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Informationen zum Dokument  BGE 144 III 193  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Anlass zur Beschwerde gibt die Frage, ob die Vorinstanzen die  ...
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22. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
5A_204/2017 vom 1. März 2018
 
 
Regeste
 
Art. 80 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 SchKG; Art. 277 Abs. 2 ZGB; definitive Rechtsöffnung für Volljährigenunterhalt.  
 
Sachverhalt
 
BGE 144 III, 193 (193)A. A. (geb. 1995) ist die Tochter von B. und C. Mit Versäumnisentscheid vom 21. September 2010 erkannte das Kantonsgericht Nidwalden in Dispositiv-Ziffer 1 betreffend die von A. (als damalige Klägerin) gegen B. (als damalige Beklagte) angestrengte Unterhaltsklage:
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"Die Beklagte wird verpflichtet, an den Unterhalt der Klägerin rückwirkend ab 3. Februar 2010 monatlich im Voraus auf den Ersten eines Monats einen ab Verfall zu 5 % verzinslichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 3'773.25 bis zur Mündigkeit zu bezahlen.
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Bereits geleistete und durch entsprechende Belege nachgewiesene Zahlungen der Beklagten an die Klägerin können durch die Beklagte in Abzug gebracht werden.
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BGE 144 III, 193 (194)Absolviert die Klägerin in diesem Zeitpunkt eine Ausbildung (Lehre, Anlehre, Mittelschule), so dauert die Zahlungspflicht bis zu dessen [recte: deren] Abschluss (Art. 277 Abs. 2 ZGB). Vorbehalten bleibt, dass es der Klägerin ab dann zuzumuten ist, an ihren Unterhalt einen Beitrag aus ihrem Arbeitserwerb beizusteuern (Art. 276 Abs. 3 ZGB)."
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Der Entscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
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B. Mit Zahlungsbefehl vom 19. Juni 2015 betrieb A. ihre Mutter für ausstehende Unterhaltsbeiträge von insgesamt Fr. 245'524.05 nebst Zins. B. erhob Rechtsvorschlag.
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Das Kantonsgericht Nidwalden gewährte die definitive Rechtsöffnung mit Entscheid vom 2. Februar 2016 für Unterhaltsforderungen nebst Zins betreffend die Periode vom 21. September 2010 bis 24. Januar 2013 und verweigerte A. damit namentlich die Erteilung der Rechtsöffnung für den Volljährigenunterhalt.
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C. Eine dagegen erhobene Beschwerde von A., mit welcher sie definitive Rechtsöffnung zusätzlich für Fr. 42'275.80 nebst 5 % Zins seit dem 16. Juni 2013, Fr. 45'235.20 nebst 5 % Zins seit dem 16. Juni 2014 sowie Fr. 22'595.70 nebst 5 % Zins seit dem 15. März 2015 (Unterhaltsbeiträge vom 25. Januar 2013 bis 30. Juni 2015) verlangte, wurde vom Obergericht des Kantons Nidwalden am 6. Februar 2017 abgewiesen.
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D. Mit Eingabe vom 15. März 2017 hat A. beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und erneuert ihr vor Obergericht gestelltes Begehren. Die Vorinstanz hat sich nicht vernehmen lassen. B. (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) stellt sinngemäss Antrag auf Nichteintreten, eventuell auf Abweisung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen:
 
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2.1 Gemäss Art. 80 Abs. 1 SchKG kann der Gläubiger beim Richter Aufhebung des Rechtsvorschlags und Erteilung der definitiven BGE 144 III, 193 (195)Rechtsöffnung verlangen, wenn die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Entscheid beruht. Gemäss Art. 81 Abs. 1 SchKG wird die definitive Rechtsöffnung erteilt, wenn nicht der Betriebene durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Entscheids getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft. Die Tilgung der Schuld kann nicht nur durch Zahlung, sondern auch gestützt auf jeden anderen zivilrechtlichen Grund wie Schulderlass, Verrechnung oder Erfüllung einer Resolutivbedingung erfolgen (BGE 124 III 501 E. 3b S. 503; Urteil 5D_195/2013 vom 22. Januar 2014 E. 6.2).
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Eine Kinderunterhaltsrente, die bis zum Ende der beruflichen Ausbildung zu bezahlen ist, ist resolutiv bedingt (zit. Urteil 5A_445/2012 E. 4.2; ABBET, a.a.O., N. 37 zu Art. 80 SchKG). Steht die Leistungspflicht des Schuldners gemäss dem definitiven Rechtsöffnungstitel unter einer auflösenden Bedingung, ist grundsätzlich Rechtsöffnung zu erteilen. Die Rechtsöffnung ist indes zu verweigern, wenn der Schuldner den Eintritt der Resolutivbedingung durch Urkunden zweifelsfrei nachweist, wobei das Erfordernis des Urkundenbeweises wegfällt, wenn der Gläubiger den Eintritt der Bedingung vorbehaltlos anerkennt oder wenn dieser notorisch ist (vgl. BGE 143 III 564 E. 4.2.2 S. 568; DANIEL STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 45 zu Art. 80 SchKG).
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2.3 Das Obergericht hat erwogen, der Versäumnisentscheid vom 21. September 2010 sei rechtskräftig und vollstreckbar. Eine Nichtigkeit, die von Amtes wegen zu berücksichtigen sei, werde weder vorgebracht noch sei eine solche ersichtlich. Die Beschwerdegegnerin habe sich sowohl ihre Säumnis am damals anberaumten Gerichtstag als auch die Umstände selbst anzurechnen, dass sie gestützt auf das damals in Kraft stehende kantonale Prozessrecht weder gegen den Versäumnisentscheid ein Gesuch um Aufhebung bei der BGE 144 III, 193 (196)Prozessleitung stellte noch die Appellation an die Kleine Kammer des Obergerichts ergriff, bzw. zu einem späteren Zeitpunkt gestützt auf Art. 286 Abs. 2 ZGB eine Abänderungsklage einreichte, wenn sie die Meinung vertreten hätte, dass die im Entscheid festgesetzten Unterhaltsbeiträge unberechtigt bzw. zu hoch gewesen seien oder aber, dass in der Zwischenzeit Anspruchsgrundlagen weggefallen seien. Die im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Einwände würden sich als untauglich erweisen, denn weder beweise die Beschwerdegegnerin mittels Urkunden die Tilgung oder Stundung der Forderung, noch rufe sie deren Verjährung an. Obschon das Obergericht klar festgehalten hat, dass die Beschwerdegegnerin keine (tauglichen) Einreden und Einwendungen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG vorgebracht hat, hat es die Rechtsöffnung für den von der Beschwerdeführerin geforderten Volljährigenunterhalt gleichwohl verweigert. Zur Begründung hat es angeführt, dass Dispositiv-Ziffer 1 des Versäumnisentscheides hinsichtlich des Volljährigenunterhalts (dortiger Abs. 3) in dreierlei Hinsicht zu wenig bestimmt sei und daher nicht von einem genügenden Rechtsöffnungstitel ausgegangen werden könne.
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2.4.1 Das Obergericht hat es (im Gegensatz zur Erstinstanz, welche diese Frage gar nicht thematisiert hat) zunächst als unklar erachtet, ob der Betrag von Fr. 3'773.25 auch nach Eintritt der Volljährigkeit weitergelte. So werde im Dispositiv des Versäumnisentscheids (Ziffer 1 Abs. 3) lediglich der Umstand festgehalten, dass Anspruch auf Volljährigenunterhalt bestehe, jedoch nicht, in welcher Höhe. Es sei möglich und durchaus plausibel, den Betrag des Minderjährigenunterhalts, indexiert gemäss Ziffer 2 des Dispositivs, ohne Abänderung als Volljährigenunterhalt anzunehmen. Jedoch sei es ebenso möglich und plausibel, dass im Dispositiv einzig der Umstand der Zahlungspflicht festgehalten werden sollte und ganz bewusst die dannzumalige Höhe offengelassen worden sei. Mithin lasse sich sowohl dahingehend argumentieren, dass es sich bei der uneindeutigen Formulierung im Dispositiv um ein Versehen handle, als auch entgegengesetzt, dass das Kantonsgericht Nidwalden ganz bewusst nicht z.B. die Formulierung gewählt habe: "Die Beklagte wird BGE 144 III, 193 (197)verpflichtet, an den Unterhalt der Klägerin rückwirkend ab 3. Februar 2010 monatlich im Voraus auf den Ersten eines Monats einen ab Verfall zu 5 % verzinslichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 3'773.25 bis zum ordentlichen Abschluss einer angemessen Erstausbildung, längstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr [statt: "bis zur Mündigkeit"] zu bezahlen."
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Richtig an diesen Ausführungen ist, dass die Rechtsöffnung zu verweigern ist, wenn sich das vom Sachgericht Gewollte infolge einer ungeschickten Formulierung nicht mit Sicherheit ermitteln lässt (s. dazu BGE 143 III 564 E. 4.3.2 S. 569 mit Hinweisen). Zu Unrecht hat die Vorinstanz indes eine solche Konstellation vorliegend als gegeben erachtet. Auch wenn der Betrag im dritten Absatz von Dispositiv-Ziffer 1 des Versäumnisentscheids vom 21. November 2010 nicht noch einmal explizit erwähnt worden ist, drängt sich aufgrund von Wortlaut und Aufbau der Klausel der Schluss auf, dass sich der Terminus "die Zahlungspflicht" auf den im ersten Absatz festgelegten Betrag bezieht und damit deshalb die Zahlungspflicht in der Höhe von monatlich Fr. 3'773.25 gemeint ist. Zu sehen ist auch, dass das Kantonsgericht in der strittigen Dispositiv-Ziffer nicht lediglich einen allgemeinen Verweis auf die gesetzliche Bestimmung von Art. 277 Abs. 2 ZGB vorgenommen, sondern die Fortgeltung der Zahlungspflicht über die Volljährigkeit hinaus bis zum Ende der Ausbildung (im Versäumnisentscheid konkretisiert mit den Begriffen Lehre, Anlehre und Mittelschule) ausdrücklich angeordnet hat. Es kommt im Dispositiv des Versäumnisentscheids daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz klar zum Ausdruck, dass der Beschwerdeführerin ganz bewusst ein definitiver Rechtsöffnungstitel für den monatlichen Betrag von Fr. 3'773.25 auch über die Volljährigkeit hinaus eingeräumt werden sollte; dies mit der Absicht, eine nahtlose Fortsetzung der Leistung von Unterhaltsbeiträgen beim Übergang von der Minderjährigkeit in die Volljährigkeit zu gewährleisten.
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