisten kann (GILLIÉRON, JdT 1983 II S. 125). Diesen Anforderungen haben jedoch kantonale Gerichte zum Teil dadurch Rechnung getragen, dass sie auf Begehren der beklagten Partei oder von Amtes wegen auch bei Ablehnung der Notwendigkeit einer Streitgenossenschaft die Prozesse vereinigt haben (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. April 1953, ZR 52/1953 Nr. 149 S. 250/51, Urteil des Amtsgerichts Luzern-Stadt vom 10. Oktober 1989 in LGVE 1989 I Nr. 16 S. 38, vgl. auch STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N 2 und 3 zu § 40).
8
c) Art. 260 SchKG belässt jedem Abtretungsgläubiger nicht nur das Recht, von der Klageeinleitung überhaupt abzusehen; vielmehr ist ihm auch freigestellt, einen aussergerichtlichen oder gerichtlichen Vergleich abzuschliessen oder aber eine eingeleitete Klage wieder zurückzuziehen (BGE 105 III 135 E. 3 S. 138 mit Verweis). Das Bundesgericht hat denn auch betont, selbst wenn es sich bei der Abtretung nach Art. 260 SchKG um eine BGE 121 III, 488 (493)notwendige Streitgenossenschaft handeln würde, bildeten die Streitgenossen kein unteilbares Ganzes. Keiner von ihnen werde an der prozessualen Durchsetzung seines Rechtes gehindert; auch bei der Annahme, es liege eine notwendige Streitgenossenschaft vor, könne der einzelne von den übrigen Gläubigern unabhängige - selbst widersprechende - Vorbringen geltend machen und sich durch einen eigenen Anwalt vertreten lassen (BGE 121 III 291 E. 3a S. 294; BGE 107 III 91 E. 3c S. 96). In diesem Sinn gebietet Art. 260 SchKG somit im Unterschied zu gewissen, eine notwendige Streitgenossenschaft begründenden Normen des materiellen Bundesrechtes nicht, dass sämtliche gemeinsam Berechtigte den Prozess einleiten, führen und übereinstimmend handeln (VOGEL, a.a.O. 5. Kap. N 58 S. 141). In der Lehre wird denn auch von einer uneigentlichen notwendigen Streitgenossenschaft (FRITZSCHE/WALDER; a.a.O., S. 355 N 43 Fn. 75; HABSCHEID, a.a.O. S. 154 N 284) bzw. von einer bedingten notwendigen Streitgenossenschaft (SCHAAD, a.a.O., S. 372) gesprochen.
9
d) Art. 260 SchKG verlangt indes, dass der Richter über einen Anspruch der Masse auch dann in einem einzigen Urteil entscheidet, wenn die Prozessführungsbefugnis über diesen Anspruch an mehrere Gläubiger abgetreten wurde. Nur unter dieser Voraussetzung ist gewährleistet, dass das Ergebnis nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen der prozessführenden Abtretungsgläubiger entsprechend ihrem Rang verwendet werden kann, wie es Art. 260 Abs. 2 SchKG vorschreibt. Das Anliegen, widersprechende Urteile über denselben Anspruch zu vermeiden, - das namentlich dann unabdingbar ist und nicht nur im Interesse des Beklagten liegt, wenn wie im vorliegenden Fall ein Anspruch auf Herausgabe einer bestimmten Sache oder Sachgesamtheit Gegenstand der Abtretung bzw. der prozessualen Geltendmachung durch die Gläubiger bildet - könnte zwar auch durch die Grundsätze der materiellen Rechtskraft und der Litispendenz gewahrt werden. Damit wäre jedoch dem Prinzip der Gleichbehandlung nicht Rechnung getragen. Die Gläubiger, welche sich einen Anspruch abtreten lassen und diesen mittels Klage durchsetzen wollen, haben sich daher abzusprechen, wie es Ziffer 5 des Formulars verlangt. Sie bilden in dem Sinn eine notwendige Streitgenossenschaft, als der Richter die Klage eines einzelnen oder einzelner Gläubiger nicht beurteilen darf, solange nicht feststeht, dass kein anderer mehr klagen kann. Sofern der mit der Klage einzelner Gläubiger befasste Richter zur Beurteilung des abgetretenen Anspruchs ausschliesslich zuständig ist, erscheint es zwar bundesrechtlich BGE 121 III, 488 (494)nicht als ausgeschlossen, verschiedene Klagen zu vereinigen und den bundesrechtlichen Anforderungen auf diese Weise Rechnung zu tragen (BGE 107 III 91 E. 3c S. 96, LGVE 1989 Nr. 16, STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N 2 und 3 zu § 40). Stehen jedoch verschiedene Gerichtsstände zur Verfügung oder vermögen sich die prozesswilligen Abtretungsgläubiger auf ein prozessual abgestimmtes Vorgehen nicht zu einigen, so ist es Sache des Konkursamtes, auf entsprechendes Begehren eines Gläubigers die erforderlichen Weisungen zu erteilen, um ein gemeinsames prozessuales Vorgehen sicherzustellen.
10
e) Der Richter ist somit von Bundesrechts wegen nicht verpflichtet, die Klage bloss einzelner prozesswilliger Abtretungsgläubiger zu behandeln, und ist überdies auch nicht berechtigt, auf einzelne Klagen einzutreten, wenn z.B. wegen verschiedener möglicher Gerichtsstände die Klagen sämtlicher Gläubiger nicht vereinigt werden können. Besteht die Möglichkeit, alle Klagen in einem einheitlichen Verfahren zu vereinigen, so ist es Sache des kantonalen Prozessrechts, zu bestimmen, in welchem Zeitpunkt und auf welche Weise dies zu geschehen hat. Das Bundesrecht hingegen schreibt vor, dass sämtliche Klagen im selben Verfahren beurteilt werden und dass über den einheitlichen Anspruch, der Gegenstand der mit der Abtretung verliehenen Prozessführungsbefugnis bildet, ein einheitliches Urteil ergeht. In diesem Sinn ist die Streitgenossenschaft der Abtretungsgläubiger eine notwendige. Eine einheitliche Prozessführung darf indes von den Gläubigern nicht verlangt werden. Auch wenn sie nach dem massgebenden kantonalen Recht die Verfahrensregeln der notwendigen Streitgenossenschaft zu beachten haben, muss ihnen daher vorbehalten bleiben, unabhängig von den andern Klägern Tatsachenbehauptungen aufzustellen, ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten und auf eine Weiterführung des Prozesses zu verzichten, ohne dass dies den Rechtsverlust für die übrigen Gläubiger zur Folge hätte.
11
f) Im vorliegenden Fall ist die Vorinstanz auf die Klage nicht eingetreten, weil weitere elf Gläubigerinnen denselben Anspruch ebenfalls eingeklagt haben. Sie hat auf den Beschluss vom 24. August 1994 verwiesen und es damit aus Gründen des kantonalen Prozessrechts als unmöglich bezeichnet, die Verfahren im aktuellen Stadium der Prozesse zu vereinigen, was der Überprüfung durch das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren nicht zugänglich ist (Art. 43 OG). Mit der Auffassung, sämtliche prozesswilligen Gläubigerinnen seien nach Art. 260 SchKG notwendigerweise zu einer BGE 121 III, 488 (495)Streitgenossenschaft verpflichtet, wenn sie den identischen Anspruch der Masse einklagen wollen, hat die Vorinstanz demnach die massgebliche Norm des Bundesrechts zutreffend ausgelegt. Dies führt zur Abweisung der Berufung.
12
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).