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Informationen zum Dokument  BGE 122 III 308  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. a) Gemäss Art. 154 Abs. 2 ZGB haben geschiedene Ehegatten ...
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56. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Juni 1996 i.S. X. gegen Y. (Berufung)
 
 
Regeste
 
Art. 154 Abs. 2 ZGB; während des Scheidungsverfahrens abgeschlossener Erbvertrag.  
 
Sachverhalt
 
BGE 122 III, 308 (309)Q. hatte am 21. Mai 1965 mit seiner damaligen Ehefrau Y. einen Erbvertrag abgeschlossen. Danach verpflichtete er sich, Y. - vorbehältlich ihrer späteren Wiederverheiratung oder ihres Vorversterbens - 12,5% seines Nachlasses als Erbanteil zu hinterlassen. Inhaltlich entsprach der Erbvertrag dem, was in der gerichtlich genehmigten Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung vom 22. April 1965 abgemacht worden war. Der Erbvertrag sollte vom Tage der Rechtskraft des Scheidungsurteils an gelten. Am 21. März 1985 errichtete Q. eine öffentliche letztwillige Verfügung, nach der Y. Erbansprüche im Umfang von 12,5% seines Nachlasses gemäss dem Erbvertrag hat.
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Q. verstarb am 14. Januar 1990. Er hinterliess als gesetzliche Erben seine (zweite) Ehefrau Z. und vier Töchter.
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Die Tochter X. begehrte mit Klage vom 5. April 1993 vorfrageweise festzustellen, dass Y. nicht erbberechtigt sei und demzufolge aus der Erbteilung keinerlei Ansprüche habe. Das Bezirksgericht Meilen wies mit Teilurteil vom 9. Juni 1994, das Obergericht des Kantons Zürich auf Berufung der Klägerin mit Urteil vom 11. Dezember 1995 das Feststellungsbegehren ab.
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Die Klägerin beantragt dem Bundesgericht, es sei vorfrageweise festzustellen, dass Y. keine Erbenqualität zukomme und sie demzufolge aus der Nachlassteilung keine Ansprüche habe.
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Aus den Erwägungen:
 
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BGE 122 III, 308 (310)Das Obergericht gelangt zum Schluss, diese Bestimmung sei nicht zwingender Natur. Ehegatten, die im Bewusstsein eines eventuellen Scheidungsfalles eine Verfügung von Todes wegen errichteten, indem sie beispielsweise ausdrücklich feststellten, die Begünstigung des anderen Ehegatten solle über eine allfällige Scheidung hinaus Gültigkeit haben, benötigten den Schutz dieser Bestimmung nicht; denn durch diese Verfügung hätten sie einen anderen als den vom Gesetz vermuteten Willen, nämlich jenen, dass die Verfügung auch nach erfolgter Scheidung weiterhin gelten solle, zum Ausdruck gebracht.
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Die Klägerin hält diese Auslegung für bundesrechtswidrig. Art. 154 Abs. 2 ZGB wolle erreichen, dass mit der Ehescheidung sämtliche rechtlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten als solche aufgelöst würden. Dadurch helfe diese Bestimmung künftige Komplikationen erbrechtlicher Natur zu vermeiden und könne daher nicht dispositives Recht darstellen. Der Einwand der Klägerin ist trotz des öffentlichen Testamentes vom 21. März 1985 zu prüfen, da sie im kantonalen Verfahren auch die Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung behauptet hat, weil darin auf den Erbvertrag verwiesen werde.
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b) Das Gesetz muss grundsätzlich aus sich selbst, d.h. nach seinem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen ausgelegt werden. Bei der Auslegung der einzelnen Bestimmung ist weiter deren Bedeutungszusammenhang zu berücksichtigen (BGE 120 II 112 E. 3, mit Hinweisen).
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aa) Aus dem Wortlaut von Art. 154 Abs. 2 ZGB ergibt sich für den Entscheid, ob die Bestimmung zwingender oder dispositiver Natur ist, überhaupt nichts. Auch in den Gesetzesmaterialien wird dazu nichts gesagt; von Interesse ist immerhin (siehe auch E. 2b/ff hinten), dass die Expertenkommission auf das System des deutschen Rechts hingewiesen und die Aufnahme eines Vorbehaltes im Sinne von § 2077 Abs. 3 DBGB erwogen hatte (Protokoll der Expertenkommission 1900-1901 I S. 150 und 151). In einer Hinsicht ist Art. 154 Abs. 2 ZGB klar: massgeblicher Zeitpunkt für den Wegfall des gesetzlichen Erbrechts der Ehegatten wie für die Auswahl jener Verfügungen von Todes wegen, aus denen keine Ansprüche mehr sollen erhoben werden können, ist der Zeitpunkt der Scheidung, d.h. jener, in welchem das Scheidungsurteil rechtskräftig wird (CURTI-FORRER, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Zürich 1911, N. 16 zu Art. 154 ZGB; A. EGGER, Zürcher Kommentar, 1914, N. 4c zu Art. 154 ZGB; GMÜR, Berner Kommentar, 2. Aufl. BGE 122 III, 308 (311)1923, N. 19 zu Art. 154 ZGB; BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, Ergänzungsband, N. 80 zu Art. 154 ZGB; TUOR/SCHNYDER/SCHMID, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, 11. Aufl. 1995, S. 181); erst dann sind die Ehegatten geschieden. Soll insoweit zwischen den beiden Kategorien erlöschender Ansprüche nicht ein unüberbrückbarer Widerspruch entstehen - für eine unterschiedliche Ordnung fehlen jegliche Anhaltspunkte - ist es ausgeschlossen, "bei" der Scheidung errichtete letztwillige Verfügungen von Art. 154 Abs. 2 ZGB auszunehmen, wie BREITSCHMID es befürwortet (AJP 1993 II, S. 1448/A/4.). Dass das Marginale von Art. 154 ZGB mit "Bei Scheidung" überschrieben ist, steht dem nicht entgegen, lautet doch jenes von Art. 155 ZGB ebenso "Bei Trennung", obgleich auch dort der entscheidende Zeitpunkt eindeutig jener der Trennung, d.h. der Rechtskraft des Trennungsurteils ist. Für sämtliche vor der Scheidung errichteten letztwilligen Verfügungen von Todes wegen muss demnach die gleiche, einheitliche Ordnung gelten, also auch für jene, die nicht ausserhalb, sondern erst im Zuge eines Scheidungsverfahrens entstanden sind.
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bb) Dass geschiedene Ehegatten zueinander kein gesetzliches Erbrecht haben, ergibt sich bereits aus Art. 462 ZGB, da nach Auflösung der Ehe nicht mehr von einem überlebenden Ehegatten im Sinne dieser Bestimmung gesprochen werden kann. Das Dahinfallen vor der Scheidung getroffener individueller erbrechtlicher Anordnungen gründet auf der Vermutung, sie seien allein durch den Bestand der Ehe gerechtfertigt, also an den stillschweigenden Vorbehalt geknüpft, dass die Ehe im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch bestehe, so dass deren Auflösung durch Scheidung automatisch den Wegfall zur Folge haben müsse (BREITSCHMID, AJP 1993 II, S. 1447/II/2./b; DESCHENAUX/TERCIER/WERRO, Le mariage et le divorce, 4. Aufl., 1995, § 14 N. 670; HENRICI, ZSR 33/1914 S. 321). Ein anderer oder weiterer Grund wird in der Lehre nicht genannt. Die Ordnung von Art. 154 Abs. 2 ZGB stellt hinsichtlich der Verfügungen von Todes wegen demnach auf einen hypothetischen Willen des oder der Ehegatten ab, der in aller Regel vorhanden sein mag, indessen nicht notwendigerweise gegeben sein muss, sondern im Einzelfall auch gegenteilig sein kann. Er darf, wo wie im schweizerischen Recht grundsätzlich Vertragsfreiheit herrscht, insbesondere auch unter den Ehegatten (Art. 168 ZGB), und abgesehen vom Pflichtteil frei verfügt werden kann (Art. 470 f. ZGB), daher nicht präsumiert werden, wo er nachweislich nicht vorhanden ist. Die Auslegung rechtsgeschäftlicher Inhalte folgt denn auch, wenn nicht ausschliesslich, so doch in erster BGE 122 III, 308 (312)Linie dem Willensprinzip (Art. 18 OR; BGE 120 II 182 E. 2a, mit Hinweisen auf das Testament). Die Art. 154 ZGB als scheidungsrechtlicher Sondernorm zugrunde liegende Idee, den Ehegatten nach der Scheidung in vermögensrechtlicher Hinsicht möglichst eine Stellung einzuräumen, wie wenn die Ehe gar nicht eingegangen worden wäre (BGE 113 II 222 E. 7 zu Art. 154 aZGB), kommt in derartigen Fällen gerade nicht zum Tragen. Als solche gebietet auch sie den zwingenden Charakter keineswegs.
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Die Klägerin wendet nun allerdings ein, der Hinfall letztwilliger Verfügungen auch bei klarem gegenteiligem Willen des oder der Ehegatten rechtfertige sich, um die Gefahr zu bannen, dass der unter Scheidungsdruck stehende Ehegatte legal dazu gebracht werden könne, zusätzlich zu den vom Gesetz vorgesehenen scheidungsrechtlichen Leistungen erbrechtliche Konzessionen zu machen. Es ist jedoch nicht zu ersehen, weshalb diesem auch bei anderen Rechtsgeschäften vorhandenen Druck nicht mit den hiefür vom Gesetz vorgesehenen Rechtsbehelfen (Art. 18 ff. OR; Art. 469 ZGB) wirksam genug begegnet werden könnte und warum sich gerade nur im Falle der Scheidung der Anspruchsverlust als generelle, ausschliessliche und automatische Rechtsfolge aufdrängte. Das gilt für Fälle wie den vorliegenden um so mehr, als die Zuwendung eines Erbanteils durch Erbvertrag bereits in der Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung als Teil der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung - und zwar frei verfügbare Ansprüche betreffend - zugesichert und diese Vereinbarung richterlich genehmigt, also auf ihre rechtliche Zulässigkeit, Klarheit und sachliche Angemessenheit hin (BGE 121 III 393 E. 3c, BGE 119 II 297 E. 3b, je mit Hinweisen) geprüft worden ist. In Art. 151 Abs. 1 ZGB ist zudem die Möglichkeit vorgesehen, im Scheidungsfall entgangene Anwartschaften, zu denen auch Erbanwartschaften gehören (BGE 114 II 119 E. 2a), angemessen zu berücksichtigen. Was hindern könnte, sie als Erbanteil und durch Verfügung von Todes wegen festzulegen - das muss zwangsläufig vor der rechtskräftigen Scheidung erfolgen -, ist nicht einzusehen. Dass nach erfolgter Scheidung eine letztwillige Verfügung gleichen Inhalts wie jene vor der Scheidung getroffene rechtswirksam errichtet, sie also erneuert werden kann, ist denn auch unumstritten (BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 81 zu Art. 154 ZGB; A. EGGER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1936, N. 16 zu Art. 154 ZGB). Dann aber bleibt nicht zu rechtfertigen, dass die in der Regel richtige Vermutung des Gesetzgebers, es solle nach der Scheidung der andere Ehegatte BGE 122 III, 308 (313)nicht mehr begünstigt sein, eine gewollt anderslautende Anordnung ausschliessen soll.
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cc) Nach der am 1. Januar 1988 in Kraft getretenen neuen Fassung der Art. 159-251 ZGB sind u.a. bei Scheidung Vereinbarungen über die Änderung der gesetzlichen Beteiligung am Vorschlag und der gesetzlichen Teilung gültig, sofern dies der Ehevertrag ausdrücklich vorsieht (Art. 217 und 242 Abs. 3 ZGB). Unter den dahinfallenden Ansprüchen gemäss Art. 154 Abs. 3 aZGB figurieren seit der Revision jene aus Eheverträgen nicht mehr, obgleich ein Ehevertrag nicht nur die Auflösung des bisherigen Güterstandes zum Inhalt haben, sondern auch zukünftige Wirkungen vorsehen kann (BGE 113 II 222 E. 7 S. 226). Der Entwurf zur Änderung des Scheidungsrechts sieht in Art. 120 Abs. 2 vor, geschiedene Ehegatten hätten zueinander kein gesetzliches Erbrecht und könnten aus Verfügungen von Todes wegen, die sie vor der Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens, also nicht mehr wie bisher vor der Scheidung errichtet haben, keine Ansprüche erheben; ausschlaggebend sei die Erwägung, dass die Ehegatten nicht unter allen Umständen daran gehindert werden sollten, während des Scheidungsverfahrens eine Zuwendung für den Scheidungsfall vorzusehen (BBl 1996 I S. 206 und 96 Ziff. 233.2). Die Neuordnung wird also Fälle wie den vorliegenden ausnehmen.
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dd) Gemäss der Auslegungsregel von Art. 83 Abs. 2 VVG ist unter dem als Begünstigtem genannten Ehegatten der überlebende Ehegatte zu verstehen, so dass sich bei versicherungsrechtlichen Ansprüchen nach durchgeführter Scheidung bezüglich der Begünstigung die gleiche Rechtsfolge wie nach Art. 154 Abs. 2 ZGB ergäbe. Indessen kann gemäss Art. 77 Abs. 2 VVG die Begünstigung für unwiderruflich erklärt werden, und sie hat dann selbst im Scheidungsfall Bestand (DESCHENAUX/TERCIER/WERRO, a.a.O., § 14 N. 675). Das ist im vorliegenden Fall geschehen. Im Anwendungsbereich des VVG findet der Wille des Ehegatten demnach Beachtung. Das wird durch BGE 49 II 306 ohne Rückgriff auf Art. 77 Abs. 2 VVG, zumal in jenem Fall keine Unwiderruflichkeitserklärung vorlag, bereits aus Art. 83 Abs. 2 VVG abgeleitet, der als Auslegungsregel nur massgebend sei, wenn kein anderer Wille des Versicherten ersichtlich ist. Gegenüber einer ausdrücklichen Bestätigung der Begünstigung nach der Scheidung hätte sich die Klägerin nach jenem Entscheid jedenfalls nicht mehr auf Art. 154 Abs. 3 aZGB berufen können.
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ee) Die Klägerin legt besonderes Gewicht auf BGE 108 II 405, der nach ihrer Darstellung wie die herrschende Lehre in eine andere Richtung weise. Jener BGE 122 III, 308 (314)Entscheid hat jedoch ausschliesslich das Versprechen, einen Erbvertrag - und zudem mit einem Dritten - abzuschliessen, behandelt, und das mit dem von Art. 27 ZGB garantierten Schutz der Persönlichkeit als unvereinbar erklärt. Darauf aber kommt nichts mehr an, sobald der Erbvertrag in der Folge wie vorliegend abgeschlossen worden und eine durch diesen eingegangene übermässige Bindung nicht behauptet ist. Die Lehre zeigt sich uneinheitlich, selbst wenn sie mehrheitlich den Standpunkt der Klägerin stützen sollte, den sie allerdings nicht näher rechtfertigt, ja teilweise die Frage der Massgeblichkeit eines anderslautenden Willens gar nicht berührt. So halten GMÜR (a.a.O., N. 22 zu Art. 154 ZGB), A. EGGER (a.a.O, N. 16 zu Art. 154 ZGB), BÜHLER/SPÜHLER (a.a.O., N. 81 zu Art. 154 ZGB) die Ansprüche aus vor der Scheidung errichteter letztwilliger Verfügung für untergegangen, selbst wenn sie ausdrücklich auch für den Fall der Scheidung vorgesehen worden sind, wobei GMÜR anfügt, um so mehr als der wahre Wille des Erblassers nach dem wirklichen Eintreten des Scheidungsfalles wohl gewechselt haben werde, und EGGER ergänzt, um Rechte aus einer versicherungsrechtlichen Begünstigungsklausel ableiten zu können, müsse der Geschiedene nachweisen, dass der Verstorbene diese Begünstigung auch nach der Scheidung aufrechterhalten wollte. LEMP (Berner Kommentar, N. 4 zu Art. 226 und N. 32 zu Art. 238 ZGB), DESCHENAUX/TERCIER/WERRO (a.a.O., § 14 N. 674) sowie HEGNAUER/BREITSCHMID (Grundriss des Eherechts, 3. Aufl. 1993, S. 97 N. 11.09) bezeichnen, ohne auf einen möglicherweise entgegenstehenden Willen überhaupt Bezug zu nehmen, die Ansprüche als untergegangen, letztere allerdings unter Vorbehalt einer bedingten erbvertraglichen Bindung in einer genehmigten Vereinbarung. ROSSEL/MENTHA (Manuel de droit civil suisse S. 271) folgen jener Auffassung, sofern die Ansprüche später nicht rechtswirksam bestätigt worden seien, was übrigens auch BÜHLER/SPÜHLER einräumen. Für CURTI-FORRER (N. 17 zu Art. 154 ZGB), U. EGGER (N. 4 zu Art. 154 ZGB), HENRICI (ZSR 33/1914 S. 65) und sinngemäss auch PIOTET (ZSR 110/1991 I S. 227) bleibt der wirkliche Wille entscheidend, sofern er ersichtlich ist.
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ff) Nach § 2077 Abs. 1 DBGB, dessen System der Entwurf wie angeführt entspricht, "ist eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat, unwirksam, wenn die Ehe nichtig oder wenn sie vor dem Tode des Erblassers aufgelöst worden ist. Der Auflösung der Ehe steht es gleich, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen BGE 122 III, 308 (315)für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Das gleiche gilt, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes auf Aufhebung der Ehe zu klagen berechtigt war und die Klage erhoben hatte". Die Verfügung ist aber nicht unwirksam, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser sie auch für einen solchen Fall getroffen haben würde (§ 2077 Abs. 3 DBGB). Das gilt in den Fällen des § 2077 auch für ein gemeinschaftliches Testament seinem ganzen Inhalte nach, wobei wiederum, wird die Ehe vor dem Tode eines Ehegatten aufgelöst oder liegen die Voraussetzungen des § 2077 Abs. 1 Satz 2 oder 3 vor, die Verfügung insoweit wirksam bleibt, als anzunehmen ist, dass sie auch für diesen Fall getroffen sein würde (§ 2268 Abs. 1 und 2 DBGB). Dem wirklichen Willen des Erblassers kommt demnach für die Frage ihrer Wirksamkeit sowohl bei der letztwilligen Verfügung wie beim gemeinschaftlichen Testament ausschlaggebende Bedeutung zu.
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c) Die Auslegung von Art. 154 Abs. 2 ZGB aus sich selbst und aus dem Gesamtzusammenhang muss mithin zum Ergebnis führen, sie sei dispositiver Natur: Es fehlt an einleuchtenden Gründen für ihren zwingenden Charakter, und ein solcher führte zu Widersprüchen mit anderen, gleichartigen Normen.
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Im Erbvertrag vom 21. Mai 1965 haben Q. und Y. diesen als vom Tage der Rechtskraft des Scheidungsurteils an geltend erklärt, und Q. hat zudem in der öffentlichen letztwilligen Verfügung vom 21. März 1985, falls es sich dabei nicht um eine selbständige Erbeinsetzung handeln sollte, jene aus dem Erbvertrag jedenfalls bestätigt. Daraus ergibt sich der klare Wille einer Wirksamkeit des vor der Scheidung abgeschlossenen Erbvertrags über diese hinaus. Dieser Wille ist, da Art. 154 Abs. 2 ZGB dispositiver Natur ist, zu beachten. Die Berufung muss daher abgewiesen werden.
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