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Informationen zum Dokument  BGE 84 IV 44  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
2. Dem Beschuldigten, gegen den die Untersuchung eingestellt wird ...
6. Dass dem Beschuldigten ausser dem Anspruch auf Ersatz des erli ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
15. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 9. Januar 1958 i.S. M. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft.
 
 
Regeste
 
Art. 122 Abs. 1 BStP.  
2. Voraussetzungen für die Zusprechung von Schadenersatz (Erw. 2 lit. b-d).  
3. Anspruch auf Genugtuung bei Verletzung in den persönlichen Verhältnissen (Erw. 6)?  
 
BGE 84 IV, 44 (45)Aus den Erwägungen:
 
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a) Die Frage, ob dem in Untersuchung Gezogenen eine solche Entschädigung gebühre, entscheidet sich nicht nach Billigkeitsgründen, wie der bundesrätliche Entwurf eines Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 10. September 1929 in Art. 124 Abs. 2 vorsah. Vielmehr erhellt aus der Entwicklungsgeschichte des Art. 122 Abs. 1 BStP, dass dem Betroffenen nach dieser Bestimmung ein Rechtsanspruch auf Entschädigung des erlittenen Schadens zusteht (KomProt. NatR II S. 16/17, IV S. 6; StenBull NatR 1931, S. 725). Dieser Anspruch besteht von Gesetzes wegen, unbekümmert darum, ob die staatlichen Organe schuldhaft oder unverschuldet handelten (vgl. BGE 64 I 142; Urteil der Anklagekammer in Sachen Y. vom 12. Dezember 1957 E. 3 in fine; vgl. ferner WAIBLINGER, BGE 84 IV, 44 (46)Das Strafverfahren des Kantons Bern N. 1 zu Art. 202; CLERC in SJZ 1950 S. 270, 272; GERLAND, Der deutsche Strafprozess N. I, 1 zu § 81.)
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b) Objektive Voraussetzung ist, dass der Beschuldigte durch Untersuchungshaft oder andere Untersuchungshandlungen einen Nachteil erlitten hat. Der deutsche Gesetzeswortlaut erwähnt zwar ausdrücklich nur die Untersuchungshaft als Ursache entschädigungspflichtiger Folgen. Indessen ist nicht anzunehmen, dass mit dem Hinweis auf die Entschädigung "für andere Nachteile" bloss die mittelbaren Folgen der in der Untersuchungshaft liegenden Freiheitsbeschränkung gemeint seien. Nach Satz 2 dieser Bestimmung kann die Entschädigung verweigert werden, wenn der Beschuldigte "die Untersuchungshandlungen" durch ein verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen verschuldet oder erschwert hat. Zudem sprechen die romanischen Texte unmissverständlich von "préjudice résultant de la détention préventive ou d'autres actes de l'instruction" bzw. von "pregiudizio risultante dal carcere preventivo o da altri atti dell'istruzione". Schliesslich scheint auch die Botschaft des Bundesrates zum Gesetzesentwurf von dieser Auffassung auszugehen (BBl 1929 II S. 615; vgl. auch STÄMPFLI, Das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege, Anm. 2 zu Art. 122). Der Entschädigungsanspruch des Beschuldigten begreift somit auch Nachteile in sich, die ihren Grund in anderen Untersuchungshandlungen als der Untersuchungshaft haben (wie z.B. in der Hausdurchsuchung usw.).
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c) Dabei versteht sich von selbst, dass nicht für jeden geringfügigen Nachteil Entschädigung zu leisten ist. Abgesehen davon, dass dem Beschuldigten durch die Untersuchung regelmässig irgendein Nachteil zugefügt wird, hat der Staatsbürger grundsätzlich das durch die Notwendigkeit einer energischen Verbrechensbekämpfung bedingte Risiko einer gegen ihn geführten materiell ungerechtfertigten Strafverfolgung bis zu einem bestimmten Grade auf BGE 84 IV, 44 (47)sich zu nehmen. Die Entschädigungspflicht des Staates nach Art. 122 Abs. 1 BStP setzt daher eine gewisse objektive Schwere der Untersuchungshandlung und einen erheblichen Nachteil voraus. Dieser muss zudem kausale Folge der ersteren sein.
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d) Der Beweis hiefür obliegt dem Beschuldigten, dessen Entschädigungsanspruch nicht von Amtes wegen, sondern nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift lediglich auf Begehren hin von der zuständigen Behörde zu prüfen ist (vgl. StenBull NatR 1934 S. 172; StR 1934 S. 85).
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6. Dass dem Beschuldigten ausser dem Anspruch auf Ersatz des erlittenen Vermögensschadens bei Verletzung in seinen persönlichen Verhältnissen ein Anspruch auf Genugtuung zustehe, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Indessen spricht Art. 122 BStP allgemein von Entschädigung und gibt damit dem Einbezug des Genugtuungsanspruches Raum. Tatsächlich kann denn auch die Gewährung einer Genugtuung bei durch ungerechtfertigte Untersuchungshandlungen verursachtem tort moral geboten erscheinen. Sind doch Fälle denkbar, bei denen die Verletzung in den persönlichen Verhältnissen die materiellen Nachteile bei weitem überwiegt, ja überhaupt nur eine solche eintritt. Ernsthafte sachliche Gründe, den durch eine ungerechtfertigte Strafuntersuchung dem Beschuldigten zugefügten tort moral von der Entschädigungspflicht des Staates auszunehmen, bestehen nicht. Es kann sich lediglich fragen, ob ein Genugtuungsanspruch schon bei Vorliegen der unter Erw. 2 lit. c genannten Voraussetzungen gegeben sei. Das kann dahingestellt bleiben. Denn in jedem Falle sind die Erfordernisse für die Zusprechung einer Genugtuungssumme keine geringeren als diejenigen für die Gewährung des Schadenersatzes. Es bedarf hier wie dort zumindest einer gewissen objektiven Schwere der Untersuchungshandlung (Untersuchungshaft, Hausdurchsuchung und dergleichen) und eines durch diese verursachten erheblichen Nachteils. Diese Voraussetzungen BGE 84 IV, 44 (48)sind im vorliegenden Falle nicht erfüllt. Zudem hat der Gesuchsteller die Untersuchung zum Teil durch sein leichtfertiges Benehmen verschuldet.
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