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Informationen zum Dokument  BGE 87 IV 115 - Unterschlagung irrtümlicher Bankgutschrift  Materielle Begründung
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Zitiert durch:
BGE 116 IV 134 - Aneignung von Forderungen
BGE 95 IV 68 - Ausweisfälschung
BGE 90 IV 94 - Vereitelung der Blutprobe

Zitiert selbst:

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher  
 
27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. November 1961 i.S. Nehmad gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt.
 
 
Regeste
 
Art. 141 StGB.  
Der Unterschlagung macht sich auch schuldig, wer in Bereicherungsabsicht über ein Bankguthaben verfügt, das, wie er weiss, seinem Konto irrtümlich gutgeschrieben wurde.  
 
Sachverhalt
 
BGE 87 IV, 115 (116)A.- Am 27. Oktober 1958 gab der in Paris wohnhafte Kravietzki unter dem Decknamen Humbert der Schweizerischen Bankgesellschaft in Zürich telephonisch den Auftrag, von seinem Konto den Betrag von Fr. 30 000.-- an den Schweizerischen Bankverein in Basel zu Gunsten des Nummernkontos 88775-S zu überweisen. Tags darauf wurde der Zahlungsauftrag durch Bankgiro ausgeführt, und am 29. Oktober übermittelte der Bankverein Basel dem Inhaber des erwähnten Kontos, Nehmad, eine entsprechende Gutschriftsanzeige. Dieser liess hierauf am 31. Oktober 1958 den Betrag von Fr. 32 100.-- von seinem Konto beim Bankverein Basel auf das Konto Nr. 3430 bei der Schweizerischen Bankgesellschaft in Chiasso überweisen.
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Wenige Tage später stellte sich heraus, dass Kravietzki irrtümlich eine falsche Kontonummer genannt hatte und das überwiesene Geld für das Konto Nr. 88755-S bestimmt war, das dem Belgier Verleyen gehörte. Nehmad weigerte sich, den ihm zu Unrecht gutgeschriebenen Betrag zurückzuerstatten. Am 23. Januar 1959 stellte Kravietzki gegen ihn Strafantrag wegen Unterschlagung.
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B.- Das Strafgericht Basel-Stadt verurteilte Nehmad, gestützt auf Art. 141 StGB, zu acht Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug und zur Zahlung von Fr. 30 000.-- nebst 5% Zins seit 10. November 1958 an den Geschädigten Kravietzki.
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Auf Appellation des Verurteilten bestätigte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 29. Juni 1961 das erstinstanzliche Urteil.
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BGE 87 IV, 115 (117)C.- Nehmad führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, er sei freizusprechen und die Zivilforderung sei abzuweisen.
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Aus den Erwägungen:
 
Eine Unterschlagung im Sinne von Art. 141 StGB begeht namentlich, wer sich in Bereicherungsabsicht eine fremde bewegliche Sache aneignet, die ihm z.B. durch Irrtum oder sonst ohne seinen Willen zugekommen ist.
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Der Beschwerdeführer, der über ein Guthaben, das seinem Bankkonto irrtümlich gutgeschrieben wurde, somit über eine Forderung verfügt hat, bestreitet, dass er sich eine bewegliche Sache angeeignet habe.
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a) Das Strafgesetzbuch gibt keine nähere Umschreibung des Ausdruckes Sache ("chose", "cosa"), den es bei den Aneignungsdelikten (Art. 137-141), andern Vermögensdelikten (Art. 143-145, 147) und bei den Betreibungs- und Konkursdelikten im Tatbestand des Verstrickungsbruches (Art. 169) verwendet. Nach der in Literatur und Rechtsprechung vorherrschenden und vom Kassationshof in BGE 81 IV 158 bei der Auslegung des Hehlereitatbestandes (Art. 144) übernommenen Auffassung sind darunter nur körperliche Gegenstände zu verstehen, nicht auch Forderungen, soweit diese nicht in einem Wertpapier verkörpert sind. Dafür sprechen vor allem die Gesetzesmaterialien und der allgemeine Sprachgebrauch. Sowohl der herkömmliche Wortsinn wie die Ansicht des historischen Gesetzgebers beruhen auf dem Sachbegriff, wie ihn das Zivilrecht (Art. 713 ZGB) geprägt hat. Das Strafrecht ist jedoch vom Zivilrecht unabhängig, und es steht ihm frei, zivilrechtlichen Begriffen einen abweichenden Inhalt zu geben, der dem strafrechtlichen Bedürfnis, auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten abzustellen, gerechter wird (BURCKHARDT, ZStR 15 S. 256; GMÜR, ZSR NF 22 S. 735; HAFTER, Bes. Teil I S. 216). Unter diesem Gesichtspunkt steht nichts im Wege, den Ausdruck Sache anders als im streng sachenrechtlichen Sinne auszulegen (BGE 71 IV 89 /90), BGE 87 IV, 115 (118)und ebensowenig hindern dies die Gesetzesmaterialien, die den Richter nicht binden (BGE 85 IV 27 /28, BGE 82 I 153, BGE 82 II 485 /6). Was den Tatbestand des Art. 169 StGB anbetrifft, hat sich der Kassationshof am 6. Juli 1960 auf Anfrage der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichtes bereits dahin ausgesprochen, dass der in dieser Bestimmung verwendete Ausdruck Sache sich nicht auf körperliche Gegenstände beschränke, sondern auch Rechte und andere Forderungen, insbesondere die Verfügung über die auf ein Bank- oder Postcheckkonto einbezahlten Miet- und Pachtzinsen erfasse. In der Literatur ist die gleiche Meinung vertreten worden (SCHULTZ, ZStR 1957 S. 51 ff.).
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b) Den Begriff Sache auch im Unterschlagungstatbestand in einem die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigenden weitern Sinne aufzufassen, als ihn der historische Gesetzgeber verstanden hat, steht Art. 1 StGB nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung ist jede Auslegung zulässig, die dem wahren Sinn des Gesetzes entspricht, wie er sich aus den dem Gesetz innewohnenden Wertungen und seinem Zweckgedanken logisch ergibt (vgl. BGE 72 IV 103, BGE 77 IV 167, BGE 78 IV 40, BGE 86 IV 124 Erw. 3 a). Innerhalb dieser Schranke darf und soll der Richter eine Norm ausdehnend auslegen, d.h. der Beurteilung den wirklichen Sinn des Gesetzes und nicht den Gesetzeswortlaut zugrundelegen, der enger ist als der auf dem Weg der Auslegung ermittelte Gesetzessinn und diesen daher nur unvollkommen wiedergibt. Im Rahmen solcher Gesetzesauslegung ist auch der Analogieschluss erlaubt; denn er dient dann bloss als Mittel sinngemässer Auslegung. Der Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" (Art. 1 StGB) verbietet bloss, über den dem Gesetz bei richtiger Auslegung zukommenden Sinn hinauszugehen, also neue Straftatbestände zu schaffen oder bestehende derart zu erweitern, dass die Auslegung durch den Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt wird (GERMANN, Auslegung und freie Rechtsfindung, in ZStR 1 ,,,941 S. 134 ff., insbes. S. 153/4; Zum sogenannten BGE 87 IV, 115 (119)Analogieverbot, in ZStR 1946 S. 119 ff.; Kommentar zu Art. 1 StGB, insbes. N. 125; WAIBLINGER, Die Bedeutung des Grundsatzes "Nullum crimen sine lege", in ZBJV 1955 S. 212 ff.).
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Art. 141 StGB will vor allem die rechtswidrige Aneignung irrtümlich (zu viel) bezahlten Geldes bei Kauf, Lohnzahlung, Geldwechsel usw. treffen (HAFTER, Bes. Teil I S. 234). Eine ebenso typische Unterschlagungshandlung liegt auch vor, wenn die irrtümliche Zahlung im Giroverkehr erfolgt und der Empfänger sie bösgläubig nicht zurückerstattet. Wirtschaftlich steht die Übertragung eines Guthabens von einem Konto auf ein anderes der Barzahlung gleich. Dass der Inhaber des Kontos, auf dem das Guthaben gutgeschrieben wird, zivilrechtlich nicht in den Besitz des Geldes gelangt, sondern nur eine Forderung erwirbt, ist nicht entscheidend. Art. 141 setzt übrigens (im Gegensatz zu § 246 des deutschen StGB) nicht ausdrücklich den Gewahrsam des Täters und damit nicht notwendig Körperlichkeit der Sache voraus; diese muss ihm nur "zugekommen" sein. Insbesondere erfordert der Begriff der Aneignung nicht, dass das Angriffsobjekt eine körperliche Sache sei; es genügt, dass der Täter über den fremden Vermögenswert dergestalt verfügen kann, dass dieser dem Berechtigten dauernd entzogen und der Herrschaft des Täters unterworfen wird. Mit der irrtümlichen Gutschrift auf dem Konto erhält der Kontoinhaber die tatsächliche Verfügungsmacht über das Guthaben, das er sich so gut wie Bargeld aneignen kann, indem er sich die Rechte eines Alleinberechtigten anmasst, z.B. das Geld abhebt oder auf ein anderes Konto überweist. Wer so über wirtschaftlich fremdes Vermögen verfügt, tut dasselbe und ist in gleicher Weise strafwürdig wie derjenige, der aus Versehen empfangenes Bargeld behält, verbraucht oder sonstwie unrechtmässig darüber verfügt. In diesem Falle den Täter zu bestrafen, im andern nicht, obschon hier wie dort mit den gleichen Mitteln in fremdes Eigentum eingegriffen wird, kann vernünftigerweise nicht der wahre BGE 87 IV, 115 (120)Sinn des Art. 141 StGB sein. Die Aneignung irrtümlich geleisteter Girozahlungen nicht unter diese Bestimmung zu subsumieren, wäre mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes umsoweniger vereinbar, als der bargeldlose Zahlungsverkehr, nicht nur gesamthaft, sondern auch, was die Höhe der im einzelnen überwiesenen Beträge anbelangt, im modernen Wirtschaftsleben eine bedeutende und immer grössere Rolle spielt.
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Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz wusste der Beschwerdeführer, dass seinem Bankkonto Fr. 30 000.-- irrtümlich gutgeschrieben worden waren, und trotzdem verfügte er über das Guthaben, wie wenn es sein eigenes gewesen wäre. Er hat sich somit im Sinne des Art. 141 StGB eine fremde bewegliche Sache, die ihm durch Irrtum zugekommen ist, vorsätzlich angeeignet.
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