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Informationen zum Dokument  BGE 143 III 558  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
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71. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. GmbH (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
4A_131/2017 vom 21. September 2017
 
 
Regeste
 
Art. 23 Abs. 1 LugÜ; Art. 20 Abs. 2 OR; Gerichtsstandsvereinbarung mit unzulässiger Wahl des sachlich zuständigen Gerichts.  
Auslegung und Ergänzung einer Gerichtsstandsvereinbarung mit teilweise unzulässigem Inhalt; Grundsatz "in favorem validitatis" (E. 4.1).  
 
Sachverhalt
 
BGE 143 III, 558 (559)A. Zwischen der B. GmbH (Klägerin, Beschwerdegegnerin) mit Sitz in Pfäffikon/Schwyz und A. (Beklagter, Beschwerdeführer) mit Wohnsitz in Monaco besteht ein Mäklervertrag im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Liegenschaft in Herrliberg/Zürich. Darin vereinbarten die Parteien u.a. Folgendes:
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"Als Gerichtsstand für allfällige Streitigkeiten aus vorliegender Vereinbarung wird das Handelsgericht Zürich vereinbart. Es gilt Schweizer Recht."
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B.
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B.a Das Bezirksgericht Zürich trat nicht auf die Klage ein. Die Gerichtsstandsklausel sei ungültig, da der Beklagte nicht im Handelsregister eingetragen sei und die sachliche Zuständigkeit nicht vereinbart werden könne. Eine (örtliche) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts lasse sich nicht mittels Vertragsauslegung begründen, da nicht nachvollziehbar sei, weshalb dieses den anderen im Kanton Zürich befindlichen Bezirksgerichten vorzuziehen wäre. Wäre eine Zuständigkeit im Kanton Zürich zu bejahen, würde sich hierfür am ehesten das Bezirksgericht Meilen anbieten, in dessen Bezirk Herrliberg liege.
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B.b Das Obergericht des Kantons Zürich hiess die Berufung der Klägerin gut und wies die Sache zur Durchführung des Verfahrens an das Bezirksgericht Zürich zurück. Es erwog, die Parteien hätten bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung nicht geahnt, dass das Handelsgericht nicht gültig vereinbart werden könne. Dies führe jedoch nicht zur Ungültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung insgesamt. Es gehe vielmehr darum, den hypothetischen Willen der Parteien für den Fall zu ermitteln, dass ihnen dies bewusst gewesen wäre. Es gebe keine Hinweise, dass für den Beklagten die Tatsache, dass es sich beim Handelsgericht um ein Fachgericht und die einzige kantonale Instanz gehandelt habe, von besonderer Bedeutung gewesen sei. Angesichts der Bedeutung der Gerichtsstandsvereinbarung auch für die örtliche Zuständigkeit sei davon auszugehen, dass sie sich damit auf eine "unbestimmt-örtliche" Zuständigkeit der Gerichte des Kantons Zürich geeinigt hätten. Da die örtliche BGE 143 III, 558 (560)Prorogation innerhalb des Kantons unbestimmt sei, bleibe die Bestimmung des konkreten Gerichts der Wahl der Klägerin überlassen.
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C. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Beklagten gut und tritt mangels örtlicher Zuständigkeit des Bezirksgerichts Zürichs nicht auf die Klage ein.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen:
 
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Anders als die übrigen Zuständigkeitsbestimmungen des LugÜ (vorbehältlich Art. 22 LugÜ) ist Art. 23 LugÜ nach dem ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 4 Abs. 1 LugÜ sowie seinem klaren Wortlaut auch bei Wohnsitz des Beklagten in einem Nichtvertragsstaat anwendbar und stellt insofern eigene Anwendungsvoraussetzungen auf (KROPHOLLER/VON HEIN, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011, N. 2 zu Art. 4 EuGVVO). Die Untauglichkeit des Beklagtenwohnsitzes als Kriterium für die Anwendung des LugÜ bei Zuständigkeitsvereinbarungen liegt auf der Hand, käme es dann doch auf die - zufällige - Parteirolle an. Es kann aber nicht angehen, die Wirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung nach unterschiedlichen Rechtsordnungen zu beurteilen, je nachdem, ob der Kläger oder der Beklagte in einem Vertragsstaat wohnt. Mit Bezug auf den Wohnsitz ist bei Art. 23 Abs. 1 LugÜ daher nur, aber immerhin, erforderlich, dass eine der Parteien - losgelöst von ihrer Parteirolle - Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat.
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Nebst dem Wohnsitz einer Partei in einem Vertragsstaat verlangt Art. 23 Abs. 1 LugÜ, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats prorogiert wurden. Einen Bezug zu einem zweiten Vertragsstaat setzt der Wortlaut dieser Norm nicht voraus; insbesondere wird nicht festgehalten, es müssten Gerichte eines anderen Vertragsstaats als des Wohnsitzvertragsstaats gewählt worden sein. Der Zweck dieser Norm spricht ebenso wenig für ein solches Erfordernis (vgl. dazu, noch vor dem Entscheid des EuGH vom 1. März 2005 C-281-02 Owusu [Slg. 2005 I-1383 Randnrn. 24 ff.],PASCAL GROLIMUND, BGE 143 III, 558 (561)Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, Rz. 248 f., 254 und 406). Bedarf es keines irgendwie gearteten Bezugs zu einem anderen Vertragsstaat, erhöht dies die Rechtssicherheit. Schliesst jemand mit Wohnsitz in der Schweiz mit einer Person, die im Ausland wohnt, eine Zuständigkeitsvereinbarung, richtet sich diese nach dem LugÜ, sofern Gerichte eines Vertragsstaats - inkl. der Schweiz - als zuständig bezeichnet werden. Die Systematik des Übereinkommens steht dem nicht entgegen (KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 5 zu Art. 23 EuGVVO). Nach dem Gesagten setzt Art. 23 LugÜ keinen Bezug zu einem zweiten Vertragsstaat voraus (nebst den in [der nicht publ.] E. 3.2 genannten Autorenauch etwa GEIMER/SCHÜTZE, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010, N. 29 ff. zu Art. 23 EuGVVO; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 4 ff., insb. N. 9 zu Art. 23 EuGVVO; je mit Hinweisen).
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Die Klägerin hat ihren Sitz in einem Vertragsstaat, nämlich der Schweiz. Die Parteien bezeichneten in ihrer Gerichtsstandsklausel sodann ein Gericht in einem Vertragsstaat - ebenfalls der Schweiz - als zuständig. Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in einem Drittstaat. Dadurch weist die Streitigkeit ein (rechtsrelevantes) internationales Element auf, das bei Art. 23 Abs. 1 LugÜ ebenso erforderlich ist wie bei Art. 2 LugÜ. Der Fall befindet sich nach dem Gesagten im räumlich-persönlichen Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 1 LugÜ.
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4.1 In Bezug auf die in Frage stehende Gerichtsstandsvereinbarung stellt sich vorab die Frage, nach welchem Recht zu beurteilen ist, ob diese trotz nach ZPO unzulässiger Wahl des sachlich zuständigen Gerichts im Übrigen, d.h. bezüglich der internationalen und örtlichen Zuständigkeit, gültig bleibt. Die Vorinstanz wie auch die Parteien gehen ohne Weiteres von einer Anwendbarkeit des OR aus, insbesondere von Art. 1, 18 und 20 OR. Nachdem vorliegend die Tatsache der Einigung sowie die Einhaltung der Formvorschriften nach Art. 23 Abs. 1 LugÜ unbestritten ist, es vorab um eine Frage der Vertragsauslegung geht und die Parteien auch eine Rechtswahl zugunsten des schweizerischen Rechts getroffen haben, erscheint es sachgerecht, auf die lex causae abzustellen und nicht autonom gestützt auf das LugÜ (in diesem Sinn auch das Urteil 4C.163/2001 vom 7. August 2001 E. 2b), zumal auch in der Lehre anerkannt wird, dass ein Rückgriff auf die lex causae teilweise unumgänglich ist (PASCAL GROLIMUND, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ] zum internationalen BGE 143 III, 558 (562)Zivilverfahrensrecht, Kommentar, Schnyder [Hrsg.], 2011, N. 12 zu Art. 23 LugÜ).
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4.1.1 Die Frage, ob der Vertrag ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre, ist grundsätzlich nach dem Vertrauensprinzip zu beantworten, indem der mutmassliche bzw. hypothetische Parteiwille ermittelt wird, sofern nicht ein diesbezüglicher tatsächlicher Parteiwille nachgewiesen werden kann (BGE 131 III 467 E. 1.2 S. 470). Die Bestimmung des hypothetischen Parteiwillens ist eine vom Bundesgericht zu überprüfende Rechtsfrage, wobei es an die Feststellungen des kantonalen Gerichts über die Tatsachen, die als Anhaltspunkte dafür in Betracht kommen, unter Vorbehalt von Art. 105 Abs. 2 BGG gebunden ist (BGE 120 II 35 E. 4b S. 41; BGE 107 II 216 II E. 3b S. 218 f.; je mit Hinweis). Dabei ist danach zu fragen, welche Vereinbarung die Parteien unter den konkreten Umständen in Kenntnis des Mangels getroffen hätten (BGE 124 III 57 E. 3c S. 60 mit Hinweisen), wobei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses dafür massgeblich ist (vgl. Urteil 4C.156/2006 vom 17. August 2006 E. 3.1 und 3.3; zu alledem auch Urteil 4A_282/2016 vom 6. Oktober 2016 E. 3.1). Bei der Bestimmung eines hypothetischen Parteiwillens hat das Gericht sich am Denken und Handeln vernünftiger und redlicher Vertragspartner sowie an Wesen und Zweck des Vertrags zu orientieren. Das Ergebnis dieser normativen Tätigkeit überprüft das Bundesgericht grundsätzlich frei, aber nur mit Zurückhaltung, da die Vertragsergänzung regelmässig mit richterlichem Ermessen verbunden ist (BGE 115 II 484 E. 4b S. 488 mit Hinweisen; Urteil 4C.11/2002 vom 31. Januar 2003 E. 5).
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4.1.2 Die Vorinstanz nahm in ihrer Begründung u.a. Bezug auf die Rechtsprechung zu Schiedsgerichtsvereinbarungen, was der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde aufgreift. Soweit es um die Frage geht, ob der grundsätzliche Wille bestand, sich einer solchen Vereinbarung zu unterwerfen, trägt eine solche Analogie - entgegen dem Beschwerdeführer - aber nur beschränkt. Wegen dem Wesen und Zweck einer Schiedsvereinbarung, der eine grosse Tragweite zukommt, da damit im Vergleich zu staatlichen Gerichtsverfahren regelmässig höhere Kosten anfallen und Rechtsmittel weitgehend beschränkt sind, ist diesbezüglich im Zweifelsfall eine restriktive Auslegung geboten (BGE 129 III 675 E. 2.3 S. 680 f.). Die Prorogation hat von ihrem Zweck her - wobei im Einzelfall unterschieden werden kann (vgl. nachfolgend bei [der nicht publ.] E. 4.3) - nicht diese Bedeutung. Insofern stossen die Einwände des Beschwerdeführers gegen den vorinstanzlichen Hinweis auf BGE 129 III 675 ins Leere.
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BGE 143 III, 558 (563)Im Übrigen liegt eine (wenigstens teilweise) Analogie zur Praxis betreffend sog. pathologische - d.h. unvollständige, unklare oder widersprüchliche - Schiedsvereinbarungen nahe (ebenso: BERNHARD BERGER, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2. Aufl. 2016, N. 34 zu Art. 23 LugÜ). Danach gilt Folgendes: Steht der grundsätzliche Wille der Parteien, sich einem Schiedsgericht zu unterstellen, fest, ist durch Auslegung und allenfalls auch Vertragsergänzung in Anlehnung an das allgemeine Vertragsrecht nach einer Lösung zu suchen, die dem Rechnung trägt (BGE 138 III 29 E. 2.2.3 S. 35 mit Hinweis). Bei Teilnichtigkeit (Art. 20 Abs. 2 OR) einer solchen Vereinbarung ist nach dem hypothetischen Willen zu ermitteln, was die Parteien vereinbart hätten, wäre ihnen diese bei Vertragsabschluss bewusst gewesen. Bei Zweifeln am Bestehen eines auf Ganznichtigkeit gerichteten hypothetischen Parteiwillens ist nach den Regeln des allgemeinen Vertragsrechts der Teilnichtigkeit der Vorzug zu geben (BGE 138 III 29 E. 2.3.2 und 2.3.3 S. 37 ff.).
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Auch bezüglich dem inhaltlich mit Art. 23 LugÜ übereinstimmenden Art. 23 der (unterdessen ersetzten) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) wird eine vergleichbare Auffassung vertreten. Werde etwa eine Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit mit einer solchen betreffend die örtliche Zuständigkeit kombiniert und erweise sich letztere aus irgendeinem Grund als unwirksam, so führe dies nicht auch zur Unwirksamkeit der Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit. Denn die Parteien hätten - wenigstens im Regelfall - gewollt, dass die Gerichte dieses Staates entscheiden. Eine Ausnahme sei allenfalls dann zu machen, wenn feststehe, dass die Parteien die internationale Zuständigkeit eines bestimmten Staates im Hinblick auf ein ganz bestimmtes örtlich zuständiges Gericht vereinbart hätten. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür treffe dann die Partei, die Unzuständigkeit des betreffenden Staates behaupte (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 149 f. und bei Fn. 233 zu Art. 23 EuGVVO). Es sei vom Grundsatz in favorem validitatis auszugehen (BERGER, a.a.O., N. 34 zu Art. 23 LugÜ).
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