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Informationen zum Dokument  BGE 90 IV 74  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Hausfriedensbruch wird gemäss Art. 186 StGB nur auf Antra ...
2. Wegen Hausfriedensbruchs ist nach Art. 186 StGB u.a. strafbar, ...
3. Hausfriedensbruch ist nur strafbar, wenn er vorsätzlich v ...
4. Die Festsetzung der Strafe innerhalb des gesetzlichen Rahmens  ...
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16. Urteil des Kassationshofes vom 5. Juni 1964 i.S. Ritler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
 
 
Regeste
 
Art. 186 StGB. Hausfriedensbruch durch Eindringen in ein Krankenzimmer.  
2. Begriff des abgeschlossenen Raums.  
3. Der Wille des Berechtigten, dass jemand in einen bestimmten Raum nicht eindringen soll, kann auch von blossen Angestellten des Berechtigten gültig geäussert werden oder sich aus den Umständen ergeben.  
4. Unrechtmässigkeit des Eindringens. Befugnis des Täters, gegen den Willen des Berechtigten in dessen Räume einzudringen?  
5. Zum Vorsatz gehört das Bewusstsein, dass das Eindringen gegen den Willen des Berechtigten erfolgt. Feststellung dieses Bewusstseins durch die Vorinstanz (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277bis Abs. 1 BStP).  
6. Strafzumessung (StGB 63). Das Bundesgericht kann nur bei Ermessensüberschreitung eingreifen.  
 
Sachverhalt
 
BGE 90 IV, 74 (75)A.- Am 14. Juni 1963 gegen 13 Uhr erkundigte sich Ritler am Auskunftsschalter der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals Luzern, wo Krummenacher liege, der tags zuvor einen schweren Schiessunfall erlitten hatte. Die diensttuende Kanzleigehilfin Gut nannte ihm die Zimmernummer, sagte ihm aber, die Patienten schliefen über Mittag, und wies ihn an, die Abteilungsschwester zu fragen, ob er Krummenacher besuchen dürfe. Da Ritler diese Schwester nicht sogleich fand und an der Zimmertüre kein Besuchsverbot angeschlagen war, trat er ein, unterhielt sich mit Krummenacher über dessen persönliche Verhältnisse und den Unfall und photographierte ihn gegen seinen Willen. Am folgenden Tag erschien im "Blick" ein bebilderter Bericht über diesen Besuch.
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B.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern, das Kantonsspital Luzern, vertreten durch den Verwalter Gunz, und Dr. Lehner, der Vorsteher und Chefarzt der Chirurgischen Klinik, stellten innert der Frist von Art. 29 StGB Antrag auf Bestrafung Ritlers wegen Hausfriedensbruchs.
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BGE 90 IV, 74 (76)In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht Luzern-Stadt hat das Obergericht des Kantons Luzern (II. Kammer) Ritler mit Urteil vom 7. April 1964 des Hausfriedensbruchs im Sinne von Art. 186 StGB schuldig erklärt, ihn zu zehn Tagen Gefängnis und einer Busse von Fr. 200.-- verurteilt und ihm für die Freiheitsstrafe den bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von zwei Jahren gewährt.
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C - Gegen dieses Urteil führt Ritler Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
 
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Das Kantonsspital Luzern ist eine öffentlichrechtliche Anstalt des Kantons Luzern. Dieser übt die Verfügungsgewalt über die Spitalräume durch die hiefür zuständigen leitenden Organe aus. Welches diese Organe sind, bestimmt das kantonale Recht. Der Beschwerdeführer macht daher mit Recht nicht geltend, das Obergericht habe eidgenössisches Recht im Sinne von Art. 269 Abs. 1 BStP verletzt, indem es die Befugnis, seine Bestrafung wegen Hausfriedensbruchs durch Eindringen in ein Krankenzimmer der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals zu beantragen, sowohl dem Regierungsrat als dem obersten kantonalen Verwaltungsorgan als auch dem Spitalverwalter und dem Vorsteher und Chefarzt der Chirurgischen Klinik zubilligte.
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BGE 90 IV, 74 (77)2. Wegen Hausfriedensbruchs ist nach Art. 186 StGB u.a. strafbar, wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, eine Wohnung oder einen abgeschlossenen Raum eines Hauses unrechtmässig eindringt.
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a) Der Beschwerdeführer bestreitet mit Recht nicht, dass das Krankenzimmer, dessen Betreten ihm vorgeworfen wird, ein abgeschlossener Raum im Sinne von Art. 186 StGB ist. Das Gesetz fordert nicht, dass der Raum durch ein verriegeltes Schloss gesperrt sei, sondern es genügt, dass es sich um einen umschlossenen Raum handelt.
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b) Der Wille des Berechtigten, dass jemand in einen bestimmten Raum nicht eindringen soll, kann nicht nur vom Berechtigten selber bzw., wenn dieser eine juristische Person ist, von deren Organen, sondern auch von blossen Angestellten des Berechtigten gültig zum Ausdruck gebracht werden. Dieser Wille braucht im übrigen nicht notwendigerweise ausdrücklich erklärt zu werden, sondern kann sich auch aus den Umständen ergeben (HAFTER, Besonderer Teil, S. 111, LOGOZ N. 4 a aa zu Art. 186 StGB).
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Indem die Kanzleigehilfin Gut Ritler darauf aufmerksam machte, dass für die Kranken Ruhezeit sei, und ihn anwies, die Abteilungsschwester zu fragen, ob er Krummenacher besuchen dürfe, verbot sie ihm den geplanten Besuch grundsätzlich. Eine Ausnahme machte sie nur für den Fall, dass die Schwester den Besuch gestatten sollte. Diese Anordnungen der Angestellten Gut haben als Ausdruck des Willens der Organe der Krankenanstalt zu gelten. Sie waren zumal im Hinblick darauf, dass seit dem schweren Unfall Krummenachers erst ein Tag vergangen war, durchaus sachgemäss. Dass Krummenacher nicht in einem Saal der Allgemeinen Abteilung, sondern in einem Privatzimmer mit zwei Betten lag, ändert hieran nichts.
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Für einen vernünftigen und anständigen Menschen, der wie Ritler den Zeitpunkt und die Schwere des Krummenacher widerfahrenen Unfalls kannte, ergab sich übrigens auch ohne besonderen Hinweis schon aus den Umständen, BGE 90 IV, 74 (78)dass Krummenacher am fraglichen Tage nach dem Willen der Spitalorgane jedenfalls von Fremden nicht oder doch nicht ohne besondere Bewilligung besucht werden durfte.
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Eine solche Bewilligung hat Ritler nicht eingeholt. Der Umstand, dass er die Abteilungsschwester nicht sogleich fand und dass an der Türe des betreffenden Zimmers kein Besuchsverbot angeschlagen war, erlaubte ihm keineswegs, sich über das für ihn geltende Erfordernis einer Bewilligung hinwegzusetzen.
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Indem Ritler das Zimmer Krummenachers ohne Bewilligung betrat, ist er also im Sinne von Art. 186 StGB gegen den Willen des Berechtigten in diesen Raum eingedrungen.
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c) Mit dem Tatbestandserfordernis der Unrechtmässigkeit des Eindringens will Art. 186 StGB von der Bestrafung wegen Hausfriedensbruchs die Personen ausnehmen, die befugt sind, auch gegen den Willen des Berechtigten in dessen Räume einzudringen (Urteil des Kassationshofes vom 17. März 1949 i.S. Crivelli gegen Morellini). Eine solche Befugnis kann sich namentlich aus der Amtspflicht, unter Umständen aber auch aus dem Privatrecht ergeben (Beispiel: die Befugnis des Vermieters, zur Vornahme einer dringenden Ausbesserung im Sinne von Art. 256 OR gegen den Willen des Mieters in die Mieträume einzudringen, wenn amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt werden kann). Auf ein derartiges besseres Recht vermag sich Ritler nicht zu berufen. Nichts erlaubte ihm, gegen den Willen der Spitalorgane in das Zimmer Krummenachers einzudringen. Sein Vorgehen war also unrechtmässig.
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Nach alledem ist der Tatbestand des Hausfriedensbruchs in objektiver Hinsicht erfüllt.
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3. Hausfriedensbruch ist nur strafbar, wenn er vorsätzlich verübt wird (Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 StGB). Vorsätzlich verübt ist nach Art. 18 Abs. 2 StGB die mit Wissen und Willen ausgeführte Tat. Zum Wissen, das hienach neben dem (bei Ritler zweifellos vorhandenen) Willen zur Tat erforderlich ist, gehört im BGE 90 IV, 74 (79)Falle des Hausfriedensbruchs das Bewusstsein, dass das Eindringen gegen den Willen des Berechtigten erfolgt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts, die mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden können, sondern für den Kassationshof verbindlich sind (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277bis Abs. 1 BStP), handelte Ritler in diesem Bewusstsein. Sein Verhalten erfüllt also auch in subjektiver Beziehung den Tatbestand von Art. 186 StGB.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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